Kapitel 13
Gefürchtet wird die Macht der Hexen. Die Legenden türmen sich. Schwer ließ sich unterscheiden, was der Wahrheit entspräche und wie viel Eigeninterpretation bereits in den Erzählungen steckt. Verwässerte Details. Verzerrungen durch Anpassung der Zielgruppen. Herausarbeiten von Botschaften. Clive genoss die Geschichten über Hexen mit Vorsicht. Er belächelte vieles. Sicherlich wie Graf Bylom. Ein weiser Mann. Ein guter Zuhörer. Zu Sinas Nachteil, denn mit nur einem Schlag nimmt er der Fee die gute Laune.
„Sagtest du nicht, dass dir kein Zauber bekannt ist, solch ein Unwetter zu bannen? Aber genau das hast du mit diesem Ding …“
„Ein Mondstein“, nimmt sich Sina die Frechheit, ihn zu unterbrechen. Clive zieht scharf die Luft ein. Kasimirs Gastfreundschaft und Geduld sollten sie nicht überstrapazieren. Er gehört immer noch zum Adel und sollte trotz Bitte mit Respekt behandelt werden.
Kasimirs Augen werden bedrohlich dunkler. Für gewöhnlich unterbricht niemand einen Adligen. Die Strafe kann tödlich enden.
„Du hältst eine gefährliche Macht in deinen Händen, Sina.“
Geschliffen scharf klingt seine Stimme. Verärgert, woraufhin Clive demütigt heran tritt und einen Entschluss trifft.
„Ich entschuldige mich für Ihr Verhalten, Graf Bylom.“
Empört schnappt Sina nach Luft und nennt den Alchemisten schimpfend beim Namen. Aber auch nur, weil sie mit den Bräuchen und Regeln dieses Landes nicht vertraut ist. Unwissenheit für die Clive einstehen muss. Schließlich fühlt er sich als ihr Vormund verantwortlich. Die Anspannung ist deutlich zu spüren und Clive verübelt dem Grafen sein Misstrauen und seine Furcht ihr gegenüber nicht. Beide Männer wurden Zeuge eines mächtigen Wunders. Ein Ereignis, das sicherlich nur wenige Leute zur Augen bekommen. Hexerei ist die einzige vernünftige Erklärung. Selbst für Clive.
Ignoranz verschlimmert Sinas Laune, wie sich zeigt. Denn sie stampft erzürnt mit dem Fuß. „Du musst dich nicht für mich entschuldigen!“
Clive lächelt sie flehend an. In der Hoffnung, dass sie es bei seiner Entschuldigung belässt.
Wie Donnerschläge trommeln die Finger des Grafen auf der Tischplatte, während sich seine Worte an die Fee richten: „Wenn Ihr nur wüsstet, welches Glück Ihr habt, einen Freund wie Clive zu haben, Hexe.“
Statt sich geehrt zu fühlen, schlägt Clives Herz furchterfüllt. Jetzt fängt der Graf auch noch an, die Fee zu provozieren. Sina droht bereits Kasimir mit einem tödlichen Blick zu erdolchen. Zu ihrem Glück schweigt sie.
„Du bist sicher erschöpft, Clive. Dennoch muss ich dich bitten, verlasse umgehend diesen Ort mit Sina. Das mag ein Überfall sein, aber dieser Hexerei darf ich keinen momentlang länger dulden“, kaum spricht der Graf zu Ende, blickt er vorwurfsvoll zu Sina.
Die Fee dampft bereits wie ein Teekessel. Die Zornesröte hat sich in ihrem Gesicht breitgemacht.
Verständnisvoll nickt Clive dem Grafen zu und gibt nach: „Wie Ihr wünscht, Graf Bylom.“
„Möge ein Schutzengel dich behüten, Clive. Sei wachsam und vertraue auf Cunos Schutz.“
Fast schmerzlich bringt Kasimir den Abschied über seine Lippen.
Beide Freunde hätten sich den Abschied sicherlich herzlicher vorgestellt. Clives Beine fühlen sich an, als wären sie aus Blei. Jeder weitere Schritt fällt dem Alchemisten vom Herzen schwer, so viele unausgesprochene Worte liegen ihm auf der Zunge. Dennoch ist Kasimirs Zeit kostbar. Clive darf jetzt nicht egoistisch sein und dem Grafen seine Zeit stehlen. Es folgt hinter den geschlossenen Türen zu Kasimirs Büro ein tiefer Atemzug. In nicht mal einer Stunde passierte so viel, dass Clive viel zu verarbeiten hat. Die anstehende Kutschfahrt kommt ihm daher gelegen. In einem zweiten Notizbuch kann er jenes Wunder festhalten und Sina um die Details hinterfragen. Ein Besuch beim Buchladen erwies sich als lohnenswert. Nur selten verirrt sich ein Kunde in jenen Familienbetrieb. Umso mehr freute sich der alte Ladenbesitzer und ein altes Notizbuch befand sich tatsächlich in seinem Sortiment. Ein Ankauf von einem reisenden Händler, der keine Informationen über die Herkunft seiner Ware geben wollte. Zu Clives Glück. Im Nachhinein mag er herausgefunden haben, dass wenige Seiten rausgerissen wurden, als wäre das Notizbuch bereits in Nutzung gewesen. Nichts, was der Alchemist nicht verkraftet. Auch wurden keine Initialen niedergeschrieben, womit der alte Besitzer unbekannt bleibt.
Eine kurze, warme Berührung an seiner Hand lässt die Gedankenblase platzen. Sinas große Augen mustern ihn besorgt. Ihre schmalen Lippen formen ein kleines Lächeln, das ihn sicherlich aufmuntern soll. Ihre zierliche Hand nähert sich seiner verdächtig nahe, bevor ihre Finger in seine Fingerlücken gleiten. Seine Herzfrequenz verdoppelt sich, als ihre Hand in seiner liegt. Clives Wangen fangen an zu glühen und seine Schritte werden langsamer, woraufhin Sinas Lächeln breiter wird. Die Fee zieht ihn nun wie ein kleines Kind hinter sich her, dabei entgeht dem Alchemisten der verblüffte Blick des Paladins. Ehe sich Clive versieht, befindet sie sich im Gästezimmer. Ihre Hand gleitet aus seiner und schon beginnt er ihre Nähe zu vermissen. Schockiert wird ihm bewusst, wie viel ihm die Fee bereits bedeutet. Der Gedanke, dass sich ihre Wege in Zukunft trennen werden, bringt ihn fast um den Verstand.
Summend bringt Sina den geliebten Koffer. Sie tänzelt durch die Räumlichkeit, als verliefe alles nach Plan.
„Endlich! Endlich darf ich mich frei unter dem Himmel bewegen. Komm schon, Clive. Wir sollten Cuno nicht warten lassen. Dein Koffer.“
Nicht ohne eine Nachricht. Clive nimmt sich ein Beispiel an dem letzten Besitzes des unbekannten Notizbuches und entwendet eine Seite, wo er sich kurz die Zeit nimmt, um Kasimir ein Dankesschreiben aufzusetzen. Die Worte sprudeln aus ihm heraus. Nicht einmal muss er die Feder absetzen, um an der Formulierung zu feilen. An jenem Ort fand Clive einen Freund, den er nicht missen will. Sollte er seine Lehre beenden, mag er als vollwertiger Alchemist zurückkehren. Als Heiler, als Berater und als Freund. Kaum sind die Sachen zusammengepackt, bemerkt er, dass Sinas Freude abgenommen hat. Gedankenverloren sitzt sie auf der Fensterbank und in ihrem Blick zeichnet sich etwas Trauriges ab.
„Was bedrückt dich, Sina?“
Kaum hebt sie den Kopf, fängt er ihren Blick ein. Sie schluchzt bitter.
„Ich bin der Grund, warum du jetzt von hier verjagt wirst. Ich bereite dir Ärger. Ich weiß, du willst nicht fort. Verleugne es nicht, dein Blick in seinem Büro hat mehr wie tausend Worte gesagt. Entschuldige, dass ich dir ein Klotz am Bein bin. Ich …ich kann auch allein weiterreisen. Du musst mich nicht begleiten.“
Welch ein schneller Stimmungswechsel. Noch bevor Clive ein Schreiben aufsetzte, konnte Sina es kaum erwarten, zu verschwinden. Doch ihre Sorge rührt ihn. Sein Herz hämmert gegen seinen Brustkorb, als wolle es mit Gewalt ausbrechen. Entschlossen tritt der Alchemist an sie heran und fängt ihre Hände ein. Mit errötetem Gesicht betrachtet er sie.
„Unsere Abreise war unausweichlich. Ich hatte nicht vor, länger zu verweilen. Jeder weitere Tag kann uns die Reise erschweren und den Grafen Ärger bereiten. Ich habe dir bereits versprochen, dich nach Hause zu bringen. Außerdem bist du mir kein Klotz am Bein, sei nicht so streng mit dir.“
Sie nickt zögerlich und findet den Mut, das zu hinterfragen, was sie bislang nicht über das Herz brachte: „Und wie lautet der Plan? Hast du einen Anhaltspunkt oder reisen wir blind drauf los?“
So lange hat Clive auf diese Frage gewartet. Euphorisch deutet er auf ihren kleinen Schatz.
„Die Meeresbohne.“ Dramatisch setzt er eine Pause. „Du erwähntest, sie wuchert am Gewässer und bevorzugt einen hohen Salzgehalt. Ein genauerer Blick und ich tendiere dich den Stämmen östlich des Landes der sumpfigen Regionen zuzuordnen. Tropische Zonen. Sag mir, wie ist das Klima in deiner Heimat. Warm und feucht? Ohne kalte Winter? Und was für Tiere leben in deiner Heimat? Gefährliche Schlangen? Pelzige Spinnen?“
Statt Antworten runzelt Sina die Stirn. Die Lippen presst sie zu einem schmalen Strich und die Arme werden protestartig verschränkt. Fast, als habe er sie verärgert.
Womöglich eine Fehleinschätzung? Wurzelt Enttäuschung in Sina? Doch allein ihr knapper Kleidungsstil spricht für eine wärmere Region. Auch ihre gesunde Bräune verrät einen sonnenverwöhnten Ort.
„Unfassbar wie viele Gedanken du dir machst!“, platzt es aus Sina. „In der Tat gibt es ein gutes Stück von meinem Dorf entfernt weite Sümpfe. Vielleicht gibt es ja doch Hoffnung für mich.“
„Sehr gut.“ Er schnippt freudig und gönnt sich einen kurzen Atemzug. „Aber dann erwartet uns eine lange und gefährliche Reise. Denn laut den Legenden sind die Sümpfe, die ich ansteuern möchte, verflucht.“
Sina prustet los und winkt ab. „Wer´s glaubt!“
Für gewöhnlich hielt er bislang auch nichts von Spukgeschichten. Aber Sinas Magie ließ ihn bereits an die physikalischen Gesetze zweifeln.
„Eine weitere Theorie“, beginnt Clive vorsichtig und lässt Sina direkt aufhorchen, „Sollte ich mich irren, könnten wir uns die Portale zu Nutze machen.“
„Ich bezweifle, dass irgendein Mensch dazu in der Lage sein wird.“
„Dann aber eine Hexe“, spricht er seinen Gedanken laut aus.
Sie missversteht ihn und hebt mit aufgeblasenen Wangen den Zeigefinger auf Augenhöhe.
„Ich bin keine Hexe, sondern eine Fee!“
Welch ein feuriger Charakter. An ihr wird er sich sicher noch die Finger verbrennen.
„Ich rede nicht von dir, Sina. Es mag vielleicht ein dummer Einfall sein, aber vielleicht kann uns eine richtige Hexe weiterhelfen.“
Die Fee hebt misstrauisch eine Augenbraue, während sie sich seine Idee sicherlich durch den Kopf gehen lässt. Zustimmend nickt sie die Sache ab.
„Ein Versuch ist es wert“, stimmt sie dem zögerlich zu.
Zu viel Zeit ließen die beiden mit ihren Gespräch verstreichen. Der Aufbruch sollte besser voranschreiten.
„Deine Himbeerpflanze“, erinnert der Alchemist sie und möchte sich ihr Gepäck schnappen.
Nur ein Flüstern erreicht sein Ohr, als sie ihn beim Namen nennt. Verwundert dreht er sich um, um sie direkt an seiner Seite zu entdecken. Ganz nah.
„Wie kann ich dir helfen, Sina?“
Erneut richtet sie ihm ungefragt die Fliege. Wie ein Zwang. Tatsächlich muss sich Clive Nachlässigkeit bei seinem Outfit eingestehen. Seine Fliege verrutscht ständig und hängt schief. Aber Sina kümmert sich gewissenhaft um das Problem. Es freut ihn, dass sie Gefallen an dem Accessoire gefunden hat.
Routinemäßig möchte er ihr danken, dafür gibt sie ihm keine Gelegenheit. Ehe er sich versieht, berühren ihre Lippen seine Wange. Mit der unvergesslichen Berührung ihrer weichen Lippen rieseln heiße Schauer durch seinen Körper.
Mit einem schüchternen Lächeln haucht sie ihm folgende Worte ins Ohr: „Ich danke dir für alles.“





























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