Kapitel 14 – Die Schlüsselfigur
Eine erfrischende Abendbrise weht in das Gemach hinein. Außerordentlich stark. Die Vorhänge blähen sich gespenstig auf. Strecken die Hände bedrohlich nach Samira. Ein kalter Schauer lässt sie frösteln. Aufmerksam, wie Ava ist, eilt sie zu den Schränken, um einen dünnen Mantel für kalte Abende zu organisieren. Anna hätte ihr diesen demütigt gereicht. Ava hingegen pfeffert der Prinzessin diesen grob ins Gesicht. Mit dem strengen Blick, den eine Mutter vielleicht an den Tag legen sollte. Samira hingegen ist die Tochter einer ungewöhnlichen Frau. Die Königin lacht selbst den schlimmsten Tagen ins Gesicht. Auch der Verlust ihres älteren Kindes konnte ihr sonniges Gemüt nicht beeinflussen.
„Der Himmel wird sich freuen, einen Engel wie Cassandra zu empfangen. Dort oben wird sie thronen und auf uns strahlen.“
Worte, die Samira in jungen Jahren sicherlich getröstet hätten. Nun aber vermisst sie die Trauer bei der Königin.
Ein ungeduldiges Schnippen reißt Samira gewaltsam aus den Gedanken. Ava hat sich bedrohlich über den Tisch gebeugt und betrachtet sie aus nächster Nähe. Mit grimmiger Miene.
„Eure Hoheit wird sich noch den Tod holen oder soll ich beim Anziehen helfen?“
Empört blinzelt Samira, bis ihr der eisige Blick der Elfe auffällt. Ihr Gast hat die Fassung zurückerlangt und sitzt vorgebeugt. Die Hände sind vor dem Gesicht zusammengefaltet und die kalten Augen bohren sich tief in die Seele der Prinzessin.
Das Brummen stammt von Ava, die sich die Frechheit erlaubt und den Mantel über Samira wirft, dass dieser den Rücken zwar bedeckt, aber bei dem nächsten kräftigen Windzug sicherlich schnell flöten geht. Daher schlüpft die Prinzessin eilig in die Ärmel und funkelt ihre Beschützerin trotzig an.
„Zufrieden?“
Statt darauf zu antworten, schlendert Ava in den Hintergrund, um sich dort lässig an eine Wand zu lehnen.
Ein Räuspern und der Kopf schwenkt rüber zu der Frau, auf deren Antwort Samira wahrlich gespannt ist. Anders, wie erhofft, beginnt ihr Gegenüber mit einer kleinen Showeinlage. Kältenebel dringt aus den Händen der Elfe, womit Riley in Alarmbereitschaft herantritt. Das vertraute Schleifen, wenn eine prächtige Paladinklinge hervorgeholt wird, lässt Samira beunruhigt aufblicken. Die Prinzessin hebt zwar entwarnend ihre Hand, aber Cassandras Freund hat nur Augen für die Elfe, die hingegen konzentriert sich auf das Formen von Magie. Statt Tod und Vernichtung staunt Samira über die Erschaffung lebender Kunst. Strahlend hell leuchten die Funken in einem kleinen Kältenebel und formen Lichtgestalten von unterschiedlichen Waldbewohnern, die über den Tisch hüpfen. Samira verfolgt beeindruckt ein kleines Reh, das sie kurz am Arm streift und einen kühlen Wind mit sich bringt. Ganz zum Schluss entsteht eine Silhouette des Anwenders. In dem fast transparenten Körper auf der Höhe des Brustkorbes entsteht ein goldenes Leuchten.
„Die Seele verwelkt nicht. Auch nicht nach dem Tod. Sie wandert und erwacht, um neue Erfahrungen zu sammeln. Die Voraussetzung dafür ist die Akzeptanz des Ablebens. Nicht immer tritt dieser Fall ein. Oft verursacht durch ein starkes Pflichtgefühl oder tiefsitzender Groll. Dank Euch fällt mir ein Stein vom Herzen, denn ich habe schon befürchtet, einen Geist erzürnt zu haben, das wäre eine sehr lästige Angelegenheit. Nun aber vermute ich Neugier hinter den Besuchen. Eure Schwester wandelt weiterhin in diesen Gemäuern. Noch ist sie mir friedlich gesinnt. Ihre Präsenz bleibt mir selbst hier nicht verborgen.“
Die Magie verpufft mit einem Mal und die Elfe erhebt sich ruckartig. Mit den Armen stützt sie sich an der Tischplatte, während ihr glühender Blick sich in Samiras Seele brennt. Das darauffolgende teuflische Grinsen lässt die Prinzessin erschaudern.
„Ihr seid der Grund, warum sie nicht ihr nächstes Leben antritt. Ihr seid der Schlüssel zu ihrem Schicksal. Im Nu kann ich die friedliche Seele verderben und sie zu dem Monster machen, das Eurem Vater ähnelt.“
Diese Überzeugung mag Samira noch anzweifeln. Dennoch sprach die Elfe interessante Dinge an. Das Leben nach dem Tod ist für das Menschenvolk ein großes Mysterium. Geistersicherungen werden entweder belächelt oder gefürchtet. Ava ist das beste Beispiel, ihr kritischer Blick ruht weiterhin auf die versammelte Runde. Sie mag still sein, aber ihre steife Haltung zeigt, wie wenig sie von dem Thema hält. Anders, als Riley, der voller Neugier lauscht, auch wenn er zum Schutz der Krone die Klinge fest umklammert hält.
Geduldig faltet Samira die Hände ineinander und reckt ihr Kinn.
„Wie stützt Ihr Eure These?“
Ihr Gast hebt überrascht die Augenbraue und lehnt sich lässig zurück. Bevor sie ihre Gedanken kundtut.
„Euer Herz schlägt ruhig und Eure Gefühle habt Ihr gut im Griff. Anders als Euer Vater scheint Ihr einen kühlen Kopf zu bewahren.“
Verärgert winkt Samira ab und fordert: „Bitte vergesst einen kleinen Moment meinen Vater. Ich komme später darauf zurück. Versprochen. Aber nun hat meine Schwester Vorrang. Lasst mich bitte verstehen, was hier vor sich geht und ob ihr Gefahr droht.“
Die Elfe kichert erheitert und schüttelt ungläubig den Kopf. „Warum sollte ich Euch helfen?“
Ein gutes Argument, auf das Samira vorbereitet ist.
„Die Zeit ist mein Feind. Euch wird kein Prozess gegönnt, womit wir die Chance verpassen, Euch anzuhören. Es ist nicht viel, aber ich biete Euch die Möglichkeit, Eurer Geschichte Gehör zu verschaffen. Lass mich wissen, was in der Vergangenheit passierte. Eines Tages werde ich das Land neu formen. Statt einen Krieg gegen das Elfenvolk bevorzuge ich Frieden und Harmonie. Dennoch solltet Ihr nicht glauben, dass ich den Mord an meine Schwester vergebe. Ihr habt mir einen wertvollen Menschen genommen und ich verurteile Euch auch dafür. Und doch heiße ich den Beschluss nicht gut. Ich mag mir nicht vorstellen, was Euer Tod ins Rollen bringen kann und welche Zukunft mich erwartet. Umso wichtiger ist die Wahrheit über den vergangenen Vorfall. Eure unverblümte Version. Aufrichtig und ohne Umschweife.“
Der Fisch scheint anzubeißen. Die Elfe wirkt fern mit ihren Gedanken, als wiege sie die Vor- und Nachteile ab. Samira gönnt sich in dem Zeitraum den ersten Bissen vom Reis. Kaum entfaltet sich das saftige Tomatenaroma mit den süßen Erbsen, überwältigt das Hungergefühl die Prinzessin. Die Tischmanieren sind schnell vergessen und der Teller im Nu geleert.
Die Freude platzt aus Samira, als der cremige Pudding gekostet wird. Samira spart nicht an Lob für die Küche und könnte vor Glück die Welt umarmen. Ihre Schwäche für Süßspeisen kann sie einfach vor niemanden verstecken. Sie blamiert sich sicherlich mit ihren albernen Tanz, der an eine hypnotisierte Schlange erinnert, aber das ist ihr egal.
„Eure Tischmanieren, Eure Hoheit!“, brummt Ava.
Ihre Worte stoßen auf taube Ohren, denn Samira will ihre Freude am Essen teilen und ihren Gast motivieren: „Ihr müsst den Pudding probieren, der ist unwiderstehlich lecker.“
Provokant schiebt die Elfe das Essen von sich fort. Nun bemerkt Samira den hungrigen Blick des Paladins, der auffällig schluckt.
„Sir Riley, wann haben Sie zuletzt gespeist?“, hinterfragt Samira gespannt.
Ertappt schreckt er zusammen und stammelt eine nervöse Antwort, die sie trotz angestrengter Ohren nicht wahrnimmt.
„Bitte?“
„Heute Morgen, Eure Hoheit.“
Samira schiebt ihren leeren Teller beiseite und holt sich die Vollen von der Elfe. Kaum erhebt sie sich und klopft auffordernd auf ihren Stuhl, blinzelt der Paladin verdattert.
„Verzeiht, aber das kann ich nicht annehmen.“
„Ihr müsst! Unbedingt! Setzt Euch und genießt dieses Meisterwerk.“
Schweren Herzens schüttelt er sich. „Eure Sicherheit geht vor.“
Er klingt wie seine Schwester. Die Pflicht ruft! Spaß und Genuss am Leben, was ist das?
„Sir Riley!“ Sie schnauft kurz und genießt, wie er eingeschüchtert den Kopf einzieht. „Das melde ich dem Koch!“
Hilfesuchend dreht er sich zu Ava, etwas, was sich die Elfe zu Nutze macht, denn sie stößt sich in Windeseile vom Stuhl und dreht sich elegant um. Ihre kurze Tanzeinlage endet, als ihr Ellbogen in Rileys Magen stößt. Der Paladin keucht und krümmt sich, somit hat Cassandras Mörderin ein leichtes Spiel, ihm das Schwert zu entwenden.
Eine kalte Windböe erfasst Samira einen Atemzug später. So stark, dass die Prinzessin kreischend zu Boden fällt. In einen Nebel aus Kälte. Ein Brennen an der linken Wange und lauwarme Flüssigkeit ergießt sich über das Gesicht. Die Hand tastet hinauf, während die Augen der Prinzessin, die ernstblickende Elfe erfassen. Enttäuscht schnalzt diese mit der Zunge und macht ihre nächsten Angreifer aus. Ein Überschlag in der Luft und sie trifft Riley mit dem Fuß im Gesicht, um sich akrobatisch im nächsten Moment an ihn abzufedern und Ava wie ein Geschoss anzusteuern. Einen Berg wie sie bekommt die Elfe jedoch nicht gebremst und stürzt somit in die offenen Arme von Samiras Beschützerin, um im nächsten Moment brutal zu Boden gerissen zu werden.
Auf Ava ist Verlass! Das Vertrauen der Beschützerin gegenüber ist unerschütterlich und so nutzt Samira den Moment, um die letzte Minute zu analysieren. Das Blut auf der Hand verrät einen Treffer. Glück im Unglück. Rileys Schwert muss sie gestreift haben. Es wurde von der Elfe geworfen und steckt nun in einer tragenden Säule nahe dem Fenster. Beeindruckend mit welch einer Leichtigkeit der ferne Gast einen solchen Zweihänder wirft. Im Beisein von Cassandra griff Samira vor gar nicht mal so langer Zeit nach einer Paladinklinge. Sie wurde von dem Gewicht überwältigt und sogar auf die Knie gezwungen. Das Vertrauen in den Gefährten der Krone ist groß, daher kämpft sich Samira auf die Beine. Die Eisfläche unter ihr macht es ihr dabei nicht leicht. Immer aufs Neue rutscht sie aus und pendelt ihr Gleichgewicht aus. Obwohl Gefahr droht, schlägt ihr Herz voller Freude und Abenteuerlust.
































Kommentare