Kapitel 18
Ein kleines Paradies mitten in einem trostlosen Wald versetzt sowohl Cuno als auch Clive ins Staunen. All die bunten Farben stehen im Kontrast zu dem trockenen Boden. Kaum verließ die Kutsche das Reich von Graf Bylom wurden sie Zeugen von der Dürre. Selbst die Gräser verwandeln sich in Stroh und weisen viele kahle Stellen auf. Doch der Fleck vor ihnen erblüht in solch einer Pracht, dass selbst Königsgärten neidisch werden. Die Kutsche geparkt am Wegrand, von wo dem stolzen Pferd eine Pause gegönnt wird. Beide Männer folgen einer Spur aus kleinen, grünen Inseln. Besetzt mit Butterblumen. Dabei steigen dem Alchemisten die unterschiedlichsten Duftnoten in die Nase. Vor ihren Füßen huschen immer wieder einige Eichhörnchen vorbei. Sie flitzen so schnell voran, dass Clive Herz sich kaum beruhigen mag.
Auch Cuno schüttelt ungläubig den Kopf, denn so viele unterschiedliche Bewohner des Waldes haben sich an einen nur einen Fleck versammelt und verschnaufen von ihrer großen Reise. Ehrfürchtig behält der Paladin den müden Bären im Auge, der es sich neben Sina auf dem Waldboden gemütlich gemacht hat. Ihr verlorenes Schaf war fleißig, überall blühen Beerensträucher und einige prachtvolle Apfel- und Birnenbäume.
Liebevoll summt Sina während ihre Finger über den Waldboden streichen. Ihre Berührungen lassen bunte Lichter aufsteigen, die hinauf zu den Baumgipfeln steigen und dort aus dem Sichtfeld verschwinden. Clive hörte bereits von einem Professor, dass die Pflanzenwelt auf Musik und sanfte Töne reagiert. In seinem Unterricht sang der Professor fröhlich vor sich hin, während er die Gartenarbeit verrichtete. Viele Lehrlinge belächelten das Verhalten und machten sich hinterrücks darüber lustig, doch Clive staunte über den einwandfreien Zustand seiner Gartenanlage. Größe und Qualität übertrafen die besten Kräuterhändler und überzeugten bei der Weiterverarbeitung. Ihm verdankt Clive das umfangreiche Wissen über Kräuter und Wildpflanzen. Die Art wie Sina eine Melodie über ihre Lippen bringt erinnert ihn an eine Mutter, die ihr Kind in ihren Armen wiegt und Geborgenheit spendet. Voller Liebe und Anteilnahme steht das Gewächs in Sinas Mittelpunkt.
„Fräulein Sina“, spricht Cuno sie schroff an.
Die Fee zuckt zusammen. Hastig schnappt sie sich das Häschen auf ihrem Schoss und drückt es wie eine Stoffpuppe fest an sich. Schwermütig erhebt sie sich, der Hase wird dabei unruhig und fängt an zu zappeln. Mit einem tiefen Atemzug setzt Sina das Tier doch zu Boden und hebt den Kopf mit einem Blick voller Reue. Nur kurz treffen sich Sinas und Clives Blicke, schließlich schaut die Fee zu Cuno, der sie grimmig betrachtet. Fast strafend, bei dem Paladin hingegen fällt es ihr deutlich leichter, den Rücken durchzustrecken und das Kinn herausfordernd hochzuhalten. Solange, bis Cuno anfängt zu reden.
„Sag mir, Fräulein Sina. Seid Ihr eine Frau, die gern auf den Gefühlen anderer herumtritt?“
Wie eine Schlange reagiert die Fee, zischend und mit schmalen Augen. Ihr Kiefer spannt sich an. Nichts, was Cuno beeindrucken scheint, denn er führt mit ausdrucksloser Miene fort.
„Ich habe Verständnis dafür, dass Ihr kein gutes Bild von uns Leuten habt. Eure Gefangenschaft weckte das Misstrauen, umso schlimmer ist der Verrat an Euren Befreier…“
„Wie …“, will sie ihm empört das Wort abschneiden.
Doch Cuno lässt sich nicht unterbrechen. Bestimmend schüttelt der Paladin den Kopf, bevor er ihr ebenfalls in den Satz schneidet.
„Ihr seid undankbar, Fräulein Sina. Ist Euch überhaupt bewusst, was wir für Eure Rettung riskiert haben? Wir haben den König verraten, denn Ihr wurdet als Hexe anerkannt. Hexen gehören auf dem Scheiterhaufen! Ich nehme meine Pflichten sehr ernst und dennoch wollte ich dem Retter von Lady Ava, die Tochter des Grafen, meinen Dank erweisen.“
Zornesröte steigt Sina ins Gesicht. Die Wut spülte sämtlich Milde in ihrem Ausdruck fort. Mit geballten Händen steht die Fee dort, die Zähne fest aufeinandergepresst. Allein als Cuno ihr noch mal erklärte, wer Ava sei, wurde der Ausdruck in ihren Augen dunkler. Als wolle der Paladin ihr vorwerfen, dass sie sich für ihr Umfeld nicht interessiert.
Clive versucht verzweifelt, einzuschreiten und erlaubt es sich, den Paladin zu unterbrechen: „Cuno, ich glaube, die Botschaft ist angekommen. Außerdem …“
Aber selbst von dem Alchemisten lässt sich der Beschützer nicht bremsen.
„Selbst nach diesem bitteren Verrat steht dieser Mann noch hinter Ihnen und sucht die Schuld bei sich. Wenn Ihnen nur bewusst wäre, was für ein aufrichtiger und herzensguter Freund er doch sei, dann hätten Ihr ihn nicht wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Rebecca sagte, es sei wieder alles gut und Ihr mögt uns auf der Reise begleiten, aber seid Euch bewusst, dass ich immer ein Auge auf Clives Hexe haben werde.“
Sina hat nicht mal die Chance, sich dazu zu äußern. Der Paladin dreht sich schlagartig um und nimmt Abstand von ihnen, daraufhin fährt sich die Fee aufgewühlt durch die Haare. Sicherlich geht sie sämtliche Schimpfparaden in ihrem Kopf durch, die auf Cuno zutreffen würden. Es würde den Alchemisten nicht wundern und nun hat Clive den Gedanken ebenfalls verworfen, dass die Fee und der Paladin jemals Freunde werden könnten.
„Das war doch etwas grob von Cuno, ich entschuldige mich für seine harschen Worte, Sina.“
Schließlich fühlt sich der Alchemist schuldig, dass er dem schon vorher kein Ende gesetzt hat.
„Warum …“ Sie beginnt ganz leise, bis sie dann aufblickt und ihm endlich in die Augen sieht. Sie wirkt überfordert mit seiner Anwesenheit. „Warum bist du hier, Clive?“
Verwundert legt er den Kopf schief. „Entsprach das nicht der Abmachung zwischen dir und Rebecca?“
„Doch schon!“ Sie fasst sich seufzend an den Kopf. „Aber ich hätte nicht geglaubt, dass du mich wirklich noch sehen willst. Also was erhoffst du dir heraus?“
Eine gute Frage. Ähnlich wie ihr fällt ihm dieses Treffen ebenfalls nicht leicht. Er hätte sich für gewöhnlich auch geweigert, würde die Pflicht nicht nach ihm rufen.
„Ich bin noch immer dein Vormund und trage die Verantwortung für dein Handeln. Das war die Bedingung für deine Freilassung. Und wenn du mir erlaubst, dann halte ich mein Versprechen und bringe dich nach Hause.“
Ein leises Lachen verlässt ihre Kehle. Eine Schutzmaßnahme, die Clive bereits einige Mal gesehen hat. Sina scheint sich ihrer Lage bewusst zu werden. Fix und fertig mit den Nerven schüttelt sie den Kopf. Erneut vermittelt Sina den Eindruck, dass sie nicht länger mit ihnen verreisen möchte.
„Ich wollte meinem Umfeld doch nur keine weiteren Schwierigkeiten bereiten. Ihr habt bereits sehr viel für mich getan und ich wusste, ihr verübelt mir meine Entscheidung. Doch der Abschied hätte dich von dieser Pflicht erlöst. Ein Problem, um das du dich weniger kümmern musst. Ich sah doch, wie die halbe Stadt nach dir gerufen hat. Die vielen Hausbesuche, die Gutachten und Beratungsgespräche haben dich oft von deiner eigentlichen Arbeit abgehalten. Immer kehrtest du erschöpft zurück und doch nahmst du dir die Zeit, um mich nach dem Tag zu fragen. Du hast dir trotz harten Arbeitstag die Zeit für mich genommen und bist früh in Bett gefallen, um in aller Frühe erneut aufzubrechen. All die viel Last und dann bekommst du mich noch aufgedrückt.“
Sinas Ehrlichkeit kommt ihm zu Gute. Denn so stellt sich heraus, dass sie ein ganz anderes Bild von der Situation hatte. Sie bringt mehr Verständnis und Sorge für seine Lage auf, als er eigentlich annahm. Etwas, was ihn zu einem gewagten Schritt verleitet.
„Nie würde ich die Frechheit besitzen, dich als Last zu bezeichnen, Sina. Ganz im Gegenteil. Du hast mich in der kurzen Zeit beeindruckt und wahrlich unterstützt. Das Gelehrte hast du hervorragend umgesetzt, dass ich der festen Überzeugung wäre, dass aus dir eine talentierte Alchemistin steckt. Du lernst schnell und hast ein Händchen für die Herstellung von Medizin. Der Austausch mit dir war inspirierend und lehrreich. Aber wir können uns auch im Guten trennen, wenn dies dein Wunsch ist, Sina. Wenn du uns nicht begleiten willst, dann haben wir dies zu akzeptieren.“
Nur kurz lauscht Clive in die Stille. Aus Sorge, Cuno hätte ihn gehört und ihn an die Konsequenzen ermahnt. Doch der Paladin hat sich zu seiner Kindheitsfreundin nah der Kutsche verkrümelt und beobachtet das Geschehen aus der Ferne. Mit gezückter Klinge und drohenden Blick, der auf Sina liegt. Die Fee seufzt laut und legt den Kopf in den Nacken.
„Das geht nicht, ich habe ein Versprechen gegenüber Rebecca. Du hast mich befreit, also sollte ich mich dankbarer zeigen. Ich helfe euch, schließlich habe ich diesen Mondstein nun mal erschaffen und dann nutzte ich den doch auch.“
Damit fällt dem Alchemisten ein Stein vom Herzen. Er hat das Gefühl, viel von ihr lernen zu können und umgekehrt ist dies sicherlich nicht anders.
„Du, Clive. Entschuldige bitte, dass ich dir Kummer bereitet habe“, spricht das schlechte Gewissen aus ihr heraus.
Dankbar blinzelt er eine Träne fort. „Du bist hier und das ist alles, was zählt.“
Etwas Besseres fällt ihm auf die Schnelle leider nicht ein und doch entspannen sich ihre Züge. Sina nickt ihm traurig dazu, bevor sie sich wieder der Pflanzenwelt zuwendet. Clive möchte sie nicht länger stören und kehrt zur Kutsche zurück.
Auf dem halben Wege nähert sich Cuno.
„Siehe dir mal die vielen Hasen an, die Sina umgeben. Das wird ein Festmahl.“
Clive hält überrascht inne und hält die Aussage für einen schlechten Scherz, doch Cuno scheint bereits sein erstes Opfer zu suchen.
„Wir sind dabei, uns mit Sina zu versöhnen. Also bitte verschone die Tiere.“
Ein Anliegen, das Clive sehr auf dem Herzen liegt.
„Das ist Verschwendung, Clive. Wann sind die Viecher mal so zutraulich?“, beschwert sich Cuno.
Der Alchemist schüttelt bestimmend den Kopf und nähert sich der Kutsche. Rebecca steht neben dem Friesen. Sie betrachtet das Pferd skeptisch und doch entgeht ihr seine Anwesenheit nicht.
„Du bist hier, um mir zu danken. Richtig, Clive?“
„Ich möchte dich für deine Dienste entlohnen, Rebecca.“
„Ich will dein Gold nicht“, überrascht der Langfinger ihn.
Clive blinzelt ungläubig.
Sie will sein Gold nicht?
Das klingt sehr unwahrscheinlich. Denn er bezweifelt, dass Rebecca ihm nur einen Gefallen tun wollte.
Die Diebin rückt ihn verdächtig nahe und deutet einen Kuss an, woraufhin der Alchemist zurückweicht. Ihr bösartiges Grinsen spricht für einen Scherz. Einen abartigen Humor, den er nicht teilen kann. Daraufhin kichert Rebecca amüsiert, bevor sie ihren rechten Zeigefinger hebt.
„Bring mir bei, wie ich Rauchbomben bastle.“
Nur langsam sickern ihre Worte in Clives Kopf. Auch wenn er es nicht gutheißt, womit sie sich beschäftigt, möchte er seine Schulden begleichen. Also nickt er ihr entschlossen zu.
„Also gut. Hast du den Kopf frei? Dann beginnen wir jetzt gleich, wenn es dich nicht stört“, lässt er sich darauf.
Neugierig tritt Rebecca näher heran, schließlich holt er seine Niederschriften hervor und wird schnell fündig wird.































Kommentare