Kapitel 20 – Der Kreislauf des Lebens
Blanke Ehrfurcht lässt Riona gefrieren. Den Blick starr auf Cassandras leuchtende Gestalt gerichtet und somit Sir Rileys Vorteil. Im Nu schlägt er ihr das elfische Schwert fort. Riona springt instinktiv rückwärts. Mit einer beeindruckenden Beinarbeit federt sie sich vom Boden ab und überschlägt sich in der Luft. Die gewaltige Strecke ihres Sprunges sorgt für genügend Distanz zu ihrem Gegner. Riley schnalzt verärgert und hebt sein Schwert zum nächsten Angriff. Dabei winkelt er die Arme an und plant einen Sturmangriff. Daran zweifelt Samira nicht, denn sie hat ihre Schwester bei jeder Gelegenheit heimlich beim Training beobachtet. Diese Haltung ist Samira nicht unbekannt. Riona scheint die Gefahr ebenfalls zu erkennen, denn ihr Blick schwankt zwischen den beiden Freunden, als könne sie sich nicht entscheiden, wer die größere Gefahr darstellen könne.
Cassandras Ruf vernichtet Rileys Konzentration mit einem Schlag. So wie sie den Namen ihres Freundes als Warnung in den Mund nimmt, lässt den Paladin zusammenzucken. Mit zurückkehrendem Selbstbewusstsein schiebt Riona die Schultern zurück und hebt das Kinn. Noch ehe ihre Kriegermaske aus Ton vollständig trocknen kann, entstehen Risse auf der Oberfläche, als erkenne Riona den Ernst ihrer Lage. Denn Cassandra hat alle Finger der rechten Hand angewinkelt. Mit Ausnahme des Zeige- und Mittelfingers, die ausgestreckt vor ihren Lippen ruhen. Das Murmeln der engelhaften Gestalt klingt mysteriös und hallt mehrfach nach. Ihre Stimme ist laut und klar und doch für ihre Ohren nicht bestimmt. Samira lauscht angestrengt, versteht jedoch kein Wort. Die Sprache klingt fremd, dabei hat sich Cassandra keiner weiteren Sprache gewidmet. So Samiras Stand. Aber ihre Schwester bewies bereits, dass auch sie Geheimnisse hüten kann. Und doch vermutet Samira, dass dieses neue Wissen erst nach dem Tod angeeignet wurde. So ihr Gefühl.
Der Kopf der Elfe schaltet und die Hand streckt sich nach der Bedrohung aus. In einem Strudel aus Licht und Kälte sammelt sich eine gewaltige Energie an. Ein Kunstwerk aus Eis. Ein unförmiger Kristall, der sich zu formen beginnt. Rionas Atem gefriert, als sie entschlossen einen Schritt auf Cassandra zumacht. Riley schaltet und bildet beschützend eine Mauer für seine Freundin. Bereit, jeden Angriff abzuwehren und zurückzuschlagen. Eine Aktion, die Riona zum Lachen bringt. Zuerst leise und dann immer lauter. Voller Wahnsinn. Für Samira ein Hilferuf, denn Riona fürchtet den Tod anscheinend nicht. Dabei gibt es bestimmt einige Seelen, deren Rionas Ableben beklagen würden.
„Samira, nicht!“
Jared kennt sie zu gut. Noch ehe sich Samira einmischen kann, schiebt er sie zurück in den Hintergrund. Sein Bruder tritt unbemerkt an ihre Seite. Bewaffnet.
„Jared hat Recht. Wir sollten auf die Fähigkeiten des Paladins vertrauen.“
„Ihr wollt zusehen?“ Samira ist entsetzt. „Wir müssen die Elfe stoppen und für uns gewinnen. Zum Wohl aller!“
Kaum ausgesprochen feuert Riona einen gewaltigen Brocken aus Eis los. Größer als Riley selbst und doch spielt der Paladin die Festung. Als wüsste er, Cassandra könne die Gefahr bahnen. Mit nur einem unauffälligen Wisch der linken Hand zerbröselt das eisige Geschoss auf Cassandras Willen, noch ehe Riley getroffen wird. Und doch kommt sein Schwert zum Einsatz, denn all die kleinen Trümmer schlagen in einem großen Radius mit Wucht ein und hinterlassen Löcher im Boden. Aber Rileys Schwerthiebe sind schnell und präzise und pulverisieren alles, was ihn und Cassandra bedrohlich werden könne.
Beeindruckt von Rileys Talent packt Samira die Zwillinge und zieht sie näher an sich.
„Schaut euch das gut an! Wäret ihr dazu in der Lage?“
Für gewöhnlich würden jetzt blöde Sprüche oder falsche Prahlerei folgen, aber zur Abwechslung hat es den Zwillingen die Sprache verschlagen. Ein seltener Anblick, den sich Samira genussvoll einprägt. Damit geben die beiden ihr mehr Spielraum für Sticheleien. Würde Riley doch nur sehen können, wie er ihre Beschützer mit seinen Fähigkeiten ins Staunen versetzt. Aber Cassys Freund steckt voll und ganz in seiner Kriegerrolle. Sein Fokus liegt auf der Elfe. Ein genauerer Blick und Samiras Mundwinkel fallen hinab. Riley mag sich nur verteidigt haben und doch traf Riona ein heftiger Rückschlag. Große Eissplitter stecken in ihrem Körper. Bedrohlich färbt sich der Stoff ihrer Kleidung. Das starke Zittern und die halboffenen Augen sind alarmierend.
Zu Samiras Glück staunen die Zwillinge und so fällt es ihr leicht, ihren verspäteten Fangversuchen zu entkommen. Sie sprintet voran, sodass Jared auf einen fiesen Schachzug zurückgreift, denn er reißt Riley aus seiner Konzentration heraus und fordert, sie zu stoppen. Sein Ruf klingt nah. Es war zu erwarten, dass die Zwillinge die Verfolgung aufgenommen haben. Aber was Jared kann, das wird Samira übertreffen.
„Cassy! Schnell!“
Ihr Schutzengel dreht sich tatsächlich um und erfasst sie von der Seite. Ihr Gemurmel hält noch immer an und doch folgt Unterstützung. Erneut wischt sie mit Links durch die Luft und die starken Winde, in denen Blüten der Freesie spielerisch schweben reißen sämtliche Hindernisse fern. Zuerst die Zwillinge und dann auch Riley. Nur mit dem Unterschied, dass Riley seine große Paladinklinge nutzt und ins Erdreich sticht, um dort Halt zu finden. Dennoch verschafft Cassy ihrer Schwester die nötige Zeit. Problemlos erreicht Samira somit die Elfe.
„Halte durch, Riona!“
Ohne zu zögern, wird am Rock gezerrt und provisorische Verbände losgerissen.
Wie bereits erwähnt fürchtet Riona den Tod nicht. Im Gegenteil. Ihr Ziel ist greifbar nah und die Rache schmeckt süß. In Windeseile formt sie einen Dolch aus Eis, der hinab saust, um auch Samiras Leben zu beenden. Die Prinzessin ahnte, dass es so kommen würde und hofft, das Stück Stoff verhindert das Schlimmste, als sie es über sich aufspannt. Ein närrischer Gedanke. Aber der Narr hat mehr Glück als Verstand. Indem Fall ein Schutzengel. Cassandras Winde stoppen den Dolch und pusten die Elfe mit Leichtigkeit um. Schutzlos ausgeliefert liegt Riona keuchend im Gras, das sich unter ihr rötlich färbt.
„Sie wird verbluten!“, spricht Samira ihre Befürchtung laut aus.
Panik keimt in Samira, aber noch ehe sich um die Verletzte kümmern kann, legen sich zwei starke Arme um sie und reißen sie in den Hintergrund. Verärgert dreht sich Samira um. Bereit, zu schimpfen. Aber Rileys blauer Himmel wirkt endlos und verschlingend. In seinen Augen verliert sie ihren Zorn und vergisst ihr Umfeld. Dem Paladin so nah zu sein raubt ihr den Atem und färbt ihre Wangen. Der Kopf ist wie leer, bis sie Riona röcheln hört. Die Realität schlägt wie ein Blitz ein. Samira dreht sich furchterfüllt um. Aus Sorge, versagt zu haben. Aber Cassandra beugt sich bereits über Riona und lächelt, als wäre alles in bester Ordnung. Ihre Flügel sind plötzlich fort, aber ein Blick auf die am Boden liegende Elfe zeigt einen leuchtenden Blütenteppich. Cassandra bewegt sich langsam und bedacht, als fürchte sie, ein scheues Tier zu verschrecken, dabei scheint Riona die Kraft für Gegenwehr zu fehlen. Denn sie lässt Cassandra gewähren, ihr Gesicht zu berühren. Noch immer flüstert der Rotschopf, wenn auch leiser. Die Natur reagiert auf die mystischen Worte und lässt Knospen bei Riona an sämtlichen Wunden erblühen. Die Fremdkörper fallen hinaus und entpuppen sich als Eissplitter. Riley muss die Eismagie zurück befördert haben und Riona blieb keine Zeit, sich davor zu schützen. Nun aber sprießen Knospen und Blätter aus dem beschädigten Gewebe.
Ein kurzer Blick auf das Geschehen und Riona sucht Antworten bei Cassandra.
„Was passiert hier?“
Ihre Stimme ist schwach. Samira muss die Ohren spitzen.
„Riley, bitte lass mich los! Ich sollte helfen!“
„Zu gefährlich!“, widerspricht er ihr.
Aber sie macht es ihm nicht leicht und windet sich zweimal aus seinem Griff, um ihm am Ende zu entkommen. Im Nu erreicht Samira ihre Schwester und den fernen Gast.
„Keine Sorge. Ich bin mir sicher, Cassy kann dich retten. Hast du Schmerzen? Willst du meine Hand halten?“
Samira wünschte, sie hätte ihre Nervosität im Griff. Die Worte sprudeln einfach heraus. Trotz genervtes Augenrollen seitens der Elfe.
„Nicht mal sterben, lasst ihr mich!“
Riona klingt wie eine gegrämte, alte Dame. Sie winkt ab und wischt sich die Blutspur fort, die sich direkt an ihrem Mund befindet. Cassandras Worte verstummen und die Freude blitzt durch ihre Augen. Schnell umfasst sie Rionas Hände und lächelt breit.
„Lass uns gemeinsam reisen. Zeige mir deine Kultur und deine Heimat.“
Abwertend schnalzt Riona mit der Zunge und dreht den Kopf fern. Ihre verengten Augen haften nun auf Samira.
„Eure Schwester ist nicht ganz bei Sinnen!“
Riona mag den Griesgram spielen und doch hofft Samira, dass sich die Elfe lockert und öffnen wird.
Cassandra löst einen Arm, um die Hand ihrer Schwester einzufangen. Sie nickt in Rionas Richtung und Samira glaubt zu verstehen. Instinktiv schnappt sie sich mit ihrer freien Hand Rionas andere Hand, womit sie ein Dreieck bilden. Ein mächtiges Symbol, das für den Kreislauf des Lebens stehen soll. Die in Blut gefärbten Blüten lösen sich von der Wunde und beginnen hinauf zu schweben. Die Rotation in der Luft gewinnt immer mehr Kraft. Samira kann dem Wirbel kaum mit dem bloßen Auge verfolgen. Die Farben verschmelzen und werden zu rotes Licht, das aus dem Trichter gepustet wird und jeden der drei Damen wie einen Pfeil trifft. Der Einschlag wirft Samira dabei um. Direkt in Rileys Arme. Der Paladin eilte anscheinend heran, denn er atmet stoßweise.
„Seid Ihr verletzt?“
Seine Frage sickert nur langsam in ihren Kopf, daher blickt er an ihr hinab. Sicherlich auf der Suche nach einer Verletzung. Betroffen ist der Brustkorb. Dort pulsiert die Einschlagstelle im Takt des Herzens und brennt fürchterlich, als habe Samira das Feuer umarmt. Statt oberflächig zu verharren, wandert der Schmerz. Wie ein Samen, der zu Keimen beginnt, bahnen sich die Wurzeln einen Weg zum Rücken.
Ein Spiegel würde Samiras Neugier lindern. Der Kopf hingegen liegt schwer in Rileys Hand und lässt sich nicht heben. Aber ein rotes Licht reflektiert sich in seinen Augen und spricht für eine ernstzunehmende Lage.
































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