AdD2-Kapitel 1

Rhana starrte hinaus in die bergig Landschaft und betrachtete die kleine Blume, die sich am Berghang hielt und den Winden trotzte.
Sie neigte ihr Haupt, wackelte hin und her und verlor doch keine ihrer prachtvollen, blauen Blüten.
Könnte sie doch auch nur so sein.
Ihre Libellenflügel fühlten doch noch immer falsch an ihrem Rücken an. Wie ein Fremdkörper, der nicht zu ihr gehören sollte.
Jedes Mal, wenn sie sich im Spiegel erblickte, zuckte sie vor ihrer Erscheinung überrascht zusammen. Sie konnte einfach nicht glauben, dass sie das sein sollte. Da half Idris ständige Versicherung, dass sie wunderschön war und noch immer sie selbst, nichts.
War die das wirklich oder hatte sie durch diese Wandlung einen Teil von sich verloren?
Idris konnte, oder wollte, ihr darauf keine Antwort geben und sie wollte ihn nicht drängen. Nicht, nachdem sie erlebt hatte, wie erleichtert er war, dass sie nicht gestorben war.
Rhana erinnerte sich nur nicht daran, was geschehen war.
Wie war sie so schwer verletzt worden, dass Idris die Götter um ein Wunder gebeten hatte? Und wer war Idris, dass der Götterdrache sein Bitten erhört hatte?
Rhana gingen so viele Fragen durch den Kopf, auf die sie keine Lösung hatte.
Dazu kam, dass sie tief in ihrem Inneren ein Gefühl hatte, das sie nicht beschreiben konnte. Als wäre da etwas Mächtiges. Nah genug, dass sie es spürte und seine Macht mental kribbelte, aber weit genug aus ihrer Reichweite, dass sie es nicht näher bestimmen konnte.
Plötzlich erschien Kaza hinter dem Fenster und ließ Rhana erschrocken die Luft einziehen.
Unbeholfen uns mit klopfendem Herzen stolperte Rhana einige Schritte zurück, während sie Kaza betrachtete.
Ihr Blick war einen Moment verschwommen, als müsste er sich erst neu fokussieren, doch dann nahm sie Kaza in all ihrer Pracht wahr.
Die Schuppen, die früher nur eine sandige Farbe mit einigen blauen Schimmern gehabt hatten, waren plötzlich ein Kaleidoskop an Sandtönen, Violett und blauen Schimmern und Verläufen, die Rhana so noch nie gesehen hatte.
»Erschreck mich nicht so«, tadelte sie atemlos, auch wenn sie es hätte erwarten müssen.
Noch konnte Kaza nicht so richtig fliegen, doch gleiten. Außerdem hatte sie gelernt sich mit ihren Krallen so in den Stein zu bohren, das sie daran herumklettern konnte.
Rhana öffnete das Fenster, um ihre Drachin, die mittlerweile die Größe eines kleinen Pferdes hatte, hereinzulassen.
Sofort schlüpfte Kaza durch das Fenster und schmiegte sich gurrend an Rhanas Körper.
Ein leises Lachen verließ Rhanas Lippen, während sie eine gewisse Ruhe in sich aufsteigen spürte.
Kaza schaffte es immer wieder, ihre kantigen Gedanken zu glätten, bevor sie begannen, Rhana zu verletzen.
»Möchtest du spielen?«, fragte sie, doch Kaza stupste sie mit dem Kopf an und trieb sie Richtung Fenster. Sie wollte eindeutig fliegen, doch die Vorstellung hinaus zu gehen, jagte Rhana Angst ein. Große Angst.
»Ich kann nicht mit dir fliegen«, brachte Rhana mit zitternder Stimme hervor, während Kaza weiter versuchte, sie gegen die Tür zum Balkon zu drängen. Diese war zum Glück zu, weshalb Rhana auch keine Angst hatte, dass sie draußen gesehen wurde.
Es war ihr noch immer unangenehm, wenn Idris sie so sah, wie sollte es dann erst werden, wenn ihr Yuvan oder Lotta über den Weg liefen?
Idris hatte Rhana zwar erzählt, dass Nae und Lir Bescheid wussten, doch so richtig traute sich Rhana nicht einmal zu ihnen.
Kaza quietschte auffordernd und klopfte mit dem Schwanz an die Tür.
»Ich möchte nicht«, sagte Rhana erschöpft. Sie wollte wieder auf einem Drachen fliegen, die Luft in ihren Haaren spüren und das Kribbeln in ihrem Bauch, doch die Angst, gesehen zu werden, schnürte ihr die Kehle zu.
Kazas Ohren stellten sich plötzlich auf, bevor sie von Rhana abließ und zur Zimmertür stürmte.
Rhana wusste sofort, was das hieß.
Sie wirbelte herum und blickte auf die Tür, die von Idris langsam geöffnet wurde.
Rhana stieß einen überraschten Laut von sich, denn eigentlich hatte sie die Tür zuhalten wollen. Jetzt aber stolperte sie mehrere Schritte zurück und griff nach der Decke auf ihrem Bett, um sie sich vor den Körper zu halten.
Sie trug zwar ein Kleid, doch weil es für Flügel gemacht war und somit rückenfrei, fühlte sie sich noch unwohler. Noch nie hatte sie gern derart freizügige Sachen getragen.
Idris trat ein und musterte sie mit einem Lächeln. »Liebes. Ich habe dich schon ganz ohne gesehen«, bemerkte er, als wüsste er, was ihr durch den Kopf ging.
Rhana lief rot an, behielt die Decke aber bei. Die letzten Male hatte er es akzeptiert und nichts weiter dazu gesagt, jetzt aber kam er auf sie zu. »Du musst dich nicht verstecken«, sagte er sanft und griff vorsichtig nach der Decke.
Statt sie ihr jedoch wegzuziehen, zupfte er auffordernd daran.
Rhana verzog die Lippen. »Ich fühle mich unwohl«, erwiderte sie, wie sie es schon so oft getan hatte.
In Idris Blick trat Sorge. »Du bist jetzt schon fast einen Monat wieder wach. Die anderen machen sich Sorgen«, sagte er zärtlich, ließ von der Decke ab und legte ihre seine Hand an die Wange.
Rhana blickte zu ihm auf, während sie mit den Tränen kämpfte. Warum hatte sie solche Angst davor? Sie verstand es ja selbst nicht.
Rhana wollte nicht, dass sich die anderen sorgten, doch sie schaffte es auch nicht, über ihren Schatten zu springen.
Ihre Lippen bebten, während sie mit sich kämpfte.
Idris stieß schließlich ein Seufzen aus und hob seine andere Hand. Darin befand sich ein Umschlag, der Rhana überhaupt nicht aufgefallen war.
Sofort richtete sie ihre Aufmerksamkeit darauf und ihre Panik wurde schlagartig wie weggefegt, während sie den Umschlag musterte.
»Was ist das?«, fragte sie, da es sie an etwas erinnerte.
»Aus Savrana«, erwiderte Idris und reichte ihn Rhana.
Diese wurde schlagartig blass.
Sie hatte über einem Monat weder ihrem Bruder noch ihren Adoptivvater geschrieben. Auch der monatliche Bericht an die Königin war zu spät.
Sofort nahm sie den Umschlag und riss ihn auf, um den Brief darin herauszuziehen.
Die Handschrift erkannte sie sofort, was sie erleichtert ausatmen ließ. Es war Ruonir und nicht die Königin.
»Von diesen Briefen liegen etwa fünf im Regal. Ich wollte sie dir erst geben, wenn du dich ein wenig wohler fühlst, aber da er schon wieder geschrieben hat …«, erklärte Idris, dem anzuhören war, dass er sich sorgte, ihr aber auch nichts vorenthalten wollte.
Rhana konnte ihm jedoch kaum zuhören und spürte daher auch keinen Ärger über die Tatsache, dass er es ihr erst jetzt sagte. Stattdessen las sie die Zeilen ihres Bruders, der ganz klar seine Sorge ausdrückte. Er drohte sogar damit, dass er herkommen würde, wenn sie sich nicht bald meldete.
Rhana sollte ihn antworten, doch selbst die Vorstellung davon, ließ sie erschaudern. Warum wollte sie nicht einmal ihrem Bruder schreiben? Sie musste ihn dazu immerhin nicht einmal sehen oder mit ihm sprechen.
Ihm würde also weder ihre veränderte Gestalt, noch ihre anders klingende Stimme auffallen.
Wenn er ihr jetzt begegnete, würde er sie dann überhaupt erkennen?
»Du solltest ihn antworten«, sagte Idris sanft, der Rhana noch immer eindringlich musterte.
Diese krallte ihre zitternden Finger um den Brief und zerknüllte ihn damit fast. »Ich kann nicht«, hauchte sie überfordert.
»Du kannst nicht vor allem wegrennen«, sagte Idris, der nun ein wenig eindringlicher auf Rhana einsprach.
Diese schüttelte jedoch nur den Kopf. »Nein. Ich will nicht, dass er etwas bemerkt«, sagte sie aufgebracht. Ihr Herz klopfte heftig, während sie ihren Instinkten, sich zu verstecken, folgte. Sie zog die Decke wieder über sich, in der Hoffnung sie gab ihr das Gefühl von Schutz zurück.
»Rhana.« Idris erhob seine Stimme tadelnd und Rhana durchzuckte ein Schauer. Sie hatte noch nie gehört, dass er so mit ihr sprach.
Langsam sah sie auf. Er sah wirklich nicht erfreut aus, aber warum?
Sie öffnete die Lippen, um ihn zu sagen, dass sie es nicht konnte, doch sie brachte kein Wort hervor. Stattdessen kam die Angst, Idris zu enttäuschen, in ihr auf. Sie war so stark, dass sie sogar ihre Panik überschattete.
Also senkte Rhana den Blick. »Vielleicht hast du Recht«, hauchte sie, auch wenn ihre Arme noch immer zitterten.
Idris Augen weiteten sich, bevor er seine Hand zur Faust ballte. »Denk darüber nach«, sagte er, bevor er sich abwandte und fast fluchtartig den Raum verließ.
Rhana sah erschrocken auf, als die Tür ins Schloss fiel.
Was war das? Warum hatte er so reagiert? Es gab doch gar keinen Kund, wegzurennen oder hatte sie etwas falsch gemacht?




























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