AdD2-Kapitel 2

Unruhig lief Rhana im Raum auf und ab.
Kaza kam regelmäßig und versuchte sie weiterhin auf den Balkon zu ziehen, doch Idris war nicht wieder aufgetaucht, seitdem er ihr den Brief überreicht hatte. Er hatte ihr nicht einmal gesagt, warum.
Wo war er? Was machte er? Warum kam er nicht, um nach ihr zu sehen?
Jeden Morgen und Abend stand Essen vor ihrer Tür, sodass sie nicht nach draußen musste, doch sie begann sich einsam zu fühlen.
Wäre Kaza nicht, wäre sie vermutlich durchgedreht.
Sie war noch nie derart lange allein gewesen und stellte fest, dass sie es gar nicht mochte. Nur war da noch immer die Angst.
Obwohl sie ein paar Mal darüber nachdachte, die Tür zu öffnen, um hinaus in den Flur zu gehen, schaffte sie es doch nie weiter als bis zu einem Spalt, der reichte, um das Essen hereinzuholen.
Was sollte sie nur tun? Ihre Angst war ein lebendiges Ding, das sie von innen heraus aufzufressen drohte, das war selbst ihr mittlerweile klar.
Nur wusste sie auch nicht, wie sie dagegen kämpfen konnte.
Ihr Hin- und Hergelaufe wurde unterbrochen, als Kaza vor dem Balkonfenster auftauchte und um Einlass bat.
Sofort öffnete Rhana es, um sie zu begrüßen, doch Kaza blieb draußen auf den Balkon stehen und schlug auffordernd mit ihrem Schwanz auf den Boden. Fast so wie sie, wenn sie wollte, dass Kaza auf das Bett sprang.
Rhanas Herz schlug heftig, als ihr klar wurde, dass Kaza wollte, dass sie hinaus auf den Balkon kam.
Ihre Panik ließ Schweiß auf ihrer Stirn entstehen, doch sie griff zitternd nach der Klinke, um die Tür zum Balkon zu öffnen.
Als diese einen Spalt offen war, quietschte Rhana: »Komm schon rein«, doch Kaza reagierte nicht. Stattdessen blickte sie Rhana weiter abwartend an.
Rhana öffnete die Tür ein wenig mehr, doch kaum kam ein Luftzug durch den Spalt, den Rhana nicht erwartet hatte, gaben ihre Beine zitternd nach und sie ging zu Boden.
Der Wind an ihren Flügel kribbelte und ließ in ihr den Drang zu fliegen wachsen. Sie wollte ihre Flügel ausbreiten und den Wind spüren, während sie durch die Wolken glitt. Gleichzeitig war da diese Angst, die sie noch immer im Griff hielt.
Die Vorstellung, plötzlich abzustürzen und zu Boden zu krachen, ließ ihren Körper völlig bewegungslos zurück.




Dabei war sie von Drachen umgeben. Wenn Kaza sie nicht auffing, dann einer der anderen Drachen oder Idris.
Zumindest dann, wenn sie mit ihm zusammen war.
Rhana atmete tief ein und aus, während sie versuchte, sich zu beruhigen.
Dann drang plötzlich eine bekannte Stimme an ihr Ohr. »So wirst du sofort runterfallen«, erklärte Idris, was Rhana sofort aufsehen ließ.
Sie blickte sich im Zimmer und dem Balkon um, denn sie konnte ihn nicht sehen. Dabei hatte sie ihn so deutlich gehört, als würde er hinter ihr stehen.
Bildete sie sich jetzt schon Dinge ein?
Wo war er?
»Ich kann mich doch mit den Beinen festhalten.«
Das war Yuvans Stimme, was Rhana sofort zusammenzucken ließ.
Sie hörte ihn ebenfalls deutlich, doch er war nicht hier. Egal wie sehr sie sich bemühte, sie konnte ihn aus ihrer Position aus nicht sehen.
Es dauerte mehrere Minuten, bis sie verstand, dass Yuvan und Idris auf dem Übungsplatz unter ihrem Balkon sein mussten. Aber wieso konnte sie die beiden hören? Sie war so hoch, dass das eigentlich nicht möglich sein sollte.
»Das wird nicht funktionieren«, erwiderte Idris nüchtern, vielleicht sogar ein wenig belustigt.
Rhana spürte Neugier in sich aufsteigen. Was machten die beiden Männer da?
Vorsichtig zog sie die Tür immer weiter auf, blieb aber am Boden sitzen.
Der Wind, der nun in ihr Zimmer drang, wurde immer stärker. Hier war es schon immer recht windig und eigentlich ziemlich kalt, doch selbst mit der wenigen Kleidung fror Rhana nicht mehr.
Vorsichtig legte sie ihre Flügel so weit zusammen, wie es ging und rutschte langsam über den Boden, bis sie von dem weichen Teppich auf den kalten Stein gelangte, der zum Balkon gehörte.
Dieser hatte, anders als die meisten Balkone, eine recht höhe Sicherheitsmauer. Nur, weil sie Angst vor der Höhe hatte. Idris hatte bei diesen Zimmern an alles gedacht. Fast, als wären sie nur für Rhana geschaffen wurden.
Noch nie hatte sie sich Gedanken darum gemacht, wie es überhaupt möglich war, in einem solchen Gebiet zu bauen. Sie hatte es einfach so hingenommen, doch ihr waren die ganzen kleinen Details nie entgangen.
Jetzt aber ärgerte sie sich, dass das Balkongeländer so hoch war. Sie konnte nichts sehen, wurde dafür aber auch nicht gesehen.




Rhana drückte sich gegen die Wand, bevor sie ihre zitternden Beine irgendwie dazu brachte, dass sie sich zumindest soweit aufsetzte, dass sie mit den Händen die Mauer erreichen und sich hochziehen konnte.
Es raubte ihre ganze Kraft, doch sie schaffte es, über die Mauer zu linsen.
Sie entdeckte Idris und Yuvan mit ihren Drachen auf dem Übungsplatz unter ihrem Balkon, wie sie erwartet hatte.
Allerdings erschreckte sie sich so sehr, als Luminos seine Flügel ausbreitete, dass sie sich sofort wieder zurückzog.
Ihr Herz klopfte heftig, sodass sie nur Bruchstücke der Unterhaltung hörte.
Es ging um Kampfübungen, wie sie verstand, doch sie hatte keine Waffen gesehen.
Also zog sie sich noch einmal hinauf und blickte über den Rand.
Dieses Mal erkannte sie, dass Yuvan von einem Drachen rutschte, während er einen Bogen in der Hand hielt. Er gab ein überraschtes Geräusch von sich und Idris lachte.
Rhanas Lippen zogen, als Idris Yuvan davor bewahrte, den Boden zu küssen.
»Habe ich es dir nicht gesagt?«, fragte Idris belustigt und mit ein wenig Schadenfreude, während Yuvan leise fluchte.
»Ich hab das Gefühl, dass du heute auf Ärger aus bist«, bemerkte Yuvan.
Rhana beobachtete beide genau und fragte sich, was sie nicht gehört hatte. Ihrer Meinung nach war Idris ein sehr guter Lehrer und dass er auf Ärger aus war, konnte sie sich kaum vorstellen.
»Wenn du besser zuhören würdest, wäre das nicht passiert«, bemerkte Idris, der sich wieder von Yuvan zurückzog, als er es wieder auf seinen Drachen geschafft hatte.
Yuvan schnaubte. »Du bist heute ziemlich ungeduldig«, warf er Idris vor, der nun die Luft ausstieß.
»Meinst du?«, fragte Idris, als würde er selbst den Punkt nicht verstehen. »Oder bist du zu ungeduldig?«
Beide Männer blickten sich an, bis Yuvan die Augen verdrehte und sich wieder auf Luminos konzentrierte. »Also. Erklär es nochmal«, sagte er und nahm den Bogen in die Hand.
Wollte er etwa lernen, wie er mit einem Bogen auf einem Drachen reiten konnte?
Rhana spürte ein leichtes Kribbeln in sich. Sie wollte es sehen und auch probieren.
Es war fast so, als würde der Himmel sie rufen.
Ihr Blick wanderte hinauf in den Himmel. Es gab kaum Wolken und das Licht war gut. Das perfekte Wetter zum Fliegen.




Rhana spürte das Drücken ihrer Flügel, die immer wieder gegen den Stein strichen. Es fühlte sich unangenehm an, doch ihre Position erlaubte es ihr nicht ganz, ihre Flügel frei zu entfalten.
Wie gerne wäre sie jetzt unten bei Yuvan und Idris. Doch was würde Yuvan zu ihr sagen? Würde er sie überhaupt erkennen?
Rhana spürte die Angst auf Ablehnung, doch das war nicht alles. Da war noch ein anderes Gefühl. Als hätte sie Angst davor, mit jemanden außer Idris allein zu sein.
Aber warum?
Sie verstand es nicht.
Rhana wollte nicht so gesehen werden, doch sie wollte auch nicht mehr allein sein.
Also erhob sie sich langsam wieder, um hinabzusehen. Sie wollte die beiden beobachten. Von hier aus fühlte sie sich wohl. Weit genug weg, um nicht direkt mit Yuvan interagieren zu müssen und sich rechtzeitig verstecken zu können. Vielleicht gelang es ihr so, ihre Angst zu überwinden.
Als versuchte sie, stehenzubleiben und sich sogar etwas auf den Mauerrand zu stützen.
Ihre Flügel zitterten leicht und ohne, dass sie es wollte, spannten sie sich, um den Wind einzufangen.
Das Funkeln ihrer Membran in der Sonne, fiel ihr sofort auf, weshalb sie diese wieder schloss.
Mit heftig klopfendem Herzen sah sie nach unten, weil sie davon ausging, dass Idris es gesehen hatte.
Wie sie erwartet hatte, blickte er zu ihr nach oben und betrachtete den Balkon.
Rhana versuchte sich an einem Lächeln und hob leicht die Hand, um ihn zu winken.
Allerdings sah sie lediglich, wie Idris die Stirn runzelte.
»Was ist?«, fragte Yuvan, der Idris Blick folgte.
Idris wandte den Blick ab. »Ich dachte, ich hätte Rhana gehört«, bemerkte er.
Yuvan schnaubte, obwohl er immer noch zu dem Balkon hochblickte und Rhana direkt anstarrte. »Du bist sehr fokussiert. Aber ich würde mir auch wünschen, dass sie sich uns endlich wieder anschließt«, bemerkte er und wandte sich ab.
Rhana verstand nicht, was sie da gerade gesehen hatte.
Dass Yuvan sie vielleicht nicht erkannte, konnte sie verstehen, doch Idris? Er hatte ihre Geste nicht erwidert, hatte nicht einmal gelächelt. Nein. Er hatte so getan, als hätte er sie gar nicht gesehen.
Warum?

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