AdD2-Kapitel 6

Rhana fühlte sich noch immer nicht wohl, als sie Yuvan hinterherstolperte. Als das Licht sie schließlich blendete und sie ihre Umgebung als einen der Übungsplätze im Freien erkannte, erstarrte sie.
Yuvan drehte sich überrascht zu ihr um. Sein Blick bestätigte, dass er nicht verstand, wo Rhanas Problem lag. »Du hast jetzt eigentlich Flügel. Da sollte Höhenangst kein Ding mehr sein«, bemerkte er, klang aber nicht so herablassend wie sonst.
Als würden Flügel allein dem Abhilfe schaffen. Außerdem hatte sie Angst davor gesehen zu werden.
Rhana verzog den Mund. Sollte sie darauf etwas sagen? Ihr Körper reagierte instinktiv und ihre Instinkte hatten sich definitiv auch noch nicht an ihre Flügel gewöhnt.
»Ich kann noch nicht fliegen«, bemerkte Rhana, denn sie spürte bereits das Kribbeln in den Flügeln und den Drang genau das zu tun. Zu fliegen.
Allerdings war es etwas anderes, in den Zimmern zu üben, wo die Decke ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Sie konnte zwar fallen, doch nicht so tief und das Bett war eigentlich auch recht bequem.
»Das werden wir ändern«, versprach Yuvan, der keine Ahnung davon hatte, dass Rhana schon in ihrem Zimmer geübt hatte. Allerdings war das Unfallrisiko sehr hoch, denn manchmal fiel sie einfach von der Decke.
»Solange du mich auffängst, wenn ich aus der Luft falle«, bemerkte Rhana, die sich nicht traute, auszusprechen, dass sie ihm nicht vertraute.
Yuvan winkte ab. »Wir haben Luminos und Kaza«, bemerkte er mit einem Grinsen.
»Kaza?«, fragte Rhana überrascht, denn sie hatte die Drachin noch nicht gesehen.
Als sie sich jedoch umsah, erkannte sie diese an einer nahen Steinwand hängen. Dort, wo ihr Balkon war.
Sie hatte ihre Krallen in die Steine gebohrt und hing kopfüber. Außerdem blickte sie zu Yuvan und Rhana, als wäre sie direkt auf den Sprung.
Rhana fragte sich nur, warum Yuvan wusste, dass diese da war, denn sie verschwamm fast mit dem Berg.
Dann erkannte sie Luminos, der in Kazas Nähe auf einem Berg saß und sie beobachtete. Als würde er jeden Moment darauf warten, dass Kaza abstürzte.
Das erinnerte Rhana irgendwie an ihre Zeit mit Idris. Er hatte sie auch immer so angesehen, wenn er glaubte, dass sie gleich hinabfiel.
Yuvan stellte sich direkt in die Mitte des Übungsplatzes und winkte Rhana dann zu sich. »Hast du eigentlich auch magische Fähigkeiten?«, fragte er mit funkelnden Augen.




Rhana zuckte die Schultern. Sollte sie das haben? Wenn ja, dann wusste sie davon nichts. Auch Idris hatte nichts dazu gesagt.
»Versuch mal eines der Elemente zu kontrollieren«, schlug er vor.
Rhana hatte keine Ahnung, wie sie das machen sollte und streckte einfach ihre Hand aus und stellte sich vor, eine Flamme erschien darin, doch nichts geschah.
Ihre Gedanken wanderten durch die Elemente, als würde das reichen, damit etwas geschah.
Yuvan betrachtete ihre Hand stirnrunzelnd, als würde er nach dem kleinsten Funken Magie suchen.
Rhana wurde immer nervöser, denn es passierte einfach nichts. Konnte sie denn überhaupt Magie einsetzen?
»Vielleicht … besitzt du eine andere Art der Magie«, schlug Yuvan vor, klang aber ebenfalls unsicher. »In meiner Familie gibt es diverse Fähigkeiten. Schattenschritt lässt dich von einem Schatten zum nächsten springen. Eine Verwandte kann Geister sehen und eine andere kann mit Tieren sprechen.«
Rhana fand, dass das wirklich interessant klang. Aber konnte sie etwas davon?
Sie dachte an Kaza. Es war nicht so, dass die diese direkt hörte, doch sie hatte im Gefühl, was sie wollte. Aber bezog sich das nur auf ihren Drachen oder war es schon eine Gabe?
»Ich … denke nicht, dass ich Geister sehen oder mit Tieren sprechen kann«, bemerkte Rhana zögerlich.
Yuvan winkte ab. »Das waren Beispiele. Achte einfach auf die Zeichen, dass etwas nicht normal ist«, schlug er vor, als hätte er schon aufgegeben, mit ihr herauszufinden, was sie nun genau konnte.
Rhana nickte, denn sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte<
In dem Moment wandte sich Yuvan um und pfiff leise.
Luminos griff Kaza mit den Klaue und hob dann ab, um wenig später Kaza neben Rhana fallen zu lassen.
Die Drachin flatterte mit den Flügeln und so gelang es ihr, langsam zu Boden zu gehen.
Kaum berührten ihre Krallen den Boden, sprang sie nach oben und flatterte erneut fiepend mit den Flügeln.
Rhana lachte leise, denn sie spürte, dass Kaza sie aufforderte, mit ihr zu fliegen.
»Sieht aus, als würde sie dir zeigen wollen, wie es geht«, meinte Yuvan, der Luminos zu sich winkte.
Dieser landete vorsichtig in seiner Nähe und zog die Flügel ein.
Rhana spürte seinen fragenden Blick. Als würde er Yuvan fragte wollen, was er hier sollte und was Yuvan erwartete.




Instinktiv breitete Rhana ihre Flügel aus und bewegte sie leicht.
Sie erinnerte sich noch daran, wie sie am Anfang durch die Gegend geschossen war. Es war ihr leicht gefallen, doch jetzt wollte ihr Körper nicht abheben. Als wäre er plötzlich viel schwerer oder ihre Flügel nicht stark genug.
Selbst als sie sich traute, zu springen, blieb sie nicht in der Luft.
»Du flatterst ja schlimmer als Kaza«, lachte Yuvan, was Kaza offensichtlich nicht gefiel.
Sie fiepte, rannte los, und flatterte mit den Flügeln. Allerdings stolperte sie über ihre eigenen Füße, rollte sich am Boden und nieste schließlich Sand.
Rhana und Yuvan lachten, während Luminos schnaubte, als würde er sagen wollen: »So schwer ist es doch gar nicht, stell dich nicht so an.«
Plötzlich sprang Luminos vor, packte Kaza am Nacken und hob mit ihr ab, um sie wenig später fallen zu lassen.
Rhana keuchte erschrocken, während Kaza quietschte.
Ihre Flügel flatterten aufgeregt und sie verhedderte sich auch etwas, doch trotzdem schwebte sie langsam zu Boden, bevor sie landete.
Luminos landete vorsichtig hinter Rhana und blickte zu ihr nach unten. Sein heißer Atem streifte ihren Nacken und ließ sie schaudern. Wollte er etwa mit ihr das gleiche machen wie mit Kaza?
Panik befiel Rhana und sie stolperte nach vorn. »Wag es dir«, keuchte sie in Luminos Richtung, der seine Flügel anlegte und hinsetzte. Sein Kopf neigte sich zur Seite, als würde er nicht verstehen, warum Rhana so reagierte.
Ihr Herz drohte aus ihrer Brust zu springen, weil die Vorstellung, Luminos würde sie einfach fallen lassen, sie nicht losließ.
Allerdings starrte er sie nun einfach nur abwartend an und schlug mit dem Schwanz auf den Boden.
Das kannte sie schon von Kaza und verzog den Mund. Dann wurde ihr bewusst, dass auch Kaza so saß und sie anstarrte. Zusammen mit Yuvan.
Alle drei warteten darauf, dass sie es noch einmal probierte.
Rhana stieß die Luft aus und schloss die Augen, bevor sie sich auf ihre Flügel konzentrierte. Sie wollte es noch einmal versuchen, weshalb sie alles um sie herum ausblendete.
Im Zimmer mit Idris hatte es doch auch immer geklappt. Warum also nicht jetzt?
»Genau so«, rief Yuvan begeistert.
Überrascht öffnete Rhana die Augen und blickte hinab auf den Übungsplatz wo Yuvan so klein geworden war wie eine Ameise.




Rhana brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass ihre vibrierenden Flügel sie so hoch in die Luft gehoben hatten, dass sie Yuvan kaum noch erkannte.
Panik machte sich in ihr breit, als ihr klar wurde, dass sie immer weiter stieg.
Das Vibrieren ihrer Flügel hörte schlagartig auf und Wind rauschte an Rhanas Körper vorbei, als sie nach unten fiel.
Ein panischer Schrei verließ ihre Lippen, bevor sie hektisch versuchte, erneut ihre Flügel zum Schlagen zu bewegen.
Es war genau das passiert, wovor sie Angst hatte. Nur war dieses Mal kein Idris da.
Sie schloss panisch die Augen und hoffte darauf, dass Luminos oder Kaza sie auffing. Nur wusste sie, dass Kaza selbst nicht fliegen konnte und Luminos vertraute sie nicht.
Das war eine dumme Idee!
Plötzlich stoppte ihr Fall und etwas fing sie auf. »Was machst du denn hier?«, fragte eine bekannte Stimme und als Rhana die Augen aufriss, sah sie in Idris verwundertes Gesicht.
Überrascht sah sie sich um, nur um festzustellen, dass sie in Idris Armen lag und dieser in der Luft schwebte.
Rhana blinzelte. Wie war das möglich?
»Ich … übe fliegen«, murmelte Rhana verwirrt.
»Du meinst wohl fallen«, erwiderte er nüchtern, als Luminos plötzlich scharf bremste, um nicht in Idris hineinzufliegen.
Dieser hob eine Augenbraue, während er mit ihr langsam zu Boden sank. »Wie ich sehe hast du genug Aufpasser«, sagte er und setzte sie schließlich ab. »Pass trotzdem auf.« Mit diesen Worten wandte er sich wieder ab und ließ Rhana einfach stehen.
Nicht einmal Kazas Quietschen hielt ihn davon ab, zu gehen.
Rhana blieb mit zitternden Flügeln zurück und fragte sich, warum er auf einmal so kalt ihr gegenüber war.
Hatte sie etwas falsch gemacht?

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