AdD2-Kapitel 8
Nae stellte den Tee auf den Tisch, während es sich Rhana zwischen ihren Eltern auf dem Sofa gemütlich machte.
»Ich verstehe noch immer nicht, wie das möglich ist. 15 Jahre«, sagte Giori und schüttelte den Kopf.
Das Bandana, das für die Bewohner von Savrana so typisch war, löste sich dabei leicht.es war bereits sehr abgenutzt und hatte einige Risse, als wäre es in einem Kampf beschädigt.
Rhana bemerkte die Kleinigkeiten, die ihre Eltern von den Fotos unterschied.
Schürfwunden und Dreckflecken. Verknotete Haare und zerrissene Kleidung. Das alles waren Zeichen, dass vor ihrem Verschwinden etwas schief gegangen sein musste.
Nae ließ sich auf dem Sofa gegenüber nieder.
»Ich vermute, dass ihr beim Versiegeln in das Siegel gezogen worden seid«, erklärte sie, als Rachel nach der Tasse Tee griff.
»Das heißt also, das Siegel wurde wirklich gebrochen«, seufzte Rachel, die zu ihrer Tochter schielte.
Rhana verstand nicht ganz, um welches Siegel es ging, doch sie war froh, dass es gebrochen war. Nur deshalb konnte sie ihre Eltern endlich wieder in den Arm nehmen, auch wenn sie immer noch damit rechnete, jederzeit aufzuwachen.
»Was hat es denn mit dem Siegel überhaupt auf sich?«, fragte Rhana, die nicht verstand, warum alle so einen Aufstand wegen dieses Siegels machten. Was war so schlimm daran, dass es gebrochen war und was so wichtig, dass ihre Eltern offensichtlich bereit waren, ihr Leben zu opfern. 15 Jahre hatten sie immerhin dafür aufgegeben.
Naes Blick richtete sich auf Rhana. Er war nachdenklich und abwägend. Als wüsste sie selbst noch nicht, was sie sagen sollte oder wie viel.
»Erinnerst du dich an den Kampf in den Minen?«, fragte sie, was Rhana die Stirn runzeln ließ.
»Ja«, erwiderte sie. Wie sollte sie das auch vergessen? Idris wäre fast gestorben! Alles, was damit zusammenhing, würde sie nie wieder loslassen.
»Dieser Mann … hat einst versucht den Roten Bullen wiederzubeleben. Der Gott, der versucht die anderen Götter zu töten. Es gelang uns diese Macht zu zerschlagen und zu versiegeln«, erklärte Nae.
Rachel stieß ein Keuchen aus. »Er ist noch am Leben?«, fragte sie entsetzt, als hätte sie eine Verbindung bemerkt, die Rhana völlig übersah. Aber sie hatte auch keine Ahnung.
Nae nickte ernst. »Wir hatten Mühe mit ihm. Er hat wieder angefangen seine Soldaten zu erschaffen. Als hätte er nicht aus seinen Fehlern gelernt.«
»Er ist verrückt. Warum sonst sollte er es immer wieder auf den gleichen Weg versuchen und ein anderes Ergebnis erwarten. Wir wissen was er tun wird und können ihn viel leichter aufhalten«, warf Giori ein.
Er blickte voller Tatendrang zu Nae, als würde er jeden Moment einen Befehl zum Aufbruch erwarten.
»Ihr werdet euch ausruhen. Ich werde die jüngere Generation schicken. Noch besteht kein Grund zur Gefahr. Er hat erst ein Siegel gebrochen. Er muss dir Kraft verdauen«, erklärte Nae, die zu Rhana blickte.
Diese straffte sofort ihre Schultern. Die Vorstellung sich zu heilen, ängstigte sie noch immer, doch ihre Eltern gaben ihr Mut. Sie hatten nicht hinterfragt, warum sie plötzlich Flügel hatte und so anders aussah. Stattdessen hatten sie Rhana in ihre Arme geschlossen.
Eltern, die ihr Kind endlich zurück hatten.
Das gab ihr Mut. Außerdem hatte sie gelernt auf ihr Artefakt zu vertrauen. Damit hatte sie immerhin Idris gerettet. Solange sie es bei sich trug, würde es nicht leicht sein, sie zu verletzen.
Ob sie es wohl auch nutzen konnte, um ihre Flügel zu stärken?
Ihr kam der Gedanke, ein Schild um diese zu legen, damit sie nicht mehr bei jeder Berührung stechende Schmerzen durch ihren Körper jagten, doch sie verwarf den Gedanken erst einmal wieder. Vielleicht machte sie damit etwas kaputt. Es war vermutlich besser, erst Idris deshalb zu kontaktieren. Wenn er denn wieder mit ihr sprach.
»Du kannst die Kinder doch nicht einer solchen Gefahr aussetzen«, rief Rachel, die aufsprang und einen Arm schützend vor ihre Tochter hielt.
Rhana wurde sofort klar, dass sie überhaupt nicht mit Naes Vorschlag einverstanden war. Allerdings spürte Rhana bereits eine gewisse Vorfreude in sich aufsteigen, weil sie helfen konnte.
»Ich bin kein kleines Mädchen mehr«, murmelte sie, um ihre Mutter daran zu erinnern, dass Rhana mittlerweile schon in einem Alter war, in dem sie keinen solchen Schutz mehr brauchte. Dazu kam, dass sie mittlerweile eine Fee war. Eine Art, die nicht leicht sterben konnte, wie Idris ihr anvertraut hatte.
Rachel ließ sich von diesem Kommentar jedoch nicht beirren. Sie baute sich zwischen Rhana und Nae auf, wie eine beschützende Wand, die Rhana jedoch eher drohte zu erdrücken. »Sie sind geübt«, versicherte Nae, doch Rachel schien das nicht zu reichen.
»Was ist, wenn Tyrelle versucht ein weiteres Siegel zu brechen? Dann sind sie in Gefahr«, erwiderte Rachel, die nicht gewillt war, aufzugeben.
Rhana fragte sich, wie die Beziehung zwischen ihrer Mutter und Nae war. Sie hatte erwartet, dass ihre Mutter und ihr Vater viel höflicher und distanzierter wären, doch es wirkte eher, als wäre ihre Beziehung sehr innig und Rachel hatte keinerlei Angst, sich im Ton zu vergreifen.
Naes Lippen verzogen sich leicht, wobei Rhana nicht genau wusste, ob sie Rachel damit auslachte oder belustigt war. »Du meinst, dann ist Rhana in Gefahr«, korrigierte Nae, als wüsste sie, dass Rachel sich lediglich um ihre Tochter sorgte.
Rachel verzog den Mund. »Ja, natürlich meine ich Rhana auch«, sagte sie fast schon beleidigt.
Rhana musste sich ein Lachen verkneifen. Ihre Mutter wirkte auf sie noch sehr jung und ungestüm und war gleichzeitig leicht zu durchschauen.
Es war schwer, in ihr eine ältere Person zu erkennen, was Rhana zu der Frage brachte, wie viel älter ihre Mutter eigentlich war. Jetzt, wo sie 15 Jahre in einem Siegel verbracht hatten, schienen sie nicht gealtert. Wie alt waren sie, als sie verschwunden waren? Unori hatte ihr oft gesagt, dass ihre Eltern recht jung gewesen waren, doch Rhana hatte nicht erwartet, dass sie so jung waren, dass sie kaum älter waren als ihre Tochter.
Die ganze Situation war verwirrend.
Nae stieß die Luft aus. »Wenn du dir solche Sorgen machst, dann schlage ich vor, dass du mit Rhana zusammen zu dem Siegel fliegst, das schon gebrochen ist. Tyrelle hat keinen Grund, sich dort aufzuhalten. Aber vielleicht hat er Spuren hinterlassen.«
Rhana beobachtete, wie der Blick ihrer Mutter nachdenklich wurde. Sie schien es wirklich in Erwägung zu ziehen.
Rhana wandte sich nun direkt an ihre Mutter und nahm ihre Hände. Ihre goldenen Augen, die durch ihre Wandlung zur Fee ein noch intensiveres Funkeln angenommen hatte, richtete sie auf Rachel. »Bitte, ich möchte helfen«, sagte sie, wobei ihre Flügel ein wenig vor Aufregung zitterten. Sich einfach nur zurücklehnen und warten kam für Rhana nicht in Frage.
Rachel zögerte. »Dein Drache ist zu klein zum Fliegen«, bemerkte sie.
Rhana hatte gar nicht bemerkt, dass ihr aufgefallen war, dass Kaza, die sich die ganze Zeit mit Kisa und dem Drachen von ihrem Vater vergnügte, ihr Drache war. Ihre Mutter hatte scheinbar eine sehr gute Auffassungsgabe.
Rhana schielte zu Nae, die ihr mit einem Lächeln zunickte. »Ich habe einen Drachen, auf dem ich das Fliegen übe«, sagte sie und versuchte sich dabei an ihrem besten Dackelblick. Bei Idris hatte das bisher immer funktioniert.
Rachel schloss ihre Augen und atmete tief aus.
»Lass sie diese Erfahrung machen. Du bist ja bei ihr und es ist nicht gefährlich«, mischte sich Giori ein, was dazu führte, dass Rachel sich zu ihm umdrehte und ihn böse ansah.
Giori hob die Hände, grinste aber.
Rachel schnaubte. »Verantwortungsbewusster Vater, von wegen«, murmelte sie vor sich hin, doch Rhana schenkte ihrem Vater lediglich ein dankbares Strahlen.
Wenigstens einer ihrer Eltern versuchte sie nicht in Watte zu packen.





























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