Ascardia-Prolog


Die Hitze der unzähligen Vulkane und Lavaströme war Ascardia schon so vertraut, dass sie kaum mehr wusste, wie sich kühle Luft auf ihrer Haut anfühlte.
Der Geruch nach Schwefel und Asche war so präsent, dass sie an manchen Tagen kaum zu Atem kam.
Der Gluthain Thar’Veyn galt als Insel der Verbannten. Jeder hier war ein Schwerverbrecher oder zumindest ein Kind dieser.
Ascardia kannte ihre Eltern nicht und ihr waren diese auch egal. Sie hatten sie ausgesetzt und zurückgelassen. Nur dank ihrem Mentor hatte sie überhaupt überlebt und gelernt, wie sie sich durchschlagen konnte.
Allerdings war dieser vor einiger Zeit ebenfalls gestorben und so war Ascardia nun auf sich selbst gestellt.
Ihre Arme und Beine zeigten unzählige Brandwunden. Spuren ihres Überlebenskampfes.
Das blonde Haar war mit Asche überzogen und verklebt, kam sie doch eher selten in die Nähe des Ozeans. Dort sammelten sich andere Clans, für die sie nicht mehr als ein Störenfried war. Sie war nicht willkommen und doch wagte sie sich heute an eine der kleinen Siedlungen.
Dazu musste sie mehrere Lavaströme überqueren und als sie die frische Brise der Meerluft spürte, duckte sie sich hinter die schwarzen, kantigen Felsen.
Ihr Magen knurrte und immer wieder verschwamm die Sicht vor ihren goldenen Augen, die einen unnatürlichen, roten Kreis um ihre Iris aufwiesen.
Ascardia hatte so großen Hunger, dass sie das Risiko in Kauf nahm.
Als Omega in eine Siedlung an Werwölfen einzudringen, war ein gefährliches Unterfangen und doch vertraute sie darauf, dass ihre Kampferfahrung ihr dabei half.
Langsam pirschte sie sich von einem Felsen zum nächsten, um nicht gesehen zu werden.
Es waren überraschend viele Werwölfe versammelt. Normalerweise bestanden die einzelnen Clans, die sich gebildet hatten, aus nicht mehr als einer größeren Familie. Fünf bis sechs Mitglieder. Heute aber waren so viele versammelt, dass Ascardia sich fragte wieso.
Was hatte die natürliche Feindschaft der Clans aufgehoben und sie dazu gebracht, sich derart friedlich zu versammeln?
Als sie nah genug war, lauschte sie.
Informationen waren wichtig und sie wollte so viel wie möglich aufschnappen, denn dann konnte sie damit am Ende vielleicht handeln.
»Warum müssen ausgerechnet wir unsere Tochter hergeben?«, hörte sie eine Frau jammern, während der Mann ihr eine große Hand auf die Schultern legte.
»Das Los hat entschieden«, knurrte er frustriert.
Ascardia schielte um den Stein herum, um zu sehen, was da vor sich ging, denn sie verstand nicht, über was die beiden sprachen. Ihre Tochter hergeben? Sollte sie verheiratet werden?
Ascardia kannte sich mit Familienangelegenheiten nicht aus und es interessierte sie auch nicht.
Was sie aber interessierte war das gefederte Tier, das der Mann an seiner Hüfte trug. Es war noch nicht gerupft und musste ganz frisch geschossen worden sein.
Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, denn an frisches Fleisch kam sie nur selten.
Aber war es die Gefahr wert?
Auf Thar’Veyn lebte kaum etwas. Kein Baum, kein Strauch und erst recht keine Tiere. Nur Hunger, der sich ihr ihre Knochen fraß.
Der Vogel, eine Beute, die sie allein niemals fangen könnte, war Verlockung pur.
Ascardia zog die kleine Handsichel hervor, die sie auf der Insel gefunden hatte. Sie war zerkerbt, doch noch nicht verrostet. Was daran lag, dass Ascardia sie so gut pflegte, wie es ging.
Neue Waffen oder gar Kleidung zu finden, war schwierig. Es gab nur das auf der Insel, was Neulinge bei ihrer Verbannung mitbrachten.
Darum waren diese auch immer ein beliebtes Ziel.
So viel Glück hatte Ascardia allerdings nicht. Sie hatte es mit eingesessenen Tarianern zu tun und musste mit Bedacht vorgehen.
Ihr Blick wanderte von dem Mann, der einen Bogen sein eigen nannte, umher.
Die Frau trug ein ledernes Gewand, das ihre intimen Stellen bedeckte.
War das Salamanderhaut?
Wenn dieser Mann in der Lage war, ein solches Monster zu erlegen, sollte sie sich vielleicht lieber eine leichtere Beute suchen, doch der Vogel zog immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Das Wasser lief ihr im Mund zusammen und ließ sie alle Vorsicht vergessen.
Es war drei Tage her, dass Ascardia etwas Ordentliches gegessen hatte und sie nahm in Kauf, vielleicht nicht an ihr Ziel zu kommen, als sie sich hinter ihrem Stein hervortraute und zu einem näheren schlüpfte.
Beide waren gerade so in eine Diskussion vertieft, dass Ascardia ihre Chance sah.
Vorsichtig streckte sie die Sichel in Richtung Vogel. Nur ein kleines Stück. Ein schneller Schnitt und der Geschmack würde nicht nur in ihren Gedanken hallen.
Gleich …
Eine Hand packte ihren Arm und riss sie hoch.
Ihre Sichel fiel klappernd zu Boden und das Blut donnerte in ihren Ohren.
»Was haben wir denn da? Eine Streunerin«, bemerkte eine tiefe, brummende Stimme und bernsteinfarbene Augen bohrten sich in ihre.
Ascardias Herz setzte für einen Moment aus, als eine drückende Aura sie einnahm und ihr das Atmen fast unmöglich machte.
Der Mann, der dunkelblonde Locken aufwies und schon älter aussah, schnupperte in der Luft, verzog das Gesicht und stieß sie dann zu Boden. Genau vor die Füße des anderen Mannes. »Omega«, knurrte er angewidert.
»Rashid. Was hast du denn da gefangen?«, fragte der Mann mit dem Vogel am Gürtel neugierig.
Er traut auf Ascardia zu und rümpfte die Nase. »Die ist so mager, die wird nicht einmal eine ordentliche Mahlzeit«, brummte er, was Ascardia vor Angst erstarren ließ.
Sie hatte davon gehört, dass es unter den Wölfen auch zu Kannibalismus kam, doch geglaubt hatte sie es nie.
Panisch rann ihr das Blut durch die Adern, als sie versuchte, sich aufzudrücken und wegzurennen. Allerdings war sie so entkräftet, dass ein einfacher Tritt der Frau sie erneut zu Boden beförderte. »Sie ist perfekt«, trällerte diese. »Warum meine eigene Tochter hergeben, wenn wir einfach sie dem Gott der schwarzen Inseln opfern können.«




























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