DBdD-Kapitel 37

Als Zunae am nächsten Morgen die Stallungen aufsuchte, erkannte Arcas sie fast nicht. Sie trug Männerkleidung und hatte ihr Haar so hochgebunden, dass sie unter der Kapuze ihres Mantels versteckt waren, wenn sie das wollte. Auch ihre weiblichen Rundungen waren so verdeckt, dass nicht sofort ersichtlich war, dass es sich bei Zunae um eine Frau handelte.
Sie hatte sich dafür entschieden, da sie nicht direkt als Königin aus den Südlanden auffallen wollte. Sicherlich würde das nur dafür sorgen, dass die Männer mit denen sie sprach, misstrauisch wurden.
Arcas musterte sie von oben bis unten. Noch nie hatte er eine Frau so gesehen. Er verstand, was sie damit bezweckte, doch es fühlte sich seltsam ungewohnt an.
»Guten Morgen«, grüßte Zunae, als sie die Stallung betrat.
Arcas hatte bereits zwei der Tiere gesattelt und einen Rucksack mit Dingen dabei, die sie für die Reise brauchten. Er bemerkte jedoch, dass auch Zunae etwas auf ihrem Rücken trug. Versteckt unter ihrem Mantel, was sie etwas unförmig wirken ließ.
»Guten Morgen. Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr bei diesem Wetter losreiten wollt?«, fragte er, denn draußen hatte es angefangen zu schneien und der Boden war auch noch mit leichtem Schnee bedeckt.
»Das Wetter wird nicht besser«, erwiderte sie. Vermutlich wurde es sogar eher schlimmer und damit hätte sie die Möglichkeit vertan. Dabei wollte sie das klären, solange Yelir nicht da war.
»Da habt Ihr wohl recht«, erwiderte Arcas.
Zunae stieß die Luft aus. »Muss das auf der Reise sein?«, fragte sie leise, denn sie wollte nicht zu förmlich angesprochen werden. Das würde sie nur verraten.
»Auf der Reise nicht, aber wir sind nicht allein«, erwiderte Arcas, der sich des Stallburschen durchaus bewusst war. Es war besser, wenn er Respekt gegenüber der Frau zeigte. Er wollte nicht, dass sie wieder angegriffen wurden.
Überrascht blickte Zunae ihn an, bevor sie sich umsah. Erst da entdeckte sie den Jungen, den sie selbst eingestellt hatte. Er versteckte sich nicht unbedingt, befand sich aber gerade dabei, eine der Pferdeboxen sauber zu machen, weshalb sie ihn erst nicht bemerkt hatte.
Röte stieg ihr ins Gesicht. »Das stimmt«, murmelte sie, denn es war ihr peinlich, nicht so weit gedacht zu haben.




Arcas entschied sich dazu, das Thema erst einmal beiseite zu lassen. Stattdessen brachte er das Pferd zu ihr. »Soll ich Euch beim Aufsteigen helfen?«, fragte er zuvorkommend, was Zunae ein leises Lachen entlockte.
»Gern«, erwiderte sie, auch wenn sie es nicht brauchte. Wenn er es schon so freundlich anbot, würde sie es nicht ausschlagen.
Arcas legte seine Hände zusammen, damit sie diese als Stufe nutzen konnte. Dann ging er auf die Knie.
Zunae nutzte seine Hilfe zwar, doch als sie sich auf das Pferd schwang, war sie so elegant, dass sich Arcas fragte, ob er ihr Gewicht überhaupt gespürt hatte. Es war eine so leichte Bewegung gewesen, dass er sie kaum wahrgenommen hatte.
Arcas wurde klar, dass sie seine Hilfe gar nicht gebraucht hatte. Sie musste sehr gut im Reiten sein, wenn sie sich so leicht auf das Pferd bewegen konnte. Das sollte er im Hinterkopf behalten.
Zunae wartete geduldig auf ihrem Pferd, bis auch Arcas aufgestiegen war. Er musste sie leiten. Zunae wusste nicht, wo sie lang musste. Außerdem wollte sie Arcas nicht in ihrem Rücken haben. Sie hatte ihm schon zu viel erzählt und gezeigt.
Arcas, dem es ebenfalls nicht ganz gefiel, sie in seinem Rücken zu haben, weil er dann nicht auf sie aufpassen konnte, ließ sein Pferd loslaufen. Er hoffte wirklich, dass sie nicht die ganze Zeit hinter ihm reiten wollte, denn das machte es schwierig.
Die Vorstellung, zwei Tage mit ihr unterwegs zu sein, war zwar nicht unangenehm, doch er machte sich Sorgen. Würde es ihr in der Nacht draußen gut gehen? Sie hatten mit dem kleinen Zelt nur wenig Schutz und es würde unbequem werden. Normalerweise reisten die Frauen bei ihnen in einer Kutsche, in der man schlafen konnte. Das war wesentlich besser als in einem Zelt.
Gemeinsam verließen sie den Burgplatz und ritten durch das Tor.
Da die Bediensteten nicht mehr so üppig waren, wie in Arcas Kindheit, wurden sie nicht gestört. Es gab nur ein paar Wachen, welche sich um den Schutz des Haupttores kümmerten. Sie nickten Arcas zu und beäugten Zunae skeptisch.
Diese hatte ihre Kapuze ins Gesicht gezogen und versteckte ihren Kopf darunter. Unter anderem auch, weil es kalt war.
Die Luft war frisch und roch sehr angenehm, doch Zunae wollte nicht, dass ihre Halsschmerzen schlimmer wurden. Daher trug sie auch einen dicken Schal, Ohrenschützer und Handschuhe. Etwas, was sie normalerweise nicht mochte, doch da alles sehr gut gearbeitet war, konnte sie damit leben, sich nicht ganz so gut bewegen zu können.




»Wir machen unsere erste Pause heute Abend am Kristallsee«, erklärte Arcas, der sein Pferd sofort schneller laufen ließ.
Die Trampelpfade waren nur teilweise frei, was Zunae zeigte, dass Händler mit ihren Kutschen unterwegs sein mussten. Allerdings nicht genug, damit der Schnee dauerhaft verschwand. Er war eher festgetreten und dadurch für die Pferde schwieriger zu passieren.
Zunae ließ ihr Tier eher am Rand laufen, wie es auch Arcas tat. Dort gab es ab und zu einige einzelne Tierspuren, aber keine Wagenspuren.
»Kristallsee?«, fragte Zunae überrascht. Sie hatte davon gehört, denn das war der Lebensraum der Kristallvögel, die Kali so sehr liebte.
Aufregung machte sich in ihr breit. Endlich war es so weit und sie würde mehr der Nordlande sehen, auch wenn es ohne Yelir war. Sie war ihm dankbar, dass er sie nicht im Schloss eingesperrt hatte. Seitdem sie die Kette trug, schien er ihr mehr zu vertrauen. Das war gut, denn das gab ihr Freiheiten, die sie voll auskosten würde. Sie wollte noch so viel erleben und die Nordlande mit all ihren für sie neuen Eindrücken war der perfekte Ort.
»Er sollte um die Jahreszeit wirklich sehr schön sein«, bemerkte Arcas, der immer wieder nach hinten blickte.
Zunae hatte es nicht eilig. Sie ritt elegant und langsam, während sie sich umsah.
Arcas verstand nicht warum, denn es gab nur Wiesen, vereinzelte Büsche unter Schnee und ein paar Bäume.
Für Zunae war die verschneite Winterlandschaft jedoch ein Bild, wie sie es noch nie gesehen hatte. Wie glitzernder Puderzucker lag der Schnee auf den Ästen der Bäume und tauchte die Welt in eine angenehme Ruhe.
»Bitte fall nicht so weit zurück«, bat Arcas. Nicht ganz uneigennützig. Er wollte sie besser beobachten können.
»Entschuldige«, sagte sie und ritt sofort zu ihm vor, sodass sie nun nebeneinander reiten konnten.
»Etwa gegen Mittag werden wir zu einem dichten Wald kommen. Bleib dann bitte nah bei mir. Dort gibt es wilde Tiere«, erklärte er, weil er sich etwas Sorgen machte. Allerdings fiel ihm zu spät auf, dass er Zunae mit dieser Aussage vielleicht verschrecken konnte, doch ihr Gesicht zeigte nichts Dergleichen.
»Ich hab nichts gegen wilde Tiere«, erwiderte sie mit ruhiger Stimme. »Welche gibt es denn bei euch?«, fragte sie neugierig. Sie wollte mehr über die Nordlande wissen und Arcas schien jemanden zu sein, der viel erzählte.




Während beide weiter ritten und die frische Luft genossen, erzählte Arcas ihr von den Tieren ihrer Gegend.
Neben ungefährlichen Wesen wie Kristallvögeln und Eulenhörnchen gab es auch noch die wilden Tiere des Waldes. Darunter Bibellas, die ihr Nest tief im Wald hatten. Riesige Wesen, die vom Körper an Bienen in der Größe einer Kuh erinnerten. Ihre Flügel waren jedoch so wunderschön wie die einer Libelle. Schön und tödlich. Ihre Stachel waren giftig und ihre Flügel konnten Äste zerstören, wenn sie durch den Wald rauschten.
Zunae spürte keine Angst, aber Neugier darauf, sie zu sehen. Allerdings beruhigte Arcas sie, denn sie waren nur in der Nacht aktiv, weshalb er den Wald auch möglichst am Tag hinter sich lassen wollte.
Das enttäuschte Zunae schließlich doch ein wenig, aber vielleicht würden sie dann wenigstens auf die Rostwölfe treffen. Sie waren angeblich größer als bei ihnen in den Südlanden und hatten ein wunderschönes rostrotes Fell.
Während sich Zunae vorstellte, wie sie auf die Tiere trafen, durchquerten sie Wiesen, kleine Hügel und einen Fluss.
Die Reise verlief ohne Probleme und gegen Mittag erreichten sie tatsächlich den Wald.
Die überraschend dunklen Bäume ragten schon in der Ferne auf, sodass Zunae einen guten Eindruck erhielt.
Es waren diese Nadelbäume, die sie auch schon auf den Weg nach Kavalare gesehen hatte. Allerdings waren die Nadeln fast schwarz und die Stämme hatten einen sehr dunklen Ton. Nur der Schnee ließ sie etwas heller wirken. Trotzdem würde es schwer werden etwas zu sehen, wenn sie den Wald erreichten.
»Du musst keine Angst haben«, bemerkte Arcas, als er sah, wie sie den Wald anstarrte. Allerdings bildete sich ein aufgeregtes Lächeln auf ihre Lippen.
»Ich kann es kaum erwarten«, sagte sie vorfreudig, was Arcas erneut sprachlos zurück ließ.
Er versuchte zwar, in ihrer Gegenwart nicht das zu erwarten, was er sonst von den Frauen seines Landes bekam, doch er vergaß es immer wieder. Nur darum gelang es ihr, ihn immer wieder so aus der Bahn zu werfen.
Er räusperte sich leise. »Bitte bleib nah bei mir«, bat er und steuerte direkt auf den Wald zu. Es führte nur ein einziger Weg hinein, doch im Wald gab es mehrere Abzweigungen.




»Brauchen wir nicht Licht?«, fragte Zunae, die ihre Hand hob. Darin sammelte sie Magie, die sich leuchtend zeigte. Wie ein Schwarm aus Glühwürmchen, nur viel heller.
Arcas, der völlig vergessen hatte, dass Zunae als direkte Nachfahrin der Göttertiere Magie nutzen konnte, keuchte leise.
Er selbst besaß zwar auch Magie, aber nicht so viel. In diesem Punkt war er ein Reinfall. Dafür war er mit seinem Artefakt wirklich stark. Nur half ihnen das im Moment nicht.
Arcas schüttelte seine Verwunderung ab, kam aber nicht umhin ihren Umgang mit Magie als sehr grazil zu erachten. Ihm war nicht aufgefallen, dass sie irgendwas getan hatte und doch war das Licht in ihrer Hand so hell, dass sie den Weg perfekt sehen konnten, als sie in den Wald ritten.
Wusste Yelir was sie konnte?
Arcas kam der Gedanke, dass sie unter Yelir vermutlich eher unterdrückt werden würde. Ein Zeichen dafür war die Kette an ihrem Hals.
Yelir war sicherlich nicht in der Lage, ihre Talente zu sehen und zu nutzen. Dabei hatte sie eine schneidende Intelligenz, eine sanfte Grazie und scheinbar auch eine spannende magische Kraft. Eine Frau, die Arcas nur bewundern konnte.
In ihm stieg der Wunsch auf, sie für sich zu gewinnen.
Als sie durch den Wald ritten, hatte Arcas das Gefühl ein Kind dabei zu haben, das die Welt zum ersten Mal sah.
Zunae blickte sich mit großen, neugierigen Augen um und kämpfte dagegen an, vom Weg abzukommen und den Wald zu erkunden. Sie liebte die Natur und wollte die Tiere sehen, die hier lebten.
Arcas machte sich nicht so viele Sorgen, wie er angenommen hatte. Die Magie, die wie ein Schwarm Glühwürmchen um sie herum wanderte und alles erhellte, machte es ihm einfacher.
Es war gemütlich durch den Wald zu reiten, das hatte er nicht erwartet. »Was ist das da?«, fragte Zunae zum wiederholten Male. Immer, wenn sie etwas Neues entdeckte, wollte sie von Arcas eine Antwort. Allerdings kannte er sich nicht ganz so gut mit Pflanzen aus, weshalb er ihr in diesem Punkt nicht wirklich viel mehr sagen konnte. Der struppige Strauch, der unter dem Schnee lag und dessen Ausläufer teilweise den Pfad bedeckten, war ihm völlig unbekannt.
Statt jedoch traurig darüber zu sein, dass Arcas ihr nichts dazu sagen konnte, fand sie immer wieder etwas Neues, das sie faszinierte.




So verging die Reise durch den Wald sehr zügig. Sie entdeckten sogar einige Wildtiere, auch wenn es nur Eulen, Füchse und Hasen waren. Dafür war Arcas dankbar. Mit einem hungrigen Wolf hätte er sich nicht gern angelegt.
Als sie den Wald endlich wieder verließen, empfing sie eine Wiese, die unter tiefen Schnee zu schlafen schien.
Die untergehende Sonne tauchte diese in ein schönes Orange, sodass es Zunae unangenehm war, mit ihrem Pferd über den Schnee zu reiten. Aber Arcas führte sie, bis sie einen kleinen Hügel hinauf trabten.
Oben angekommen traute Zunae ihren Augen kaum. Vor ihnen erstreckte sich in allen möglichen Farben schimmernd ein großer See. Um ihn herum Kristalle in wunderschönem Blau, Rot, Orange und Gelb.
»Ist das der Kristallsee?«, fragte Zunae nach Luft schnappend. Jetzt mit der untergehenden Sonne reflektierte das Licht und ließ ihn förmlich strahlen.
Arcas war stolz auf sich, ihr diesen Anblick zeigen zu können und lächelte. »Das ist er«, sagte er und deutete ihr den Weg, den sie nutzen mussten, um hinab zu kommen.
Zunae folgte, während Arcas aus dem Augenwinkel beobachtete, wie gut sie darin war, das Pferd zu lenken. Es schien ihr keine Probleme zu machen, obwohl der Hügel gar nicht so leicht war.
Zunae musste sich Mühe geben, ruhig zu bleiben und das Pferd langsam zu führen. Zu Hause hätte sie sofort ihre Magie genutzt, um das Tier unten abzusetzen, so ungeduldig war sie. Nur hier waren es die Pferde nicht gewohnt und sie wollte es nicht zu sehr erschrecken.
Schließlich kamen sie heil am Rand des Sees an. Beide Pferde stürzten sich sofort auf das Wasser, während Zunae langsam abstieg.
»Hier können wir uns in der Nacht ausruhen«, erklärte Arcas, der Zunae den Arm reichte, als würde er sie zu ihrem neuen zu Hause geleiten wollen. Dabei hatte er ein schelmisches Lächeln aufgesetzt.
Das ließ Zunae kichern, bevor sie den Arm annahm und sich zu einer kleinen Kristallhöhle führen ließ. Ein sehr angenehmer Ort, um die Nacht zu verbringen.

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