DBdD-Kapitel 8

Die restliche Reise über, vermied Yelir den Kontakt zu Zunae, was Degoni nicht entging. Er beobachtete beide sehr genau und baute bei jeder Pause, die sie machten, seine Abneigung gegen die fremden Königin weiter aus. Was hatte sie mit seinem Bruder gemacht, dass er das Weite suchte, wenn sie einen Fuß aus der Kutsche setzte? War er nur so frustriert darüber, dass er nicht alles aus ihr herausbekommen hatte, oder dachte er vielleicht sogar über Degonis Vorschlag nach?
Zunaes Haut war blass, ihre Wangen eingefallen. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Kein Anblick, der Degoni glauben ließ, dass sie in der Lage wäre, sich Yelir zu widersetzen.
Als sie die letzte Pause einlegten, bevor sie den Gebirgspass verließen, fixierte Degoni sie mit seinem Blick.
Yelir kümmerte sich um die Pferde, die er zu einem kleinen See führte, um sie zu tränken. Das war der Moment, in dem Degoni seine Chance sah.
Mit schnellen Schritten ging er auf die Frau zu, die sich die Beine vertrat und wieder einmal um das Lagerfeuer herumlief. Jedes Mal, wenn sie das Lager umrundete, zuckten Degonis Finger. Er knirschte mit den Zähnen und kniff die Augen zusammen. Sie sollte es nicht zu weit treiben, denn seine Geduld schwand.
Als Zunae bemerkte, dass er direkt auf sie zu kam, hielt sie inne und blickte ihn fragend an.
Statt langsamer zu werden, hob Degoni die Hand, griff ihren Hals und drückte sie gegen den Baum, vor dem sie stand.
Überrascht stieß Zunae den Atem aus, während der Schmerz sich durch ihren Rücken bohrte und sie hustend nach Luft schnappte. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und instinktiv griff sie nach oben zu Degonis Hand. »Was soll das?«, stieß Zunae hervor, doch der Griff um ihre Kehle verfestigte sich nur noch mehr.
»Ich warne dich«, knurrte Degoni mit einem tiefen Grollen. »Lass die Finger von meinem Bruder.«
»Lass los«, quietschte Zunae heiser. Jeder Atemzug wurde zur Qual und jedes Wort zehrte an ihrer Kraft. Sie krallte ihre Finger in seine Hand und strampelte wild mit den Beinen. Ihre Lunge brannte und die schwarzen Punkte vor ihren Augen tanzten bereits. Nicht mehr lange, dann …
Degoni dachte jedoch nicht daran, sondern bohrte seinen eisblauen Blick in ihren. »Was auch immer du vor hast …«, setzte er an, kam aber nicht weit, denn in ihrer Verzweiflung trat Zunae nach ihm, ohne darauf zu achten, was sie erwischte.
Fluchend ließ Degoni sie los und machte mehrere Schritte zurück, während er damit kämpfte, nicht in die Knie zu gehen. Wie konnte sie es wagen, ihn zu treten und dann auch noch sein bestes Stück zu erwischen? Er war froh, dass sie es nur gestreift hatte. Hätte sie es richtig erwischt, hätte er sich nicht mehr zurückhalten können. Er ballte seine Fäuste, während er schwer nach Luft rang. Das war nicht sein Plan gewesen. Er hatte sie nur warnen wollen, doch nun musste er sich zusammenreißen, um nicht weiter zu machen.
Japsend ging Zunae zu Boden. Ihr Hals schmerzte und jeder Atemzug tat so weh, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
»Was treibt ihr da?«, fragte Yelir, der gerade zurückgekehrt war und die Situation nicht direkt einzuschätzen wusste.
Zu sehen, wie Zunae am Boden nach Atem rang und Degoni leicht gekrümmt da stand, verriet ihn allerdings mehr, als er wissen wollte. Waren die beiden aneinandergeraten?
»Nichts Wichtiges«, brummte Degoni, der sich seine Schmerzen nicht ansehen ließ.
Yelir musterte ihn von Kopf bis Fuß, bevor er zu Zunae sah, die noch immer um Atem rang und sich den Hals hielt. Allerdings erhob sie sich langsam wieder und warf Degoni einen bösen Blick zu. »Wenn du mich schon bedrohst, dann biete wenigstens keine offene Angriffsfläche, sonst ziele ich das nächste Mal auf deine Kronjuwelen«, gab sie verärgert zurück, während sie ihren Hals massierte. Das würde blaue Flecke geben, die sie gerade nicht gebrauchen konnte. Außerdem spürte sie den Drang, einen ihrer Vertrauten zu rufen. Sie wollten raus und sich Degoni vorknöpfen. Er hatte es geschafft, sie zu verärgern, während sie auf Yelir überhaupt nicht reagierten.
Degoni blickte sie entgeistert an, genau wie Yelir. Allerdings blickte dieser tadelnd zu seinem Bruder. »Was denkst du dir dabei, sie anzugreifen?«, fragte er, weil er sich sofort Sorgen um Misha machte. Was, wenn sie ihrer Familie davon erzählte.
Degoni hob eine Augenbraue.
Allerdings war es Zunae, die ihre Stimme erhob. »Einen Angriff würde ich das nicht nennen«, sagte sie, womit sie Yelirs Blick erhielt. Ein durchdringender, forschender Blick.
»Was willst du damit sagen?«, fragte er und war überrascht davon, wie schnell sie sich von diesem körperlichen Angriff erholte. Dabei konnte er sehen, dass an ihrem blassen Hals dunkle Stellen entstanden, die in wenigen Stunden sicherlich Degonis Fingerabdrücke zeigen würden.
»Ein Kräftemessen«, erwiderte Zunae schulterzuckend und ignorierte ihren rauen Hals. Am liebsten hätte sie einen Heiler aufgesucht, doch sie wollte sich ihre Schwäche nicht eingestehen. Ihr Körper war viel zu zerbrechlich.
Yelir stieß ein Knurren aus. »Hört auf mit dem Blödsinn«, fauchte er beide an, wobei sich seine Pupillen leicht schlitzten. Etwas, was Zunae faszinierte, aber gleichzeitig auch Angst in ihr auslöste. Sie wusste sehr gut, dass dir Raenacs Nachfahren der Seelenkatzen waren und dadurch sehr ausgefeilte Instinkte hatten. Wenn sie sich nicht irrte, war sie gerade dabei, das Raubtier zu wecken.
Sie ahnte nicht, wie nah sie damit an der Wahrheit war, denn Yelir hatte große Mühe, sich zurückzuhalten.
Wie konnte sein Bruder sie nur angreifen und wieso tat sie diese Sache einfach so ab? Wollte sie es herabspielen, damit sie die Brüder in Sicherheit wiegen konnte?
Diese Möglichkeit wollte Yelir nicht ausblenden, auch wenn der Großteil seiner Wut daher rührte, dass etwas, das er bereits für sich beansprucht hatte, verletzt worden war. Das Problem war nur, dass sein Anspruch noch nicht offiziell oder gar öffentlich war.
Bei ihnen wählten die Frauen ihren Mann. Obwohl er der Herrscher seines Gebietes war, würde die Abmachung auch mit einer Heirat in seiner Familie besiegelt werden. Zunae konnte also zwischen ihm, Degoni, seinem Vater, seinem Bruder Arcas oder auch Dainte wählen.
Und das machte Yelir Sorgen, denn sollte Arcas Interesse an ihr haben, hätte er keine Chance. Sein Halbbruder war viel charmanter. Er kam zwar nicht an Misha ran, doch gegen Yelir würde er locker gewinnen, wenn es um Frauen ging. Yelir hatte einfach keine Erfahrungen und wusste auch nicht viel mit ihr anzufangen.
»Zurück in die Kutsche«, befahl er knurrend, während seine Wut sich auf seinem Körper zeigte. Nicht nur seine Augen änderten sich, auch feines Fell zog sich wie Härchen über seine Arme.
Zuerst wollte Zunae widersprechen, denn sie wollte nicht ständig in dieser Kutsche hocken, doch sie verstand auch, dass es im Moment gerade besser war, ihn nicht weiter zu reizen.
Also hob sie ihren Rock leicht an, bevor sie zurück zur Kutsche lief.
Dort konnte sie sich um ihren Hals kümmern, weshalb sie Belle anwies, einen Spiegel aus der Kutsche zu besorgen. Dazu einen Seidenschal, der zu ihrem Kleid passte.
Dabei war sie sich Yelirs Blick durchaus bewusst, ignorierte ihn aber so gut es ging. Sie hoffte sehr, dass dieser Vorfall keine Probleme zwischen den Brüdern auslösen würde.
Kaum war sie im Inneren der Kutsche verschwunden, fuhr sich Yelir durch die Haare. »Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte er, wobei Erschöpfung in seiner Stimme mitschwang.
Die Reise mit Misha war weniger schlimm gewesen, doch seit sie diese Frau dabei hatten, schlief er kaum noch. Ständig musste er aufpassen, weil er nicht wollte, dass etwas geschah.
»Ich habe sie lediglich gewarnt«, erwiderte Degoni schulterzuckend. Die Reaktion hatte ihn zwar verwundert, doch auch neugierig gemacht. Er hatte sie unterschätzt, weil sie so zerbrechlich wirkte, doch unter der Fassade lauerte Kraft. Etwas, was er im Auge behalten musste. Es war schwer für ihn einzuschätzen, wie gefährlich sie sein konnte. Körperlich waren sie ihr überlegen, doch das hieß nicht, dass sie ihnen nicht von hinten ein Messer in den Rücken rammen konnte.
Yelir massierte sich die Schläfen. »Denk an Misha«, forderte er angespannt.
Degoni lächelte lediglich. »Solange du ihre Briefe kontrollierst, sollte es zu keinen Problemen kommen.«
Das gefiel Yelir nicht, doch Degoni hatte nur zugestimmt, wenn sich Yelir an einige Regeln hielt. Sie würden Zunae ständig überwachen und sie wie eine Gefangene sehen. Privilegien wie ihr Vertrauen würde sie sich erst verdienen müssen.
»Wir sollten sie aber dennoch lebend und vorzeigbar ins Land bringen«, erwiderte Yelir, der durchaus verstand, warum sein Bruder so vorsichtig war. Trotzdem war sie eine Frau und gehörte mit Respekt behandelt. Männer kümmerten sich um ihre Frauen. Das war ihnen in die Wiege gelegt und als Herrscher des Reiches hatte Yelir die Aufgabe sich um diejenigen zu kümmern, die niemanden mehr hatten. Was Zunae seiner Meinung nach mit einschloss. Seine Finger schlossen sich fest um die Zügel. Ja, eine Gefangene sollte sie sein … Doch das Bild ihrer blassen Haut, übersät mit dunklen Flecken, ließ Unbehagen in ihm aufsteigen. Aber da die Initiative zu dieser Parallelhochzeit von ihr ausging, musste sie irgendwelche Pläne haben … oder nicht?
Degoni schnaubte erneut. »Mir wäre es lieber, sie gar nicht erst ins Land zu lassen«, brummte er frustriert.
»Du bist doch aber noch für Frieden, oder?«, wollte Yelir lauernd wissen, denn er konnte es nicht gebrauchen, seinen Bruder gegen sich aufzubringen.
Degonis Hand fuhr durch sein blondes Haar und zog es aus dem Zopf, den er kurz darauf öffnete, um etwas zu tun zu haben. »Das schon, aber zu welchem Preis?«, fragte er, wobei er Yelir direkt ansah.
Dieser stieß die Luft aus. »Misha ist nicht tot. Wir können ihn jederzeit besuchen«, erwiderte er, wobei er versuchte, es positiv zu sehen.
Degoni spannte sich an. »Jeder fehlende Krieger schwächt unsere Stellung«, gab er knurrend zu bedenken. Für ihn hatte sich noch nicht viel geändert. Ihm steckte der Krieg in den Knochen und er erwartete jederzeit einen Angriff. Darauf mussten sie vorbereitet sein.
»Wenn die Hochzeit durch ist, werden wir uns nicht mehr darauf konzentrieren müssen, zu kämpfen.«
Natürlich war Yelir bewusst, dass er diese Einstellung nicht einfach so aus den Köpfen seiner Leute bekam. Erst recht nicht bei Degoni, der seine Rechte Hand war und dem der Krieg noch immer in den Knochen steckte.
»Das sagst du«, knurrte er leise. »Was, wenn sie uns hinterrücks verrät, um ihrem Volk einen Vorteil zu verschaffen? Was, wenn sie Misha als Geisel nehmen und diese Frau nur eine unwichtige Schachfigur ist, die geopfert werden kann?«, sprudelte es aus ihm heraus.
Das waren alles Punkte, die sie ebenfalls bedacht hatten. Die Verhandlungen liefen schon länger und anfangs hatten sie angeboten, einen Prinzen zu schicken. Wohlwissend, dass dieser keiner war und die Aufgabe hatte, die Königin zu töten. Dieses Angebot hatten sie abgelehnt. Auch das zweite Angebot, wo der Plan gewesen war, einen Bauern zu bringen und die Königin bei sich in Geiselhaft zu nehmen, war nicht angenommen worden. Fast so, als wüssten die Südländer von ihren Plänen.
»Das ist alles möglich und dafür sind wir gerüstet«, erwiderte Yelir ernst und sah seinen Bruder weiterhin durchdringend an. »Aber wenn sie es wirklich ernst meinen, ist das eine Gelegenheit, die wir nicht verschwenden sollten.«
Eigentlich war er die Diskussion leid.
Er wusste genau, worauf sein Bruder hinaus wollte, doch er war sich nicht sicher, ob es wirklich nötig war, so weit zu gehen.
Degoni hatte Yelir schon oft genug gedrängt, das Artefakt zu nutzen, das die Prinzessin unter seine Kontrolle stellte. Nur wusste Yelir nicht, ob er das wollte. Selbst wenn sie nur ein Strohmann war, eine Frau, die in den Südlanden nicht gebraucht wurde, sie war dennoch ein Mensch. In einem fremden Land, wo sie niemanden kannte. Yelir wollte sich gar nicht vorstellen, wie es ihr damit ging. So wie auch Misha.
»Du hast Mutter versprochen, die Artefakte zu nutzen«, erinnerte Degoni ihn.
»Ich weiß«, seufzte Yelir frustriert, denn anders als sein Vater war sie gegen diese Verbindung. Sie hatte Angst um ihre Söhne, auch wenn Yelir nicht mit ihr blutsverwandt war.
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