Mirani-Kapitel 10

~Asher~

Meine Kehle schmerzte und das Gefühl, kotzen zu müssen, weckte mich. Ich riss meine Augen auf, drehte mich und spuckte.
Ein Schwall Wasser folgte dem nächsten, bis sich der Druck auf meine Brust gelöst hatte und ich endlich wieder normal atmen konnte.
Fauliger Geruch stieg mir in die Nase und ließ mich aufsehen.
Unzählige zerfetzte Körperteile umgaben mich. Schwarzes Blut und Schleim klebten auf dem sandigen Bogen.
Ein Bild wie aus einem Albtraum.
Schlief ich noch? Das konnte doch nicht echt sein.
Langsam und noch immer vor Erschöpfung zitternd, richtete ich mich auf, bis ich auf meinen Knien saß.
Meine Kleidung war durchnässt und Wasser tropfte von meinem Kinn. Überall klebte Sand.
War ich an einen Strand gespült worden?
Ich erinnerte mich schwach daran, wie ich ins Wasser gefallen war und versucht hatte, oben zu bleiben, während Wellen mich in die Tiefe gezogen hatten.
Dann Miranis Gestalt, die auf mich zukam, bevor Ohnmacht mich gepackt hatte.
Hatte Mirani mich gerettet? Aber wo war sie?
Der Gestank um mich herum war so unangenehm, dass ich meine Nase schützen musste. Er war unvergleichlich. Ich würde ihn überall erkennen.
Rakshasa.
Nur sie konnten so stinken.
Aber wieso verrotteten diese Monster hier und dann auch noch so viele auf einem Fleck?
Das hatte ich noch nie gesehen.
Wer hatte sie getötet? Wo war ich überhaupt?
Wenn Mirani mich wirklich aus dem Wasser gezogen hatte, musste sie hier irgendwo sein.
Vorsichtig erhob ich mich vollständig. Mein Körper fühlte sich noch immer schwer an, doch meine Instinkte griffen durch. Mein innerer Wolf knurrte kampfbereit und meine Sinne schärften sich, als ich erneut meinen Blick über die Rakshasa wandern ließ. Wer auch immer sie erledigt hatte, war gründlich gewesen und hatte Erfahrung. Keiner von ihnen würde wieder aufstehen.
Mein Blick blieb an etwas Silbernem hängen und für einen Moment verstand ich nicht ganz, was ich sah. Es passte so gar nicht zu den Rakshasa.
Silberne Fäden?
Nein. Das ergab keinen Sinn.
Langsam näherte ich mich, bis ich sehen konnte, was da unter zwei zerstückelten Rakshasa lag.
Mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich das blutverschmierte Gesicht erkannte.




»Mirani«, rief ich entsetzt und begann damit, die Teile der Rakshasa von ihr zu werfen, um sie zu befreien.
Ihre Arme und Beine waren verletzt und Blut klebte überall an ihrem nackten Körper.
Mein Herz setzte einen Moment aus, weil sie in Blut getränkt war.
»Mirani«, rief ich erneut und drehte sie auf den Rücken.
Mein Puls ging so schnell, dass er in meinen Ohren donnerte und ich lange brauchte, um das sanfte Heben und Senken ihres Brustkorbes zu bemerken. Sie atmete leise und flach, doch sie war am Leben.
Wie war sie hierhergekommen? Wieso lag sie unter einem Haufen toter Rakshasa?
Ihre Finger und ihr Mund waren voller dunkler Flüssigkeit und sie war voller schwarzem Blut, das sich mit rotem vermischte. Sie musste verletzt sein!
Scheiße, was sollte ich tun?
Vorsichtig schob ich ihr das Haar aus dem Gesicht. Dieses wirkte unverletzt und ihr Ausdruck hatte etwas überraschend friedliches. Ich glaubte sogar, ein Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen. Was durch das schwarze Blut nur umso absurder wirkte. Fast schon grotesk.
Erneut ließ ich meinen Blick wandern. Konnte es sein, dass sie sich all diesen Monstern gestellt hatte?
Ich sah zurück an die Stelle, an der ich erwacht war. Dort war alles frei, als hätte eine unsichtbare Mauer die Rakshasa davon abgehalten, zu mir vorzudringen.
»Was hast du getan?«, hauchte ich, als mir klar wurde, dass sie mich wirklich beschützt hatte. Sie, eine Omega. Auch, wenn ich nicht mehr sagen würde, dass sie schwach war. Sie hatte mir das Gegenteil bewiesen, auch wenn ich es kaum glauben konnte.
Als ich sie schließlich komplett aus den Leichen zog, musterte ich sie noch einmal. Ich erkannte keine Kleidungsfetzen. Sie war völlig nackt, was dafür sorgte, dass ich meinen Blick nur schwer abwenden konnte. Hatte sie sich verwandelt? Hatte sie ihren Anzug zerstört? Von Mutter wusste ich, dass dieser wichtig für sie war. Hoffentlich war er unversehrt. Aber wo war er? Sollte ich ihn suchen?
Mein Blick wanderte umher, doch ich konnte nicht anders, als immer wieder zu ihr zu schielen. Es war schwer diesen wohlgeformten Körper nicht zu beachten. Sie war auf keinen Fall entstellt. Ihre Haut war rein und blass wie von einer Puppe. Keine Verunreinigungen, Naben oder ähnliches, das sie verstecken musste. Warum also der Anzug? Warum war ihre Mutter so erpicht darauf, dass sie diesen trug?




Langsam hob ich sie in meine Arme. Ich sollte ihre Wunden auswaschen, doch das Wasser hier war salzig. Das würde nicht helfen. Im schlimmsten Falle würde es sich deshalb noch mehr entzünden. Sollte ich nach frischem Wasser suchen? Vielleicht gab es eine Quelle?
Aber bei so vielen toten Rakshasa war sie vielleicht verschmutzt.
Wenn doch nur der Sonnenfalter hier wäre. Dort hatten wir alles, was wir brauchten und es sollte den Absturz überlebt haben. War Mutter schon auf der Suche nach mir?
Es fiel mir schwer zu sagen, wie lange wir schon auf der Insel waren, doch so weit konnte der Sonnenfalter auch nicht entfernt sein, oder?
»Asher!«
Eine Stimme ließ mich aufschrecken. Nur ein Flüstern im Wind, doch für mich deutlich genug. Mutters Stimme.
Ich hörte sie immer und immer wieder rufen, sodass ich mich am Wasser entlang bewegte, bis ich auf dem Wasser etwas entdeckte. Klein und weit in der Ferne näherte sich der Sonnenfalter und Mutters Rufe wurden deutlicher.
Erleichterung machte sich in mir breit, als ich erneut meinen Namen hörte. »Hier! Ich bin hier!«, rief ich meiner Mutter entgegen.
Der Sonnenfalter kam immer näher und schließlich entdeckte ich meine Mutter, die erleichtert aufatmete, als sie auch mich bemerkte. »Mirani ist verletzt«, rief ich ihr entgegen, während ich beobachtete, wie sie näherkam.
Der Sonnenfalter fuhr ruhig durch das Wasser. Das Schiff hatte größtenteils überlebt. Nur einer der Flügel war kaputt, sodass wir wohl oder übel über die See nach Hause fahren mussten.
Als Mutter das Schiff nach genug herangebracht hatte, schob sie die Planke aus.
»Was bei allen Alphas ist hier passiert?«, fragte sie entsetzt, als sie das Chaos sah. »Wurdest du angegriffen?«, fragte sie sofort, bevor sie Mirani in meinen Armen entdeckte. Ihr Gesicht wurde blass. »Wie kannst du sie anfassen? Wo ist ihr Anzug?«, fragte sie panisch. Ich verstand nicht, warum das plötzlich solche Priorität hatte.
»Sie war so. Mirani hat sich verwandelt«, erklärte ich, doch bevor ich erklären konnte, dass es Mirani war, die mich gerettet hatte, wechselte Mutter das Thema und scheuchte mich Richtung Schiff.
»Wir müssen ihren Anzug finden. Du hättest gar nicht zulassen sollen, dass sie dich im Kampf stört. Aber gut, dass du sie beschützt hast«, sagte sie aufgeregt. »Bring sie aufs Schiff und versorge ihre Wunden. Pass auf, dass sie nichts Unnötiges berührt.« Ihre Worte waren kaum verklungen, da begab sie sich schon auf die Suche nach dem Anzug und schob mit ihren Füßen die Rakshasaleichen umher.




Ich verstand nicht ganz, was sie meinte, war aber noch zu erschöpft, um zu widersprechen. Allerdings wusste ich auch nicht, wie sich das Mutter vorstellte.
Um ihre Wunden zu säubern und zu verbinden, würde sie einige Dinge berühren müssen. Warum legte sie überhaupt solchen Wert darauf? Es gab nun wirklich nicht viel, was Mirani über uns erfahren würde, indem sie die Bandagen berührte. Außerdem war sie gar nicht in der Verfassung dazu.
»Verstanden«, murmelte ich, obwohl ich wusste, dass Mutter es nicht mehr hörte. Es interessierte mich nicht, was sie tat. Mich interessierte nur, dass ich Mirani verarzten konnte.
Also betrat ich mit ihr das Schiff. Mein Blick starr auf den Weg gerichtet, um sie nicht anzusehen. Ihr nackter Körper in meinen Armen reizte alle meine Sinne, doch dazu war jetzt nicht die Zeit. So unzivilisiert war nicht einmal ich. Sie musste behandelt werden, bevor ihre Wunden sich entzündeten!
Das Schiff war chaotisch, doch zumindest waren die meisten Vogelleichen verschwunden. Das sorgte dafür, dass ich ohne Probleme den Pavillon erreichte.
Ich legte Mirani auf den Tisch unter den schützenden Vorhang, damit sie zumindest erst einmal ruhen konnte. Ein Bett wäre besser gewesen, doch ich wusste nicht, wie es unter Deck aussah. Vermutlich war es dort noch chaotischer als hier. Die Ladung, die größtenteils aus Vorräten bestand, musste beim Sturz gut durchgeschüttelt worden sein.
Mein Blick glitt noch einmal umher. Es fiel mir schwer, sie allein zu lassen, doch ich musste saubere Tücher und Wasser holen, um sie zu versorgen. Ihr ganzer Körper war in Dreck, Blut und Rakshasa-Sabber eingehüllt. Das musste behoben werden.
Als ich mich unter Deck begab, stellte ich fest, dass meine Vermutng richtig gewesen war. Die komplette Ladung war am Boden verteilt. Einige Kisten waren kaputt, doch alles in allem schien nichts beschädigt. Der Schrank, in dem wir Kräuter und Verbände lagerten, war sogar noch an Ort und Stelle. Nicht einmal die Tür hatte sich geöffnet.
Was daran lag, dass die Tür klemmte und so brauchte ich einige Anläufe, bis ich mich ins Innere vorgearbeitet hatte. Dort nahm ich die sauberen Tücher und einige Kräuter, bevor ich mir eines der kleineren Fässer mit Süßwasser schnappte.




Das sollte reichen.
Zurück bei Mirani, befeuchtete ich das erste Tuch und machte mich daran, ihren Körper zu säubern. Dabei fiel es mir schwer, konzentriert zu bleiben. Warum konnte Mutter das nicht machen? Ich fühlte mich schlecht, sie so anzusehen, während ich sie reinigte, doch was blieb mir anderes übrig?
Als ich ihre Brüste erreichte, wandte ich den Blick ab und wischte schnell darüber. Da sie dort keine offensichtlichen Verletzungen hatte, wandte ich mich ihren Armen zu. An diesen hatte sie mehrere Bissspuren, weshalb ich mich diesen besonders widmete.
Ihre weiche Haut zu berühren, sprach alle meine Sinne an und ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, sie in meinem Bett zu haben. Doch kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, schalte ich mich selbst dafür. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt und ich würde garantiert keiner Frau so etwas antun, während sie bewusstlos war.
Schluckend wandte ich mich ihren Beinen zu. Auch hier war sie verletzt. Vorrangig an den Füßen und Unterschenkeln. Kratzer und Bisse wie auch an ihren Armen.
Als ich fertig damit war, sie zu reinigen, nahm ich die Kräuter und zerrieb sie zwischen meinen Fingern. Als ich mich erneut ihren Handgelenken widmete, um die Stellen, die ich ausfindig gemacht hatte, mit den Kräutern zu desinfizieren, stellte ich fest, dass von den Bissspuren nur noch kleine, weiße Narben übrig geblieben waren.
Stirnrunzelnd betrachtete ich mir die Stellen. Ich hätte schwören können, dass die Wunden tief genug gewesen waren, dass Gift in ihren Körper eingedrungen sein musste. Jetzt war ich mir jedoch nicht mehr so sicher.
Ein leises Murmeln ließ mich aufsehen. Miranis Lider blinzelten unruhig, was dazu führte, dass ich einige Schritte zurück machte. Innerlich fluchend riss ich eines der Tücher vom Pavillon und legte es ihr schnell über, um ihren Körper zu verdecken.
Es war mir überaus peinlich, dass sie ausgerechnet jetzt erwachte. Warum musste das passieren, während ich sie bewunderte?

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