Mirani-Kapitel 20

20

~Mirani~

Ich erwachte, weil ich ein wenig herumgeschüttelt wurde.
Grummelnd schlug ich meine Augen auf und brauchte einen Moment, um zu verstehen, was die zottige Mähne war, auf die ich blickte.
Ich saß und jemand hielt mich fest an sich gedrückt, während das Kamel unter uns langsam durch den Sand trottete. Ashers Duft stieg mir in die Nase und sorgte dafür, dass ich nicht sofort panisch wurde.
Verwirrt sah ich mich um. Die Sonne knallte auf uns nieder und die heiße Luft brannte ein wenig in meiner Kehle.
Neben uns gab es weitere Kamele, die voller Gepäck waren.
Ich blinzelte mehrmals, bevor ich nach hinten sah.
Asher hatte mich vor sich auf dem Kamel positioniert und hielt mich mit seinem Arm sanft. Sein Blick war nicht auf den Weg gerichtet, sondern auf mich, was mich ein klein wenig nervös machte. Hatte er mich beim Schlafen beobachtet?
Hatte ich wirklich so fest geschlafen, dass mir nicht aufgefallen war, dass er mich getragen und auf das Kamel gesetzt hatte?
»Wie lange sind wir schon unterwegs?«, fragte ich verwirrt und mit einem Gähnen. Mein Körper fühlte sich noch immer müde an, aber seltsamerweise konnte ich mich nicht daran erinnern, schlecht geträumt zu haben. Normalerweise hätte die Vergangenheit mich verfolgt und mir den Schlaf geraubt, doch nichts davon war dieses Mal der Fall, obwohl die Folter mir noch immer Kälte durch die Glieder jagte. Gleichzeitig fühlte sie sich jedoch fern an. Wie ein Traum.
Ashers Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. »Bist du endlich aufgewacht? Wir sind schon seit fast zwei Stunden unterwegs. Du hast alles verschlafen.«
Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen schoss. Dieses Mal nicht, weil Asher mir so nah war, sondern weil es mir peinlich war. Meine Gabe musste mich viel mehr gefordert haben, als angenommen, wenn ich so fest geschlafen hatte. Oder lag es an Asher, der mich die ganze Zeit im Arm gehabt hatte?
Ich verstand immer noch nicht warum, doch seine ganze Gegenwart strahlte Ruhe aus, die ich so nicht kannte.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich. Es waren nur verschwommene Erinnerungen daran, dass mich Asher kurz geweckt und mir irgendwas erzählt hatte, aber ich schaffte es nicht, diese zusammenzusetzen. Bis gerade eben hatte ich sie noch für einen Traum gehalten.




»In die Hauptstadt Zer’Thal. Es wird ein paar Tage dauern.«
Ich stieß den Atem aus und lehnte mich etwas mehr an Asher. Seine Brust war fest und bot genug Halt, damit ich mich sicher fühlte. Es war schon sehr lange her, dass ich geritten war. Seit meine Gabe heftig erwacht war, konnte ich derartige Dinge nicht mehr ohne Weiteres tun. Bei diesem Gedanken stellte ich fest, dass ich auf einem Tier saß. Ein Lebewesen. Meine Haut berührte es, doch da war nur ein ganz leichtes Ziehen. Kein Sog an Erinnerungen.
Was war nur aktuell los mit mir? Es konnte doch nicht sein, dass meine Gabe ständig an und aus ging. Wie sollte ich denn damit umgehen? Das war vorher noch nie passiert.
Plötzlich spannte sich Asher hinter mir an. Ich verstand nicht warum, denn die Wüste lag ruhig vor uns. »Stopp«, rief er. Seine Stimme klingelte in meinen Ohren, doch ich versuchte, nicht zu zucken.
Die ganze Karawane hielt sofort ihre Tiere an. Selbst Zahira, die voraus ritt. »Was ist?«, fragte sie und legte den Kopf schief.
»Da ist etwas im Sand«, erwiderte Asher mit einem Lächeln, das ich nicht ganz einordnen konnte. Er sah vorfreudig aus, als er sich vorsichtig von mir löste und abstieg.
»Warte hier kurz«, bat er, während seine Mutter die Umgebung absuchte.
»Da ist nichts«, winkte Zahira ab, doch Asher ließ sich nicht beirren, sondern schritt durch den Sand.
Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte etwas zu spüren. Da wir hier aber nicht auf den Aethelhain-Inseln waren und mein Nebel nicht bei mir, konnte ich ebenfalls nichts wahrnehmen. Zudem machte es die Hitze schwer für mich. Ich sah auch ständig etwas vor meinen Augen schimmern.
Asher schritt an seiner Mutter vorbei, in die weite Wüste hinaus.
Ich fragte mich, wie sich die Gruppe hier orientierte, als sich plötzlich etwas unter dem Sand bewegte. Dieser wurde wie Wellen aufgewühlt und stieg in die Luft.
Ich hielt überrascht den Atem an, als der Sand nach unten zu rieselte und einen riesigen, roten Schuppenpanzer offenbarte.
Ich spürte, wie das Kamel unter mir unruhig hin und her tippelte, ohne jedoch zurückzuweichen. Es schien solche Situationen gewohnt und ich war froh, dass es nicht flüchtete. Es erlaubte mir, den Gegner genauer zu betrachten.




War das eine Art Krustentier? Aber was machte es in der Wüste?
Ein Klackern hallte durch die Luft. Es erinnerte mich an die Krabben am Strand. Nur viel lauter, schneller und definitiv tödlicher.
Erst dann sah ich die Scheren. Riesig und grotesk. Dann hob sich der Schwanz hoch über den Kopf des Tieres und ließ mich die Luft einziehen.
Er sah aus wie ein Wipfelast mit einem tödlichen Dorn.
Ich spürte mein Herz rasen und atmete vor Aufregung immer schneller. Dieses Wesen war tödlich. Nicht nur durch seine schiere Größe. Es war bis an die Zähne bewaffnet.
Sein Schwanz zuckte wie bei einer Klapperschlange, bevor er nach unten sauste. Direkt auf Asher zu.
Ich schnappte nach Luft, doch die Sorge, die sich in mir ausbreitete, verschwand sofort, als Asher, ohne große Bewegungen und Anzeichen von Angst, auswich. Er bewegte sich so schnell, dass ich sofort bemerkte, wie langsam das Wesen doch war.
»Ein Wüstenskorpion. Er hatte recht«, hörte ich Zahira zu sich murmeln, konnte aber meinen Blick nicht von Asher nehmen.
Dieser bewegte sich elegant und schnell hin und her, während der Skorpionsschwanz und seine Scheren immer wieder versuchten, ihn zu erwischen. Dabei wurde eine ganze Menge Sand aufgewirbelt, der es mir schwierig machte, zu sehen. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl, Asher zwischen dem Sand zu spüren.
Mein Herz klopfte, während meine Finger kribbelten. Ihm zuzusehen, wie er gegen das Wesen kämpfte, erinnerte mich an die Reisen in meiner Kindheit. Als ich mit meinem Vater die Welt erkundet hatte und er mir das Kämpfen lehrte.
Bevor ich es selbst bemerkte, tastete ich an meiner Hüfte nach meiner kleinen Axt, die ich schon Jahre nicht mehr trug. Trotzdem ging die Hitze von Ashers Kampf auf mich über. Ich wollte mich bewegen. Wollte mit dem Skorpion tanzen, wie es Asher tat.
Der Schwanz streifte seine Wange, was mich scharf die Luft einziehen ließ. Ich verstand es nicht. Er war doch viel schneller. Warum hatte er sich treffen lassen? Wurde er vielleicht müde? Nein. So sah er nicht aus. Ich konnte das Blut riechen. Der metallene Duft schärfte meine Sinne noch mehr, doch ich zwang mich dazu, sitzen zu bleiben.
Erneut wurde Asher gestreift. Dieses Mal am Arm.




Warum wich er nur aus? Wollte er den Skorpion etwa nicht besiegen? Machte er das mit Absicht?
Asher wich erneut nur knapp aus und verließ den Schutz des Sandes. Jetzt erkannte ich das Lächeln auf seinen Lippen.
Er hatte Spaß!
Dieser Verdammte …
Wie konnte er Spaß haben, während alle sich um ihn sorgten?
Zahira zeigte es zwar nicht, doch immer wenn ich zu ihr schielte, ballte sie die Fäuste und beobachtete ihren Sohn.
»Wird er es schaffen?«, flüsterte einer der Männer, die uns begleiteten. »Er ist zwar ein Alpha, aber das ist ein ziemlich großer Wüstenskorpion.«
»Ja, ich habe gehört, dass selbst Alphas im Kampf gegen sie Probleme bekommen können«, erwiderte ein anderer flüsternd.
Ich fragte mich, ob das stimmte.
Vielleicht hatten Alphas, die vom Betarang aufgestiegen waren, Probleme mit ihnen, aber einen geborenen Alpha sollte dieser Skorpion kaum überwältigen können.
Ich konzentrierte mich wieder auf Asher, der plötzlich vom Ausweichen in den Angriff überging.
Mit einer Kraft, die ich ihm wirklich nicht zugetraut hätte, drückte er sich vom Boden ab. Trotz des rutschigen Sandes gelang es ihm, mehrere Meter hoch zu springen. So hoch, dass er über den Skorpion war und mich das Licht der Sonne blendete.
Ich verlor ihn aus den Augen. Trotzdem spürte ich, wie er auf den Skorpion niedersauste und ihn in Grund und Boden rammte. Selbst der Sand unter uns vibrierte bei seinem Angriff. Wind schlug mir entgegen und brachte den Sand mit, sodass ich mein Gesicht abwenden und mit dem Schleier schützen musste.
Raunen ging durch die Karawane, bevor Jubel ausbrach. »Mit einem einzigen Schlag«, hörte ich jemanden schrien und andere stimmten begeistert zu.
Sie interessierten mich jedoch nicht. Ich blickte wieder zu Asher und versuchte etwas zu erkennen.
Er kam durch den Sand gelaufen, der sich langsam wieder legte. Entspannt, fast ruhig und mit einem Lächeln, das ich nicht beschreiben konnte. Siegessicher, fast hochmütig? Ich wusste es nicht, doch es löste einen angenehmen Schauer bei mir aus.
Asher war wirklich stark. Viel stärker, als er bisher gewirkt hatte.

 

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