Mirani-Kapitel 28

~Asher~

Es machte mich wahnsinnig, wie meine Brüder mit Mirani umgingen, aber auch wie wenig es Mutter interessierte.
Vielleicht war Mirani eine Omega, doch sie hatte Verbindungen. Das allein sollte Mutter doch klar sein!
»Hast du verstanden, Asher?«, fragte Vater mit schneidender Stimme.
Ich hatte ehrlich gesagt nicht zugehört und nickte lediglich. Es war sicherlich nur wieder sein typischer Spruch, dass ich Rashid nicht widersprechen sollte, weil er der nächste Alpha war.
Ich wartete nur darauf, dass er das Amt übernahm und ich endlich diese Familie verlassen konnte.
Ein leichtes Zupfen an meiner Robe ließ mich nach hinten sehen. Mirani saß noch immer auf der Bank und blickte zu mir auf. »Würdest du mit mir nach draußen gehen? Ich möchte etwas frische Luft schnappen«, sagte sie vorsichtig. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich sie noch immer von meiner Familie abschirmte. Allerdings reichte das offensichtlich nicht. Die Auren im Raum mussten sie sehr mitnehmen. Warum sonst sollte sie noch immer sitzen?
Rashid und Nael waren zum Glück wieder bei den Basrams und Samir kam nun langsam auf uns zu. Er blickte mich fragend an, doch ich schüttelte leicht den Kopf. Er war zwar keine Gefahr für sie, doch ich wollte nicht, dass sie sich noch unwohler fühlte. Ihre Frage zeigte mir, dass sie Abstand brauchte.
»Ich bring dich hinaus. Die Luft ist aber nicht unbedingt frischer«, bemerkte ich, als ich wieder zu Mirani sah.
Diese erhob sich und lächelte leicht. Sie wirkte nicht ansatzweise so zittrig, wie ich erwartet hatte. »Das ist nicht so wichtig«, flüsterte sie. Also wollte sie tatsächlich Ruhe.
Ich verstand sie sehr gut, weshalb ich diese Einladung gern annahm.
Mit Mirani zusammen, verließ ich das Abendessen, das noch nicht einmal begonnen hatte. Ich hörte Miranis Magen knurren und verdrehte innerlich die Augen. Vielleicht hatten wir Glück und konnten endlich essen, wenn wir zurückkehrten.
Ich führte Mirani in einen Innenhof, der so großzügig angelegt war, wie die anderen, doch eher selten genutzt wurde.
An den Rändern spendeten die Palmen Schatten und überall gab es kleine, künstlich angelegte Flussläufe, die für etwas Frische sorgten.
Der Duft der Wüstenlilien war stark und für mich viel zu süß, doch Mirani atmete tief ein und lächelte.




Ich führte sie weiter, sodass wir uns am Ende am Wasser niederließen. Sie streckte ihre Hand aus und fuhr durch dieses. Dabei lächelte sie sanft, fast ein wenig abwesend, als würde es sie an etwas erinnern.
»Tut mir leid, dass du dir das mitansehen musstest«, seufzte ich, denn für sie musste es besonders schlimm gewesen sein. Ich hätte mich besser unter Kontrolle halten sollen, damit meine Aura sie nicht zu sehr erdrückte.
Mirani zog die Hand aus dem Wasser, blickte zu mir und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht deine Schuld. Du hast nichts falsch gemacht«, sagte sie, was mich überraschte.
Mein Herz klopfte und Wärme breitete sich bei ihren Worten in mir aus. Noch nie hatte jemand die Schuld nicht bei mir gesehen.
»Nael ist sehr … aufdringlich? Und respektlos. War das schon immer so?«, fragte sie, wobei ihre silbernen Augen mich eingängig musterten.
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung, denn ich wollte sie nicht beunruhigen. »Dadurch, dass ich als Alpha geboren wurde und nie einen Aufstieg hatte, scheint er mich nicht als Alpha zu akzeptieren«, erklärte ich, auch wenn ich eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen. So viel zum Thema sie nicht beunruhigen.
Mirani musterte mich von oben bis unten und legte dann den Kopf schief. »Dann ist deine Alpha-Gabe noch nicht erwacht?«, fragte sie, als müsste ich wissen, was sie meinte.
»Alpha-Gabe?«, fragte ich, da ich ihr nicht ganz folgen konnte. Was meinte sie denn damit?
»Meine Mutter ist auch eine geborene Alpha, und sie meinte, ihre Alpha-Gabe ist auch erst sehr spät erwacht, ich denke also, dass es normal ist«, erwiderte Mirani mit einem beruhigenden Lächeln.
Ich wusste nicht, warum, doch ihre Gegenwart ließ mich ruhiger werden. Seitdem ich wieder zuhause war, war die Spannung fast greifbar, doch ich hatte es irgendwie geschafft, nicht zu flüchten und mir eine Frau zu suchen, mit der ich die Nacht verbringen konnte. Und das alles nur, weil ich mir wirklich Sorgen um Mirani machte. Ich wollte sie unter keinen Umständen mit meiner Familie allein lassen.
»Das … beantwortet meine Frage nicht«, erwiderte ich, in der Hoffnung, sie würde es erklären.
Allerdings ließ mich allein die Tatsache, dass ihre Mutter, die als eine der mächtigsten Alphas galt, als Alpha geboren war, ruhiger werden. Bei uns war das nicht normal. Ich war nicht normal. Bei Mirani klang es jedoch so, als wäre es völlig in Ordnung.




»Oh«, gab sie von sich und lächelte entschuldigend. »Eine Alpha-Gabe kann ganz unterschiedlich sein und wird normalerweise in der Familie vererbt. Aber nur geborene Alphas bekommen diese, während nicht geborene Alphas von einem Beta zum Alpha aufsteigen. Bei einem geborenen Alpha gibt es diesen Machtanstieg jedoch auch. Allerdings gipfelt er in einer Alpha-Gabe.«
Ihre Worte klangen logisch, doch ich hörte das erste Mal davon.
Konnte ich ihr glauben? Sollte ich weitere Fragen stellen, um herauszufinden, ob sie sich in Widersprüche verwickelte?
»Kannst du mir sagen, was deine Mutter für eine Alpha-Gabe besitzt?«, fragte ich, rechnete aber nicht wirklich mit einer Antwort. Vermutlich war es geheim.
Mirani machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. »Es ist schon lange her, dass sie diese genutzt hat, also sollte es kein Problem sein, es zu verraten«, bemerkte sie, klang aber unsicher. Fast so, als würde sie abwägen, ob sie etwas Derartiges offenbaren sollte. »Mutter besitzt die Gabe des Nebels«, sagte sie schließlich, was mich die Stirn runzeln ließ.
Nebel.
Der Nebel, der über den Aethelhain-Inseln lag? Wie war das möglich?
Aber das würde erklären, warum ich mich die ganze Zeit beobachtet gefühlt hatte.
»Was kann sie damit?«, fragte ich. Wenn sie schon mit mir darüber sprach, wollte ich es ausnutzen. Ich würde jedoch auch verstehen, wenn sie nichts weiter verriet. Immerhin gehörte ich zu einem anderen Clan und konnte dieses Wissen gegen sie verwenden.
Mirani machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mutter kann damit innerhalb des Nebels bestimmen, wo jemand ist und wie groß dessen Kräfte sind«, erklärte sie und grinste dann plötzlich.
Diese einfache Geste ließ Feuer durch meinen Körper wandern und löste in mir das Gefühl aus, diese Lippen küssen zu wollen.
Himmel, was war nur mit mir los?
Ja, sie war eine schöne Frau, doch noch nie hatte ich derart heftig reagiert.
Ich rieb mir den Nacken, weil es mir schwerfiel, mich zu konzentrieren. Dabei war das Thema wichtig. »Wir sollten wieder reingehen. Sicherlich ist das Essen fertig«, bemerkte ich, denn wenn ich jetzt nichts unternahm, würde ich Dinge tun, die ich mir vermutlich nicht verzeihen würde. Auch, wenn ich bei anderen Frauen nicht mehr als eine einfache Einladung brauchte, hatte ich diese Grenze doch noch nie überschritten. Und da Mirani eine Omega war, machte ich mir noch mehr Sorgen. Ich wollte sie nicht verletzen.



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