Mirani-Kapitel 31


~Mirani~
Erschöpft, aber glücklich, schmiegte ich mich an Asher.
Er lag auf dem Rücken, hatte seine Augen geschlossen, schlief aber nicht. Seine Finger strichen sanft über meinen Rücken, während er mich im Arm hielt.
Ich spürte innere Ruhe, obwohl mein Herz vor einigen Momenten noch geschlagen hatte, als würde es gleich herausspringen wollen.
Wie konnte ein Kuss nur so gut sein? Ich hatte mir immer vorgestellt, wie es sein würde, doch das hatte ich nicht erwartet.
Erneut fuhr ich mit meinen Fingern über meine leicht geschwollenen Lippen. Ich schmeckte Asher noch immer, was mich strahlen ließ.
»War das dein erster Kuss?«, fragte Asher plötzlich.
Röte schoss mir ins Gesicht und ich vergrub mein Gesicht peinlich berührt an seiner Brust. Für mein Alter war das wirklich nicht angemessen. Ich sollte in dieser Beziehung diejenige mit der Erfahrung sein. Nur stimmte das nicht, wenn es um Beziehungen ging.
»War das so offensichtlich?«, flüsterte ich, obwohl ich meiner Stimme nicht ganz traute.
Asher lachte leise. »Es war süß, wie schüchtern du ihn erwidert hast«, sagte er mit neckender Stimme.
Ich war froh, dass ich ihn abgelenkt hatte, doch gleichzeitig fragte ich mich, ob ich nicht doch zu übermütig geworden war. Hätte ich den Kuss nicht erwidern sollen? Aber es hatte sich richtig angefühlt.
Allerdings wusste ich jetzt nicht, ob er mehr wollte. Konnte ich ihm das geben? Wollte ich es?
Mein Herz schlug bei der Vorstellung schneller und Hitze schoss durch meinen Körper.
Mir wurde klar, dass ich seine Lippen nicht nur auf meinen, sondern auf meinem ganzen Körper spüren wollte.
»Es hat sich richtig angefühlt«, murmelte ich peinlich berührt.
Ashers Hand wanderte zu meinem Kopf und dort fuhr er mir durch die Haare. Es kitzelte etwas, fühlte sich aber gut an.
»Der Tag war anstrengend«, bemerkte Asher leise und küsste meine Stirn.
Ein Kribbeln ging von dieser Stelle aus und sorgte dafür, dass sich mein Körper auf mehr einstellte, doch es geschah nichts. Asher blieb ruhig liegen, als wäre er nichts weiter als mein Kissen.
Sollte ich vielleicht die Initiative ergreifen? Vielleicht wollte er auch gar nicht mehr mit mir machen.
Ich hatte keine Ahnung, was angebracht war und was nicht.
Was sollte ich nur tun?
»Tut mir leid, dass ich so einen Aufstand gemacht habe«, murmelte ich.
Dass ich Nael geschlagen hatte, tat mir nicht leid. Ich würde es wieder tun. Er hatte Asher so viel Leid verursacht und doch … Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Asher trotzdem noch immer versuchte, seinen Bruder zu erreichen.
Er hatte so ein gutes Herz. Ein Herz, das tiefe Narben aufwies.
Erneut ließ sein Lachen seinen Körper vibrieren. »Ich bin dir dankbar, dass du für mich eingeschritten bist«, sagte er und kraulte meinen Nacken. Eine Geste, die mich müde machte und meinen Körper entspannte. »Und zu sehen, wie Nael von den Beinen gerissen wird und zu Boden geht … ich kann nicht leugnen, dass ich Genugtuung verspürt habe.«
Das war beruhigend. Ich hatte nicht vor, ihm weiteren Ärger zu machen. Seine Familie überschritt mit ihrer Arroganz allerdings Grenzen. Ich würde Mutter davon erzählen müssen.
Ich hörte Ashers Stimme, die immer leiser wurde, während seine Berührung mich in den Schlaf wiegte.
Obwohl ich gehofft hatte, dass Ashers Gegenwart reichte, um mich zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass die Erinnerungen mich nicht in meinen Träumen heimsuchten, fand ich mich doch schon bald zwischen den Bildern gefangen, die Nael mir übermittelt hatte.
Gegenstände zu berühren war eine andere Sache. Dort konnte ich chronologisch zurückgehen, doch bei Lebewesen waren Emotionen im Spiel. Diese beeinflussten, welche Erinnerungen als erstes auf mich einschlugen und in Naels Fall war das eines der grausamen Dinge, die er getan hatte.
Ich hasste es, in Naels Körper zu stecken und seine Eifersucht zu spüren, die ständig in Wut überging, während er Asher beobachtete und ihm gleichzeitig den liebevollen, kleinen Bruder vorspielte.
Er stand am Fenster, blickte hinaus und beobachtete, wie Asher mit Amira, seiner Verlobten, durch die Innenhöfe streifte.
Es war eine arrangierte Verlobung, doch ich konnte erkennen, wie Asher Amira ansah.
Auch Nael sah es. Nur sah dieser auch, dass Amira seine Gefühle nicht auf gleiche Weise erwiderte.
In dem Moment, in dem Nael entschied, dass sie die perfekte Gelegenheit war, um Asher zu schaden, spürte ich unbändige Wut und Abscheu in mir aufsteigen, doch da es Naels Erinnerungen waren, war da auch ein Gefühl von Vorfreude und Schadenfreude.
Mir war noch immer schleierhaft, warum Nael das getan hatte und wieso Amira einen so guten Mann wie Asher für einen heimtückischen, schmierigen Schleimbolzen wie Nael verlassen hatte.
Ein paar süße Worte von Nael, Versprechen auf Geld und die Erinnerung daran, dass Asher einen schwierigen Stand in der Familie hatte, hatten gereicht.
Amira war vermutlich genauso einfältig wie Nael.
Ich wollte nicht noch einmal sehen, wie Nael Amira zu sich lockte, sie mit ihren Worten verzauberte und sich an dem Anblick eines völlig verzweifelten Ashers erfreute.
Als sich Nael vom Fenster löste, begann sich plötzlich die Umgebung zu ändern.
Ich war nicht mehr in seinen Erinnerungen, sondern in einem Traum. Und Träume folgten keiner Logik. Etwas, das mir jetzt gerade recht kam.
Die sandige Dämmerwüste wurde zu einem Gebirge aus grauem Stein. Kalter Wind fuhr mir durch die Haare und ich fand mich im nächsten Moment im Körper meines jungen Ichs wieder.
Vor mir stand ein Mann, den ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte, dass es mir Tränen in die Augen trieb.
Das lange, weiße Haar war zu einem festen Zopf gebunden und der Bart nur ein kleiner Ansatz an seinem Kinn. An seiner Hüfte hing eine große Streitaxt, die so bezeichnend für ihn war, dass sie selbst in meinen Träumen klar zu erkennen war.
Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was für ein Traum das war.
Vater ging vor mir in die Hocke und fuhr mir durch die Haare. »Das ist eine schwierige Frage«, sagte er.
Das war einer der seltenen Momente, in denen wir über Mutter sprachen. Die Liebe in seiner Stimme war deutlich zu hören und in seinen Augen zu sehen. Er liebte sie sehr. Ob das noch immer so war?
Allerdings erinnerte ich mich daran, dass Mutter nicht das Thema des Gesprächs war. Es waren Seelenpartner. Damals dachte ich noch, dass Mutter und Vater das waren, doch dann wäre er zurückgekommen, oder?
»Lass es mich so formulieren«, sagte Vater schließlich und musterte mich eingängig. »Du wirst für diese Person Dinge tun, die du niemals für andere tun würdest. Egal wie sehr sie vielleicht gegen deine Natur gehen, es wird sich richtig anfühlen.«
Genau das war es, was ich in Ashers Nähe fühlte. Es fühlte sich richtig an.
Hieß das, er war mein Seelenpartner? Gab es so etwas wirklich?
Obwohl das hier nur ein Traum, oder eher eine Erinnerung an ein lang vergangenes Ereignis war, hoffte ich doch, dass in den Worten meines Vaters etwas Wahres lag. Allein der Gedanke sorgte dafür, dass mir ganz warm ums Herz wurde.



























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