Mirani-Kapitel 37

~Asher~

Miranis Gabe war wirklich eine große Hilfe. Obwohl ich wusste, wo die Handelsroute in etwa entlang verlief, war es doch ihr zu verdanken, dass wir schließlich bei einem großen Steinbrocken ankamen, der als Rastpunkt für die Händler dieser Route galt. Hier erhofften wir uns weitere Hinweise, auch wenn die Nacht, die sich über die Wüste legte, nicht gerade hilfreich war.
Der Mond sorgte jedoch dafür, dass wir trotzdem noch gut sehen konnten. Ein normaler Mensch hätte nichts mehr gesehen und vermutlich auch ein Omega nicht. Da ich aber mittlerweile schon lange die Vermutung hatte, dass Mirani das nicht war, war ich auch nicht verwundert, als sie sich sicher durch den Sand bewegte und den großen Felsen musterte.
Es würde trotzdem nicht leicht werden, nach weiteren Hinweisen zu suchen.
Darum ließ ich Mirani erst einmal machen, während ich mir den Sand genau betrachtete. Es gab kleine Mulden, in denen Krüge mit Wasser vergraben waren. Hier war regelmäßig viel los, sodass es mich nicht wunderte, dass einige Mulden leer waren. Ansonsten deutete aber nichts darauf hin, dass hier etwas vorgefallen war. Allerdings war der Sand auch bekannt dafür, die Spuren einfach zu verschlingen. Ich konnte nicht einmal sagen, wann hier das letzte Mal eine Karawane vorbeigekommen war. Es musste jedoch erst vor kurzem gewesen sein.
»Sie haben nicht hier Rast gemacht«, bemerkte Mirani, die sich vom Felsen löste und den Atem ausstieß.
Als sie einen Schritt in meine Richtung machte und im nächsten Moment ihre Beine wegbrachen, war ich sofort bei ihr. Ihr Körper zitterte und ich fragte mich, was sie gesehen hatte.
»Was ist?«, fragte ich sofort, denn dieses Mal lehnte sie mit all ihrem Gewicht an mir.
»Ich weiß nicht«, murmelte sie und rieb sich die Schläfen. Außerdem zitterte sie noch immer. »Die Bilder waren ganz normal. Nichts … Gefährliches … Böses, aber … Es fühlt sich an, als würde etwas durch die Wüste streifen, das ich nicht einordnen kann«, flüsterte sie und erschauderte.
Ich versteifte mich, während ich mit ihr vorsichtig zu Boden ging. »Trink etwas«, sagte ich und hielt ihr den Trinkschlauch an die Lippen, den ich an meinem Gürtel trug. Wir waren tief genug in die Wüste gegangen, um nicht unvorsichtig sein zu dürfen.




Außerdem konnte ich ihr nicht anders helfen. Ich wusste nicht, was sie gesehen hatte, oder woher das Gefühl kam, dass etwas Gefährliches in der Wüste lauerte.
Es gab hier sehr viele Tiere wie den Wüstenskorpion. Sie alle konnten gefährlich sein, doch ich wusste instinktiv, dass sie nicht von einer solchen Gefahr sprach.
Vorsichtig trank Mirani einige Schlucke, doch ich konnte nicht sagen, dass es ihr wirklich half. Stattdessen hatte ich eher das Gefühl, dass ihr Atem schwerer wurde. Außerdem rieb sie sich die ganze Zeit das Gesicht, die Nasenwurzel oder die Schläfen, als hätte sie Schmerzen.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte ich, denn mehr als sie zu halten und mich mit ihr auszuruhen, fiel mir nicht ein.
Mirani nahm die Hand von ihrem Gesicht und lächelte. »Du könntest versuchen, ob deine Gabe dich vielleicht mit der Wüste verbindet«, sagte sie, was mich zuerst sprachlos machte.
Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass sie hier und jetzt damit anfing. Sie hatte zwar gesagt, dass sie mir bei meiner Alpha-Gabe helfen wollte, doch war jetzt der richtige Moment?
Ich blickte sie fragend an, doch Mirani gab mir nicht das Gefühl, sie hätte gescherzt. Also stieß ich die Luft aus. »Kannst du mir erklären, was ich machen muss?«, fragte ich, auch wenn ich nicht davon ausging, dass es wirklich etwas brachte. Warum sollte ich eine Verbindung zur Wüste haben? Oder war es das, was eine Alpha-Gabe ausmachte? Miranis Mutter war durch den Nebel mit den Inseln verbunden. Vielleicht war es bei mir ähnlich. Sand würde immerhin zu meinem Rudel passen. Ich hatte mich auch schon immer gefragt, woher die Namen der Rudel überhaupt kamen.
Mirani machte ein nachdenkliches Geräusch. »Am besten du legst deine Hand auf die Wüste, schließt deine Augen und … konzentrierst dich«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Versuch zu spüren, wie sich der Boden unter deinen Händen anfühlt und erklär mir, was du spürst.«
Ich hätte mir eine weniger kryptische Erklärung gewünscht, aber vermutlich war das auch nicht so einfach. Mirani gehörte nicht zu meinem Rudel und bei uns wusste niemand mehr von einer Alpha-Gabe. Darum gab es auch keine Hinweise darauf, um was es sich handelte.




Leider hatte ich auch keine weiteren Vergleiche, damit ich einschätzen konnte, was üblich war. Mirani hatte von keinem weiteren geborenen Alpha oder dessen Gabe gesprochen. Nur von ihrer Mutter.
»Gibt es eigentlich noch andere geborene Alphas?«, fragte ich, als ich meine Hand in den Sand grub. Dabei hielt ich Mirani jedoch noch immer an mich gedrückt.
»Sicherlich«, erwiderte Mirani, klang aber eine Spur zu ausweichend. Mir wurde sofort klar, dass sie nicht darüber sprechen wollte, wenn sie denn überhaupt etwas wusste.
Das war frustrierend, aber ich konnte sie nicht zwingen. Es reichte schon, dass sie mir überhaupt half.
»Wieso glaubst du, dass ich eine Verbindung zum Sand haben könnte?«, wollte ich wissen. Bis auf die normale Körnigkeit und die Kühle, die durch die Nacht mit sich kam, spürte ich nichts.
»Auf der Reise hierher hast du den Skorpion gefühlt, bevor alle anderen ihn überhaupt wahrgenommen haben. Er war nicht zu spüren«, erklärte sie. Ihre Worte ließen mich die Stirn runzeln.
Wie kam sie auf die Idee, dass sie ihn hätte spüren müssen? Ich wusste, dass normalerweise nur Wölfe im Betarang etwas Derartiges konnten.
Das war schon wieder ein Hinweis. Machte sie das mit Absicht?
Ich entschied mich dazu, erst einmal das Thema ruhen zu lassen und mich stattdessen zu konzentrieren.
Den Skorpion hatte ich gespürt, weil sich der Boden unter uns seltsam bewegt hatte. Auch hatte ich seine Aura gespürt. Nur wenn ich nicht wusste, nach was ich Ausschau halten sollte, wie sollte ich dann …
Etwas stimmte nicht. Da war ein Gefühl, das meine Finger schmerzen ließ. Nicht die Kälte des Sandes, sondern eine schneidende Kälte, die mir einen Schauer über den Rücken wandern ließ.
Ich zog die Finger nicht zurück, obwohl mich der Impuls dazu packte. Stattdessen drückte ich sie tiefer in den Sand und ließ die feinen Körner durch meine Hand rieseln.
Der Skorpion hatte den Boden zum Brummen gebracht. Wie ein unterirdisches Herz. Nicht laut, aber offensichtlich. Aber das hier … es war … anders.
Kein Zittern. Kein Dröhnen. Stattdessen ein leises Vibrieren. Fast wie die Ruhe vor dem Sturm.
Ein Sturm, der nur Tod mit sich bringen konnte.
Ich zog meine Hand langsam wieder zurück.




Mirani hatte recht. Ich hatte den Skorpion gespürt, doch immer geglaubt, dass es normal für einen Alpha war. Doch das war es nicht, das wurde mir jetzt klar.
Als ich Mirani ansah, bemerkte ich, dass sie mich genau beobachtet hatte. Auf ihren Lippen ein leichtes Lächeln.
»Und?«, fragte sie aufgeregt.
Ihre Augen funkelten. Auch, wenn ich mein eigenes Herz klopfen spürte, hatte ich doch das Gefühl, dass Mirani selbst aufgeregter war, als ich.
»Ich konnte es spüren. Das, was du meinst. Etwas Kaltes, Dunkles, das unter dem Sand lauert«, erklärte ich mit ruhiger Stimme. Als wäre alles normal. Dabei erschreckte es mich selbst, wie einfach es doch gewesen war.
Mirani runzelte die Stirn. »Das … hab ich nicht erwartet. Aber ist doch gut, oder?«, fragte sie, was nun mich dazu veranlasste, die Augen zusammenzukneifen.
»Was hast du denn erwartet?«, fragte ich, denn sie war es doch, die gemeint hatte, dass der Skorpion sie auf die Idee gebracht hatte.
Mirani zuckte die Schultern. »Ich dachte, du könntest den Sand vielleicht kontrollieren. Aber das passiert vielleicht, wenn deine Gabe erwacht.«
Diese Aussage ließ mich erneut darüber nachdenken, ob sie wohl aus Erfahrung sprach. Irgendwann wollte ich sie fragen, wie das bei ihr gewesen war, doch heute hatten wir leider noch zu viel zu erledigen.
»Danke für deine Erklärungen«, sagte ich, bevor ich mich wieder erhob. »Du hattest vorhin gesagt, dass Beidous Karawane nicht hier gerastet hatte. Wo waren sie?«, fragte ich. Es wurde langsam spät und ich wollte nicht, dass wir zu lange hier bleiben. Niemand konnte sagen, was genau ich gespürt hatte. Vielleicht waren wir hier in Gefahr.
Mirani musterte mich kurz. »Ich führe dich hin«, sagte sie, bevor sie sich langsam von mir löste und loslief.
Ich konnte nicht genau sagen, woran sie sich orientierte, doch so selbstsicher wie sie lief, folgte sie einer Route.
Schließlich führte sie uns zu einem weiteren Stein, der abseits aus dem Sand ragte. Ich kannte ihn nicht. Er war also kein Orientierungsstein. Warum sollte Beidou hier Halt gemacht haben? Hatte er sich vielleicht mit einem anderen Händler unterhalten oder Geschäfte gemacht?
Mir ging einiges durch den Kopf, während ich die Umgebung betrachtete.




Mit den Füßen fuhr ich vorsichtig durch den Sand, um zu sehen, was dieser verweht hatte. Vielleicht gab es Anzeichen darauf, ob sie hier Pause gemacht hatten.
»Uff«, stieß Mirani hervor, die am Boden hockte.
Ich trat auf sie zu und entdeckte Knochen, die sie aus dem Sand gegraben hatte.
»Lass mich das machen«, murmelte ich, zog sie weg und sah mir die Sache genauer an.
Der Sand und die Hitze hatten eindeutig ihre Spuren hinterlassen, doch ich erkannte trotzdem die Knochen eines Kamels.
Es beruhigte mich, denn im ersten Moment hatte ich geglaubt, die Überreste der Karawane zu finden.
Knochen eines Tieres waren in der Wüste jedoch keine Seltenheit und ich war den Anblick gewohnt.
Es kam oft vor, dass man auf der Reise Überreste der Beute eines Sandlöwen oder Skorpions fand. Manchmal auch sie, wenn sie sich gegeneinander gewandt hatten.
Als ich jedoch damit begann, den Sand zur Seite zu schieben, um die Knochen freizulegen, entdeckte ich Holzsplitter, Stoffreste und einen zersprungenen Krug. Das hier war nicht einfach nur ein totes Kamel. Es war das Kamel einer Karawane.
Ich fluchte, was dazu führte, dass Mirani mich fragend ansah. »Ich glaube, wir haben die Karawane gefunden«, bemerkte ich widerwillig. Aber wenn Beidou hier in der Wüste gestorben war, wie kam sein Körper dann an das andere Ende? Was war zwischen dem Unglück hier und den Leichenfunden vor ein paar Tagen gefunden?
»Lass mich«, sagte Mirani, die jedoch zögerlich hinter mir stand. Es klang fast so, als würde sie nach meiner Erlaubnis fragen, was mich nervös machte. Ich wollte nicht, dass sie diese Knochen oder auch nur das kaputte Wagenrad berührte, doch wie sollten wir sonst herausfinden, was diese Karawane so zugerichtet hatte?
»Ganz sicher?«, fragte ich, um ihr zu verdeutlichen, dass sie es nicht musste. Mutter konnte sich auch bemühen und ein wenig arbeiten. Erst, wenn diese nichts fand, brauchten wir Mirani. Oder aber wir nahmen die Abkürzung. Wenn es ihr nicht nur jedes Mal so zusetzen würde …
»Uns bleibt nichts anderes übrig«, behauptete sie, was mich leise seufzen ließ.
»In Ordnung. Bitte sei vorsichtig«, bat ich.
Mittlerweile hasste ich es, wenn sie ihre Gabe nutzte. Es ließ mich auf eine Art hilflos zurück, die mir nicht gefiel.




Der Wunsch, sie zu beschützen, zerriss mich fast, als ich zusah, wie sie sich hinhockte und ihre Finger ausstreckte.
Kaum hatte sie die blassen Knochen berührt, verließ ein Keuchen ihre Lippen.
Entsetzt sah ich zu, wie sie ihre Augen verdrehte und dann zusammensackte. Sofort war ich bei ihr, um sie zu halten, während sich Wut in mir breit machte. Schon wieder hatte ich nicht helfen können!

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