Mirani-Kapitel 40

~Rashid~

Als ich in den Versammlungsraum trat, waren Asher und Mirani schon da.
Ihre Kleidung war voller Sand, was mich die Nase rümpfen ließ. War es wirklich so wichtig, dass sie nicht einmal in der Lage gewesen waren, sich vorher zu waschen? Wie unhöflich.
Mein Blick glitt zu Mutter und Vater. Nael war jedoch nicht da, was mich nicht wunderte. Wer wusste schon, wo der sich wieder herumtrieb.
Was mir jedoch Sorge machte, war Vaters ernstes Gesicht.
»Setz dich«, wies er mich an, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Noch war er der Alpha unseres Rudels, und seiner Aura konnte ich noch immer nicht ganz widerstehen.
Kaum hatte ich mich niedergelassen, nickte Vater Mutter zu. Fast so, als würde er selbst nicht mit Asher oder Mirani sprechen wollen. Ich verstand es irgendwie. Mich machte schon die bloße Anwesenheit beider nervös.
»Ihr könnt anfangen«, sagte Mutter. Sie wirkte angespannt, während Asher und Mirani eher müde aussahen.
Asher fuhr sich durch die Haare und verteilte den Sand im Raum, was mich die Nase erneut rümpfen ließ. »Es ist ein wenig kompliziert. Wir haben die Überreste der Karawane an einer seltsamen Stelle in der Nähe eines Raststeins gefunden«, erklärte er. Ich hätte mir etwas weniger Kryptisches gewünscht, aber vermutlich versuchte er es nur unnötig spannend zu machen.
»Keine Leichen. Nur ein Kamel und die Reste der Karawane«, sagte er, was mich die Stirn runzeln ließ.
»Und woher wisst ihr dann, dass es sich um die vermisste Karawane von Beidou handelt?«, fragte ich, denn das ergab für mich keinen Sinn. Wenn sie nichts gefunden hatten, was darauf hindeutete, wieso glaubten sie dann, dass es Beidous Leute waren und nicht einfach nur ein Angriff eines Wüstenlöwens ein Kamel samt Karren weggezerrt hatte?
»Wir sind den Spuren aus seinem Lagerhaus gefolgt«, erklärte Mirani. Ihre Stimme klang belegt und generell wirkte sie erschöpft. Was mich seltsamerweise mit Genugtuung erfüllte. Sie war vielleicht doch nicht so stark, wie ich geglaubt hatte, und spielte alles nur vor.
»Gibt es sonst noch etwas?«, fragte Vater, der scheinbar genauso ungeduldig war, wie ich.
Ashers Blick wurde für einen Moment seltsam. Fast so als würde er Vater anklagend ansehen, weil dieser sie unterbrochen hatte, doch dann war er wieder normal. Ausdruckslos und langweilig.




»Ich konnte herausfinden, dass die Karawane Opfer eines Rakshasa-Angriffs geworden ist«, sagte sie, was Mutter die Luft einziehen ließ.
Vater schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das ist unmöglich«, fuhr er sie an, sodass ich zuckte. Mirani verzog jedoch nicht einmal einen Mundwinkel.
»Ich kann nur weitergeben, was ich gesehen habe«, sagte sie und nahm Vaters Wut auf die leichte Schulter. War sie lebensmüde?
»Und wie erklärst du dir, dass der Wolf in der Hafenstadt gefunden wurde? Rakshasa hinterlassen Leichen nicht so«, behauptete er. Ich konnte ihm nur beipflichten, auch wenn ich nicht ganz verstand, warum er so wütend war.
Glaubte er, dass sie versuchte, uns in die Irre zu führen?
»Es waren nicht einfach nur Rakshasa«, bemerkte Mirani, die meinen Vater nachdenklich musterte. »Da war noch jemand bei ihnen. Jemand, der ihnen Befehle erteilt hat. Sie haben die Karawane lebend mitgenommen.«
Ich zog die Luft ein, weil ich die Worte gar nicht glauben konnte. Die Rakshasa nahmen Befehle entgegen, die sie sogar vom Töten abhielten? Wollte diese Frau uns eigentlich für Dumm verkaufen?
Vater schlug erneut auf den Tisch. Dieses Mal so stark, dass dieser unter der Wucht zerbrach.
Ich fuhr zusammen, da ich damit nicht gerechnet hatte, bemerkte aber voller Genugtuung, dass auch Mirani und Asher zuckten. »Das kann nicht sein. Verkauf uns nicht für Dumm«, schrie er, doch Mutter erhob sich und legte ihm mit einem beruhigenden Geräusch eine Hand auf die Schulter.
»Es ist besser, wenn ihr euch erst einmal waschen geht«, sagte sie an Mirani und Asher gewandt.
Kommentarlos erhoben sich beide, doch bevor Mirani den Raum verließ, blickte sie noch einmal zu uns. Fast so, als würde sie uns mustern wollen.
Als sie den Raum verlassen hatte, wandte ich mich zu Vater um und blickte ihn auffordernd an. »Willst du sie wirklich mit dieser Lüge davonkommen lassen?«, fragte ich mit geballten Fäusten. Es war ganz deutlich, dass sie uns verarschte. Warum ließ Vater sie dafür nicht bestrafen?
Vater stieß den Atem aus und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Dann sah ich, wie er sein Gesicht erschöpft in seinen Händen vergrub. Eine Geste, die dafür sorgte, dass ich mich sofort versteifte.




Was war mit ihm los? Warum reagierte er so.
Mutter stand hinter ihm und massierte seine Schultern, bevor sie sich zu seinem Ohr beugte.
Ich hörte nicht, was sie flüsterte, doch es sorgte dafür, dass er den Atem erneut ausstieß. Er wirkte erschöpft.
Schließlich hob er seine Hand und winkte Mutter weg. »Geh und sorge dafür, dass sie nicht noch mehr Unsinn machen«, murmelte er.
Mutters Gesichtsausdruck wurde ernst. »Und du kümmerst dich um die andere Sache«, sagte sie, wobei ihre Stimme keine Widerrede zuließ. So sprach sie sonst nie mit Vater, was mich nur noch nervöser machte.
Ich verstand nicht, warum er plötzlich so erschöpft war.
Als Mutter den Raum verließ, wollte ich ihr eigentlich folgen, denn ich rechnete mir mehr Erfolg aus, wenn ich sie fragte, doch Vater hielt mich auf. »Du kommst mit mir«, sagte er angespannt und erhob sich. »Es wird Zeit, dass du tiefer ins Familiengeschäft eingeführt wirst.«
Ein Gefühl der Vorfreude ergriff mich, auch wenn es nicht so recht zur Situation passte.
Die Vorstellung, dass er mir endlich alles zeigte, machte mich jedoch auch nervös. Der Kontext passte nicht, weshalb ich immer angespannter wurde, als ich Vater durch das Anwesen folgte.
Er schob in einem unbelebten Gang einen Wandteppich zur Seite und offenbarte einen geheimen Gang, der mir bisher verborgen geblieben war.
Es war ein langer Tunnel mit vielen, gleichen Wandteppichen.
Gezielt blieb er erneut stehen und öffnete eine weitere Tür.
Das ging so lange, dass ich irgendwann die Orientierung verlor und mich fragte, warum die Sicherheit der Türen immer höher wurde.
Nach gefühlten Stunden kamen wir endlich an unserem Ziel an.
Eine riesige Halle, die in Dunkelheit lag.
Wir standen scheinbar erhöht, denn links von mir ging eine Treppe nach unten.
Ich trat an das Geländer heran und blickte nach unten. Die Augen zusammengekniffen, um besser sehen zu können.
Dann bemerkte ich etwas, das mir den Atem raubte. Unter mir bewegte sich etwas. Es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
DAS war das Familiengeschäft? Kein Wunder, dass Vater so stark war!

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