Mirani-Kapitel 44

~Rashid~
Als Nolan neben mir aus den Schatten auftauchte, war ich nicht sonderlich überrascht. Er war ein sehr guter Spion und zuverlässig. Daher wandte ich mich ihm sofort zu. Was er wohl herausgefunden hatte?
Ohne auch nur eine Mine verziehen zu müssen, verstand er, was ich wollte.
Er verneigte sich leicht, bevor er begann, zu sprechen. »Mirani lebt auf der Hauptinsel der Aethelhain-Inseln. Abseits des Haupthauses. Dort schon seit vielen Jahren. Sie hat kaum Kontakt mit der Familie, auch wenn sie wirklich Maeves Tochter und Kaelens Schwester ist. Über ihren Vater konnte ich nichts herausfinden, aber das scheint normal für die Familie. Auch über Kaelens Vater gibt es nur wenige Hinweise«, erklärte Nolan mit ruhiger Stimme.
Ich nickte nachdenklich. Sie lebte also nicht bei der Hauptfamilie, aber nah genug, damit man sie kontrollieren konnte.
Wenn ich unsere Familie betrachte, ähnelte sie Asher. »Das heißt sie ist ausgestoßen?«, fragte ich nach, um mich dieser Sache noch einmal zu versichern.
»Es scheint so, auch wenn es niemals direkt erwähnt wird«, erwiderte Nolan, der etwas zögerlich klang.
Etwas lag ihm auf den Lippen, weshalb ich ihm leicht zuwinkte, damit er sprach. Er neigte dazu seine Vermutungen, die er nicht mit Fakten untermauern konnte, gar nicht erst auszusprechen, doch ich interessierte mich dafür.
»Es ist seltsam, dass man kaum etwas über ihre frühe Kindheit herausfindet. Ich kann nicht einmal ihr genaues Alter bestimmen«, erklärte er, wobei er unwillig die Lippen verzog.
Ich hob meine Augenbraue. »Das ist seltsam«, stimmte ich zu. Normalerweise sollte jede Geburt in einem Register eingetragen sein. Das war in jedem Clan so. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass es bei den Nebelweiss anders war. »Vielleicht wird sie unter dem Namen ihres Vaters geführt?«, schlug ich vor, denn dann würde es schwer sein, sie zu finden. Erst recht, wenn auch der Vater nicht bekannt war.
Nolan verneigte sich. »Wenn Ihr gestattet, würde ich diesem Verdacht sofort nachgehen«, sagte er, wartete jedoch auf meine Zustimmung.
Ich nickte lediglich und wandte mich dann ab. »Grabe tiefer«, forderte ich, denn ich wollte alles über Mirani wissen. Wie groß war die Gefahr, die von ihr ausging?
Eine seltsame Aura drang kitzelnd an meine Sinne. Sie legte sich drückend auf mich und ließ mich nach Atem ringen.
Sofort schlug mein Herz wilder. Ein Alpha, der sich dem Anwesen näherte?
Was für eine Macht! Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares gespürt.
War das Maeve, die nach Mirani sehen wollte?
Angst packte mich und ich stürmte sofort aus meinem Zimmer, um nachzusehen.
Wenn es Maeve war, würde sie dann derart in unser Anwesen einfallen?
Nein. Das konnte nicht sein.
Mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen, als ich die Tür nach draußen öffnete und hinab in den Innenhof blickte.
Die Tore wurden geöffnet. Fluchend fragte ich mich, was die Wachen taten, doch dann entdeckte ich Asher.
Seine Kleidung war zerfetzt und voller dunklem Blut. In seinen Armen hielt er Mirani, die genauso zugerichtet aussah.
Was ich aber am meisten schockte war die Tatsache, dass diese drückende Aura von ihm ausging.
Nein. Das konnte nicht sein! So stark war Asher nicht. Das musste ein Irrtum sein.
Mein Körper begann zu zittern, als er direkt auf mich zuhielt. Sein Blick traf meinen und das Atmen fiel mir unglaublich schwer.
Es war, als würde seine Aura mich umhüllen und jede meiner Bewegungen kontrollieren.
War das die Aura eines geborenen Alphas? Hatte Asher sie bisher versteckt? Aber wieso und wie?
Als er nur noch wenige Meter von mir entfernt war, öffnete er seinen Mund. Sein Blick noch immer direkt auf mich gerichtet. »Hol einen Arzt«, sagte er rau, wobei seine Stimme ein Zittern durch meinen Körper jagte. Ich spürte den Drang, kämpfte aber dagegen an.
Er sollte nicht glauben, dass er mich herumkommandieren konnte. Allerdings hatte ich nicht die Kraft, Widerworte zu geben.
»Sofort.«
Seine Stimme donnerte und langsam setzte ich mich in Bewegung. Es war, als würde mein Körper mir nicht mehr gehorchen. Was war nur hier los?
Mutter trat an mir vorbei und eilte auf Asher zu. Ein Lächeln auf ihren Lippen, während Vater bleich an mir vorbeisah.
»Was ist passiert?«, hörte ich Mutter fragen, doch mein Körper bewegte sich weiter, um der Aufgabe nachzukommen.
»Wir wurden von Rakshasa überfallen«, hörte ich Asher noch antworten, dann war er nicht mehr zu hören. Seine Aura begleitete mich jedoch, bis ich das Zimmer unseres Clanheilers erreicht hatte.
Ich konnte mir kaum Gedanken über etwas anderes machen. Nur meine Aufgabe war wichtig und so klopfte ich nicht einmal an. Stattdessen riss ich die Tür auf, was den alten Mann überrascht aufsehen ließ.
Sein faltiges Gesicht war blass und er schwitzte. Zudem zitterte er, was ich nicht sofort verstand. Dann wurde mir jedoch klar, dass er die Aura ebenfalls spüren konnte.
»Werden wir angegriffen?«, fragte er und stützte sich schwer auf seinen Gehstock.
»Nein. Asher braucht dich«, knurrte ich frustriert darüber, dass ich diesem blöden Befehl wirklich Folge geleistet hatte. Das würde Asher büßen!
Erleichterung wanderte über Mohameds Gesicht, bevor er auf mich zu humpelte. Wäre er nicht so ein brillanter Heiler, wäre er schon längst nicht mehr hier. Dazu mochte er Asher viel zu sehr.
»Was ist passiert?«, fragte er, als er an mir vorbei humpelte.
Ich folgte ihm widerwillig. Eigentlich wollte ich nicht, doch ich hatte das Gefühl noch immer unter Ashers Aura zu stehen. Sie umhüllte das gesamte Anwesen. Ich wollte, dass er verschwand!
Als wir in den Gang traten, entdeckte ich Mutter und Vater, die Asher zu dessen Gemach folgten.
Mohamed zog den Atem ein, bevor er schneller wurde.
Gemeinsam traten wir ein und der Heiler eilte sofort auf Mirani zu, die von Asher sanft aufs Bett gelegt wurde.
Ich konnte nur die Nase rümpfen. Wer würde schon so ein dreckiges Wesen auf sein Bett legen?
»Ach du Schreck. Ach du Schreck«, murmelte Mohamad vor sich her und deutete uns an, zu gehen.
Während Mutter und Vater das Zimmer verließen, hatte ich das Gefühl, es nicht zu können. Erst als Asher zu mir blickte und mir zunickte, war der Drang verschwunden und ich stürmte zum Zimmer hinaus.
Dort fing mich Vater ab, der mir andeutete, ihm zu folgen.
Nur zu gern folgte ich ihm, auch wenn ich eher das Gefühl hatte, vor dieser Aura zu fliehen. Es machte mich unglaublich wütend, doch was sollte ich tun? So stark wie seine Aura war, würde ich niemals gegen ihn ankommen. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass er so stark wurde!
Als wir schließlich soweit, wie es das Anwesen zuließ, von Asher entfernt waren, konnte ich langsam wieder atmen.
Vater schlug gegen eine Wand und sah mich dann an. »Asher hat behauptet, dass jemand die Rakshasa kontrolliert hat, als sie angegriffen wurden«, brachte er schwer und mit einem angestrengt Knurren hervor. »Hast du damit etwas zu tun?«
Sofort schüttelte ich den Kopf. Das war doch absurd. Vater wusste, dass ich die ganze Zeit im Anwesen gewesen war. Wie hätte ich das tun sollen?
»Wäre ich das gewesen, hätte ich sichergestellt, dass Asher und Mirani nicht wieder zurückkehren«, erwiderte ich wütend knurrend.
Was auch immer da geschehen war, hatte Asher stärker gemacht.
»Er wird zu einer Bedrohung«, stieß Vater hervor und fuhr sich durch die Haare.
»Daran ist nur diese Wölfin schuld«, erwiderte ich. Der Drang dieses Mädchen zu vernichten, ließ mein Blut in meinen Adern pulsieren. Die Vorstellung ihr mit meinen eigenen Händen den Hals umzudrehen, erfüllte mich mit Vorfreude. Wenn ich sie los wurde, dann würden sich die Probleme, die sich gerade häuften, legen.
Und wenn es dabei Asher erwischte, war ich einen weiteren Problemfall los. Vielleicht sollte ich dort weitermachen, wo dieses ominöse Wesen angefangen hatte.
»Es wird Zeit, dass du mir zeigst, dass du es besser kannst.« Vater richtete seinen Blick direkt auf mich und sofort verstand ich, was er meinte.
Er gab mir die Erlaubnis, aktiv zu werden.


























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