Mirani-Kapitel 47

~Asher~
Mir blieb der Atem weg, als die raue Stimme des Mannes an mein Ohr drang.
Er nannte Mutter seine Sonne?
In welchem Verhältnis standen sie zueinander? Was wurde hier gespielt? Warum hatte Mutter mich hierhergebracht?
Mutter machte einen Schritt nach vorn, bevor sie auf die Knie fiel.
Mir blieb fast das Herz stehen, als ich sah, wie sie sich unterwürfig verneigte, obwohl die Begrüßung doch so herzlich gewesen war.
»Bitte verzeih mir, ich habe völlig versagt«, brachte sie hervor und ich glaubte, sie sogar weinen zu hören.
»Meine Sonne«, sagte der Mann erneut und kam noch einen Schritt auf sie zu. »Erheb dich. Erklär mir, was passiert ist«, forderte er.
Seine ruhige, sanfte Art sorgte dafür, dass ich ihn mochte, auch wenn ich nicht verstand, was hier los war. Meine Mutter war noch nie jemandem gegenüber so unterwürfig gewesen. Nicht einmal Vater.
Ich musterte den Mann genauer, während sich Mutter langsam erhob und die Tränen weg wischte.
Meine Gedanken waren nicht bei der Frage, wobei sie versagt hatte, sondern bei dem Mann.
Dann spürte ich es. Ganz fein, fast nicht zu spüren, doch jetzt verstand ich es. Dieser Mann war ein Alpha, der seine Aura genauso versteckte, wie es Mirani tat.
Mein Herz begann heftig zu klopfen, während ich mir der Gefahr bewusst wurde, die von ihm ausging. Er war vielleicht nicht mehr ganz Herr über seinen Körper, doch niemand konnte sagen, wie stark er war.
Was auch immer die Beziehung zwischen ihm und meiner Mutter war, war mir egal. Er war gefährlich und ich sollte nicht hier sein, solange es Mirani so schlecht ging.
Vorsichtig machte ich einen Schritt zurück, als sich sein Blick auf mich richtete und er lächelte. »Du kannst mir später alles erzählen, aber sag mir doch zuerst, wen du mir hier mitgebracht hast.«
Sofort erstarrte ich, denn es gefiel mir nicht, dass er mich so direkt ansah. Als wäre ich vor ein Raubtier getreten.
Alle meine Nackenhaare stellten sich auf, während ich das Gefühl hatte, zwischen uns würde sich ein Knistern aufbauen.
Mutter wischte sich den letzten Rest vom Gesicht, bevor sie zu mir sah und sogar lächelte. Fast erleichtert.
In mir rumorte es. Ein ganz seltsames Gefühl packte mich, doch irgendwas hielt mich davon ab, einfach wegzurennen.




Als sie auf mich zutrat und mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter legte, wurde das Gefühl nicht besser.
Was war hier los? Ich verstand einfach nicht, warum Mutter mich hierher gebracht hatte.
»Das ist Asher. Dein Sohn.«
Ich hatte das Gefühl, ihre Worte würden mir den Boden unter den Füßen wegziehen. Mein Herz setzte aus und mein Verstand wollte es nicht kapieren.
Sein Sohn?
Ich war der Sohn dieses Mannes? Aber … wie konnte das sein?
Mein Vater war Rashid Amqar. Der Alpha des Dämmersandrudels. Nicht irgendein … anderer Alpha.
Ein anderer Alpha …
In meinem Kopf prasselten die Eindrücke der letzten Zeit auf mich ein. Die Ablehnung des Mannes, von dem ich glaubte, er wäre mein Vater. Der Hass meiner Brüder. Die Ausgrenzung innerhalb der Familie und Mutter, die mich immer wieder dazu ermutigte, Rashid herauszufordern.
»Zahira, Liebes. Du kannst den armen Jungen doch nicht so überfahren«, sagte der Mann, der mich mit einem mitleidigen Ausdruck ansah.
»Irgendwann sollte er es wissen und jetzt ist der perfekte Zeitpunkt dafür. Immerhin hat Rhaem versucht, ihn umzubringen.«
Vater hatte versucht, mich umzubringen?
Der Mann, zu dem ich mein ganzes Leben lang aufgesehen hatte und dessen Aufmerksamkeit ich immer gewollt hatte, war gar nicht mein Vater, und er hatte versucht mich zu töten?
Warum?
Was hatte Mutter getan? Was spielte sie für ein Spiel und warum war ich Teil dieses Spiels?
War ich das Resultat einer Affäre? Aber warum sah ich dann das erste Mal echten Stolz auf ihrem Gesicht, als sie mich ihm vorstellte?
Und auch in den Augen des fremden Mannes sah ich keine Ablehnung, sondern Neugier. Neugier auf einen Sohn?
Meine Gefühle spielten so verrückt, dass ich einfach nur dastand und nichts tun konnte. Was sollte ich sagen? Sollte ich mich vorstellen? Sollte ich überhaupt etwas tun?
»Du musst viele Fragen haben«, setzte der Mann an und reichte mir die unverletzte Hand. »Mein Name ist Azhar. Ich werde dir alles erklären. Komm erst einmal mit. Deine Freundin braucht vermutlich Hilfe.«
Mechanisch nickte ich, denn ich hatte zu diesen Sachen nichts zu sagen. Stattdessen zog ich Mirani näher an mich, um ihren beruhigenden Duft einzuatmen. Sie war an meiner Seite und ich wünschte mir, dass sie aufwachte. Ich brauchte sie, denn meine Emotionen drohten mich zu verschlingen.




Mein ganzes Leben war eine Lüge.
Ich war nicht Rhaems Sohn und Rashid und Nael waren meine Halbbrüder.
Woher kam ich wirklich? Wer war mein echter Vater und wer war ich?

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