Mirani-Kapitel 49


~Mirani~
Sanfte, streichelnde Berührungen zogen mich langsam aus dem Schleier und der Schwere des Schlafes.
Eine warme Aura umgab mich und das Gefühl, meine Arme und Beine endlich nicht mehr nur als Bleiklumpen zu spüren, ließ mich erleichtert ausatmen.
»Schön zu sehen, dass du wieder wach bist«, erklang Ashers ruhige Stimme, doch sie klang noch immer gedämpft. Als wäre da Watte in meinen Ohren, die verhinderte, dass ich normal hörte.
Vorsichtig schlug ich meine Augen auf und blinzelte.
Ein Schleier lag auf meinem Blick, weshalb ich kaum mehr als ein Meer aus Farben erkannte. Dazu kamen Schmerzen in meinen Augen, doch ich gab nicht auf.
Durch mehrmaliges Blinzeln wurde es besser, doch viel weiter als bis zu Ashers Arm, der mich hielt, reichte mein Blick trotzdem nicht.
»Was ist …«, setzte ich an, spürte aber einen stechenden Schmerz im Hals und dass meine Stimme einfach wegblieb.
Asher gab einen beruhigenden Laut von sich und strich mir durch die Haare. »Der Heiler hat mir erklärt, wie ich dir helfen kann«, flüsterte er zärtlich und tätschelte sanft meine Wange.
Ich erinnerte mich nicht mehr genau daran, was geschehen war. War ich wieder in einer Erinnerung gewesen? Ich hatte gespürt, wie mir die Kraft entzogen wurde, während ich in die Augen eines Wesens sah, das nur in Legenden vorkommen sollte.
Die Schmerzen, die ich spürte, schienen zu real, um aus einer Erinnerung zu stammen. War ich ihm wirklich begegnet? Alles war so verschwommen und es strengte mich zu sehr an, darüber nachzudenken.
Irgendwo erklang ein Geräusch, während sich Schritte näherten.
Eine Aura berührte mich, die ich nicht sofort zuordnen konnte. Sie wurde jedoch fast sofort von Ashers Aura, die schützend um mich lag, verschlungen. Mir blieb nicht einmal die Zeit, sie genauer zu analysieren, bevor beide ineinander verschwommen.
»Ich habe Wasser. Deine Gefährtin muss durstig sein«, erklang eine Stimme, die in mir ein seltsames Gefühl auslöste. Als kannte ich sie irgendwoher und doch wusste ich nicht, woher. Sie löste in mir das Gefühl von Vertrauen aus, ohne dass ich ein Gesicht zuordnen konnte.
Ich versuchte meinen Blick zu heben und die Person zu erkennen, doch es gelang mir nicht.
»Danke«, murmelte Asher, dessen Stimme in meinen Ohren seltsam klang. Mit wem auch immer er sprach, er schien ehrlichen Respekt zu haben.
»Komm, trink einen Schluck«, bat er mich, bevor er mir half, mich langsam aufzusetzen.
Ich spürte dabei Schmerzen, die durch meinen Körper zuckten und mir die Tränen in die Augen trieben.
Kühles Wasser berührte meine Lippen und als es über meine Zunge in meinen Rachen floss, konnte ich nicht anders, als es zu genießen.
Obwohl es nur Wasser zu sein schien, war es doch so erfrischend und stärkend, dass ich gleich das Gefühl hatte, es würde mir besser gehen. Als wäre ich eine ausgetrocknete Blume.
Mein Blick klärte sich mit jedem Schluck, den ich nahm, immer mehr.
Außerdem spürte ich die angenehme Kühle, die uns umgab.
Mein Blick wanderte umher, während Asher mir weiter dabei half, zu trinken.
Der Raum war klein und die Wände schmucklos.
Wir waren also nicht in Ashers Zimmer und vermutlich auch nicht in dem Anwesen der Amqars. Hatte er mich zu einem Heiler in der Stadt gebracht? Aber warum war es so kühl? War es vielleicht Nacht?
Mein Blick klärte sich so weit, das ich schließlich auch den Mann erkannte, der da vor uns stand und mich betrachtete.
Mein Herz setzte für einen Moment aus, denn eine alte Erinnerung verband sich mit der Gegenwart, sodass es mir schwerfiel, Realität und Erinnerung auseinanderzuhalten.
Mein Herz schlug aufgeregt, während ich mich daran erinnern musste, dass das hier gar nicht Qadir sein konnte. Der Mann vor mir war von vielen Kämpfen gezeichnet, doch zu jung. Die Alphas der Dämmerwüste wurden nicht so alt. Qadir würde nicht mehr so jung aussehen.
»Entschuldige, falls ich dich erschreckt habe«, sagte der Mann, dessen Aura mich erneut leicht streifte.
Seine Stimme ließ mein Herz einen weiteren Moment springen, denn ich wusste jetzt, woran sie mich erinnerte. Aber sie war der meines alten Freundes nur ähnlich. Sie waren nicht gleich.
Ich öffnete meinen Mund, doch die Frage, die hervorkam, war eigentlich nicht ganz das, was ich hatte sagen wollen: »Wer seid Ihr?«, platzte es aus mir heraus, obwohl ich doch gar nicht so mit der Tür ins Haus fallen wollte.
Allerdings konnte ich auch nicht verhindern, dass meine Instinkte mich vor diesem Alpha warnten. Rhaem oder Rashid gegenüber hatte ich dieses Gefühl nie gehabt. Auch bei Zahira hatte ich nie das Bedürfnis gehabt, mich zu positionieren. Hier allerdings wollte ich nicht, dass er mich für schwach hielt. Ich wollte mein Territorium verteidigen. Das Problem war nur, dass dieses gerade im Moment allein aus Asher bestand.
Ein Gedanke, der mich erschreckte und mir zugleich eine seltsame, innere Ruhe gab.
Der Mann blickte mich überrascht an, bevor er lächelte. »Die Frau hat Feuer«, sagte er, wobei ich glaubte, Anerkennung in seiner Stimme zu hören.
Dann vollführte er eine leichte Verbeugung. »Mein Name ist Azhar Wüstensturm.«
Für einen kleinen Moment machte meinen Herz einen kurzen Sprung und meine Hand wanderte zu dem kleinen Ohrring, der mich schon fast mein ganzes Leben begleitete.
»Seid Ihr verwandt mir Qadir?«, fragte ich, auch wenn es höflicher gewesen wäre, mich vorzustellen.
Azhar blickte mich überrascht an, während Asher verwirrt seine Augen zusammenkniff und mich musterte.
»Qadir war der Name meines Vaters«, erwiderte er.
Die Erkenntnis floss wie Lava durch meine Adern und meine Hand rutschte von meinem Ohrring. Ich hatte auf einmal das Gefühl, meine Kraft hatte mich verlassen.
Bisher hatte ich mir nie viele Gedanken darüber gemacht, was in der Welt um mich herum geschah. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass alle, die mir wichtig waren, ein gutes Leben lebten. Ich hatte nie daran gedacht, dass ihre Lebensspanne so viel kürzer sein könnte als meine.
Als Kind war ich mit Qadir auf Wanderschaft gewesen. Mein Vater hatte ihn und mich das Kämpfen beigebracht und einige Jahre hatten wir die Welt entdeckt.
Er war ein wirklich faszinierender, junger Mann und begnadeter Schmied gewesen. Jetzt seinen Sohn zu sehen, der in der Vergangenheitsform von seinen Vater sprach, traf mich tief.
Ich spürte das Gewicht meines Alters. Dabei hatte ich mich selbst nie als alt gesehen. Eher als eine junge Frau an der Schwelle zur Erwachsenen. Aber für die Wölfe der Dämmerwüste musste ich bereits eine alte Oma sein.
Ich schielte zu Asher hinauf und fragte mich, wie er mich wohl sah.
Er war zwar ein Alpha und noch sehr jung, doch irgendwann würde er ein alter Opa sein und ich würde vermutlich noch immer den Körper einer jungen Frau haben.
Unser Alter war mir immer wie ein Segen vorgekommen, doch das erste Mal fragte ich mich, ob es nicht auch ein Fluch sein konnte.
Mutter war auf Vater getroffen, da war sie bereits älter als ich und Vater lebte noch immer. Seine Gene gehörten ebenfalls zu den langlebigeren Wölfen. Aber die Zeit lief eben nicht gleich für alle Wölfe. Als würden wir teilweise ganz unterschiedlichen Arten entstammen, die doch alle irgendwie ähnlich aussahen.
»Warum fragst du?«, fragte Asher plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken.
Schnell versuchte ich, ein Lächeln aufzusetzen. »Ach, nur so. Ich habe mich nur an etwas erinnert«, sagte ich schnell, weil ich ihm keine Sorgen machen wollte.
Dann blickte ich lächelnd zu Azhar und streckte meine Hand aus. Ich wollte mit einer Berührung meine Vermutung bestätigen. Was war mit Qadir geschehen? Wusste er es vielleicht? »Es freut mich, Euch kennenzulernen. Mein Name ist Mirani Nebelweiss«, stellte ich mich vor, wobei ich genau auf seine Mimik achtete.
Überraschung huschte über sein Gesicht, bevor er die Stirn runzelte. Dann griff er vorsichtig nach meiner Hand.
Bevor er sie jedoch packen konnte, ging Asher dazwischen und zog meine zurück. »Ich halte das für keine gute Idee. Du hast dich gerade erst erholt und niemand kann sagen, ob dich seine Erinnerungen überrollen oder nicht«, tadelte er mich für meine Entscheidung.
Es war überraschend, dass er trotz meiner aktiven Entscheidung eingegriffen hatte. Wollte er vielleicht nicht, dass ich Azhar berühre und etwas über ihn herausfand?
Mit einem schiefen Lächeln zog ich meine Hand wieder zurück, wobei mich Azhar nachdenklich musterte. Ich hatte das Gefühl, dass er besonders meinen Ohrring musterte.
»Mirani? Die Tochter von Maeve Nebelweiss?«, fragte er skeptisch, als würde er mich kennen.
Was ich mir nicht richtig vorstellen konnte.
»Ja«, sagte ich, wobei ich seinen Blick erwiderte. Er rieb sich das Kinn.
»Bist du dafür nicht etwas zu jung?«, wollte er wissen.
Ich lachte leise. »Ich bin 164 Jahre alt«, gab ich zu, wobei ich spürte, wie Asher regelrecht erstarrte.
»Du bist älter als meine Mutter?«, brachte er entsetzt hervor, während Azhar einfach nur lachte.
»Das Alter der Nebelweiss ist wirklich eine Nummer für sich«, stellte er fest, als wäre für ihn gar nichts dabei. »Aber in diesem Fall glaube ich, dass ich etwas für dich habe«, sagte er, bevor er sich abwandte und Richtung Tür humpelte.
Ich blickte ihm hinterher.
Als er die Tür öffnete, hielt er kurz inne. Ich erkannte, wie er jemanden musterte, der davor stand. »Bring es ihr selbst«, flüsterte Azhar, wobei seine Stimme liebevoll klang. Ich sah, wie er jemanden berührte, konnte aber nicht erkennen, wen.
Dann verließ er den Raum komplett, doch bevor ich mich an Asher wenden und ihn fragen wollte, ob mein Alter ihn so sehr störte, öffnete sich die Tür erneut.
Es war Zahira, die eintrat. In der Hand ein Tablett mit ein paar Kleinigkeiten.
Sofort zog mich Asher wieder an sich, als würde er mich vor seiner Mutter beschützen wollen.
Eine Geste, die meine ganze Angst, die ich bezüglich meines Altes nach seiner Reaktion verspürt hatte, von mir wischte.
»Ich bringe etwas zum Essen«, sagte sie mit einem Lächeln, das bei mir eine Gänsehaut auslöste. Es war so ganz anders als sonst. Als wäre eine Maske abgefallen.
Ich blickte hoch zu Asher, der angespannt zu seiner Mutter sah.
Hier stimmte irgendwas nicht.































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