Mirani-Kapitel 58

~Asher~
Als wir endlich aus den Gängen traten, atmete ich tief durch, doch die Erleichterung wollte nicht einsetzen.
Meine innere Unruhe ließ mich immer wieder zu den Gängen blicken, aus denen noch immer Miranis Nebel hervorquoll.
Wo blieb sie? Ging es ihr gut?
Ich konnte ihre Aura spüren, weshalb ich nicht komplett in der Angst ertrank, dass sie vielleicht verloren hatte, doch wo blieb sie?
Eine Erschütterung unter meinen Füßen ließ mich wanken. Dann folgte ein Krachen, das aus den Höhlen kam.
Mir blieb der Atem weg, während mein Kopf nur träge begriff, dass das Wanken und Krachen von den einstürzenden Höhlen verursacht wurde.
Ich starrte auf den Ausgang, aus dem Staub hervorquoll und sich mit Miranis Nebel vermischte.
Etwas huschte in den Schatten umher, bevor eine Horde Rakshasa hinausgestürmt kamen.
Sie brüllten, taumelten, wankten und fielen teilweise zu Boden.
Bedeckt mit Staub und Blut waren sie noch unheimlicher, doch statt uns direkt anzugreifen, sprangen sie an uns vorbei.
Verletzt, orientierungslos, panisch.
Mein Herz blieb für einen Moment stehen, als sich im Schatten eine große Gestalt manifestierte.
Erleichterung packte mich, bevor mein Kopf verstand, warum.
Die Umrisse eines großen Wolfes wurden sichtbar, der schwer atmend zu Boden ging.
»Mirani«, hauchte ich, als sich ihr Fell langsam zu manifestieren schien, als wäre sie gerade aus dem Nebel erschienen.
Langsam wandelte sich ihr Körper. Sie schrumpfte und saß schließlich nach Luft schnappend vor mir.
Überall auf ihrem Körper waren blaue Flecken zu erkennen, die gerade sichtbar heilten und doch ein Zeichen dafür waren, wie stark die Angriffe gewesen sein mussten.
»Ich habe ihn in einer der Höhlen hoffentlich begraben«, murmelte sie.
Sofort legte ich mir ihren Arm um die Schulter und zog sie hoch. »Viele der Rakshasa konnten entkommen«, sagte ich. Wir mussten uns in Sicherheit bringen.
»Sie sind dabei Amokzulaufen«, bemerkte Mutter plötzlich, weshalb ich fragend zu ihr blickte. Ich verstand nicht ganz, wie sie das meinte.
»Dabei haben wir all die Jahre versucht, das zu vermeiden, sonst hätten wir Rhaem direkt töten können«, fügte Vater hinzu.
Mein Kopf ratterte. Warum hatte er Rhaem nicht töten können, wenn er nicht wollte, dass die Rakshasa Amok liefen. Oder sprach er von etwas anderem?




»Der Jiangshi muss ihm die Kontrolle über die Rakshasa genommen haben. Er ist sich der Gefahr vermutlich nicht einmal selbst bewusst.«
»Es wird zu einem Krieg kommen«, prophezeite Vater plötzlich und blickte dann ernst zu Mirani. »Ich bringe dich zum Portal, damit du heimkehren kannst. Das hier hat nichts mit dir zu tun. Du bist hier nicht sicher und wir können nicht noch mehr von dir verlangen.«
Mirani schmiegte sich an mich. »Ich werde Asher hier nicht zurücklassen«, protestierte sie, bevor ich etwas sagen konnte.
Ich bemerkte, wie Mutter und Vater einen kurzen Blick wechselten, bevor Mutter nickte. »Dann nimm ihn mit.«
Ihre Worte drangen nur bedingt zu mir durch, denn ich hatte Mühe, das alles zu verstehen.
Die Rakshasa und Rhaem standen in Verbindung. Kontrollierte er sie? War er wirklich so tief gefallen? War das der Grund, warum Mutter zu diesen Maßnahmen greifen musste?
Und jetzt war es dazu gekommen, dass die Rakshasa durchdrehten und Amokliefen? Sie würden die gesamte Dämmerwüste überrennen. Mit so vielen, wie ich sie in den Höhlen gesehen hatte, würden wir nicht klarkommen. Nicht ohne die Hilfe eines Heeres. Doch würde Rhaem dieses bereit machen? Würde Rashid sich für die Sicherheit der Leute hier einsetzen?
Mein Hass auf diejenigen, die ich für meine Familie gehalten hatte, wuchs.
Ich konnte kaum glauben, dass sie so tief gefallen waren und Rakshasa gezüchtet hatten.
Mirani drückte plötzlich meine Hand und sah zu mir auf. Ihre silbernen Augen blickten mich fragend an, doch ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie mit mir gesprochen hatte. »Was möchtest du tun? Deine Heimat verteidigen oder fliehen?«, fragte sie leise.
Zuerst wollte ich sagen, dass ich bleiben und kämpfen wollte, doch ich sah an ihren Augen, dass sie ebenfalls blieb, wenn ich blieb.
Waren mir die Leute, die mir jahrelang die kalte Schulter gezeigt und mich verstoßen hatten, wirklich wert, dass ich das Leben meiner Gefährtin für sie opferte?
Ohne meine Antwort abzuwarten, nahm Vater meine Hand. »Hier lang. Ich bringe euch zum Portal. Flieht auf die Aethelhain-Inseln. Wir versuchen hier die Stellung zu halten. Versucht die, die fliehen, aufzuhalten. Damit wäre uns schon sehr geholfen.«




In mir kämpfte mein Pflichtgefühl gegen die Sorge um Mirani, doch ich ließ mich von Vater führen.
Wir waren schon recht weit außerhalb des Stadtzentrums. In einem Gebiet, in dem ich normalerweise nicht oft war. Daher kannte ich mich hier auch nicht aus. Bis auf Dattelbäume und Ziegen gab es hier nicht sonderlich viel. Zumindest war mir nicht bekannt, dass sich hier ein Portal befand.
Rhaem wusste nichts davon oder konnte er es vielleicht gar nicht nutzen? Floß durch seine Adern überhaupt das Blut der ursprünglichen Alpha-Familie?
Er führte uns zu einer Felsspalte, die irgendwie nicht ganz natürlich wirkte und als er seine Hand daran legte, zog sich der Fels langsam, leise knarrend zurück.
Ein magischer Mechanismus? Ich hatte so einen noch nie gesehen.
War das eines der Überbleibsel aus der alten Welt?
Mir blieb der Atem weg, als ich eintrat, doch gerade, als Mirani mir folgen wollte, zögerte sie und wandte sich um.
»Was ist?«, fragte Azhar, bevor auch er stehenblieb und sich anspannte.
Mir war, als würden beide etwas spüren, weshalb ich meine Konzentration auf die Wüste richtete. Meine Alphagabe war noch nicht lange erwachsen und trotzdem spürte ich, dass sich jemand näherte.
Eine starke Aura, die jedoch nicht ganz an die eines Alphas herankam. Sie erinnerte mich an Rashid, doch er war es nicht. Trotzdem war sie vertraut.
Außerdem waren noch mehr Werwölfe bei ihnen. Mindestens fünf davon hatten einen Betarang.
Sofort spannte ich mich an, als mir klar wurde, dass da eine ganze Armee auf uns zukam.
»Was macht denn Kaelen hier?«, platzte es irritiert aus Mirani hervor und ich hielt die Luft an.
Kaelen? Ihr Bruder? Warum fiel er mit einem Heer in die Dämmerwüste ein?

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