Mirani-Kapitel 15

~Asher~

Als wir uns dem Markt von Tahr’Asif näherten, war mein Blick auf Mirani gerichtet.
Sie hatte den Kopf eingezogen und lief recht langsam, dabei schützten Mutter und ich sie vor den Menschen. Trotzdem konnte man ihr ansehen, dass sie sich nicht wohlfühlte.
Als der Boden unter unseren Füßen zu Steinen wurde, wie es nur rund um den Markt der Fall war, blickte sie überrascht nach unten und runzelte die Stirn, bevor sie wieder aufsah.
Ihre Augen funkelten, als sie die Stände betrachtete.
Diese waren aus hellem und dunklem Treibholz gebaut und mit bunten Tüchern bedeckt, um vor der Sonne zu schützen. Auch die Straßen hatten solche Schattenspender, weshalb Mirani auch etwas ausatmete. Ich machte mir wirklich Sorgen, dass ihre blasse Haut verbrannte. Beim genaueren Betrachten, erkannte ich jedoch etwas, das aussah wie ganz feine Härchen auf ihrer Haut. Als hätte sie ihre Wolfsmähne als Schutz wachsen lassen. Das war sehr schlau.
»Alpha Zahira«, erklang ein Schrei, der sich aus der Masse abhob.
Überall wurden Waren angepriesen und Musik gespielt und doch drang dieser Name sehr deutlich hervor.
Ein Mann kam auf uns zugerannt, der schwer atmete. »Alpha Zahira. Bitte entschuldigt die Störung, aber es gibt Ärger«, sagte er, ohne auf mich oder Mirani zu achten.
Mutter verzog den Mund und blickte zu mir. »Asher, geh mit Mirani alles holen, was sie braucht. Ich muss mich darum kümmern.«
Ich nickte, denn es würde nichts bringen, zu widersprechen. Es gefiel mir zwar nicht, dass ich Mirani allein schützen sollte, aber das würde schon gehen. Sie durfte nur nicht verloren gehen.
Kaum war Mutter mit dem Verwalter der Hafenstadt, ein Beta aus der Familie Hebteri, verschwunden, trat Mirani einen Schritt näher an mich. Nur wenige Zentimeter trennten unsere Haut voneinander, was mich leise nach Luft schnappen ließ. Ich wollte gerade fragen, was los war, als sie flüsterte: »Hier sind so viele Menschen.«
Es kitzelte mir in den Fingern, ihr einen Arm umzulegen und sie schützend an mich zu ziehen, doch das würde nicht helfen. Im Gegenteil.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte und sah mich um. Die Menschen auf den Markt liefen gedrängt und sammelten sich hier. Es war vielleicht keine gute Idee. »Soll ich … allein einen Mantel holen gehen?«, fragte ich, im gleichen Atemzug gefiel mir der Gedanke, sie hier zurückzulassen, jedoch gar nicht.




Mirani schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte den Markt sehen«, sagte sie zu meiner Überraschung.
Also setzten wir langsam unseren Weg fort.
An einem Stand voller Netze und Wannen blieb sie kurz stehen. Sie betrachtete die eingelegten Fische und Garnelen. »Möchtest du probieren?«, fragte ich, denn ich wusste nicht, ob sie etwas Derartiges kannte.
»Ja«, erwiderte sie, wobei sie eine gewisse Schüchternheit an den Tag legte, die ich überraschend niedlich fand. Es passte nicht so ganz zu dem, was ich nach der Begegnung mit den Rakshasa von ihr erwartet hatte. Immerhin hatte sie diese alle erledigt.
Der Mann mit dem wettergegerbten Gesicht und dem salzverkrusteten Bart überreichte uns einen Garnelen-Seetang-Spieß und ich gab ihn vorsichtig an Mirani weiter.
Diese hob die Hand, zögerte dann jedoch kurz. Schließlich schlangen sich ihre Finger vorsichtig um den Spieß, ohne meine Finger zu berühren. »Danke.«
Vorsichtig setzte sie ihre Lippen an und nahm ein Stück. Ihre Augen funkelten erneut und ich konnte an ihrem Gesicht ablesen, dass es ihr schmeckte. Das ließ mich leicht lächeln.
»Fisch gibt es bei uns auch, aber keine Garnelen«, sagte sie und genoss den Spieß.
Wenn ich ehrlich war, hatte ich fast damit gerechnet, dass sie den Spieß nicht essen konnte, doch ich war beruhigt, dass es ihr gelang. Alles andere hätte die Sache wirklich schwer gemacht.
Wir setzten unseren Weg fort und kamen einen Stoffstand näher, der genau das verkaufte, was wir brauchten.
Bevor wir diesen jedoch erreichten, hörte ich einen Mann rufen. Ich sah auf und entdeckte ein Kind, das mit einer Dattel in der Hand wegrannte.
»Mirani«, setzte ich an, um sie zu warnen, doch da war es schon zu spät. Der Junge rannte direkt in Mirani hinein. Er war so klein, dass ich nicht damit rechnete, dass etwas passierte, doch er streifte Mirani, die mit einem leisen Keuchen zu Boden ging.
Ihr ganzer Körper zitterte, während sie nach Luft rang.
Ich hatte das Gefühl, der Junge hatte sie verletzt, dann fiel mir ein, was Mirani mir erzählt hatte. Der Junge hatte sie berührt. Sah sie gerade seine Vergangenheit?
Was sollte ich tun? Wie konnte ich ihr helfen?
Ich sah mich um. Die Menschen machten einen Bogen um uns, sahen aber trotzdem auf Mirani.




Überfordert ging ich auf die Knie. »Mirani«, sagte ich, doch ich traute mich nicht, sie anzufassen. Das würde es vermutlich nur noch schlimmer machen.
Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte und wir uns mitten auf der Straße befanden, zog ich meinen Mantel aus, schlang ihn um sie und hob sie vorsichtig hoch. Ich musste sie in den Schatten, weg von dem geschäftigen Treiben und den Menschen, bringen. Ihr Körper glühte und ihr Atem ging schnell. Die Sonne machte ihren Zustand nicht besser.
Mit Mirani in den Armen drängte ich mich durch die Menschen. Ich achtete darauf, dass niemand sie berührte, was recht einfach war, da meine Aura dafür sorgte, dass sie mir sofort aus dem Weg gingen.
Es dauerte nicht lange, da hatte ich ein schattiges Plätzchen gefunden, das mir sofort frei gemacht wurde. Ein einziger Blick reichte. Dort legte ich Mirani vorsichtig am Boden ab, die sich den Kopf hielt und immer wieder blinzelte. »Mirani?«, fragte ich, weil ich hoffte, dass meine Stimme ihr vielleicht half.
Mirani stöhnte leise und setzte sich dann vorsichtig auf. Ihr Blick wanderte umher, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass sie sich wirklich orientieren konnte.
»Wo … wo bin ich?«, fragte sie und kniff ihre Augen noch einmal zusammen.
»Ich habe dich in den Schatten gebracht«, erklärte ich, während ich sie nicht aus den Augen ließ. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper und wirkte schwach.
Mirani fuhr sich über das Gesicht und stieß dann den Atem aus. »Tut mir leid«, brummte sie.
»Was tut dir leid?«, fragte ich irritiert.
Mirani fuhr sich durch die Haare, die voller Sand waren. »Ich hätte besser aufpassen sollen.«
Ich schnaubte. »Es ist meine Aufgabe, auf dich aufzupassen«, erwiderte ich. »Ich hoffe, ich habe es nicht schlimmer gemacht, weil ich dich hergetragen habe.«
Mirani schüttelte den Kopf und erhob sich langsam wieder. Der Mantel, den ich ihr schützend umgelegt hatte, um sie nicht direkt zu berühren, rutschte von ihren Schultern und mit einem verwirrten Gesichtsausdruck griff sie danach.
Sie betrachtete den Mantel nachdenklich. »Du hast mich … berührt?«, fragte sie stirnrunzelnd und betrachtete den Mantel, als könnte sie dort Antworten finden.
»Geht es dir etwas besser? Brauchst du Wasser?«, fragte ich, denn ich sah den Schweiß, der über ihre Stirn lief. Sie war zudem viel blasser als zuvor. Das gefiel mir gar nicht.




»Wasser wäre gut«, murmelte sie abwesend.
Ich unterdrückte den Drang, ihr durch die Haare zu fahren und sie zu beruhigen. Das würde ihr nicht gut tun. »Ich hole dir schnell etwas«, versprach ich. Zum Glück gab es überall Brunnen für die Bevölkerung. Das Wasser dort war frisch und kalt, da es durch alte Runentechnik gefördert wurde.
Es dauerte nicht lange, doch als ich mit einem Glas Wasser zu ihr zurückkehrte, hatte sie den Mantel um sich geschlungen und sich an die Hauswand zurückgezogen. Ihr Blick wanderte umher, als würde sie jederzeit damit rechnen, dass ihr jemand zu nah käme. Nutzte sie meinen Mantel als Schutz?
Sie wirkte wie ein verschrecktes Tier in der Falle.
Vielleicht hatte ich mich doch geirrt. Als ich in ihrer Kajüte geschlafen hatte, war ich der Meinung, ihre Finger auf meinem Fell zu spüren. Jetzt, wo ich jedoch sah, was Berührungen mit ihr machten, glaubte ich nicht mehr daran, dass ich es nicht geträumt hatte. Hätte sie mich wirklich berührt, wäre sie ebenfalls unter meiner Vergangenheit zusammengebrochen.
Ich ging auf sie zu und reichte ihr das Wasser. »Kann ich das nächste Mal etwas anderes machen?«, fragte ich, als sie vorsichtig das Wasser nahm.
Unsere Finger berührten sich, weshalb ich sie sofort zurückzog, doch sie zeigte keine Regung. War es vielleicht nicht lang genug? Aber der Junge hatte sie auch nur flüchtig berührt. Wieso brach sie nicht erneut zusammen? Spielte sie mir etwas vor?
Ich musterte sie eingängig, doch sie nahm einfach nur ein Schluck Wasser, als wäre nichts gewesen. Dabei war ich mir sicher, dass sie mich berührt hatte!
»Nein. Du hast alles richtig gemacht«, bemerkte sie und lächelte leicht. Ich hatte jedoch das Gefühl, sie würde sich dazu zwingen. »Ich habe mich wieder gefangen, wir können weiter.«
Ich nickte und wollte ihr gerade zeigen, wohin wir mussten, da kam Mutter auf uns zugelaufen.
Einen Alpha in einer Gruppe Menschen zu finden, war leicht. Unsere Aura stach heraus und so wunderte es mich nicht, dass Mutter uns so leicht fand. »Wir müssen das Einkaufen auf später verlegen«, sagte sie und blickte uns mit einem finsteren Blick an. »Es tut mir leid, dass ich dich so schnell zum Arbeiten bitte, aber es wurde ein weiterer toter Wolf gefunden«, sagte sie und blickte Mirani ernst an.




Diese straffte ihre Schultern. »Bitte bringt mich hin.« Als Mirani sich zu meiner Mutter wandte, lag kein Zittern mehr in ihren Händen. Ihr Blick war entschlossen und zeigte erneut ihre Stärke.
Es fiel mir immer schwerer, sie als Omega zu sehen, auch wenn ihre Aura fast nicht vorhanden war.

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