Mirani-Kapitel 21


~Mirani~
Als Asher auf mich zulief, musterte er mich nachdenklich. »Bist du verletzt worden?«, fragte er mit ruhiger Stimme, als hätte er sich im Kampf abreagiert.
Ich schüttelte meinen Kopf und musterte die ganzen Schnitte, die seinen Körper zierten. »Aber du«, flüsterte ich und hob die Hand, weil ich seine Wunden verarzten wollte, bevor Sand hineinkam. Allerdings hielt ich sofort inne. Würde ich das können?
Asher zuckte die Schultern. »Kein Problem«, versicherte er, doch ich schüttelte den Kopf.
»Nein. Das muss versorgt werden«, beharrte ich, sah aber bereits, wie sich die Wunden langsam schlossen. Ich hoffte, seine Regeneration war gut genug, um auch mit dem Sand fertig zu werden, sonst würde es sich entzünden.
»Du vergisst, dass ich ein Alpha bin. So ein paar Kratzer tun mir schon nicht«, winkte er ab und schwang sich wieder hinter mich. »Wir können weiter«, rief er schließlich, ohne darauf zu warten, ob ich noch etwas dazu zu sagen hatte. Am liebsten hätte ich ihn gedrängt, doch er hatte recht. Er war ein Alpha und würde mit ein paar Kratzern zurechtkommen. Daher verstand ich nicht, warum mich dieser Drang packte, seine Wunden zu versorgen. Es war unnötig.
Zahira warf ihm nur einen kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder auf den Weg machte.
Stille kehrte ein und nur die Hufe der Kamele im Sand und der Wind waren zu hören.
»Warum hast du dich verletzen lassen?«, fragte ich irgendwann, weil ich nicht verstand, wieso er das zugelassen hatte.
»Wie kommst du darauf, dass ich mich verletzen lassen habe?«, fragte er etwas irritiert.
»Du warst klar im Vorteil und viel schneller«, sagte ich, was Asher einen Moment schweigen ließ.
»Das ist dir aufgefallen?«, fragte er überrascht.
Ich musste schmunzeln. »Als ich jünger war, bin ich mit meinem Vater durch die Reiche gereist und er hat mir das Kämpfen beigebracht. Also kenne ich mich damit ein bisschen aus«, erzählte ich, ohne mir sonderlich viele Gedanken darüber zu machen, was er vielleicht über mich dachte.
»Warst du schon einmal in der Dämmerwüste?«, fragte er nachdenklich.
Ich schüttelte meinen Kopf. »Nein. Vater meinte, die Wüste wäre zu gefährlich. Also haben wir sie ausgelassen. Damals gab es aber auch noch nicht so viele Bewohner.«
»Damals?«, fragte Asher belustigt. »Du klingst wie eine alte Frau.«
Seine Aussage ließ mich ein bisschen zucken. Im Vergleich zu ihm war ich alt, da hatte er recht und doch gefiel es mir nicht, dass er es so formulierte. Für einen Nebelwolf war ich jung!
Ich wandte meinen Kopf ein Stück und musterte ihn, so gut es ging. »Wusstest du nicht, dass Nebelwölfe sehr alt werden können?«, fragte ich, weil ich eigentlich dachte, dass das Allgemeinwissen war.
Unter den Werwolfclans war meiner derjenige, der am längsten lebte. Fast doppelt so lang wie die anderen. Darum alterten wir auch ein wenig anders.
»Nein, das ist mir neu. Ich wusste nur, dass deine Mutter sehr alt ist«, erwiderte Asher, während er das Kamel ruhig führte.
Wir trotteten ganz hinten und so konnten wir uns recht ungestört unterhalten.
»Bei uns gilt man erst mit etwa 50 Jahren als erwachsen«, erklärte ich, weil ich ihn nicht ganz unwissend sterben lassen wollte.
»Oh«, brachte er hervor und ich war mir sicher, dass er die Stirn runzelte. »Bei uns mit 30. Dann zählst du in deinem Clan noch als Kind?«, fragte er zögerlich, was mich leise lachen ließ.
»Nein. Ich bin erwachsen.«
Asher stieß einen nachdenklichen Laut aus. »Ich auch. Ich bin erst vor kurzem 31 geworden«, sagte er, wobei ich die versteckte Frage hören konnte. Er wollte mein Alter wissen, doch ich war mir noch nicht sicher, ob ich es ihm sagen wollte.
»Dann bin ich definitiv älter als du«, erwiderte ich. Wie viel wollte ich nicht sagen, denn ich wusste, dass mein Alter zu Problemen führen könnte.
Asher schnaubte leise, doch bevor er etwas sagen konnte, erklang Zahiras Stimme. »Wir werden hier unser Lager aufschlagen«, entschied sie, was dazu führte, dass ich mich genauer umsah.
Es gab einige kleine Felsformationen, die jedoch vom Sand und Wind abgeschliffen worden waren. Trotzdem boten sie ein wenig Schutz.
Mein Blick glitt in den Himmel. Die Sonne stand tatsächlich schon sehr tief, sodass die Nacht bald hereinbrechen würde. Das hieß, es würde kalt werden.
Asher schwang sich hinter mir vom Kamel, bevor er mir seine Hand reichte, um mir zu helfen.
Ich wollte zuerst ablehnen, doch meine Beine zitterten wegen der ungewohnten Haltung.
Also nahm ich sie, doch es gelang mir nicht elegant abzusteigen. Stattdessen war mein Körper so steif, dass ich regelrecht in seine Arme sackte.
Asher stieß ein leises Lachen aus, das in mir Widerwillen auslöste. Ich wollte nicht, dass er mich auslachte. Er sollte mich nicht schwach sehen. Nur verstand ich nicht, warum.
Irgendwo hörte ich jemanden abwertend: »Omega«, murmeln. War ihm klar, dass auch Asher ihn hörte? Als Alpha waren seine Sinne viel feiner als die eines normalen Wolfes. Es sollte nichts geben, das ihm entging.
Wobei ich auch den Skorpion nicht bemerkt hatte. Vielleicht waren Ashers Sinne sogar noch feiner als meine. »Kannst du stehen oder muss ich dich tragen, alte Dame?«, fragte er mit einem neckenden Unterton.
Seine Augen funkelten und er zeigte mir, dass er mich aufzog. Es hätte mich ärgern sollen, doch etwas tief in mir, drängte mich dazu, nachzugeben und mitzumachen. Mich fallen zu lassen und wieder ein Kind zu sein, das mit seinem Freund herumalberte. Ein seltsamer Gedanke und ich verstand nicht, woher er kam, doch er war reizvoll.
»Jetzt, wo du weißt, dass deine Berührungen mir nicht schaden, legst du es aber ganz schön drauf an«, erwiderte ich mit einem belustigten Zwinkern.
Asher weitete einen Moment seine Augen, bevor er sich abwandte und räusperte. »Wie ich sehe, kannst du alleine gehen«, bemerkte er und schritt voran.
Ich folgte langsam, weil meine Beine noch etwas zitterten.
Seine Reaktion kam unerwartet, hatte ich die Erwiderung doch nicht anklagend gemeint. Es störte mich tatsächlich weniger, dass er mich beim Reiten hielt oder mir half. Was seltsam sein sollte, doch es fühlte sich natürlich und angenehm an.
Asher breitete im Schatten eine Decke aus, die er sich vom Kamel genommen hatte. »Du kannst dich hierhin setzen, bis wir das Zelt aufgebaut haben«, sagte er, wobei er meinen Blick eindeutig mied.
Ich überlegte kurz, ob ich dazu eine spitze Bemerkung abgeben sollte, entschied mich aber dagegen. Asher war nicht Kaelen, mit dem ich so unbefangen herumalbern konnte.
Also ließ ich es erst einmal und setzte mich stattdessen auf die Decke.
Als Alpha konnte Asher den Aufbau eigentlich seinen Leuten überlassen, doch anders als Zahira, die sich ebenfalls im Schatten niederließ, begann er, mit anzupacken.
Es überraschte mich, da ich das nicht erwartet hatte. Vor allem nicht, da Zahira sich ausruhte und sogar ihre Augen schloss.
Vielleicht hatte sie aber auch nicht geschlafen. Ich hatte mich zwar ausruhen können, doch der Ritt auf dem Kamel und die Reise bisher hatten mich sehr erschöpft.
Also entschied ich mich dazu, mich zurückzulehnen und ebenfalls meine Augen zu schließen. Asher würde sich schon um alles kümmern.
Ich bemerkte erst, dass ich eingeschlafen war, als mich Schwärze umgab. Keine Hitze, kein Licht und auch kein feuchter Nebel. Nur lähmende Schwärze, die sich wie ein kaltes Tuch über meinen Körper legte.
Ich wollte mich bewegen, doch meine Glieder waren schwer wie Blei.
Der Boden war hart, eiskalt und feucht. Wie Stein, doch ohne mein geliebtes Moos.
Ein Klackern ertönte, das mein Herz vor Angst schmerzen ließ. Ich kannte das Geräusch nicht und doch verband ich es mit Schrecken und Schmerzen.
Etwas war hier, ich wusste es.
Ein kehliges, ruckartiges Atmen kam näher. Ein weiteres Klacken.
Wie Knochen auf Stein. Als würde sich etwas ruckartig fortbewegen.
Die Dunkelheit um mich herum teilte sich nicht. Sie blieb zähflüssig und allgegenwärtig, doch ich spürte eine Präsenz, die sogar gegen die Dunkelheit ankam. Sie schnürte mir die Kehle zu und brachte einen Geruch mit, der mich an die Rakshasa erinnerte. Vermodert und tot.
In der Dunkelheit glommen rote Augen auf und als unser Blick sich traf, durchlief mich ein Schauer.
Mein Herz krampfte sich zusammen, meine Kehle schnürte sich zu und dann explodierte ein Schmerz in meiner Brust, der mich schreien ließ. Doch ich hatte nicht die Kraft, einen Laut hervorzubringen. Er existierte nur in meinen Gedanken.
Unter Tränen besah ich das Wesen. Fast menschlich und doch so anders.
Die graue Haut spannte sich über das kantige, knochige Gesicht. Die Augen waren leere Spalte, in denen ein rötlicher Schimmer lag. Ich erkannte darin kein Leben, nur Hunger.
In der Dunkelheit wurden lange Krallen sichtbar, die das Wesen in meine Richtung hob. Sie verursachten dieses klackernde Geräusch, das meine Angst nur noch schürte.
Sie kamen immer näher und aus Panik schloss ich meine Augen, während die Schmerzen meine Sinne vernebelten.
»Mirani«, schrie eine Stimme, die durch den Schmerz drang. Etwas schüttelte mich und langsam spürte ich, wie meine Glieder meinen Befehlen wieder gehorchten.
Ich riss die Augen auf und durch den Schleier an Tränen erkannte ich Asher, der mich an beiden Schultern gepackt hatte und rüttelte.
»Mirani?«, fragte Asher erneut, wobei er mich genau musterte.
Ich blinzelte. Um uns herum war es dunkel und kalt, doch ich spürte die Decke, unter der sich Sand befand.
Die Dämmerwüste.
Vorsichtig sah ich mich um.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er und hockte sich vor mich.
Ich sah zu ihm auf. »Ich … denke …«, murmelte ich, doch meine Stimme zitterte, genauso wie mein Körper.
»Hattest du einen Albtraum?«, fragte er und wischte mir vorsichtig die Tränen aus den Augen.
»Ich weiß nicht genau«, brachte ich noch immer verstört hervor, denn es konnten genauso gut Erinnerungen des toten Wolfs sein.
»Die Zelte sind fertig. Du solltest reingehen. Dort ist es wärmer«, bemerkte Asher, der mir vorsichtig dabei half, aufzustehen.
Meine Beine zitterten so heftig, dass ich mich an Asher lehnen musste. Er legte einen Arm um mich, schwieg aber, während er mich in das Zelt führte.
Wärme kam mir entgegen und ich ließ mich auf dem kleinen Haufen an Kissen nieder, der in der Mitte lag. Hier war es wirklich wärmer, doch es reichte nicht, um die Kälte aus meinen Knochen zu vertreiben.
»Du solltest hier weiter schlafen«, bemerkte er und wollte sich abwenden.
Instinktiv griff ich nach seiner Hand und hielt sie, weshalb er sich wieder zu mir umwandte. »Bleib bitte bei mir«, bat ich mit zittriger Stimme, denn die Angst allein zu sein, war groß. Ich wollte nicht wieder in diesen Traum gezogen werden.
Asher hob eine Augenbraue, bevor er die Luft ausstieß. Dann löste er vorsichtig meine Hand. Ich hatte Angst, dass er doch gehen würde, doch stattdessen öffnete er seine Tunika, während sich Fell über seinen Körper zog.
Wenig später stand er als Wolf vor mir, blickte mich kurz an und machte es sich dann in den Kissen bequem.
Dieses Mal fiel mir auf, wie groß er eigentlich war. Etwa das Doppelte eines normalen Wolfes. Es war mir vorher nicht aufgefallen, da ich es durch meine Familie gewohnt war, dass die Wolfsformen größer waren. Dann hatte ich aber den Vergleich zu dem toten Wolf gehabt. Mir war gar nicht bewusst, dass andere Wölfe so klein waren.
Ich beobachtete Asher, der mit seiner Pfote auf ein Kissen klopfte. »Komm her«, knurrte er. Ein Schauer rann mir über den Rücken und mein Herz begann, heftig zu klopfen. Seine Stimme als Wolf klang so angenehm, dass ich mich kurz darauf an ihn kuschelte.
Asher stieß erneut die Luft aus, bevor er sich entspannte und die Augen schloss.
Ich tat es ihm gleich und driftete langsam ins Reich der Träume, ohne erneut von dieser Kreatur heimgesucht zu werden.






























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