Kapitel 6

Die Vorbereitungen für die Auktion sind im vollen Gange. Der Sklavenhandel boomt bedauerlicherweise im Reich Dandral. Einflussreiche Gäste werden erwartet und sollen bespaßt werden. Artisten in bunten und glitzernden Kostümen haben sich einladend um das Zelt versammelt und begrüßen die ersten Gäste mit ihren Tricks. Feuerspuckern, Narren und Barden – ein volles Programm. Die Marktstände mögen verschwunden sein und doch füllt sich der große Platz mit Leben wie bei einem großen Fest.

„Künstler aller Art sind heute eingetroffen und erhoffen sich hier eine Leiter für ihre Karriere, die Herberge sind voll besetzt. Um die Stadt herum wurden Zelte aufgeschlagen“, berichtet Cuno dem Alchemisten.

„Ein wenig ungewöhnlich für Sklavenhändler“, bemerkt Clive.

Cuno nickt zustimmend und schnaubt, als er den Kopf zurück zum Zelt schwenkt. „Leopold ist kein gewöhnlicher Sklavenhändler, er sticht aus der Menge heraus und ist ein sehr gefährlicher Mann.“

Ähnliche Worte hörte Clive bereits vom Grafen. Bei ihrem Ziel handelt es sich um kein unbeschriebenes Blatt mehr. Der Sklavenhändler soll landesweit seine Kontakte pflegen, was die Festnahme verkompliziert. Denn der Graf geht davon aus, dass Leopolds Verhaftung großes Aufsehen erregen wird.

 

Ein Blick zur Seite und dem Alchemisten gefriert das Blut in den Adern, als sich im Schatten einer Säule etwas bewegt und formt. Die Gänsehaut macht sich auf Clives Armen breit und ihm stockt der Atem, als er die mögliche Bedrohung im Auge behält. Der seltsame Schatten nimmt nun Form an, eine vermummte Gestalt tritt hervor. Cuno wird ebenfalls auf den Fremden aufmerksam. Doch statt in Alarmbereitschaft zu gehen, betrachtet er den Vermummten erwartungsvoll.

„Drei Männer sind nah bei den Käfigen stationiert und einige Wachen wandern durch das Zelt. Leopold befindet sich in seinem Büro und übt seine Rede. Wie fahren wir fort?“

Eine Katzenpfote. Der Lagebericht und das lautlose Anschleichen sprechen für einen Spion des Grafen. Der Anführer der Katzenpfoten präsentierte sich dem Alchemisten nicht verhüllt und wirkte zu gewöhnlich, daher weiß Clive nicht, wie sich die Spione tarnen. Gesehen hat Clive noch keinen auf einer Mission. Bis er die Stadt betrat, waren die Katzenpfoten nur ein Gerücht. Eine Legende mit nur schwammigen Berichten von unzuverlässigen Augenzeugen.



 

Den Kontakt mit dem Vermummten scheut Cuno nicht. Nicht im Geringsten. Er verhält sich zu gelassen, als gehören solche Begegnungen zum Alltag. Großes Vertrauen beweist der Paladin in den Fremden, als er die Käfigschlüssel auf Augenhöhe hält.

„Wir haben die Schlüssel zu den Käfigen, wenn …“

Statt Cuno aussprechen zu lassen, tritt der Vermummte vor und keucht. „Wie seid ihr an die Schlüssel gelangt? Die werden gut bewacht. Bislang hielten wir einen Diebstahl nicht für realistisch!“

„Rebecca“, mehr muss Cuno nicht sagen.

Der vermummte Mann seufzt, bevor er sich dazu äußert: „Die Schlüssel werden von Leopolds rechter Hand behütet, ein jähzorniger Mann namens Joachim. Er wird die verschwunden Schlüssel sicherlich suchen. Reine Spekulationen und allein die zwei Möglichkeiten, ob er Leopold davon berichten wird oder die Sache allein klären möchte, könnte unser Unterfangen gefährden. Wir können hoffen, dass er sich Leopolds Zorn nicht aufhalsen möchte.“

 

Statt die Sorgen seines Gegenübers zu vertiefen, hält Cuno es für wichtig, ihm ein weiteres Detail zu nennen.

„Rebecca wurde ins Anwesen gebracht.“

Der Fremde nickt zufrieden. „An den Leibwächtern wird Joachim nicht vorbeikommen, eine gute Entscheidung.“

In diesem Augenblick erkennt Clive, wie stark er sich in dem Verhaltensmuster vom Paladin irrte. Die beiden Fremden kommunizieren auf einer ganz anderen Art. Sie planen gemeinsam im Voraus und berechnen gefährliche Variablen ein, die Clive außer Acht gelassen hat. Denn für den Alchemisten klingt es ganz danach, dass beide vermuten, Rebecca wurde entweder kurz vor dem Diebstahl gesehen oder ihr Ruf eilt ihr voraus. Die rechte Hand des Sklavenhändlers wüsste womöglich, wo er suchen müsste und dass es unangenehm für Rebecca werden könnte. Den beiden scheint es um ihre Sicherheit zu gehen.

 

„Die Leute kennen mein Gesicht, ab hier werde ich mich von dem Alchemisten trennen. Die Schlüssel gebe ich in deine Obhut, Stephan. Bring den Alchemisten in das Zelt, befreit die Sklaven und bringt diese zum Anwesen. Ich werde mit meinen Leuten Leopold persönlich aufsuchen und ihm zuerst ins Gewissen reden“, beschließt Cuno.




Ein Wurf und ein Fang. Stephan blickt auf, bevor die Sorge aus ihm spricht: „Passt auf Euch auf, Cuno. Und unterschätzt Leopold besser nicht.“

Zum Schutz der Tarnung spielt Cunos Alleingang eine große Rolle und doch lernte Clive seine Gesellschaft zu schätzen. Er wünschte trotz dem Zwist zwischen Linus und Cuno würden sie noch länger als Team agieren.

Als erkenne Cuno den Stimmungswandel bei Clive, tritt dieser näher und klopft ihm sogar kumpelhaft auf die Schulter. Wie bei einem alten Freund. Eine aufbauende Geste, die Clive sogar ein mattes Lächeln entlockt.

„Stephan wird Euch beschützen und an Euer Ziel führen, ihr seid bei ihm in guten Händen“, versichert Cuno ihm.

Clive nickt im vollen Vertrauen und doch spricht die Sorge aus ihm: „Passt auf Euch auf, Cuno.“

„Das gilt auch für Euch.“

Mit einem freundlichen Lächeln läuft Cuno davon.

 

„Folgt mir bitte“, meldet sich Stephan und verschwindet hinter der Säule.

Durch seine dunkle Kleidung verschmilzt er mit im Schatten der Häuser. Clive dreht sich bewusst zu seinem Begleiter Linus. Zu ruhig verhält sich sein Begleiter. Wie sich zeigt, wirkt Linus Geist fern. Die Brauen treffen sich schon fast.

„Bist du bereit?“, spricht Clive seinen Freund an.

Dieser zuckt ertappt zusammen und  hebt den Kopf mit einem beunruhigten Blick. Ein verdächtiges Verhalten. Sicherlich plagt den Söldner noch immer die Sorge, aufzufliegen. Doch bevor Clive nachhaken kann, setzt sich Linus in Bewegung.

„Bringen wir es schnell hinter uns!“

Linus verhält sich seit dem Besuch im Anwesen des Grafens auffällig abweisend. Nur ungern möchte Clive den Bruch einer Freundschaft akzeptieren. Sobald sich die Möglichkeit bietet, mag Clive das Gespräch zu seinem Freund suchen.

 

Das Zelt mag in Sichtnähe sein und doch fühlt sich der Weg zum Ziel unfassbar lang an. Clive erweist sich als Paradebeispiel des Versagers, wenn es um körperliche Fitness geht. Nur ein kurzer Sprint und schon brennen seine Lungen. Er atmet laut und würde Linus nicht eingreifen und ihn hinters nächstbeste Hindernis ziehen, wären sie bereits aufgeflogen. Sowohl Stephan und Linus ermahnen ihn mit bösen Blicken, keine Laute von sich zu geben. Die wohl größere Herausforderung besteht darin, Stephan nicht aus den Augen zu verlieren. Das Zelt ist fast erreicht, da pfeift die Katzenpfote und kurz darauf erheben sich zwei ebenfalls vermummte Gestalten aus ihrem Versteck. Sie wenden Clives Mittel an, dabei überwältigen sie zwei Wachen von hinten und drücken ihnen die Tücher ins Gesicht.



 

Das Mittel wirkt innerhalb weniger Sekunde. Wie Cunos Soldat schaffen die Katzenpfoten die bewusstlosen Sklavenhändler aus den Augen der Leute. Beunruhigend schnell und auffällig, sodass ihr Umfeld ahnungslos bleibt. Zu ihrem Vorteil befinden sich alle Augen auf die Künstler gerichtet. Nun gilt es schnell zu verschwinden. Stephan hebt das Zelt an und schlüpft hindurch. Ohne Absprache mag Clive ihm nicht folgen und wartet mit Linus wie bestellt und nicht abgeholt. Je mehr Zeit verstreicht, umso nervöser wird Clive. Er kann jedoch aufatmen, als Stephan zurückkehrt und ihnen versichert, dass die Luft rein sei. Als Clive seiner Aufforderung folgen möchte, das Zelt zu betreten, fällt ihm auf, dass die anderen beiden Katzenpfoten nicht mehr zu sehen sind. Dabei fiel dem Alchemisten nicht auf, zu welchem Zeitpunkt sich die beiden verabschiedet haben.

 

Im Zelt herrscht eine stickige Luft. Der Boden wurde mit Stroh gekleidet und das Licht fällt nur spärlich durch winzige Öffnungen. An den Käfigen entdeckt Clive die verschwundenen Assassinen. Beide beschäftigen sich mit der Öffnung der Käfige, dabei werfen sie die Schlüssel von dem einem zum anderen und im Handumdrehen ist der richtige Schlüssel gefunden. Ein kleiner Wortwechsel, zu leise, um einen Laut zu verstehen, und doch erheben sich die Sklaven aus ihren Käfigen. In Begleitung bringen die zwei Katzenpfoten sie hinaus. Nur Stephan bleibt zurück und schnappt sich Clive grob an der Schulter. Er führt den Alchemisten zu dem Käfig, wo die angebliche Hexe gefangen gehalten wird. Stephan mag Schweigen und doch sieht Clive die Furcht in seinen Augen. Ein gesunder Respekt vor dem Unerklärlichen. Ein stummes Nicken soll den Alchemisten auffordern, sich um das Problem zu kümmern. Nur eine kurze Demonstration der offenen Käfigtür soll Clive sicherlich überzeugen, dass nichts mehr einer Befreiung im Wege steht, sollte Clive das Vertrauen der Dame gewinnen.

 

Noch während Clive sich auf Augenhöhe kniet, meldet sich Linus‘ Skepsis mit einer Frage: „Spricht sie überhaupt unsere Sprache?“

„Nicht das wir wüssten“, antwortet Stephan schulterzuckend.

Ein Blick in den Käfig zeigt noch immer eine starke Frau. Keine von Angst zerfressene Seele, sondern jemand, der Hoffnung wittert. Sie mag die exotische Pflanze an sich klammern, und doch huschen ihre ozeanblauen Augen umher.



„Ich verstehe euch“, überrascht ihn die junge Frau. Mit einer glockenhellen Stimme. Gefasster, als Clive annahm.

 

„Die Tür ist offen, beeil dich, Alchemist. Ich befreie die anderen Sklaven und dann verschwinden wir von hier. Eine Kutsche parkt nicht weit, sie bringt euch zum Anwesen“, kaum spricht Stephan zu Ende, läuft er auch schon fort.

Überfordert schaut Clive hinterher. Er mag den Lageplan im Kopf haben, denn die Fluchtroute studierte er sich ein. Dennoch wird er erneut zurück gelassen, was ihn überfordert.

„Werdet ihr mich auch wegsperren?“, spricht die Sklavin zu Clive.

Noch immer fehlen Clive die Worte, daher schüttelt er seinen Kopf.

„Was ist los, Clive? Was hat die Hexe mit dir gemacht?“, spricht Linus ihn nun an.

„Ich bin keine Hexe“, widerspricht sie ihm beleidigt und reckt das Kinn.

Doch der Söldner betrachtet sie hasserfüllt. „Mir machst du nichts vor, Hexe!“

Der Alchemist funkelt seinen Begleiter erzürnt an, bevor er endlich seine Stimme wiederfindet. Statt einer Diskussion mit Linus zieht er ein Gespräch mit der Sklavin vor. Daher fixiert er die Gefangene und hofft, sie erkennt, dass er Ehrlichkeit schätzt und selbst aufrichtig spricht.

„Wir sind hier, um dir zu helfen. Wenn du möchtest, bringen wir dich nach Hause.“

Seine Worte überraschen die fremde Frau, sie blinzelt ihn unglaubwürdig an.

Ihre Reaktion verwundert ihn, woraufhin er verwundert nachfragt: „Willst du nicht nach Hause?“

Im Nachhinein verärgert es ihn, dass er die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen hat, dass sie eventuell von Zuhause weggelaufen ist.

Doch zu seiner Überraschung entspannen sich ihre Züge und sie hinterfragt verwundert: „Nichts wäre mir lieber. Aber kannst du das überhaupt?“

„Los, wir gehen! Jetzt! Mit oder ohne diese Frau!“, beschließt Stephan aus der Ferne.

Daraufhin hält Clive seine Hand durch die offene Tür des Käfigs und spricht sanft zu ihr: „Du musst mir vertrauen, wir wollen dir nichts Böses. Ich bringe dich von hier fort, aber wir müssen jetzt verschwinden.“

Ihr Zögern verwundert ihn nicht und er mag Verständnis dafür zeigen, auch wenn sich Stephan ihnen bedrohlich nähert.

 

Ohne zu Zögern zerrt Stephan den Alchemisten vom Käfig fort und knurrt: „Die Zeit ist um!“



„Nein! Gebt mir bitte nur …“, will Clive ihn um mehr Zeit bitten.

Er bricht jedoch ab, als plötzlich die zierliche Hand nach seiner freien Hand greift. Als er der Sklavin in die Augen sieht, legt sich eine wohltuende Wärme um sein Herz wie ein Schal an kalten Wintertagen. Ihr Blick fesselt ihn. Nicht in der Lage, wegzuschauen, fühlt er sich ihr vom ersten Moment an verbunden.

Solange bis Stephan sie rausscheucht, schließlich nähern sich die ersten Sklavenhändler und die Katzenpfote stürzt sich mit Wurfmessern in den Kampf. Doch Cunos Freund bekommt schnell Verstärkung von seinen anderen beiden Kollegen.

 

Auch Linus scheint sich die Fluchtroute gemerkt zu haben. In einem wilden Chaos aus Kämpfen, panischen Menschen und fliehenden Massen orientiert sich der Söldner schneller an ihre Umgebung. Clive folgt ihm, wobei er die Dame weiterhin an der Hand hält. Nicht bestimmend, sondern ganz vorsichtig. Der Marktplatz wird gerade durch eine Gasse verlassen, da folgt ihr Ruf.

„Bitte haltet ein!“

Auf ihre Bitte geht der Alchemist ein. Kaum halten die beiden an, mag er sich nach dem Grund erkunden, doch die Gelegenheit dazu erhält er nicht sofort. Denn er entdeckt die vielen Pfeile, die sich ihnen irreschnell nähern. Er möchte bereits seinen Koffer als Schutzschild missbrauchen, ein Opfer, das er nur ungern bringt und doch würde es ihnen eventuell das Leben retten. Soweit muss es aber nicht kommen, denn die Pfeile bleiben um sie herum in der Luft schweben und rühren sich einfach nicht mehr, als stecken diese in eine unsichtbare Wand fest.

 

„Wie ist das möglich?“, staunt Clive.

„Hexerei! Was sonst?“, brummt Linus.

Mit einem konzentrierten Zug hält die Sklavin den freien Arm ausgestreckt und erst als dieser sinkt, fallen auch die Pfeile zu Boden.

„In Ordnung, wir sollten weiter“, schlägt sie nun vor.

Fassungslos starrt Clive sie an. Kaum gerettet vollbringt diese junge Frau ein Wunder. Noch immer rätselt er über das, was er zu Augen bekam. Erst Linus verärgerter Ruf rüttelt ihn aus der Starre und sie setzen den Weg fort. Ihre Transportmöglichkeit wartet in einer Nebenstraße, viele Sklaven sind bereits eingestiegen.

 



Kaum reihen sie sich in die Warteschlange vor der Kutsche ein, bleibt ihnen etwas Luft. Ein passender Moment, um sich vorzustellen.

„Mein Name ist übrigens Clive“

„Sina“

Ein ungewöhnlicher, aber sehr schöner Name.

„Es freut mich, dich kennen zu lernen, Sina.“

Er lächelt ihr aufrichtig zu und freut sich, wie entspannt das Gespräch mit ihr verläuft. Ganz anders wie zu Beginn. Bevor er ihr zur Rettung eilte. Ein Blick zur Seite zeigt, dass sie ihre geliebte Pflanze in eine Beuteltasche gesteckt hat. Ein Wunder, dass sie diese behalten durfte. Für gewöhnlich nehmen Sklavenhändler ihrem Fang sämtliche Taschen ab. Bevor sein Glück endet, mag Clive ein weiteres Detail in Erfahrung bringen.

„Kommst du aus der Gegend?“

„Nein, ich befürchte nicht“, antwortet sie mit einem Ausdruck, der an Heimweh erinnert.

Wie befürchtet. Sie wurde sicherlich von weit her eingeschleppt und doch lernte sie ihre Sprache. Das ist eine beeindruckende Leistung.

Doch Clives Lächeln schwindet, als er den dunklen Schatten hinter Sina erblickt. Die Klinge blitzt hervor und er muss schnell handeln, bevor es zu spät ist.

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