Kapitel 9
In so kurzer Zeit hat er seinen Namen zu hassen gelernt, mal wieder wird Clive mitten bei seiner Arbeit unterbrochen. Rebecca beweist sich als lautstark und nervtötend, dabei ist gerade jetzt Konzentration angesagt. Nähernde Schritte machen ihn nur noch nervöser, als würde es dabei blieben, schallt Rebeccas Stimme erneut durch den Flur. Selbst die geschlossenen Türen schaffen es nicht ihre Lautstärke zu dämmen, erneut ruft der Langfinger seinen Namen. Die Frau, die es zuletzt gewagt hatte, seine geschätzte Tasche zu stehlen. Die Frau, die in Hosen statt in Röcken oder Kleidern herumläuft.
Als sich die Schritte von der Tür entfernen, atmet Clive erleichtert aus. Er wollte sich wieder in Ruhe auf die Mischung der Medizin konzentrieren, aber die neugierigen Augen, die ihn Tag ein Tag aus beobachten, entgehen ihm nicht. Sina beobachtet gespannt jede seiner Bewegungen, egal, wie unbedeutend sie auch sein mögen.
Drei Tage sind seit ihrer Befreiung vergangen. Drei Tage voll Schmerz und Reue. Aber auch drei Tage voll Erleichterung, denn die Tochter des Grafen erholt sich. Ihr Fall brachte Clive jedoch an seine Grenzen. Er musste totes Gewebe entfernen. Die Nekrose betraf zum Glück nur obere Hautschichten. Eine Infusion von Prostaglandin war dabei unausweichlich. Dabei handelt es sich um Gewebshormone mit vielfältigen Wirkungen. In dem Fall zur Erweiterung der Blutgefäße. Nitratsalze ließen die Gefäße entspannen, wodurch der Blutdruck gesenkt und die Blut- sowie Sauerstoffversorgung des Herzmuskels verbessert wurde. Auch die Verabreichung von Calcium hielt er für sinnvoll, denn er machte die Erfahrung, dass bei Patienten mit auffällig starken Kopfschmerzen oft Linderung damit erfahren. So auch bei einer seiner jüngsten Patientin. Die Halluzinationen und das brennende Schmerzempfinden verschwanden relativ schnell. Die Pilzsporen wurden erfolgreich vernichtet und die Grafentochter bleibt seit gestern fieberfrei. Sie wirkt von Stunde zu Stunde erholter. Noch ein wenig Bettruhe und sie wird das Anwesen schon bald wieder unsicher machen. Ihr Körper zeigt eine schnelle Wundheilung. Clive wird immer aufs Neue positiv überrascht, wenn er die Verbände wechselt. Arbeit lenkt den Alchemisten von dem Verlust seines Freundes ab. Sina erholte sich schnell von den Strapazen. Zu ihrer Sicherheit soll sie ihr Gemach nicht verlassen. Zu Clives Bedauern traut sie keiner Menschenseele außer ihm, deshalb teilen sie sich dieses Zimmer. Die Gerüchteküche brodelt bereits. Zu Beginn konnte sich der Alchemist nur schwer damit anfreunden, rund um die Uhr in weiblicher Gesellschaft zu sein. Aber wäre es doch nur Sina, auch der Langfinger sucht ihn mehrmals am Tag auf. Zu Beginn war er misstrauisch, bis Rebecca wahres Interesse an seiner Arbeit zeigte. Sie durchlöchert ihn mit unzähligen Fragen. Selbst im Magisterturm wurden ihm noch nie so viele Fragen gestellt. Rebecca spricht ohne Punkt und Komma. Ein sehr redegeselliger Mensch. Dabei weiß er es besser, hinter ihrem Lächeln steckt eine tiefe Traurigkeit. Die Spuren einer unausgesprochenen Vergangenheit.
Nach drei Tagen wünscht sich Clive, so gern er sie auch gewonnen hat, ein wenig Rebecca-Frei. Der Langfinger hat ein Gespür dafür, wo er sich gerade befindet. Ob in seinem Gemach, außerhalb des Anwesens, im prachtvollen Garten des Grafens oder unterwegs durch die großen Räumlichkeiten, sie findet ihn einfach überall. In drei Tagen hätte seine Arbeit gefruchtet und die Herstellung eines ordentlichen Sortiments an Medizin wäre ein realistisches Ziel. Aber nicht mit all den vielen Unterbrechungen. Bislang sieht es jedoch ganz schön mager in seinem Koffer aus. Obwohl nichts an Zutaten fehlt und auch die Gerätschaften blubbern bereits fleißig. Die Temperatur der Flamme wurde bereits geregelt, die Zutaten sind frisch und von hoher Qualität. Aber ihm fehlt die Ruhe und Konzentration.
Verärgert lässt er alles stehen und liegen, als Rebecca erneut nach ihm ruft. Hoffnung keimt in Sina. In den drei Tagen war sie nicht untätig und bekam viele Einblicke in die Alchemie. Mit ihrer schnellen Auffassungsgabe. Sie analysiert schneller als so manche andere Alchemiestudenten und arbeitet nach ausführlicher Einweisung kontrolliert und verantwortungsvoll mit den Gerätschaften. In der Welt der Alchemie wäre Sina sicherlich schnell ein aufgehender Stern. Ein schlummerndes Genie, das er immer wieder betont. Leider gibt es einen großen Haken. In ihrem Zeitalter gibt es für Frauen nicht viele Berufe. Eine Frau in der Wissenschaft würde auf Spott und Schikane stoßen. Sie würde nicht geduldet werden. Um das Image des Magisterturm zu schützen, würde keine Frau eine Zulassung erhalten. Gesellschaft sind die Rollen klar verteilt. In Clives Augen lachhaft. Allein einer Frau an die Alchemie heranzuführen könnte Clive den Job kosten, doch er hält es für richtig, jedem Interessierten sein Wissen zu vermitteln, solange dieses nicht für kriminelle Zwecke missbraucht wird.
Sina ist ein wahrer Schatz. Sie assistiert ungefragt und liest ihm die Wünsche von den Lippen. Mit einem zauberhaften Lächeln löscht sie die Flamme, sodass er sich um die Trankherstellung vorerst keine Gedanken machen muss. Sich mental auf Rebecca vorzubereiten käme Clive gelegen, doch Sinas entzückender Anblick lässt ihn erneut alles vergessen. Besonders in den hochwertigen Kleidern, die der Graf ihr zur Verfügung gestellt hat. Helle Farben, die ihrem Haar schmeicheln. Schnittmuster, die ihren Kurven betonen. Niedliche Details wie feinste Spitze und Schleifen, die Sina einen jugendhaften und verspielten Charakter verleihen. Und doch mag sich Sina mit den neuen Kleidern kaum anfreunden können, denn sie setzt auf Bewegungsfreiheit und vielerlei Verstaumöglichkeiten. Ähnlich wie Alchemisten, die den Kleidungsstil so anpassen, dass sie schnellen Zugriff auf ihr Inventar haben. Mit der Hilfe von zusätzlichen Taschen und Sonderanfertigen von Gürteln, an den sich viele Gegenstände unterbringen lassen. Der Graf erweist sich ebenfalls als Genie, denn unter eleganten Umhängen, lassen sich Sinas Flügel verstecken, womit sie gewöhnlich wirkt. Auch wenn sich Sina sich nur schwer mit der Tarnung abfinden lässt. Ständig beklagt sie wie unangenehm es sich anfühlt, die Flügel stundenlang unter den schweren Gewändern zu verstecken. Sie fürchtet sich davor, nie wieder fliegen zu können. Doch all diese Maßnahmen dienen zu ihrem Schutz und sind nicht verhandelbar.
Gefangen und versteckt in diesem Gemach–ein Segen für Clive. Er könnte sich stundenlang mit der Herstellung von Arznei befassen oder in Bücher versinken. Sina hingegen beneidet seine Ausflüge. Etwas, was sie ihm gern unter die Nase reibt. Nur heute nicht. Sie mag im aufmunternd entgegen lächeln und doch sieht er die Traurigkeit in ihrem Blick. Sicherlich betrachtet sie diesen Raum nur als vergrößertes Gefängnis, dennoch zeigt sie viel Verständnis für ihre Lage. Sie möchte nur ungern andere in Gefahr bringen, nur weil ihr geholfen wird. Hier steht einfach zu viel auf dem Spiel. Kaum die Tür heraus stellt Clive fest, dass Rebecca bereits um eine Ecke gebogen ist. Und doch wirkt ihre Stimme ganz nah. Sie führt eine ungezwungene und lockere Unterhaltung. Clive hört, wie jemand losprustet vor Lachen und Rebecca vor Zorn tobt.
„Ja, lach du nur! Das Kleid würde dir sicherlich mehr stehen als mir! Schon schlimm genug, dass ich diesen Fetzen trage! Weißt du, wie unbequem das ist? All die vielen Schnüre! Kriege die mal allein auf! Am liebsten würde ich sie aufschneiden! Ich habe es nicht so mit Geduld! …“
Ohne Zweifel, es handelt sich um Rebecca. Sie hört einfach nicht auf zu schnattern und ihr Gegenüber scheint sich köstlich darüber zu amüsieren.
Als Rebecca ihren Mund zu macht, meldet sich eine vertraute Stimme.
„Du siehst einfach nur irrkomisch aus, es passt überhaupt nicht zu dir.“
„Rede weiter! Dann schlitze ich dich auf!“, brummt Rebecca.
Bevor die Situation eskaliert, will Clive dazwischen gehen. Eilig biegt er um die Ecke, erblickt er Cuno. Dem Paladin stehen die Tränen in den Augen vor Lachen, während Rebeccas Gesicht einer wilden, bösartigen Bestie gleicht.
Allein ihre Stimme verrät den Langfinger, sonst hätte Clive sie nicht widererkannt. Ihre wilde, dunkle Mähne wurde irgendwie gebändigt und passend zu ihren mausbraunen Augen steckt sie in einem zartrosafarbenen Kleid. Ihr Verhalten gleicht einer Barbarin, als sie zornig an Cuno rüttelt und ihn auffordert, besser nicht über sie zu lachen.
„Rebecca, du hattest mich gerufen?“, spricht der Alchemist sie an und befürchtet schon, dass sie ihn gar nicht hört.
Ein Irrtum, denn die Angesprochene nimmt erzürnt Abstand von Cuno und schreitet grimmig zu Clive. Dabei klatscht sie sich ihre Hände einmal gegen ihre Wangen und schon ändert sich ihre Miene, sie zwingt sich zu einem Lächeln.
Nur wenige Gesprächfetzen reichen aus, um sich einen kleinen Überblick von der Situation zu verschaffen. Clives Plan mag gewagt sein und doch will er herausfinden, wie Rebecca tickt. Schließlich muss sie ihre Gründe für ihr Verhaltensmuster haben. Vielleicht sucht sie Anerkennung und sehnt sich danach, gesehen zu werden. Rebecca zeigte bereits viele launische Gesichter, daher kostet Clive die Einmischung etwas Mut.
„Du siehst heute bezaubernd aus, Rebecca.“
Für einen kurzen Moment hält Rebecca inne und starrt auffällig lange mit offenem Mund. Als suche sie Zeichen für einen üblen Scherz. Dabei gibt sich Rebecca Mühe. Sie kommt der Garderobe im Anwesen des Grafens gewissenhaft nach und obwohl sie Cuno erklärte, wie aufwendig das Outfit sei, kehrt sie nicht zurück in ihr altes Muster. Nun wird aus dem gespielten Lächeln ein Ehrliches. Eins, das Rebecca eine wahrlich natürliche Schönheit verleiht und sicherlich zu einem seltenen Anblick wurde. Cuno hat jedoch kein Feingefühl und zerstört ihr diesen Moment mit seinem gehässigen Lachen, daraufhin lässt Rebecca ihre Fingerknochen knacken und dreht sich mit einem mörderischen Blick zurück zu dem Paladin, der sie herausfordernd anblickt.
„Du wirst verlieren, mein Lieber!“
Cuno hebt mit einem amüsierten Gesichtsausdruck seine Augenbraue und bezweifelt dies: „Von wegen, ich bin stärker geworden, Rebecca.“
Für diese Albernheiten hat Clive wenig Zeit, also spricht er gezielt zu ihr: „Rebecca, wie kann ich dir helfen?“
Rebeccas Miene hellt plötzlich auf. Aufgeregt spricht sie zu ihm: „Ich habe etwas Langeweile, lass mich dir doch helfen. Ich kann dir beim Sammeln oder der Herstellung helfen. Was hältst du davon?“
„Das muss warten, der Graf wünscht dich zu sehen, Clive.“
Erneut durchkreuzt Cuno ihre Pläne und lässt sie auffällig tief einatmen, als müsste sie anstauende Wut im Griff kriegen. Mit aufgeblasenen Wangen und mürrischen Blick dreht sich Rebecca zu ihrem Freund. Aber einen Grafen sollte Clive besser nicht warten lassen, also schreitet er zu Cuno, der Rebecca wenig Beachtung schenkt und Clive ohne Umweg zum Büro führt.
Gegen Clives Erwartung lässt Rebecca die beiden Kerle ziehen. Ein neues Verhaltensmuster, dem der Alchemist nicht traut. Keine paar Schritte entfernt, bleibt er stehen und blickt zu Rebecca zurück. Allein, wie sie mit den Augen lächelt wirkt verdächtig.
„Bitte rühre nichts im Labor an, Rebecca. Es lassen sicherlich schnell Aufgaben für dich finden, aber als Laie könntest du einen großen Schaden anrichten.“
Ertappt weiten sich ihre Augen und mit einem lautes Seufzen bricht sie ihre gerade Richtung und lässt sich hängen.
„Aber mir ist so langweilig!“
„Dann sammele mir Mondblumen. Frische und junge Blüten.“
Im Nu hellen ihre Augen auf.
„Auch die Kräuter?“
Was Clive auch sagen wird, sie sammelt eh mehr als genug. Daher nickt Clive und sieht sich erneut in der Großküche des Grafen, um den Überschuss anderweitig zu verarbeiten. Ein Nicken und Rebecca zieht eilig von dannen. Ein lautes Händeklatschen seitens Cuno.
„Du hast Rebecca gut im Griff. Sie macht wenig Ärger.“
Clive seufzt erschöpft und allein sein müder Blick sollte bereits alles sagen. Ähnlich wie mit Linus sind auch die Unterhaltungen mit Cuno informativ und offen. Clive erfährt viel von der Gegend. Von Gefahren durch Banditen oder gefährlichen Pässen. Die Abreise rückt näher. Die Grafentochter wird auch ohne den Einsatz eines Alchemisten genesen und Sinas Aufenthalt bringt den Gastgeber mit jedem weiteren Tag in Gefahr.
Mit einem Klopfen treten die beiden in Graf Byloms Reich ein, der besorgte Vater versinkt in Arbeit. Auf seinem Schreibtisch liegen bereits viele Schriftrollen und Blätter herum. Alles Hinweise auf mögliche Bedrohungen oder Folgen für ihr Handeln. Clive fürchtet, er hält sich bereits zu lange an jenem Ort auf. Daraufhin blickt er besorgt zum Paladin auf, doch Cuno widmet sich seinen Pflichten und tritt näher an den Grafen heran.
„Graf Bylom, der Alchemist.“
Die Feder liegt der Gastgeber augenblicklich nieder, auch wenn sein Blick noch weiter auf dem Schriftstück liegen bliebt. Der Herr des Anwesens besteht auf weniger Förmlichkeit. Auf ein freundschaftliches Verhältnis. Einen Grafen jedoch beim Vornamen zu nennen erweist sich als eine große Hürde für Clive. Respekt und Anstand vor dem Adel werden jeden Alchemisten von Beginn auf eingetrichtert.
„Ach komm schon, Clive. Ich bin ein Mensch, wie jeder andere auch.“
Natürlich verliert der Graf seine Geduld. Er mag freundlich bleiben und doch hört Clive einen gewissen Schalk heraus.
„Gar nicht mal so leicht“, gesteht der Alchemist.
Kasimir– ein schöner Vorname. Und doch unangebracht. Allein die Autorität, die der Graf ausstrahlt, erschwert dem Nachkommen der Bitte. Etwas, dass Graf Bylom erkennen zu scheint, denn er zieht eine enttäuschte Schnute.
„Nun gut, wie geht es meiner Tochter?“
„Sie hat das Schlimmste überstanden und ist bereits zu Kräften gekommen, es wird nicht mehr lange dauern, dann wird sie munter durch die Gegend rennen“, davon ist Clive überzeugt.
Wie zu erwarten, bevorzugt der Graf das Schweigen und sein Blick wirkt messerscharf. Eine Prüfung. Eine von vielen weiteren, die Clive kennt. Das Antoniosfeuer wird nicht umsonst gefürchtet. Die Sterberate ist beängstigend hoch. Um seinen Gegenüber zu überzeugen erstattet er ausführlicher Bericht. Der Graf hört beherrscht zu, zeigt kaum Gefühlsregung.
Am Ende faltet Graf Bylom geduldig die Hände ineinander und nickt zögerlich. Noch immer mit eiserner Miene.
„Zwischendurch besuchte ich meine Tochter und wurde dadurch Zeuge von ihrer Genesung. Meinen Glückwunsch, Alchemist. Damit habt Ihr ein Wunder vollbracht. Alle gaben meine Tochter auf. Alle außer ein reisender Alchemist kurz vor seiner Prüfung. Ihr habt mir verschwiegen, dass Ihr Euch noch in der Ausbildung befindet.“
Beschämt senkt Clive den Kopf. In der Tat vergisst er gerne dieses alles entscheidende Detail zu nennen. Er darf laut dem Magisterturm Praktizieren und doch nur mit dem Hinweis, dass er noch als Lehrling agiert. Aber Clive sieht das Elend und plant bereits die nächsten Schritte. Ein Fehlverhalten, dass ihn großen Ärger bereiten kann. Vielleicht sogar heute.
„Verzeiht…“
Der Graf fordert ihn mit einem Handzeichen zum Schweigen auf.
„Ob Lehrling oder nicht, es spielt keine Rolle. Ihr wart meine letzte Hoffnung und mal ehrlich, nie käme mir in den Sinn, dass Ihr Euch erst in der Lehre befindet. Ihr praktiziert wie ein erfahrener Alchemist. Ich habe Euch rufen lassen, weil wir uns um ein anderes Anliegen kümmern müssen.“
Er klingt ernst und Cuno blickt beunruhigt, als der Graf seinen Kopf rüber zu Cuno schwenkt.
Der Paladin nickt seinem Herrn zu, bevor er das Wort an den Alchemisten richtet: „Bedauerlicherweise hast du deinen Begleitschutz verloren, Clive.“
Ein akutes Problem, das Clive verdrängt, dabei rückt die Abreise näher heran und ohne Begleitschutz setzt er Sina großen Gefahren aus. Auch der Magisterturm würde noch nicht in Kenntnis gesetzt, dabei gehöre dies zu seinen Pflichten. Doch Clive fällt es schwer, einen Bericht aufzusetzen. Schließlich trägt er eine große Teilschuld und Lügengeschichten kann er nicht mal eben aus den Fingern saugen.
„In der Tat“, seufzt der Alchemist und würde das Thema gerne begraben. So wie Linus Leiche einst vor wenigen Tagen.
Doch zu seinem Bedauern mag der Graf die Angelegenheit weiter vertiefen.
„Hast du dich schon um Ersatz gekümmert?“
„Nein“, Clive antwortet höflich, obwohl sein todtrauriger Ausdruck sicherlich zeigt, wie er wahrlich empfindet.
Aber der Graf lächelt verschwörerisch. „Gut.“
Naja, ob das wirklich so gut ist, ist wohl Ansichtssache.
Clive bemerkt nun das langgezogene Lächeln auf dem Gesicht des Paladins, woraufhin er misstrauisch zum Grafen blickt.
„Würde sich ein Abstecher ans Meer einrichten lassen?“, fragt Cuno ihn aus heiterem Himmel.
Genug wurde gesagt und angedeutet, um zu erahnen, was die beiden planen. Clive kann dies jedoch nicht gut heißen, daher richten sich seine Worte an den Grafen: „Ihr entbehrt einen Paladin? Könnt ihr Euch das überhaupt leisten?“
Der Graf stemmt seine Arme in seine Hüften und teilt ihm amüsiert mit: „Du magst es nicht glauben, Clive. Aber ich habe drei Paladine in der Stadt.“
Drei? Ziemlich ungewöhnlich für eine Kleinstadt wie diese.
„Ich bin dem Grafen zu teuer“, scherzt Cuno.
„Das bist du, Cuno. Also raus mit dir! Raus aus meiner Stadt und liege jemand anderem auf dem Geldbeutel“, schimpft der Graf spielerisch, bevor er loslacht.
Cuno stimmt in sein Lachen ein, während Clive nur da steht und nicht wahrhaben kann, dass ihn ein Paladin begleiten möchte. Ein Held des Volkes.
Ihr Gelächter verstummt und Cuno wirkt empört. „Du willst mich nicht dabei haben.“
„Einen Paladin? Hör mal, Junge, etwas Besseres wirst du nicht kriegen“, versichert der Graf ihm.
„Ein Paladin beschützt das Volk. Er kämpft für Recht und Ordnung. An meiner Seite wäre sein Talent verschwendet“, findet Clive.
„Ach komm schon, Clive. Ich wollte die weite Welt sehen“, folgt Cunos Einwand.
„Verzeih, Cuno. Aber du wirst woanders gebraucht. Ein Söldner tut es auch. Der Magisterturm kann dich niemals entlohnen. Auch mit meinem Lohn wären solche Kosten nicht gedeckt.“
„Du machst dir um meinen Sold Sorgen? Ich wurde bereits bezahlt für diese Reise, der …“, will sich Cuno verplappern.
Doch der Graf unterbricht ihn: „Pscht! Das sollte er doch gar nicht wissen.“
„Mein Fehler, aber nun gut.“ Cuno stemmt die Arme an die Hüften. „Dann haben wir das schon mal geklärt. Du wirst mich nicht los, Clive. Außer du bist schneller wie ich im Laufen und hängst mich ab.“
Clive seufzt entkräftet. „Nein, das geht nicht.“
Auffordernd winkt der Graf den Alchemisten zum Schreibtisch. „Komm her, mein Freund. Du hast mir deine Route genannt und es gibt da etwas, was ich dir unbedingt mitteilen muss. Etwas, was mir selbst Magenschmerzen bereitet.“
Geschlagen nähert sich Clive einer ausgerollten Landkarte. Darauf befinden sich kleine farbige Holzfiguren stationiert, die einige mächtige Adleshäuser präsentieren.
Der Graf greift beunruhigt nach einer Schriftrolle und teilt ihm mit: „Eigentlich würde ich dir von deiner Reise abraten, denn du marschierst auf ein Kriegsgebiet zu. Vier Adelsfamilien haben sich dort verfeindet, es fehlt nur noch der Funke, bevor sie sich die Köpfe gegenseitig einschlagen. Diese Reiche sind nicht länger sicher, du könntest dort in eine üble Sache verwickelt werden. Aber das Gebiet ist einfach zu riesig, um es zu umgehen.“
Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten.
Clive fährt sich durch seine blonde Mähne, bevor er das Unvermeidliche ausspricht: „Dann muss ich den Magisterturm Bericht erstatten und auf ihre Antwort warten.“
„Sinas Aufenthalt mag zwar eine Bedrohung für mein Reich sein, aber du bist ein Freund meiner Familie, Clive. Du bist hier jederzeit willkommen und darfst solange bleiben, wie du magst. Wenn du bereit bist, dieses Risiko einzugehen, dann stelle ich dich auch gern mit Sina hier ein. Ich zahle gut und ihr bekommt faire Arbeitsbedingungen. Du hast mir meine Felder gerettet, meine Tochter vor dem Tod bewahrt und eine Gruppe krimineller Sklavenhändler zerschlagen. Alle außer dem Kopf hinter den Sklavenhändlern sind meine Gefangene, Leopold wird es bei mir nicht leicht haben. Er wäre ein Narr, wenn er sich länger in meinem Reich aufhält. Was ich sagen will, überlege es dir gut. Solltest du die Reise antreten, dann niemals allein. Ohne Cuno wirst du nicht gehen, er wird dich vor jeglichen Gefahren beschützen und wenn du deine Reise beendet hast, dann bringst du mir Cuno gesund zurück.“
Kaum spricht der Graf zu Ende, blickt Clive gerührt auf. So viel Anerkennung hat er nicht verdient und doch behandelt der Graf ihn seit seiner Rückkehr wie einen guten, alten Freund. Nur kurz wurde er förmlich und Clive hatte Sorge, dass es daran lag, weil er die Sache mit seiner Lehre verschwieg. Vielleicht war dies auch die kleine Rache vom Grafen. Seine humorvolle Art, ihn zu sticheln. Doch, was Clive hier angeboten bekommt, dass erhalten nur die wenigsten Leute. Paladine werden nur für Königshäuser und dem einflussreichen Adel als Begleitschutz zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen die Informationen von oberster Geheimhaltung. Was muss der Graf ihn vertrauen, so leichtfertig über die Politik zu sprechen. Und doch will Clive sich erkenntlich zeigen. Er will über Sorgen und Pflichten sprechen. Außerdem interessiert ihn die Meinung des Grafe zu seinem Unterfangen. Noch muss keine Entscheidung fallen, aber dieses Gespräch könnte ein paar Denkanstöße geben, die Clive helfen, schnell einen Entschluss zu treffen.


































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