Alkoholdrachenproblem (5)
Glen flatterte etwas hin und her und die Augen der Kinder folgte ihm. „Ja, ich glaube, die können mich wirklich sehen.“
„Wir können dich übrigens auch hören“, bestätigte der Junge.
„Das sieht nur so aus wie ein Drache“, begann ich. „In Wirklichkeit ist das ein …“
„Du bist witzig“, unterbrach mich Glen. „Was für eine unglaubwürdige Erklärung willst du dir denn jetzt für mich ausdenken. Ne, ne, ne. Ich bin ein Drache, Kinder. Um genau zu sein, ein Schottischer Whiskydrache.“
„Das ist sooo cool“, sagte der Junge und strahlte. Ich zuckte bei seiner Piepsstimme einfach nur zusammen. „Wir haben bis jetzt keinen anderen Drachen außer Sara gesehen.“
Ein blauer Drache tauchte zwischen den beiden Kindern auf. Er war ein ganzes Stück kleiner als Glen, der früher auch mal so winzig war, dass er in meiner Flasche hätte baden können. Er war sicher über die Jahre in der gleichen Form gewachsen, wie meine Leber.
„Oh wow!“ Glen war offenbar überrascht. „Die ehrwürdigen Drachenbeobachter haben nicht gelogen.“
„Hab ich wieder was verpasst oder verschlafen?“, fragte ich. „Was haben die alten Drachenknacker erzählt?“
„Sie haben gesagt, dass bald viele Drachen auf der Erde auftauchen würden, aber dass wir mit solcher Prominenz beehrt werden, hätte ich nicht gedacht.“
„Das ehrt mich“, säuselte eine Frauenstimme in meinem Kopf und ich fuhr zusammen.
„Wer ist das?“, presste ich hervor und rieb mir den schmerzenden Kopf.
„Das ist Sarasvati, Hüterin der Weisheit. Drache des vierten Kreises und so bekannt, dass sie sogar in einer eurer Religionen auftaucht.“
„Nie gehört“, murmelte ich.
| [Sarasvati ist gekränkt. Du verlierst einen Sympathiepunkt beim Team Nora/Mika/Sara.] |
Ich zog die Augenbrauen hoch. Sympathiepunkte? Ja, ich konnte mich grob erinnern, dass ich so etwas für Nichtspielercharaktere eingebaut hatte, aber diese Version war doch eine Multiplayer-Variante und die Kinder echte Menschen. Wandelte das System der Drachen etwa alles in Werte um, auch echte Gefühle, wie Zuneigung und Abneigung? Das war heute einfach zu viel für mich. Ich griff nach meiner Flasche … die viel zu leicht war. Wann hatte ich die denn geleert?
Hinter den Kindern begann die Missionsanzeige zu blinken und ich kniff die Augen zusammen. Ein Knopf war umrandet und auf dem stand: [Mission abschließen]. Ich klickte in die Luft, die Kinder folgten neugierig meinem Finger und die nervig blinkende Missionsanzeige verschwand. Hoffentlich würden jetzt meine Kopfschmerzen besser werden. Ich würde in Zukunft wohl um einen Darkmode betteln müssen, mit gemäßigten Farben und weniger Geblinke. Aber so, wie ich die alten Drachenknacker einschätzte, würden sie es, nur um mich zu quälen, noch schlimmer machen.
Wie aufs Kommando folgte eine Reihe Systemnachrichten, jede begleitet von einem Fanfarentusch, der mich innerlich aufjaulen ließ.
| [Du hast deine Tutorialmission abgeschlossen.] |
| [Du hast 15 Drachenmünzen erhalten.] |
| [Die Getränkedrachenliga wurde eröffnet.] |
| [Das Team Erik/Glen wurde in die Getränkedrachenliga aufgenommen.] |
| [Das Team Nora/Mika/Sara wurde in die Getränkedrachenliga aufgenommen.] |
In der Ferne hörte ich noch mehr Fanfarenklänge. Was bedeutete das? Und warum wurde genau mit dem Abschluss meiner Mission die Liga gestartet?
„Glen, diese Liga, gab es die vor meiner Mission schon?“
Glen flatterte umher und grinste verlegen. Ja, auch Drachen konnten grinsen, aber man brauchte schon jahrelange Übung, um ihre Gesichtszüge richtig deuten zu können. „Die ehrwürdigen Drachenbeobachter sagen, dass die Testphase beendet ist. Das war der letzte Release Candidate. Mit dem Abschluss deiner Mission wurde ein Update auf die Erde geladen und wir befinden uns nun im fertigen Spiel.“
„Ich war ein Beta-Tester?“
„Du und viele andere. Auch diese Kinder“, erklärte Glen.
„Hah! Hab ich’s doch gewusst!“, rief der Junge. „Das Ganze ist ein Spiel!“
Das Mädchen verdrehte die Augen. „Was solls. Solange es Abenteuer gibt.“
| [Du hast die Rolle Held erhalten.] |
„Was?“, fragte ich ungläubig. „Was soll der Scheiß denn? Warum soll ich bitteschön ein Held sein und was bedeutet das überhaupt?“
Der Junge starrte mich einen Moment an. „Schau mal auf dein Profil“, sagte er dann.
„Was, wo mache ich das? Das ist nicht der Charakterbogen, oder?“ Es war schon irgendwie peinlich, dass dieser kleine Junge mehr über dieses neue System wusste als ich, dem die Drachen es ja geklaut hatten.
„Profilseite aufrufen!“, befahl der Junge und eine blaue Seite erschien in der Luft. Links oben prangte sein Profilbild, daneben Name und Profession. Mika hieß er und er war ein Schreiber/Kopist. Viel mehr stand da nicht.
„Was ist denn ein Schreiber/Kopist?“
„Ich übertrage das Wissen der Drachen in die Datenbanken der Spieler, wann immer ich etwas Neues entdecke. Das soll die Sache spannender machen, wenn nicht von Anfang an alles bekannt ist. Das kann zwar jeder machen, aber nur meine Informationen sind garantiert fehlerfrei.“
„Das hast du dir gut gemerkt“, lobte Sara.
Mika strahlte. „Die Profilseite anderer Spieler kann übrigens immer angeschaut werden“, erklärte er. „Profilseite von Erik aufrufen.“
Eriks Profil erschien. Mein Name, eine Profession hatte ich noch nicht. Bei mir wurde aber die Rolle des Helden angezeigt. Es gab Links auf meinen Charakterbogen und meinen Fähigkeitenbaum. Konnte nur ich die sehen? Ich wolle die Frage stellen, da entdeckte ich ganz unten eine Kachel, die in einer Schleife ein Video abspielte. Da war ich drauf. Und die Bank und … oh. Ich tippte darauf.
Das Video wurde groß, zeigte mich von schräg oben, wie ich vor der Tür der Bank in die Kamera grinste, dann eine Weile lang rumstand und scheinbar mit mir selbst redete, bis Glen kurz durchs Bild flackerte. Dann torkelte der Bankräuber heran, mit ausgestreckter Waffe und einen Moment später saß ich auf ihm.
„Das ist ja cool!“, rief mir Mika.
| [Du hast einen neuen Fan.] |
| [Du gewinnst einen Sympathiepunkt beim Team Nora/Mika/Sara.] |
Ich beachtete die Meldungen schon gar nicht mehr. Selbst wenn ich jetzt ein Held war, was allein schon schlimm genug war, war auch noch Glen auf dem Video zu sehen. Ich stand auf und schlug mir den Kopf an. Die beiden Kinder sogen empathisch scharf die Luft ein, als litten sie mit mir gemeinsam. Dann stolperte ich die kleine Leiter hinunter, die in den Garten führte.
„Was tust du, Erik?“, fragte Glen.
„Wir müssen hier weg, irgendwo untertauchen!“
„Warum?“
„Bist du blind oder noch besoffener als ich?“ Ich blieb mit dem Mantel an einem Strauch hängen, der neben dem Zaun stand, über den ich wieder in die Freiheit klettern wollte. „Ah, Scheiße! Heute muss auch alles schief gehen!“ Darüber, dass ich nichts mehr zu trinken hatte und seit gestern pleite war, wollte ich gar nicht erst reden. Ich zog an meinem Mantel, aber er verhedderte sich nur noch mehr. Frustriert setzte ich mich auf den Boden, halb auf das Gras des Gartens, halb auf die Erde neben dem Zaun, auf der Blumen und Büsche wuchsen, und schmollte vor mich hin.
Ein alter Mann in braunem Jackett blieb auf der anderen Seite des Zauns stehen und sah mich an.
„Haben sie noch nie einen schmollenden Mann gesehen?“, fuhr ich ihn an.
Er war erst erstaunt, dann lachte er nervös. „Zumindest noch keinen, der dabei in meinem Blumenbeet sitzt.“ Großartig. Sein Blumenbeet? Konnte es jetzt noch schlimmer kommen? Nein … das hatte er jetzt nicht gefragt. Sonst kam es noch so.
„Onkel Benjamin!“, riefen die beiden Kinder und stürmten auf ihn zu. „Wir haben ihn wirklich gefunden, wir haben den Drachen gefunden!“
„Oh, wo kommt ihr denn her? Habt ihr heute nicht eigentlich Schule?“
Die Kinder blieben stumm. Hatten sie mir gerade nicht noch ihre tolle Ausrede präsentiert?
Der alte Mann lächelte. „Nun, ich habe mir irgendwie gedacht, dass ihr wieder auftauchen würdet.“
„Bist du jetzt böse auf uns“, fragte das Mädchen, das dem Ausschlussverfahren dann wohl Nora war.
Onkel Benjamin schüttelte den Kopf. „Es bestehen besondere Bedingungen. Das haben wir unter anderem unserem Helden hier zu verdanken, der die Drachen auf blöde Gedanken gebracht hat.“
Ja, da war es, was ich mir unbedingt gewünscht hatte. Es kam noch schlimmer. Scheinbar wusste auch der erstbeste alte Mann, dem ich in seinem Garten begegnete, dass die Drachen Unfug mit meiner Spielidee angefangen hatten.
„Steh auf, Held Erik, der Heimatlose, du kannst erstmal bei mir unterkommen, bis wir wissen, wie wir die Welt retten sollen.“
Eine Systemnachricht ploppte auf.
| [Du hast einen neuen Titel erhalten: Erik der Heimatlose.] |
Die Kinder lachten und ich sah finster in den Himmel, auch wenn ich keine Ahnung hatte, von wo aus die alten Knacker mich beobachteten.
„Du wirst ja richtig berühmt, wenn das so weitergeht“, stichelte Glen.
„Ach halt doch die Klappe, du bist daran genauso schuld, wie ich.“
Mika befreite mich aus der Gefangenschaft des Busches, indem er ein Loch in meinen Mantel schnitt. Ich regte mich schon nicht mehr auf.
Im Nachhinein betrachtet, hätte das einfach die Geschichte sein können, wie ich mit Onkel Benjamin einen neuen Vermieter fand, und nicht, wie ich beinahe die Welt zerstören würde. Leider war das aber erst der Anfang vom Ende. Doch das ist eine andere Geschichte. (Vielleicht die nächste? 😉)
| [ENDE] |






























Ich ahne Übles. Muss der arme Herr Ti etwa auch mitspielen?
Und wird hier auch ein Protagonist gekillt, wenn es mal zur richtigen Geschichte kommt?
Ich hatte die anderen Kurzgeschichten tatsächlich auf Englisch mal alle um die RPG-Elemente erweitert. Und je nach Prota, würden die anderen irgendwie dabei sein, aber zumindest Chameos haben.
Und ich bringe nicht immer die Protagonisten um. Manchmal auch die Leser 😛