SdS – Kapitel 14
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Durch Nebel und Nacht, durch Flüstern und Traum – führt dich der Sternenpfad über Grenzen und Raum.
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Ich versuchte, mich auf die vier Frauen zu konzentrieren. Es gelang mir nicht, die Geräusche und Bewegungen um mich herum auszublenden. Auch wenn es schön war, so empfand ich es in diesem Augenblick als verwirrend. Es waren unendlich viele Eindrücke, die auf mich einströmten, dabei wollte ich gut zuhören können, wenn ich eine Antwort erhielt.
„Verena“, sprach Amara nach einer gefühlten Ewigkeit, „die Sterne haben dir einen Segen gegeben, von dem sie spürten, du brauchst ihn.“ Ich sah sie an, hörte ihre Worte, doch verstand ich sie nicht. Gab es etwa verschiedene Segen?
„Die Sterne können sehr unterschiedliche Segen verteilen“, erklärte eine der anderen Frauen, als hätte sie meine Gedanken erraten. „Manchmal schenken sie einem den Segen der Friedfertigkeit, wenn jemand oft aufbrausend ist und seine Gedanken nicht mehr fokussieren kann.“
„Oder sie schenken einem eine heilende Hand, sodass man durch seine Berührung anderen Heilung von seelischen Schmerzen geben kann“, sagte die dritte Frau.
Nun drehte ich den Kopf zur letzten Frau und wartete ab, ob auch sie etwas sagen würde. Aber sie lächelte mich nur still an. Für mich klang das wieder einmal viel zu mystisch. Müsste ich nicht wissen, welchen Segen ich bekommen hatte, damit ich ihn auch nutzen konnte?
„U-und woher w-weiß ich, was i-ich für einen Segen bekommen habe?“
„Hast du es denn nicht gespürt?“, fragte Amara verwundert. Ich schüttelte den Kopf. „Das ist ungewöhnlich. Normalerweise geben die Sterne der Gesegneten das Wissen mit, damit sie den Segen direkt einsetzen kann.“
Nun sahen mich alle Frauen interessiert an. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und ich konnte fühlen, wie meine Handinnenflächen schweißnass wurden. Da half mir auch die beruhigende Atmosphäre vom Sternenland nicht. Mit meinen Fragen stand ich im Mittelpunkt. Und wenn ich es richtig verstand, war mit mir etwas Ungewöhnliches geschehen, was nicht normal war. Dabei sehnte ich mich so sehr danach, normal zu sein. Warum gewährten mir nicht einmal die Sterne die Erfüllung dieses Wunsches?
„Wir können Silvia fragen, sie ist so etwas wie die Älteste hier“, schlug Amara vor. „Du erinnerst dich sicherlich an sie, die Frau mit den silbernen Haaren.“ Ich nickte. „Wenn jemand etwas dazu sagen, dann bestimmt sie.“
    
    
        
        
„Ja, Silvia, sie weiß es bestimmt“, pflichteten die anderen Frauen bei. Schon sprangen sie auf. „Kommst du mit? Oder sollen wir sie suchen und hierherholen?“
Ich zuckte zusammen, mein Blick irrte zu den vielen Frauen hinüber, die auf der Wiese waren. „I-ich bleibe hier“, brachte ich stammelnd hervor. Hastig verschränkte ich die Finger miteinander. Es war mir unangenehm, dass ich meine Sorgen von der Erde mit hierherbrachte.
„Ich gehe“, sagte Amara mit fester Stimme, „ihr könnt Verena ein paar Lieder vorsingen, bis ich zurück bin. Es wird nicht lange dauern.“ Schon schritt sie davon, leichtfüßig, sodass es fast wie ein Davonschweben aussah.
Bevor die drei Frauen zu singen begannen, stellten sie sich vor: Myriel, Rose und Tabea. Myriel zauberte aus ihrem langen Gewand ein Tamburin hervor und schlug den Takt, dann fingen sie an, zu singen. Ihre Stimmen waren hell und klar. Ich atmete tief durch, allmählich fiel die Verkrampfung von mir ab, und ich ließ meine Hände locker in meinen Schoß fallen. Selbst mein Herzschlag beruhigte sich. Erst nach einer Weile bemerkte ich, dass ich nicht verstand, was sie sangen, es war eine mir fremde Sprache. Aber es war auch nicht wichtig, ihre Worte zu verstehen, die Melodie und die Fröhlichkeit gaben mir ein Gefühl von Wohlbehagen.
Einige Lieder später kam Amara mit Silvia zurück. Sie lächelte mich an und setzte sich neben mich. „Du hast Fragen, Verena?“ Ich nickte. „Die Sterne haben dir nicht offenbart, welchen Segen sie dir schenkten?“ Wieder nickte ich. „Nun, vielleicht haben sie es, doch du hast dich nicht geöffnet, um die Wahrheit zu erkennen.“
Ich sah zu den anderen vier Frauen, denn ich verstand nicht, was Silvia damit ausdrücken wollte. Sie lächelten nur und sprachen nichts. Entweder verstanden sie es auch nicht, oder sie wollten Silvia nicht unterbrechen. Also wandte ich mich wieder Silvia zu und wartete ab, was sie mir noch sagen würde.
„Wenn du möchtest, Verena, kann ich dir helfen, die Worte der Sterne zu verstehen. Dazu musst du mir deine Hände geben und die Augen schließen.“
Ich schluckte nervös. Wieso war es nur immer allen wichtig, sich an den Händen zu berühren? Und war es mir tatsächlich so wichtig, mehr über den Segen zu erfahren, dass ich meine Hände in ihre legen wollte? Ich zögerte. Dann erinnerte ich mich an mein Stottern, mein rasendes Herz, die schweißnassen Hände. Vielleicht konnte ich all das besiegen, wenn ich wusste, welchen Segen ich erhalten hatte und wie ich ihn anwenden konnte. Also blieb mir nicht wirklich eine Wahl, ich musste Silvia berühren.
    
    
        
        
Langsam streckte ich meine Arme, sah das Zittern meiner Finger, und legte seufzend meine Hände in ihre. Danach schloss ich sofort meine Augen und hoffte, dass es bald vorbei war.
„Erinnere dich an den Tag, als die Sterne für dich getanzt haben“, sprach Silvia mit sanfter Stimme. „Erinnere dich an den Sternenstaub, der in der Luft herumgewirbelt ist und auf dich herabfiel. Erinnere dich an das Gefühl, als dieser Sternenglanz dich berührte, dich erfüllte.“
Ich versuchte, es mir vorzustellen. Ich erinnerte mich, was geschehen war, aber es war mir nicht möglich, die Gefühle neu heraufzubeschwören, die ich gehabt hatte. War so etwas überhaupt möglich? Man konnte doch nichts fühlen, was vergangen war?
„Denk nur an den Segen, der dich umhüllte“, sprach Silvia, als ob sie bemerkt hätte, dass meine Gedanken abdrifteten. Dieses Mal versuchte ich noch konzentrierter, nur an die tanzenden Sterne und den glitzernden Sternenstaub zu denken. Er war auf meine Haut gefallen. Danach hatte es sich angefühlt, als ob er unter meine Haut getaucht wäre, alles von mir und in mir eingehüllt hätte.
„Oh.“ Mehr sagte Silvia nicht, bevor sie meine Hände losließ. Ich öffnete erstaunt meine Augen, weil noch gar nichts geschehen war. Wieso hatte sie mich losgelassen? Ich wusste immer noch nicht, welchen Segen mir die Sterne geschenkt hatten.
„Verena, ich weiß nun, welchen Segen du erhalten hast“, sagte Silvia und runzelte die Stirn. Das beunruhigte mich. Im Sternenland waren alle immer fröhlich und beschwingt. Gerunzelte Stirnen hatte ich nirgends gesehen. „Es ist ein sehr ungewöhnlicher Segen“, gestand sie schließlich. „Ich habe noch nie gehört, dass jemand einen solchen erhalten hätte.“
Diese Worte ließen mein Herz erneut schneller schlagen. Mein Puls schnellte in die Höhe, und meine Hände waren direkt schweißnass. Meine Schwester hatte mich zu Nicole gebracht, damit ich hier Hilfe fand. Stattdessen wurde alles nur immer schwieriger und verworrener.
„W-was ist es denn f-für ein Segen?“
„Verena, dir wurde die einmalige Gabe geschenkt, einen bereits toten Menschen wieder ins Leben zu rufen.“ Die Verwirrung in mir nahm zu. Was sollte das für ein Segen sein? Warum sollte ich einen toten Menschen wieder lebendig machen wollen? „Aber du musst wissen, dass der Mensch, den du ins Leben zurückrufst, alle seine Erinnerungen verloren hat – und auch all seine menschlichen Emotionen.“
    
    
        
        
Ich schluckte, in meinem Kopf rasten die Gedanken wild umher. Das sollte mein Segen sein? Das sollte mir helfen, meine Unsicherheit, meine Ängste, meine Schwächen zu überwinden? Mir schoss durch den Kopf, dass ich vielleicht doch zu einem Psychiater gehen sollte, um mir ein Medikament verschreiben zu lassen. So schlimm konnte es auch nicht sein, lebenslang Tabletten zu nehmen. Ich durfte nur nicht den Beipackzettel mit den Nebenwirkungen lesen, dann würde es schon okay sein.
„Vielleicht bist du nun verwirrt, Verena“, fuhr Silvia fort, „da dies ein sehr ungewöhnlicher Segen ist. Aber sei versichert, die Sterne haben dir genau das gegeben, was dir auf deinem Lebensweg helfen wird.“
Ich sah sie einfach nur mit großen Augen an. Was sollte ich auch sagen? Ich hatte noch nie den Wunsch verspürt, irgendjemand ins Leben zurückzuholen. Wenn man tot war, dann war man tot. Das war eine Tatsache, die normal war. Vielleicht war es eine Zeit lang ungewöhnlich, dass mit einem Mal das Tier fort war oder man die Oma nie wieder sah. Aber so war es auch mit den Menschen, wenn sie fortzogen. Das hatte ich immer wieder erlebt.
Silvia streckte die Hand aus, zog sie dann aber wieder zurück und lächelte mich an. „Ich merke, dass du nun Zeit für dich brauchst, um das zu verarbeiten.“ Sie blickte die anderen Frauen an. „Kommt, Schwestern, wir setzen uns ein Stück zur Seite, damit Verena Freiraum für sich hat.“
Sie standen auf und gingen ein paar Schritte von mir weg, bevor sie sich erneut ins Gras setzten und zu singen anfingen. Ich sah auf das grüne Gras vor mir. Dann richtete ich meinen Blick auf eine der dunkelblauen Pflanzen, fokussierte die leuchtende Blüte und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. Ich atme Unsicherheit und Angst aus und atme Mut und Stärke ein. Das Mantra half mir nicht. Also schloss ich die Augen. Ich hörte fröhliches Lachen und Lieder, die die Luft erfüllten und das Sternenland zu etwas ganz Besonderem und Magischem machten.
Ich musste vergessen, was für einen sonderbaren Segen ich erhalten hatte. Das Hiersein sollte reichen, um mir Kraft zu geben, damit ich in der Lage war, meine Ängste, Zweifel, Unsicherheiten zu überwinden.
Und dann erinnerte ich mich an die Stelle im Archiv der Zentralbibliothek.
    
    
        
        
Ich öffnete meine Augen und blickte zu den Frauen hinüber. Amara schien es zu spüren, denn sie sah sofort zu mir. Ohne zu sprechen, stand sie auf und kam herüber. Auch ich stand auf. Und dann brachte sie mich zurück in meine normale Welt, wo Einhörner und Feen und glitzernder Sternenstaub nur Fantasie waren.
				
				


































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