Die Tür ohne Griff
Als Riley in ihrem Zimmer ankam, zitterten ihre Hände noch immer. Sie war allein. Izzy war nach kurzem Aufenthalt lieber zu Mia gegangen– ob aus Angst oder aus dem Wunsch heraus, nicht allein zu sein, wusste Riley nicht. Wahrscheinlich beides. Und auch wenn sie es nicht zugeben wollte: Sie beneidete Izzy darum. Es war kurz nach Mitternacht. Der Campus war still. Zu still. Normalerweise hörte man irgendwo Musik, Schritte, Gelächter. Heute Nacht schien der gesamte Ort den Atem anzuhalten. Riley zog ihre Bettdecke bis ans Kinn, aber der Schlaf wollte sie nicht finden. Immer wieder hallte das Flüstern in ihrem Kopf nach. Kommt nicht zurück. Ihre Gedanken wanderten zu dem Gesicht, das Ben gesehen haben wollte. Hatte sie es auch gesehen? In einem der Schatten – war da nicht etwas? Ein Umriss? Ein Blick? Die Heizung knackte. Ein vertrautes Geräusch, das trotzdem dazu führte, dass sie zusammenzuckte. Dann – ganz leise – hörte sie Schritte. Nicht draußen. Nicht auf dem Flur. In ihrem Zimmer. Oder darunter. Langsam setzte sie sich auf. Die Dunkelheit schien dichter geworden zu sein, als würde sie sich bewegen. Riley griff nach ihrem Handy. Kein Empfang. Kein WLAN. Selbst das kleine LED-Licht der Ladeanzeige war erloschen.
Ein tiefes Grollen durchzog den Boden. Kurz, dumpf, aber spürbar. Wie ein entferntes Beben. Sie stand auf und trat vorsichtig an die Tür. Öffnete sie. Der Flur lag im Dunkeln, nur schwaches Notlicht erhellte den Gang in regelmäßigen Abständen. Niemand war zu sehen. Ein kalter Luftzug strich ihr über die Haut. Und dann sah sie es. Am Ende des Flurs stand eine Tür. Eine Tür, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Zwischen zwei Zimmern, an einer Stelle, wo es laut Bauplan keine Tür geben dürfte. Sie war aus dunklem Holz, alt und verziert – aber ohne Griff. Kein Schloss. Kein Türknauf. Nur ein dunkles Rechteck, das wie ein Auge auf sie zurückstarrte. Riley schluckte. Sie sollte zurück ins Zimmer gehen. Sich zudecken. Ignorieren, was sie sah. Aber ihre Füße bewegten sich von allein. Langsam. Schritt für Schritt. Je näher sie kam, desto mehr spürte sie ein Vibrieren in der Luft. Ein leises Summen. Als würde der Raum selbst atmen. Vor der Tür blieb sie stehen. Ihre Hand hob sich. Berührte das Holz. Es war warm. Zu warm. Plötzlich spürte sie einen Hauch an ihrem Nacken. Nicht kühl. Heiß. Wie der Atem eines Lebewesens.
„Riley…“ Sie wirbelte herum. Niemand da. Aber die Stimme war real gewesen. Ganz nah. Zischend, flüsternd – vertraut. Zu vertraut. „Riley… komm rein.“ Die Stimme war nicht mehr hinter ihr. Sie kam aus der Tür. Aus dem Holz selbst. Riley trat zurück. Doch in dem Moment begann das Holz sich zu verformen. Die Maserung zog sich zusammen, als würde das Material selbst ein Gesicht formen. Augen, Nase, Mund. Alles angedeutet, flüchtig. Und dann – ein Laut. Kein Wort. Kein Flüstern. Ein Schrei. Dumpf, gequält, aus der Tiefe. Die Lichter im Flur flackerten. Die Tür vibrierte. Und plötzlich öffnete sie sich – nicht nach innen, sondern nach außen. Als würde sie etwas freigeben. Schwärze. Kein Raum dahinter. Nur Dunkelheit. Dicht. Lebendig. Riley stolperte zurück, wollte weglaufen – doch der Boden unter ihr veränderte sich. Ihre Füße sanken leicht ein. Der Teppich war nicht mehr da. Stattdessen war da… Erde? Kalter, feuchter Boden. Sie blickte nach unten. Aus der Dunkelheit krochen Finger. Dünn. Knöchern. Schwarz wie verkohltes Holz. Sie schrie. Riss sich los. Rannte den Flur entlang. Ihre Schritte hallten wie Peitschenhiebe in der Stille. Hinter ihr ein Krachen, als hätte sich etwas aus der Tür befreit. Als sie wieder in ihrem Zimmer war, schlug sie die Tür zu und verriegelte sie. Atemlos. Herzrasend. Doch dann hörte sie es erneut. Direkt hinter ihr. Flüstern. Nicht aus der Wand. Nicht vom Flur. Direkt aus ihrem Spiegel. Langsam drehte sie sich um. Im matten Licht ihres Bildschirms spiegelte sich nicht ihr eigenes Gesicht. Sondern das einer anderen. Blass. Augenlos. Mit aufgerissenen Lippen. Es lächelte. Dann splitterte das Glas. Und alles wurde schwarz.































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