Adora-Kapitel 12

Jetzt, wo sie hier standen, ärgerte sich Rayan, dass er Adora mitgenommen hatte. Eigentlich war es ein routinemäßiger Ausflug. Sie hatten die Grenzen begutachten wollen, die nahe am Schloss lagen. Es war trotzdem ein Tagesausflug. Mit dem Pferd hin brauchten sie etwa einen Tag, weshalb sie sehr zeitig aufgebrochen waren. Rayan hatte vorgehabt, Adora die Grenzgebiete zu zeigen, damit sie wusste, bis wohin sie problemlos reiten konnte. Das war immerhin ihr liebster Zeitvertreib und er machte sich immer wieder Sorgen, da sie meist allein unterwegs war.

Adora war die letzten Wochen von seiner ehemaligen Amme angelernt wurden und das hier sollte der erste Ausflug sein, den sie zusammen unternahmen. Eigentlich hatte Rayan darauf gehofft, ein wenig abschalten zu können, doch was ihn hier erwartete, verhieß nur noch mehr Ärger und vor allem Gefahr.

„Mir wäre es lieber, wenn Ihr Euch jetzt zurückzieht“, bemerkte er unsicher.

Sie hatten einige Wachen dabei, doch für Adora war es dennoch zu gefährlich. Der Rauch, den er hinter dem Gebüsch aufsteigen sah, verkündete nichts Gutes.

„Ich werde auf mich Acht geben, aber ich kann nicht zurück, ohne Euch einen Teil Eurer Truppen zu kosten. Es ist wichtiger, dass diese bei Euch sind“, erwiderte Adora mit ruhiger, bedachter Stimme.

Rayan schätzte ihre Ansichten sehr. Vor allem die Art, wie sie die Dinge betrachtete. Natürlich hatte sie Recht. Er würde sie nicht ohne Wachen zurückschicken und das wiederum hieß, dass er weniger hier hatte. Er konnte ihren Worten also schwer widersprechen.

„Bleibt dicht an meiner Seite und seid wachsam“, mahnte er Adora, bevor er sein Pferd dazu bewegte, weiter zu laufen. Er musste sehen, was da vor sich ging.

Sie befanden sich an der westlichen Grenze seines Reiches. Eine Grenze, die sowohl am Meer als auch nah an seiner geliebten Stadt lag.

Eigentlich war dahinter Wildland. Territorium über das weder ein König noch eine Königin herrschte. Gleichzeitig gab es aber auch Geschichten von Wesen, die dieses Land unbewohnbar machten.

Bisher hatte Rayan an diesem Teil der Grenze nie Probleme gehabt, weshalb er sich nun wunderte, was hier vorgefallen war.

Er hatte von seinem Vater erzählt bekommen, dass die Wesen, die in diesem Land wohnten, wussten, dass sein Königreich als eine Art Puffer zwischen ihnen und den anderen diente. Die meisten anderen Königreiche wollten die Wesen ausrotten und das Land urbar machen. Er selbst hatte nie solche Wünsche gehegt.



Als er den Wald auf der Straße verließ und eigentlich in das Dorf kam, das hier Fischerei und Viehzucht betrieb, zog er scharf die Luft ein. Er hatte mit einem Brand gerechnet, doch das, was sich ihm bot übertraf alles, womit er gerechnet hatte.

Selbst seine Wachmänner konnten überraschte Laute nicht unterdrücken.

Adora hingegen wirkte recht gefasst. Sie stieg sogar ab, um das schwarze Zeug, das überall verteilt war, zu betrachten. „Asche“, murmelte sie überrascht, während sie die schwarze Masse zwischen den Finger rieb.

Rayan versuchte sich zu beruhigen und stieg ebenfalls ab. „Das komplette Dorf ist niedergebrannt“, brachte er hervor. Es waren nicht einmal Überreste der Häuser zu sehen.

Kein Laut schien hier zu herrschen. Weder die Natur noch die Bewohner waren zu vernehmen. Wo waren sie?

„Eure Hoheit“, sagte einer der Wachen, der noch auf dem Pferd saß und Rayan so Deckung gab. „Dort hinten sind Knochen“, sagte er mit gedämpfter Stimme. Wohl, damit Adora davon nichts bemerkte.

Rayan wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, doch mit ihrer Art hatte sie viele Leute aus seinem Hof um den Finger gewickelt. Die Wachen schätzten ihre Gegenwart und schienen in ihr etwas Beschützenswertes zu sehen. Die Diener nutzten jede freie Minute, um ihr etwas Gutes zu tun, ohne ihre eigentliche Arbeit zu vernachlässigen und sogar sein Bruder sucht ab und an ihre Gegenwart, um sich mit ihr zu unterhalten.

Obwohl sie sich an nichts, was ihre eigene Person betraf, erinnern konnte, war sie doch eine sehr gebildete, junge Frau mit viel Anziehungskraft und teilweise sehr weisen Ratschlägen.

„Das Feuer muss sehr lange unbemerkt gewütet haben, um das Dorf dermaßen gründlich von der Landkarte zu tilgen“, bemerkte Adora und sprach damit das aus, was Rayan dachte.

„Glaubt Ihr, es waren die wilden Wesen?“, fragte Amato, sein Hauptmann, der angespannt auf seinem Pferd saß und mit seinen Adleraugen die Umgebung absuchte. Den Bogen dabei die ganze Zeit gespannt.

„Nein. Dazu ist es zu durchdacht. Wären es die wilden Wesen gewesen, hätten sie nicht alles zerstört. Zudem glaube ich nicht, dass ein solcher Angriff unbemerkt geblieben wäre“, sagte Rayan angespannt. „Hier wurde systematisch alles niedergebrannt.“



Rayan fragte sich, ob es sich hier um einen Angriff einer fremden Nation handelte. Versuchte man, seine Nahrungsproduktion lahmzulegen, um ihn zu schwächen?

„Ich werde die Wachposten in diesem Bereich verstärken lassen“, entschied Amato. Rayan vertraute ihm. Er wusste, was das Beste war. Daher nickte er nur, während er versuchte, herauszufinden, was hier losgewesen war.

Dabei näherte er sich Adora, die scheinbar ebenfalls Interesse daran hatte, herauszufinden was hier geschehen war.

Als sie sich einem verbrannten Körper näherte, war er versucht, sie aufzuhalten. Gleichzeitig wollte er sie jedoch nicht einengen. Ein Kraftakt, der ihn immer wieder halb wahnsinnig machte. Sie war wie ein heller Vogel, den er am liebsten in einen Käfig gesperrt hätte, damit er sie beschützen konnte. Es war schwer zu sagen, woher dieser Wunsch kam, denn eigentlich kannte er sie immer noch nicht. Gleichzeitig war ihre Nähe eine Wohltat für seine Seele. Dabei schien es nicht nur ihm so zu gehen.

Adora hockte sich hin, was Rayan dazu brachte, zu ihr zu eilen. Als er jedoch sah, was sie betrachtete, wurde ihm schlecht.

Langsam streckte Adora die Hand aus und strich über die verkohlte Wange des kleinen Kindes, das kaum noch als solches zu erkennen war. Nur die Größe gab einen Hinweis.

„Das arme, kleine Ding“, sagte sie mit so vielen Gefühlen in der Stimme, dass Rayan sie gar nicht alle fassen konnte. Gleichzeitig spürte er aber auch, dass sie diese wohl versuchte zu unterdrücken. „Sie ist so dünn. Als wäre sie vorher ausgehungert, bevor sie … so zugerichtet wurde“, flüsterte sie, wobei ihre Stimme am Ende brach.

Rayan sah die Tränen in ihren Augen und unterdrückte den Drang, diese wegzuwischen. Er schluckte. „Kommt. Das hier müsst Ihr Euch nicht ansehen“, sagte er sanft. Sie würden hier nicht viel finden. Er würde jemanden schicken, der Ahnung hatte und sich darum kümmerte.

Rayan rechnete fast damit, dass Adora widersprach, doch sie griff seine Hand und ließ sich hochhelfen, bevor sie mit ihm zurück zum Pferd lief.

„Eure Hoheit“, brachte Amato atemlos hervor, was Rayan sofort alarmierte. Er rechnete mit einem Angriff, doch das, was Amato ihm zeigte, war etwas anderes.



Sprachlos starrte Rayan auf die Stelle zwischen der Asche. Dort schob sich ein kleiner, grüner Spross der Sonne entgegen. Als würde er dem Tod trotzen wollen.

Adora folgte seinem Blick und lächelte sanft, aber traurig. „Was für ein Glück, dass wenigstens das Land überlebt hat“, sagte sie noch immer melancholisch.

„Verbrannte Erde sollte nicht solche …“, begann Rayan, brach aber ab, als er noch weitere solcher kleinen Wunder sah. Sie wirkten, als würden sie einer Spur folgen.

Rayan schüttelte leicht den Kopf. Das würde er ebenfalls untersuchen lassen müssen. Jetzt führte er erst einmal Adora zurück zu ihrem Pferd und half ihr hoch.

Kaum saß sie, ging auch er zu seinem zurück, um aufzusteigen. „Wir ziehen uns zurück“, verkündete er.

Was war hier nur geschehen? Er wollte sich nicht zu lange an diesem Ort aufhalten, da die Verursacher vielleicht noch in der Nähe waren. Dann wären sie noch immer in Gefahr, was er sich definitiv nicht leisten konnte.

Auf dem Rückweg bemerkte er, dass Adora zitterte und ihre Hände waren in die Zügel gekrallt. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sie um Fassung rang. Er konnte es sehr gut verstehen. Obwohl er versuchte, nach außen nicht zu zeigen, wie sehr es ihn mitnahm, spürte er doch in sich eine gewisse Kälte und vor allem Angst.

„Amato. Reite zurück und sorge dafür, dass diese Stelle untersucht wird“, wies Rayan an. Er selbst ritt neben Adora und bat sie, ihm zu folgen. Es war ein Versuch sie, aber auch sich selbst, abzulenken.

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