Luana – Kapitel 44


„Du willst uns also sagen, die Vampire mussten fliehen und sind jetzt bereit, bei uns zu leben?“, fragte Sienna nach, nachdem Amon ihnen erzählt hatte, dass ein neuer Vampirfürst an der Macht war und für Unruhe innerhalb der Vampire sorgte.
Luana konnte verstehen, dass ihre Stimme ungläubig klang, denn sie selbst konnte es auch noch nicht ganz glauben.
Amon nickte. „Ja. Ich kenn sie alle. Sie wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden“, sagte er nachdenklich. „Zudem wären sie eine Bereicherung. Sie bringen ihren kompletten Hausstand mit. Ehemalige Sklaven und sogar Güter.“
Luana stellte den Tee vor Sienna und das Glas Blut vor Amon. Er musste sich erst einmal stärken.
„Dad Problem ist die Menge. Fällt das denn nicht auf?“, fragte Ragnar besorgt. Luana hingegen machte sich Gedanken darüber, wie sie die ganzen Leute unterbringen sollten. Nicht nur wegen der Wohnmöglichkeiten. Auch Arbeit und generell Platz wurde bei der Menge schwierig.
Amon leerte sein Glas. „Das wird wohl nicht ausbleiben. Aber es ist besser, sie auf unserer Seite zu haben“, behauptete er. Dagegen konnte Luana nichts sagen. Es war natürlich besser, wenn sie Kampfkraft aufbauten.
„Ich würde gern mit ihnen sprechen“, bemerkte Sienna. „Mit jedem einzelnen. Ich möchte sie kennenlernen.“
„Das wird sehr lange dauern“, bemerkte Amon zögerlich.
„Dann ist das so. Trotzdem möchte ich sie zuerst einer … Kontrolle unterziehen“, beharrte Sienna. Luana gab ihr Recht. Besser, sie waren zu vorsichtig. Waren sie einmal hier und richteten Schaden an, konnte das alles zerstören.
„Gut. Wie machen wir das? Gehst du zu ihnen oder sie zu dir?“, wollte Ragnar wissen.
„Ich zu ihnen“, sagte Sienna, während Amon das andere sagte. Darauf blickten sich beide an, als würden sie darüber streiten wollen.
„Ich bin auch dafür, dass sie zu dir kommen. Wenn du rausgehst, könnten sie dich leichter angreifen“, bemerkte Luana besorgt.
Sienna blickte hilfesuchend zu Ragnar, der jedoch lediglich den Kopf schüttelte. Er schien auch Amons Meinung zu sein.
Frustriert, aber ergeben, seufzte Sienna und ließ etwas die Schultern hängen. „Nun gut. Ich wurde überstimmt“, grummelte sie. Sienna schien es zu akzeptieren, was Luana sehr beruhigte.
So konnten sie Sienna besser beschützen. Dabei mussten sie aber vorsichtig sein, denn Luana wusste, dass Sienna das meist nicht mochte.
Sienna beharrte auf ihren Willen und so lernte sie nach und nach die Neulinge kennen. Zuerst die Vampire, da diese das gefährlichste Teil der Gruppe war.
Luana hatte Angst gehabt, dass sich Sienna darüber pikieren würde, dass sowohl sie als auch Amon und Ragnar sie als Königin dieser Stadt vorstellten, aber sie nahm es recht gut auf.
Es war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was folgen würde, sobald Sienna offiziell gekrönt war.
Während sich Sienna und Amon mit den Neulingen auseinandersetzten, war Luana dabei, mit Ragnar den neuen Hof zu planen. Es sollte mehrere Posten geben, da sie beide wussten, dass wohl jeder gern für die Königin arbeiten würde. Im Grunde gab es nicht einen einzigen, der nicht eine Bemerkung in diese Richtung gemacht hatte. Damit war es schwer, die richtigen Leute auszuwählen.
Fest stand jedoch, dass Amon Siennas Berater, Ragnar der Hauptmann ihrer Wache und Luana selbst ihre Heilerin werden würde. Das würde der engste Kreis werden. Dann würden sie aber noch andere Leute brauchen. Unter anderem ein paar, die für die Wachen sprachen. Zudem wurden sie mittlerweile so viel, dass es nicht mehr leicht war, zu überblicken, wer alles welche Probleme hatte. Daher brauchten sie auch so etwas wie Sprachrohre zur Bevölkerung. Es würde regelmäßig Audienzen geben, doch das würde womöglich nicht reichen.
Luana wollte sich gerade eine Liste mit möglichen Kandidaten vornehmen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Seydon stolperte in den Raum. Bevor Luana fragen konnte, was los war, platzte es aus dem Werwolf heraus: „Grudon und Rudon sind unter den Sklaven.“
Luana brauchte einen Moment, um seine Worte zu verdauen, bevor sie aufsprang. „Was?“, fragte sie entsetzt und blickte zu Ragnar, weil sie dessen Einverständnis brauchte.
Dieser erhob sich und nahm ihren Arm. „Gehen wir zu ihnen“, sagte er entschieden. Es schien jedoch nicht so, als würde er sie allein lassen wollen.
Seydon lief vor und Luana wäre am liebsten hinterhergerannt, doch Ragnar sorgte dafür, dass sie nicht rennen konnte, weil er ihre Hand hielt. „Beruhig dich bitte“, bat er, denn es war nicht gut, wenn sie so kopflos agierten. Luana wusste das, doch Angst machte sich in ihr breit. Sie wollte wissen, wie es dem Rest ihres Rudels ging.
Gemeinsam traten sie durch das Tor. Zum ersten Mal konnte Luana von dieser Position aus die Iglus sehen. Es gar warmes Essen und ansonsten wurden die Leute gut versorgt.
„Wo sind sie?“, fragte sie aufgeregt, während sie förmlich an Ragnars Arm zog, der sie nicht loslassen wollte. Er war viel stärker, weshalb sie keine Möglichkeit hatte, sich loszureißen.
„Hier entlang“, bat Seydon, der sie entlang der Iglus führte. Überall saßen Leute, die sie neugierig, aber auch teilnahmslos nachblickten.
Luana fühlte sich ein wenig unwohl, doch als sie ihre beiden Brüder sah, füllten Tränen ihre Augen. „Rudon, Grudon“, flüsterte sie.
Beide, die gerade aßen, sahen auf und rissen ihre Augen weit auf. Es war unschwer zu erkennen, dass sie abgekämpft waren und scheinbar überrascht darüber, dass Seydon und Luana hier waren.
„Luana, Seydon“, sagte Grudon rau, bevor er die Schüssel zur Seite stellte und aufstand.
Er war ein großer, kräftiger Werwolf und als er Luana in den Arm nahm, verschwand sie fast in seiner Umarmung. „Du lebst“, flüsterte er erleichtert.
„Wie kommt ihr hierher?“, fragte Luana angstvoll.
Es war Rudon, der antwortete. Sein blondes Haar war unordentlich geschnitten und an sich sehr ausgeblichen. „Bei uns sind Fremde eingefallen“, erklärte er angespannt, bevor auch er Luana in den Arm nahm, um sie zu drücken. „Sie kamen so plötzlich und waren so stark, dass wir kaum gegen sie gewinnen konnten. Wir haben gekämpft, aber viele von uns wurden gefangen genommen.“
„Wisst ihr, ob noch andere hier sind?“, fragte Luana sofort, die Angst hatte, dass ihr restliches Rudel vernichtet worden war.
„Wir reden gleich mit Sienna“, flüsterte Ragnar ihr zu. Luana wandte sich zu ihm und blickte ihn mit großen Augen an.
„Denkst du, wir können ihnen Unterschlupf bieten?“, fragte sie hoffnungsvoll.
Luana wollte schon erleichtert seufzen, als es plötzlich laut um sie herum wurde.
„Beruhig dich doch“, rief jemand, der panisch klang, bevor es erneut krachte. Magie wurde geübt, das spürte Luana.
Überrascht wandte sie sich um und bemerkte, dass eine junge Frau mit einem Vampir rang. Dieser war noch sehr jung und seine Augen glühten rot.
„Nicht schon wieder“, murmelte Grudon erschöpft.
„Bitte seid ihm nicht böse, er ist einfach zu jung und reagiert zu heftig auf Blut, das legt sich sicher gleich wieder, wenn seine Mutter da ist“, sagte Rudon, der ebenfalls erschöpft klang.
„Seine Mutter ist gerade bei Sienna“, brachte Ragnar knurrend hervor, bevor er sich in die Richtung der beiden bewegte.
Die junge Frau war eine Itari, schien aber nicht genug Kraft zu haben, um ihn zu bändigen. Sein Blick war wild und auf eine Wunde an ihrem Arm gerichtet.
„Pass auf“, bat Luana atemlos, die sich selbst zwischen die beiden Kämpfenden und die restlichen Leute stellte. Sie war bereit, Magie anzuwenden.
Ragnar schien ruhig, als er auf beide zutrat und sie voneinander trennte. „Ruhig“, sagte er mit tiefer Stimme, doch der Vampir schien keine Kontrolle zu haben. Blutrausch, wie Luana nur zu gut wusste.
„Ray“, bat die junge Itari verzweifelt. „Bitte, beruhig dich.“ Ihre Stimme klang angstvoll, aber auch sehnsüchtig. Luana spürte die Liebe, die sie zu ihm hatte. Es erinnerte sie sehr an Sienna und Amon.
Der Vampir ließ sich jedoch nicht beruhigen und griff Ragnar an.
Luana zog die Luft ein, als sie bemerkte, wie Ragnar sich wehrte. Er hielt ihn, wobei sein Arm zu einer Klaue wurde, aber ohne sich komplett zu verwandeln.
Luanas Herz klopfte schneller. Wie konnte er so etwas? War er ein Lycaner und kein Werwolf, wie sie geglaubt hatte?
Doch selbst in dieser zwischenmenschlichen Form schien es ihn nicht zu gelingen, Ray aufzuhalten.
Dieser kam ihm immer näher, warf ihn auf den Boden und war gerade dabei, sich seinem Hals zu nähern, als eine Stimme über den Schnee halte.
„Das reicht“, rief Sienna, wobei Luana die Magie in ihrer Stimme spürte. Der Höllenfürst hatte sie einmal als Königinnenstimme bezeichnet. Sie war magisch, doch auf eine Art und Weise, vor der sich andere nicht so leicht schützen konnte.
Wie erstarrt, hielt Ray in der Bewegung inne. Er kämpfte mit sich, das konnte Luana sehen. „Runter von ihm“, sagte Sienna mit deutlichem Befehl, während sie langsam auf die Gruppe zukam. Neben ihr lief eine Vampirfrau, die angespannt wirkte. Es musste die Mutter sein.
Langsam bewegte sich der Vampir. Luana konnte zusehen, wie seine Augen wieder normaler wurden, bis er schwer atmend scheinbar wieder komplett bei Verstand war.
„Bitte, es tut mir leid“, flüsterte die Frau, die scheinbar Angst hatte, dass sie nun abgelehnt wurden.
Sienna machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ray, richtig?“, fragte sie und blickte direkt auf den Vampir.
Selbst Luana war angespannt, da sie davon ausging, dass Sienna diese Familie nicht einlassen würde.
Ray nickte und wirkte am Boden zerstört.
„Du kommst mit mir“, entschied Sienna, was nicht nur Luana überraschte.
„Sienna“, bat Ragnar. „Das ist gefährlich“, erinnerte er sich angespannt. Sienna hob lediglich eine Hand, was ihm zur Ruhe ermahnte.
„Junge Vampire brauchen eine harte Hand und jemand, der sie zurückrufen kann, wenn sie in den Blutrausch verfallen. Erinnere dich an Nemesis Worte“, bat sie mit ruhiger Stimme.
Luana runzelte die Stirn. Er hatte gesagt, dass die bloße Gegenwart einer Königin diese Triebe im Zaum halten konnte.
Ragnar senkte den Kopf, bevor er leise seufzte.
„Luana, bitte versorge die Wunden der jungen Frau“, wies Sienna an, was Luana dazu brachte, sofort loszuspringen. Es war ein Wunder, dass Sienna eine solche Entwicklung hinter sich hatte. Die Privatstunden mit dem Höllenfürsten zeigten erste Früchte.





























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