Mirinia-Kapitel 2

Kapitel 2

 

Langsam streckte Mirinia ihren Kopf aus dem Wasser. Der Fluss, der aus den Bergen kam, spaltete sich und ließ dann an ihrem neuen Herrschaftssitz und am Dorf vorbei. Der andere Abzweig hatte sie hierhergeführt. Hier war alles ruhig und es war nah genug am Dorf, um hinzulaufen.

Mirinias rosafarbener Blick wanderte umher und blieb an den Ruinen eines Bauwerks hängen. Es lag direkt an dem großen See, war jedoch zerfallen.

Vermutlich handelte es sich um eine alte Fischerei, aber warum wurde diese nicht mehr betrieben? Bei ihrem Tauchgang hatte sie einige Fische gesehen. Daran konnte es also nicht liegen.

Mirinia zog sich nach oben und setzte sich an den Rand des Flusses, um ihre Flosse, die von einem sanften Rosa in ein helles Blau überging, auszuschütteln.

Als Meerjungfrau hatte sie es hier ziemlich gut. Es gab genug Wasser und sie konnte dadurch recht ungesehen reisen.

Mühsam zog sie sich etwas auf dem frischen Gras zurück, bevor sie ihre Flosse zu Boden legte. Die Schuppen schimmerten in der Sonne, doch noch verwandelte sie sich nicht zurück. Stattdessen richtete Mirinia ihren Blick in den Himmel. Die Sonne strahlte hell und es gab nur wenige Wolken am Himmel. Trotzdem erkannte sie Evel erst, als diese auf majestätischen, Membranflügeln zu ihr hinabschwebte. In ihren Armen trug sie mehrere Bündel.

Sanft und grazil landete die Vampirin vor Mirinia und reichte ihr ein Handtuch, bevor sie etwas weiter das Bündel an Kleidern ablegte. „Hier ist alles leer und sicher“, erklärte sie, während sich die Meerjungfau abtrocknete und sich die Schuppen auf ihrem Körper zurückzogen, bis sie nackt und mit menschlichen Beinen vor Evel saß. Sie genierte sich dabei kein Stück.

Langsam zog sich Mirinia die einfache Kleidung über. Sie war passend für jemanden, der auf eine lange Reise ging. Passend dazu war sie sogar ein wenig dreckig und zerrissen. Immerhin wollte sie sich als Reisende ausgeben, die nur auf der Durchreise war.

Am Ende steckte sie sich eine Spange in die Haare, welche ihre Aura als Königin komplett verstecken würde. Sie funktionierte nicht, wenn sie diese aktiv einsetzte, doch solange sie sich zurückhielt sollte niemand, der nicht wenigstens dem Rang einer Königin entsprach, diese Aura spüren.



Die silberne Muschel war ein Geschenk ihres Clans, für das sie mittlerweile sehr dankbar war, auch wenn sie sich vorher nie vorgestellt hatte, so etwas jemals zu brauchen.

„Ich bin immer noch dagegen“, bemerkte Evel angespannt. „Cassian sagte, dass die Dorfbewohner die Kutsche angegriffen hätten, wenn sie nicht gewusst hätten, dass sie gegen einen Magier nicht gewinnen können“, sagte sie, wobei sie mit den Fingern an ihrem schwarzen Kleid spielte. Es ließ sie elegant und eher wie eine feine Dame wirken. Dass sie eine gefährliche Assassine war, würde vermutlich niemand erwarten. Was auch Absicht war.

„Nur so kann ich herausfinden, wo der Schuh drückt“, erklärte Mirinia sanft. „Sie werden mir nichts tun“, versicherte sie.

Evel schnaubte. „Nur, solange sie nicht herausfinden, wer Ihr seid“, sagte sie ernst.

Das war der jungen Königin auch klar, doch sie würde es trotzdem versuchen.

Fertig angezogen trat sie auf Evel zu und nahm ihre Hände. „Du passt ja auf mich auf“, sagte sie mit einem Lächeln, das Evel durch so manche dunklen Gedanken geführt hatte.

Sie drückte die Hände ihrer Königin sanft. „Passt bitte auf Euch auf“, flüsterte Evel, die nicht schon in so jungen Jahren ihre Königin verlieren wollte. Sie glaubte nicht, dass sie diese Verbindung jemals wieder spüren würde. Darum war ihr Mirinia auch so wichtig.

„Versprochen“, versprach die Meerjungfrau mit einem strahlenden Lächeln, bevor sie Evel losließ. Diese breitete ihre schwarzen Flügel aus, bevor sie mit einem starken Sprung in die Luft abhob und wieder im Himmel verschwand. Immer mit einem scharfen Blick Mirinia bewachend, würde sie diese ungesehen begleiten.

Mirinia richtete sich ihre Kleidung, bevor sie sich auf den Weg machte, um das Dorf zu betreten.

Auf dem Weg dorthin, entdeckte sie einen Mann mit schwarzen, zerzausten Haaren. Er trug abgewetzte Kleider und lehnte an einer zerfallenen Mauer, während er genüsslich rauchte.

Zuerst glaubte Mirinia, dass es sich um einen Dorfbewohner handelte, doch dann spürte sie seine leichte Aura. Er war kein Imp. Seine Aura ähnelte eher dem eines Magiers. Gleichzeitig war er aber sehr schwach. Ein Halbblut vielleicht?

„Wohin willst du?“, fragte er kalt, als Mirinia ihn passierte.



Diese hielt zusammenzuckend an und blickte auf. Ihre roséfarbenen Augen trafen seine kalten, dunklen Augen. Dabei bemerkte sie, dass er sie eingängig musterte. Er blies den Rauch aus. Direkt in ihre Richtung, was Mirinia dazu veranlasste, etwas die Nase zu rümpfen. Sie selbst rauchte nicht und mochte es auch nicht, trotzdem sprach sie ihn nicht auf seine Unhöflichkeit an.

„Ich bin eine reisende Sängerin und würde mich gern in diesem Dorf ausruhen“, erwiderte sie mit einem Lächeln, das ihr nicht so ganz gelang. Seine Gegenwart jagte ihr einen leichten Schauer über den Rücken. Als würde von ihm eine Gefahr ausgehen, die sie noch nicht sah.

„Du siehst mir nicht aus, als könntest du singen“, bemerkte er nüchtern und stieß sich von der Mauer ab, bevor er Mirinia immer näherkam. So nah, dass diese mehrere Schritte zurück machte. „Hör genau zu, Kleine“, sagte er mit rauer Stimme. „Dieses Dorf wird von mir beschützt. Solltest du also auf die Idee kommen, irgendwas abzuziehen, was den Dorfbewohnern schadet, bekommst du es mit mir zu tun.“

Mirinia schluckte schwer. In ihrem Magen baute sich ein flaues Gefühl aus. War das wirklich nur ein Halbblut? Seine Aura fühlte sich erdrückend an.

„I-Ich hab nicht vor, irgendjemanden etwas zu tun“, flüsterte Mirinia, die nicht so ganz wusste, wie sie damit umgehen sollte. Sie hatte sich darauf eingestellt, vielleicht angefeindet zu werden, doch das war ganz anders als erwartet.

„Will ich dir auch geraten haben“, sagte er ernst und zog sich zurück, bevor er sich eine neue Zigarette nahm und sich wieder an die Mauer lehnte, als wäre nichts gewesen.

Mirinia spürte ihr heftig schlagendes Herz, während sie sich dem Dorf näherte.

Das war kein sonderlich guter Start und sie hoffte, dass es bald besser werden würde.

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