Mirinia-Kapitel 3
Kapitel 3
Langsam schlenderte Mirinia in das Dorf. Die Häuser waren heruntergekommen und teilweise sogar kaputt und nur notdürftig geflickt. Selbst die Dorfkirche, die das Zentrum des Dorfes bildete, sah nicht sonderlich gut aus.
Mirinia sah sich um und entdeckte ein paar wenige Dorfbewohner in abgetragener, zerschlissener und kaputter Kleidung. Sie alle warfen ihr skeptische, teilweise sogar feindselige Blicke zu.
Je weiter Mirinia ging, desto unwohler fühlte sie sich. Trotzdem fasste sie Mut und trat auf eine Frau zu, die an einem Bäckerstand sporadische Brote verkaufte. „Entschuldigt“, sagte Mirinia, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.
Die Frau blickte auf. Ihr Blick müde, doch er wurde dennoch skeptisch. „Du bist nicht von hier“, stellte sie mit rauer Stimme fest und klang nicht gerade erfreut darüber,
Mirinia schüttelte den Kopf. „Ich bin eine reisende Sängerin und suche eine Unterkunft“, sagte sie und hoffte, dass man ihr diese Lüge abkaufte.
Die Frau schnalzte mit der Zunge. „Süße, hier gibt es nichts Umsonst“, bemerkte sie abwehrend.
Mirinia kramte in ihrer Tasche und zog einige Bronzemünzen hervor. „Ich habe nicht vor, etwas umsonst zu bekommen“, antwortete sie und deutete auf eines der kleinen, eher hart aussehenden Brötchen. „Eines davon bitte“, sagte sie. Mehr, um zu zeigen, dass sie bezahlen konnte und wollte. Auch, um die Dame, die sich scheinbar trotzdem Mühe beim Backen gab, zu entlohnen.
Die Augen der Dame wurden groß, bevor sie mütterlich lächelte. „Wenn das so ist“, sagte sie und reichte ihr das Brötchen. Dabei sagte sie keinen Preis.
Mirinia erinnerte sich an den Preis in ihrem Dorf und reichte ihr fünf Bronzestücke. Zwei mehr als üblich war.
„Wie großzügig“, bemerkte die Frau, deren Augen fröhlich funkelten.
Mirinia musste lächeln. Es freute sie sehr, dass sie der Dame ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte. „Die zwei Bronze sind für die Information, wo ich hier eine Herberge finde“, sagte sie, denn so einfach würde sie es ihr nicht machen.
Die Frau zeigte über die Straße, die eigentlich nur ein breiterer Trampelpfad war und einige Löcher aufwies.
Als Mirinia ihrem Blick folgte, weitete sie ihre Augen. „Das … ist die Herberge?“, fragte sie zögerlich, da öffnete sich auch schon die Tür und ein alter Mann kam hinausgetaumelt. Es war unschwer zu erkennen, dass er betrunken war.
„Die Herberge und Taverne zugleich“, meinte die Bäckerin nüchtern.
„Sieht ziemlich …“, Mirinia stoppte sich, bevor sie etwas Abfälliges sagen konnte und schluckte leicht, „abgewohnt aus.“
Die Bäckerin schnaubte. „Der alte Sean ist ein kleiner Geizkragen und dabei ist er einer der reichsten Bewohner hier“, bemerkte sie, wobei sie klang, als könnte sie den Mann nicht sonderlich gut leiden.
Bevor sich Mirinia auf den Weg zur Taverne machte, drehte sie sich noch einmal zu der Frau um. „Ich möchte ein paar Wochen hierbleiben. Seid Ihr die einzige Bäckerin hier im Dorf?“, fragte sie, denn normalerweise sollte es genug Einwohner für mindestens zwei Bäcker geben.
„Wenn du planst, solange hier zu bleiben, solltest du dir das mit der Höflichkeit überlegen, Mädchen“, brummte die Frau, die ihre Brote herumrückte. „Und um deine Frage zu beantworten: Das bin ich. Ein zweiter Bäcker lohnt nicht. Seit die Windmühle kaputt ist, gibt es nicht mehr genug Mehl. Das Weizen ist sowieso rationiert. Warum also mehr Brot backen?“, fragte sie und klang resigniert.
„Oh“, machte Mirinia. „Na gut, dann komme ich morgen wieder“, sagte sie und machte sich auf den Weg. Die Informationen abspeichernd, um sich später darum zu kümmern.
Als sie auf das Gebäude zuging, zögerte sie einen Moment. Darin würde Evel sie nicht mehr sehen können. Das hieß, sie würde sich selbst verteidigen müssen, sollte etwas passieren.
Mirinia glaubte zwar nicht daran, dass ihr jemand etwas tun würde, doch sie konnte dennoch ausgeraubt werden. Also musste sie auch da vorsichtig sein.
Sie konnte das, sie war immerhin eine Königin.
Obwohl sie nicht wirklich viel Mut hatte, trat sie auf die heruntergekommene Tür zu. Sie war so gebaut, dass sie nach innen und außen aufschwingen konnte, was Mirinia nervös machte. Bei ihrem Talent würde sie diese sicherlich abbekommen, wenn sie nicht aufpasste.
Also lief sie langsam und drückte vorsichtig die Tür auf.
Rauch und der Geruch nach billigem Alkohol drang ihr in die Nase, sodass sie das Gesicht verzog. Die Gerüche waren widerlich, denn unter den Geruch von Tabak und Alkohol mischte sich etwas, das wie Erbrochenes roch. Nicht gerade appetitlich.
Mirinia hatte Mühe das eben gegessene Brötchen, das sehr lecker geschmeckt hatte, nicht ebenfalls auf den Boden zu spucken. Trotzdem setzte sie einen weiteren Schritt in das Gebäude. Für diese Zeit war es zu gut gefüllt.
Die Tische, von denen keiner gerade stand, waren mit mindestens einer Person besetzt, die sie nun alle anstarrten.
Die Gesichter der Männer und Frauen waren schicksalsergeben und von der rauen Arbeit hier gezeichnet.
„Wat willste hier, Kleene?“, fragte der alte Mann, der hinter der Theke stand und einen Krug mit einem dreckigen Tuch abwischte.
Mirinia hatte nicht gerade Lust, hier etwas zu trinken, doch wo konnte man die Bewohner eines Dorfes besser kennenlernen als in einer Taverne?
„Ich bin eine reisende Sängerin auf Durchreise und suche für ein paar Tage eine Herberge“, erklärte Mirinia, die auf den Mann, den sie für Sean hielt, zuging.
Dieser kaute auf etwas herum, das einen herben Geruch ausströmte. Kautabak, wie sie schnell feststellte.
„Ach, biste das?“, fragte er, musterte sie und spukte dann den Tabak einfach auf den Boden.
Er stellte den Krug mit einem starken Arm auf die Theke und goss dann ein Getränk ein, das nicht gerade angenehm roch. Trotzdem sollte es wohl Wein sein.
Warum trank man Wein aus einem Krug?
„Zeg mir ma, ob de Jeld hast“, befahl Sean schon fast, bevor er an Mirinia vorbei in die Menge rief: „Traubenplörre!“
Mirinia zuckte bei dem Organ, das er hatte, zusammen und hoffte, dass diese Traubenplörre nicht das Beste war, was sie hatten.
Unruhig und sich der Blicke aller Leute hier bewusst, griff Mirinia in ihre Tasche und holte einen Silbertaler hervor. Ihr war bewusst, dass dieser viel zu viel für ein einfaches Getränk war, doch er hatte immerhin gesagt, sie sollte zeigen, dass sie Geld besaß.
Sean, der das Schimmern in ihrer Hand zu bemerken schien, hob eine Augenbraue, bevor er brummte. „Wat willste denn?“, fragte er, wobei sie sich fragte, ob er den Akzent dieser Gegend sprach oder es sich um einen generellen Sprachfehler handelte.
„Erstmal brauche ich ein Zimmer … Ich zahle eine Woche im Voraus“, sagte sie, wobei sie den letzten Teil leiser sprach, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Wenn de Frühstück zu willst, fünf Bronze pro Nacht“, brummte der Mann.
Mirinia konnte es hinter sich leise lachen hören. Vermutlich berechnete er ihr zu viel, doch fünf Bronze war lächerlich niedrig. „Dann mit Frühstück“, sagte sie, auch wenn sie vermutlich nur ein einziges Mal hier essen würde.
Selbst, wenn das Essen nichts für sie war, würde sie sitzen und lauschen können. Das war das Geld definitiv wert. „35 Bronze“, raunte der Mann, der klang, als würde er sich die Hände reiben, weil er ein gutes Angebot gemacht hatte.
Mirinia steckte die Silbermünze wieder weg, bevor sie ihm die Bronze auf die Theke legte.
Dieser zog sie sofort zu sich, als würde er sie verteidigen wollten. „De Treppe hoch. Such de en Zimmer us. Lass aber jen Zeug dorte“, brummte er, als hätte er damit sämtliche Schuldigkeit getan.
Mirinia hob eine Augenbraue. „Gib mir ein Glas deines besten Alkohols“, sagte sie schließlich, was nur dazu führte, dass er brummte.
„Glässer jibtes net“, erwiderte er und zog einen Krug hervor.
Vermutlich waren diese einfach robuster. Sie würde auch nicht ständig in neue Gläser investieren wollen.
„Dann eben in einem Krug“, erwiderte sie und sah zu, wie der Mann aus einer Flasche einschenkte, die zugestaubt war.
Mirinia war sich nicht sicher, ob ihre Bitte gut gewesen war. Wann hatte er das letzte Mal aus dieser Flasche eingeschenkt?
„10 Bronze“, bemerkte er, was Mirinia nun doch überraschte. Trotzdem legte sie das Geld auf den Tresen und hoffte sehr, dass man sie hier nicht abgezogen hatte.
Als sie den Krug zugeschoben bekam, bemerkte sie, dass er nur halb gefüllt war. Dafür kam ihr ein fruchtiger Geruch entgegen.
Für einen Moment hatte sie das Gefühl in ihre Kindheit versetzt zu werden. Sie erinnerte sich an die lebhaften Feste ihrer Mutter. Da war dieses Getränk auch in Strömen geflossen. „Kikinira Wein“, flüsterte sie mit großen Augen. Dieses Getränk war wirklich schwer zu bekommen, was den Preis rechtfertigte. Die besonderen Früchte brauchten ganz besondere Pflege und wuchsen nur an sehr wenigen Orten.
„Joar, wilde“, erwiderte Sean nur, dem es reichlich egal zu sein schien, dass Mirinia als fahrende Sängerin das erkannte.
Mirinia nahm einen Schluck und schloss genussvoll die Augen. Er war etwas bitterer als der von ihrer Mutter und trotzdem wunderbar.
Während sie so dasaß und ihren Wein genoss, lauschte sie den Besuchern der Taverne. Sie alle waren magielos, weshalb auch keiner von ihnen mitbekommen würde, dass sie ein wenig trickste. Wenn sie neben sich ein wenig Windsternenstaub sammelte, konnte sie damit sämtliche Geräusche verstärken und auch hören, was sie vor sich hin flüsterten.
Ganz besonderes Augenmerk richtete sie auf eine Gruppe, die am Kamin saß. Der Tisch war voll und das nicht nur von Menschen, auch von Getränken. Zudem hatte jeder von ihnen eine Schüssel Suppe.
Mirinias Meinung nach, waren sie hier keine einfachen Bürger. So, wie sie sich benahmen, waren sie früher einmal Söldner gewesen. Sie waren auch alle bewaffnet.
„Die Kleine ist ideal“, bemerkte einer von ihnen mit einem süffisanten Grinsen.
„Die bringt uns sicher einiges, wenn wir sie verkaufen“, stimmte ein anderer zu, was Mirinia einen Schauer über den Rücken jagte.
Waren das … Sklavenhändler? Was machten diese denn in einem solchen Gebiet?




























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