Mirinia-Prolog
Prolog
Der riesige Raum, der nur durch ein paar wenige Kerzen beleuchtet wurde, die mehr Schatten als Licht spendeten, war fast vollkommen dunkel.
In der Mitte des Raumes thronte ein großer, runder Tisch aus dunklem Holz, auf dem mehrere, kleine magische Lichtkugeln standen, welche die Frauen, die um den Tisch herumsaßen, erhellten.
Das Gefühl von Spannung lag greifbar im Raum und die Luft wirkte durch die Macht, die hier anwesend war, beinahe drückend.
Mirinia, welche die schwächste der Anwesenden Frauen war, fühlte sich zunehmend unwohler.
Sie verstand nicht, warum sie hier war. Als Königin ohne Hof, hatte sie gar nicht das Recht dazu, an einer solchen Versammlung teilzunehmen und doch war sie eingeladen worden.
Ihr Blick schweifte über die Anwesenden. Morigana, die mächtigste Königin ihres Reiches zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Sie saß stumm und ruhig da. Ihr erhabener Blick aus dunkelgrünen Augen, welche vor Macht nur so strahlten, glitt über die Reihen der Anwesenden.
Sie wirkte, als würde sie kontrollieren, dass alle da waren, doch Mirinia kannte außer ihr nur noch Priska, die manchmal auch als Pfau bezeichnet wurde.
Mirinia wusste auch sehr genau, warum. Priska liebte es, sich herauszuputzen und hob so ihren jugendlichen Teint hervor.
Die auffällig hochgesteckten Haare waren heute dunkelblau und mit silbernen Strähnen durchzogen. Ihre langen Wimpern hatten an den Spitzen kleine, schimmernde Steinchen und ihr Markenzeichen, der Fächer aus Pfauenfedern, verdeckte den Rest ihres Gesichts.
Mit so viel Macht und Schönheit in einem Raum fühlte sich Mirinia immer, als würde sie untergehen. Sie hatte keines von beiden. Weder besondere Schönheit noch Macht.
Ihre roséfarbenen Haare fielen ihr in Leichten Wellen über ihre Schultern. Ihre zarte, blasse Haut ging von einer weichen Beigefarbe in ein eisiges Blau an ihren Armen und Beinen. Typisch für ihre Art. Als Meerjungfrau war sie an den Schuppen zu erkennen, die sie überall auf dem Körper hatte. Sie war noch nicht alt genug, um sie restlos zu verstecken, weshalb es gerade in ihrem Gesicht und ihren Armen Stellen gab, an denen man diese sehr deutlich sehen konnte.
Mirinias rosafarbenen Augen wanderten unruhig umher, während sie aufgeregt mit ihren Fingern unter dem Tisch spielte. Sie hoffte sehr, dass niemand ihre Unruhe bemerkte, doch sie wusste auch, dass die meisten Königinnen sich nur für sich selbst, und nicht für Schwächlinge wie sie, interessierten. Dadurch hatte sie die letzten Jahre gut gelebt, auch wenn es ihr so nie möglich gewesen war, einen Hof aufzubauen.
„Auf der heutigen Agenda steht Lacantas“, erklang die ruhige Stimme der Reichskönigin, welche somit die Sitzung eröffnete.
Mirinia zuckte leicht zusammen. Sie kannte dieses Dorf. Es lag eigentlich in Priskas Herrschaftsgebiet, doch die Königin interessierte sich nicht sonderlich dafür. Es war weder reich an Bodenschätzen, noch war das Territorium, das dazugehörte, fruchtbar. Warum dort irgendwann einmal Menschen gesiedelt hatten, war Mirinia unklar.
„Ein unnötiges Dorf, das es nicht wert ist, darin zu investieren“, winkte Priska ab.
Mirinia wusste, dass es viele hier Anwesenden ähnlich sahen. Sie waren zu sehr auf Profit aus und sorgten sich kaum um die Menschen. Vermutlich auch, weil dieses Dorf voller Imps war. Nicht magische Wesen hatten es immer schwerer.
„Es gehört zu deinem Herrschaftsgebiet“, erwiderte Morigana mit ruhiger Stimme und richtete ihren Blick auf Priska.
Wüsste Mirinia nicht, dass beide Freundinnen waren, hätte sie das nicht so gesehen. Hier war eindeutig eine hochrangige Königin, welche ihre Untergebene tadelte, auch wenn die Stimme es kaum erahnen ließ. Die Macht, die sie ausströmte, sprach eine andere Sprache. Morigana war verärgert.
„Ich habe nicht das Geld, um mich um dieses Dorf zu kümmern“, erwiderte Priska, die fast schon entschuldigend klang. So entschuldigend, wie sie mit einem Lächeln auf den vollen, roten Lippen eben klingen konnte.
Morigana stieß ein Seufzen aus. „Was also schlägst du vor?“, fragte sie, denn es schien ganz offensichtlich, dass Priska dieses Dorf, dieses Problem, loswerden wollte.
„Ich denke, es wäre nur angemessen, wenn Mirinia das Dorf übernimmt“, schlug Priska mit einem süffisanten Lächeln vor.
Mirinia spürte, wie ihr Herz zu einem eiskalten Klumpen gefror. Natürlich hatte es so weit kommen müssen. Was hatte sie auch anderes erwartet?
In ihrem Kopf tobte ein Sturm. Die Last des Angebots, das ihr gemacht wurde, drohte sie zu erdrücken. Jeder, der wusste, wie es um das Dorf stand, konnte sich denken, dass es keine einfache Aufgabe war, die vor ihr lag. Sie hatte von den Geschichten gehört, von der Abneigung der Dorfbewohner gegen Königinnen, von der wachsenden Not und dem Leid, das die Menschen dort erdulden mussten. Wenn sie dieses Dorf bekäme, wäre keine Königin da, um sie zu unterstützen. Sie wäre auf sich selbst gestellt.
Eine Aufgabe, die sie nicht bewältigen konnte – sollte.
Mirinia wurde schlagartig klar, dass dies hier keine Prüfung zur Eignung als Königin war. Man wollte sie loswerden. Würde sie scheitern würde sie niemals einen Hof um sich bilden können.
Mirinia war sich ihrer Unerfahrenheit bewusst. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt, nach ihrer Ausbildung, die nicht gerade sehr gut verlaufen war, einen Hof zu bilden oder ein Dorf zu übernehmen. Normalerweise gab keine Königin Teile ihres Herrschaftsgebietes gern ab. Erst recht nicht Priska, bei der Mirinia vor Jahren ihre ersten Erfahrungen gesammelt hatte.
Dass diese ihr jetzt Lacantas anbot, war sicherlich kein Zufall. Es war ein vergiftetes Geschenk. Irgendwo musste es einen Haken geben.
Ihre Gedanken wanderten zu dem Dorf, das sie vielleicht bald regieren würde, und sie stellte sich vor, wie es sein würde, die Misstrauen erfüllten Blicke der Bewohner zu treffen.
Ein Schauer rann ihr über den Rücken. Sie wusste, dass es kaum noch Wesen gab, die mit der Herrschaft der Königinnen zufrieden waren, doch es war nun einmal ein Geburtsrecht. Eine Magie, die man sich nicht aussuchen konnte. Als Königin geboren zu werden, brachte nicht nur Vorteile mit sich.
Mirinia konnte noch immer nicht glauben, dass sie in diesem Raum saß. Umring von Königinnen, die mit den Jahren machthungrig und rücksichtslos geworden waren. All das, was eine Königin nicht sein sollte.
Wie war es nur so weit gekommen und wie konnte sich Mirinia davor schützen, auch so zu werden? Sie war viel schwächer als alle anderen hier und eigentlich keine Bedrohung. Warum also wollte man sie dann so vorführen und loswerden? Sie hatte gehofft unter dem Radar der anderen zu bleiben, wenn sie sich keine Mühe gab.
„Sie besitzt nicht einmal einen kompletten Hof“, warf eine junge Frau ein, die eher gelangweilt in ihrem Stuhl lehnte. Ihre Augen waren geschlossen und Mirinia hätte geglaubt, sie würde schlafen.
„Das spielt keine Rolle“, erwiderte Priska. „Es ist nur ein kleines Dorf von Imps. Da braucht sie keinen Hof.“
Mirinia konnte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, ein ganzes Dorf zu führen, vor allem eines, das so sehr gegen Königinnen eingestellt war. Gab es überhaupt eine Möglichkeit, wie sie es schaffen konnte? Würden sie einer Königin überhaupt genug vertrauen, um sich regieren zu lassen?
Noch während die Königinnen diskutierten, stand für Mirinia fest, dass sie dieses Dorf bekommen würde, weshalb ihr Kopf arbeitete. Sie war von ihrer Aura her so schwach, dass sie das nutzen konnte. Wenn sie sich als eine von ihnen ausgab, könnte sie ihr Vertrauen gewinnen.
Sie fühlte sich zwar schon bei dem Gedanken an die Lüge nicht ganz wohl, doch irgendwie musste sie damit umgehen.
Am liebsten wäre es ihr, wenn das nur ein schlechter Scherz wäre, doch sie wusste auch, dass die Königinnen alles taten, um jüngeren Königinnen ihre Macht zu nehmen.
Mirinia lauschte, doch es gab nicht wirklich eine Königin, die für sie Partei ergriff. Die Königin welche die Sache mit ihrem Hof eingeworfen hatte, schwieg wieder.
„Es wäre eine wunderbare Gelegenheit für unsere junge Meerjungfrauenkönigin, ihre Führungsfähigkeiten zu zeigen“, lachte Priska, die sich mit ihrem Fächer Luft zufächelte.
Einige Königinnen kicherten, während andere so aussahen, als würden sie die Idee ernsthaft überdenken. Dennoch schwiegen sie. Keiner würde Morigana widersprechen.
Nun war es also entschieden.
Mirinia spürte, wie der Stein der Verantwortung in ihrem Magen versank und am liebsten hätte sie die Hand ihrer Vertrauten genommen, die schon die ganze Zeit wie ein Schatten hinter ihr stand.
Evel war für sie da und würde sie unterstützen. Obwohl die junge Vampirin mit dem weißen Haar und den eindringlichen roten Augen nicht sonderlich extrovertiert aussah, war sie doch eine sehr enge Vertraute. Durch ihre Kühle Ausstrahlung schreckte sie doch oft die Leute um sie herum ab. Was vielleicht gar nicht falsch war. Das könnten sie vielleicht für das Dorf nutzen.
Mirinia spürte eine Hand, die ganz kurz sanft ihre Schulter berührte. Ein Zeichen, dass sie nicht allein war.
Wärme breitete sich in ihr aus und sie hätte fast gelächelt.
Allerdings verging dieses Gefühl wieder, als Morigana ihren Blick auf sie richtete. „Mirinia“, sagte sie mit einer Stimme, die nie sanft klingen würde, war doch zu viel Macht in ihr, „bist du bereit, diese Aufgabe zu übernehmen?“
Obwohl es wie eine Frage klang, wusste Mirinia, dass es keine war. Hier gab es keine Wahl. Sie konnte nicht ablehnen. Nicht, wenn sie überleben wollte.
Mirinia sammelte ihren Mut und straffte ihre Schultern. Sie durfte sich nur nicht ansehen lassen, wie viel Angst sie hatte. „Wenn es das Wohl des Dorfes und seiner Bewohner erfordert, werde ich es tun“, erwiderte sie so fest, wie es ihr möglich war. Sie wollte nicht, dass ihre Stimme zitterte und ihre Unsicherheit zeigte. Mirinia war klar, dass dieses Zeichen von Schwäche ausgenutzt werden würde. Darauf konnte sie verzichten.
„Dann ist es beschlossen“, erwiderte Morigana, die sich nun den anderen Punkten auf der Agenda zuwandte, als wäre nichts gewesen.
Zurück blieb Mirinia, die ihre Gedanken nur noch auf das Dorf konzentrieren konnte. Wie sollte sie am besten an die Sache rangehen?




























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