Kapitel 11
Das fröhliche Gelächter und die vielen Gespräche hallen in dem riesigen Festsaal wieder. Hohe Decken sorgen dafür, sich noch winziger im Anwesen zu fühlen. Riesige Bogenfenster sorgen für einen lichtdurchflutenden Raum. Rustikale Kronleuchter, harmonischer Blumenschmuck an den hohen Decken und glänzendes Silberbesteck lassen dem kaminbefeuerten Saal glänzen. Elegant gekleidete Tische. Gehüllt in perlweißen Tischdecken. Sträuße aus der gepflegten Gartenanlage vom Grafen. Gesteckt aus hellen Blüten. Dezente Farbtupfer unter den weißen Rosen. Aufgestellt in grazilen Vasen auf den hohen Tischen wie einen Pokal auf einen Podest. Durch offene Türen zur Gartenanlage wehen sanfte Lüfte einige Blütenblätter hinein. An solch einer prachtvollen Feier hat Clive bislang nie teilgenommen. Die Gäste sind zu fein gekleidet. Statt Bier greifen die Leute auf Champagner oder Sekt zurück. Trotz Feierlichkeit beherrscht sich ein jeder Gast und legt viel Wert auf die Etikette. Clive fühlt sich fremd am Platz, denn für gewöhnlich meidet er Feiern. Auch Alchemisten treffen sich gerne in Kneipen, um kleine Erfolge zu feiern. Clive bevorzugt jedoch lieber die Stille.
Überall, wohin Clive blickt, befinden sich viele hübsche Frauen gekleidet in den feinsten Kleidern, ihre Haare sind aufwendig hochgesteckt und die Röcke erschreckend voluminös. Selbst Sina darf an dem Fest teilnehmen, aber auch nur, weil sie am nächsten Morgen in aller Frühe abreisen werden.
Der samtweiche Stoff ihres mitternachtsblauen Kleides schmiegt sich elegant an ihren Körper und betont ihre Kurven. Der Rock ist mehrlagig gerafft und auf ihrem Rücken ruht eine voluminöse Schleife. Um die Tätowierungen zu verstecken wurde ein Kleid mit langen Ärmeln und einem eleganten, hohen Kragen gewählt. Ihr strahlendes Lächeln versüßt Clive den Abend. Ihre Freude schwenkt auf ihn rüber. Sina beweist erneut Stärke. Trotz düsterer Gefangenschaft verliert sie die Freude am Leben nicht. Nichts lässt sie klein kriegen. Den ganzen Tag fieberte sie ungeduldig auf die Feier hin.
Plötzlich starren Clive zwei jadegrüne Augen an, sie erinnern ihn stark an Kasimir. Auch der Graf punktet mit solch ausdrucksstarken Augen wie die halbe Portion vor ihm. Das kleine Mädchen mit den rabenschwarzen Haaren heißt Ava. Ihr Name bedeutet Kraft. Seine kleine Patientin erholte sich schneller als geplant. Seit gestern lässt sie sich kaum aufhalten und tollt freudig durch das Anwesen. Sie strotzt vor Elan und Tatendrang. Sie verweilte viel an Rebeccas Seite. Rebeccas Schalk droht auf das Kind überzugehen. Doch Graf Byloms scheint dies sogar zu begrüßen, sofern dem Kind keine kriminellen Fähigkeiten beigebracht werden. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist voller Liebe und Harmonie. Sein kleiner Spross hängt viel bei ihm und muss ihn zwischendurch über all ihre neuen Entdeckungen unterrichten. Ihre Besuche veranlassen den Grafen immer wieder zu einer Pause. Er legt alles nieder und nimmt sich immer aufs Neue Zeit für sein Kind.
Ein Strauß leuchtender goldgelber Rosen weckt seine Aufmerksamkeit, die kleine Ava hat ihm einige Blüten der Friesia’ gepflückt. Die frühblühende Rose punktet für ihre Wetterbeständigkeit und robuste Gesundheit. Überrascht blinzelt Clive die Kleine an. Die Bedeutung dieser Pflanze ist ihm nämlich bekannt. Ein ganzer Strauß von ihnen wird als ein Zeichen der Freundschaft, Dankbarkeit und Freude genutzt. Diese Rosen werden nicht für romantische Anlässe verschenkt, sondern für Freunde. Als einzelne Rose steht sie jedoch für Untreue, abnehmende Leidenschaft, Zweifel und Eifersucht. Aber als Strauß sieht die Botschaft wieder ganz anders aus.
Der starke, liebliche Duft der Friesia’ steigt bereits in die Nase. Geheimnisvoll, mystisch und lieblich fruchtig.
Das Kind lächelt so hell und voller Wärme, wie der kräftige Farbton ihrer gewählten Blumen. „Nimm schon, die sind für dich. Ich will dir danken, denn jetzt bin ich wieder gesund.“
Gerührt legt er seine Hand auf die Stelle seines Herzens und beugt sich vor. Aus Gewohnheit widmet er sich den Pflichten eines Alchemisten. „Hast du auch keine Schmerzen mehr?“
„Mir geht es gut, wirklich. Mir fehlt nichts.“
Sie tänzelt kurz zum Beweis. Eine schwungvolle Drehung, die ihr fliederfarbenes Kleid kurz aufbläht.
„Und die Rosen sind wirklich für mich?“, möchte er sich vergewissern.
„Nein, du, Dussel. Das ist Futter für dein Pferd.“ Sie muss herzlich darüber lachen. „Natürlich sind die für dich. Es wäre unhöflich, wenn ich mich nicht bei dir bedanken würde.“
Wie ihr Vater beliebt sie es gerne zu scherzen. Die Tochter hat viele Züge vom Grafen, wie Clive immer wieder feststellen muss.
„Nun ja, ich denke, es wäre unhöflich, wenn ich den Strauß nicht annehmen würde.“
Am Ende schenkt er ihr ein freundliches Lächeln.
Sie erwidert sein Grinsen und versichert ihm anschließend im gespielt strengen Ton: „Dann wäre ich beleidigt.“
„Das wäret Ihr, ich danke Euch, Mylady. Die Rosen sind wunderschön“, gibt er nach und nimmt den duftenden Strauß entgegen.
„Hast du schon die Trauben probiert? Sie sind so köstlich“, schwärmt Ava und bedient sich an den Weintrauben vor ihm.
Bevor sie die süße Frucht in den Mund stecken kann, wird diese von dem Langfinger Rebecca stibitzt. Frech lässt Rebecca die Traube in ihrem Mund verschwinden und muss bei Avas „Hey“ amüsiert grinsen.
„Ätschibätsch. Ich war schneller“, ärgert sie die gräfliche Tochter.
„Soll ich sie verhaften und einkerkern, Fräulein Ava?“
Wie aus dem Nichts tritt Cuno hervor. Clive bemerkt den kleinen Vogel, der ihm überallhin folgt, selbst zu dieser Feier. Sina vergab dem Vogelweibchen sogar den Namen Mina gegeben.
„Ein Trottel, wie du es bist, Cuno, kann ja mal gern sein Glück versuchen“, provoziert Rebecca den Paladin.
„Schon gut, Cuno. Ich drücke ein Auge zu“, gibt Ava Entwarnung.
Der Alchemist versucht sein Glück und pflückt eine Traube, die er zu Mina hinhält, die Vogeldame blickt tatsächlich zu ihm. So schnell wie der Wind schnappt sie ihm die süße Frucht weg und kehrt in Windeseile an Cunos Seite zurück.
Der Paladin nickt der Grafentochter zu, bevor er Rebecca warnend betrachtet.
Als könnte er es dabei belassen, schließlich kommt er dem Langfinger mit einer Warnung: „Ich behalte dich im Auge, Rebecca. Glaubst du, ich sehe nicht, wie aufmerksam du die Leute hier musterst. Wenn nur ein Schmuck- oder Goldstück fehlt, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich!“
Frech, wie sie ist, streckt Rebecca ihm die Zunge heraus, worauf Ava nicht anders kann, als zu kichern. Cuno dagegen wirft seiner Kindheitsfreundin Todesstrahlen zu, die sie herausfordernd kontert. Ihr Blickduell wird jedoch unterbrochen, schließlich wird Cuno aus der Ferne gerufen. Der Paladin folgt dem Ruf zögerlich und zieht schweigend davon, daraufhin brechen Ava und Rebecca in schallerndes Gelächter aus.
Kaum beruhigt sich Rebecca, bemerkt sie den Rosenstrauß.
„Sieh an, Clive. Rosen? Du bist ja ein richtiger Frauenheld“, will sie ihn ärgern.
„Es handelt sich hier um gelbe Rosen und keine Roten, Rebecca“, verteidigt sich Clive höflich.
„Gelb oder rot, was spielt das für eine Rolle?“, reagiert sie schulterzuckend darauf.
„Sie drücken meine Dankbarkeit aus, denn der Alchemist hat mir das Leben gerettet“, erklärt sich Ava glücklich.
Rebecca kann nicht anders, als Ava durch das Haar zu wuscheln, womit sie die aufwendige Frisur durcheinanderbringt. Schnell wie der Blitz sucht Rebecca das Weite und Ava lässt sich tatsächlich auf ein Fangspiel ein.
Eine ganze Weile spielt Clive den stillen Beobachter. Sämtliche Eindrücke und die feierliche Atmosphäre lässt er auf sich einwirken. All die Sorgen um die anstehende Reise sind für diesen Abend vergessen. Der ruhige Moment endet, als der Graf ihm kumpelhaft auf die Schulter klopft.
„Ich sehe, meine Tochter hat dir den Strauß überreicht“, freut sich Kasimir.
„Das ist wirklich lieb von ihr.“
Clive freut sich über diese schöne Geste, damit hat er schließlich nicht gerechnet.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar ich bin, dass sie wieder munter durch die Welt läuft. Du warst unsere Rettung, mein Herz hätte ihren Verlust nicht verkraftet.“
„Ich bin froh, dass ich helfen konnte. Mit Mutterkorn ist nicht zu spaßen, es hätte übel ausgehen können.“
„Wohl wahr. Oh ich sehe, du musst unbedingt mehr trinken, Clive. Du bist ja noch bei deinem ersten Glas Champagner“, bemerkt der Graf.
„Mir ist nicht nach trinken“, gesteht der Alchemist.
Kasimir erwischt ihn dabei, wie Clive kurz zu Sina blickt. Besorgt, um ihre Sicherheit und verzaubert von ihrer Schönheit.
„Geh zu ihr, mein Freund. Tanz mit ihr und amüsiert euch“, rät er dem Alchemisten.
Doch Clive sieht das etwas anders: „Sie hat sich so sehr auf den Abend gefreut und sie scheint sich zu amüsieren. Wir hatten bereits so viel Zeit miteinander verbracht, dass sie sich bestimmt nach einer Auszeit von mir sehnt.“
„Also gut, dann stoßen wir jetzt auf unsere Freundschaft an. Wird Zeit, dass du mehr Alkohol zu dir nimmst“, will Kasimir nicht weiter drauf eingehen.
Eigentlich würde Clive nur zu gern widersprechen, doch wie könnte er den Wunsch des Grafen ausschlagen. Kasimir kann wirklich trinken wie ein Loch, umso dankbarer ist der Alchemist, als Sina zu ihnen schreitet, woraufhin der Graf sie mit einem verschwörerischen Lächeln allein lässt.
Zum Glück kennt Sina die Bedeutung der gelben Rosen und als sie die Geschichte dahinter erfährt, wirkt sie gerührt. Ein Blick zu der Obstschale und Sina entpuppt sich mal wieder als wahre Naschkatze, als sie sich über die Trauben hermacht. Schließlich fackelt die Fee nicht lange und entführt ihn zur Tanzfläche, dabei duldet sie keine Widerworte. Zu seinem Bedauern ist er kein großer Tänzer und wahrscheinlich unterhält er so einige Gäste, aber das ist alles nebensächlich. Denn Sina lacht und hat Spaß. Das ist alles, was zählt. Solange sie ihr Sonnenschein-Lächeln nicht verliert, ist die Welt auch für ihn heil.
































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