Kapitel 13 – Das Tagebuch
Frei wie ein Vogel. Eingetaucht in den wohl schönsten wolkenlosen Himmel. Ein Blick in die Augen des Paladins und Samira fühlt sich losgelöst von all ihren Sorgen. Schon eine ganze Weile befinden sie sich in Cassandras Gemach. Die Elfe nimmt ein Bad in Avas Dasein. Unterstützt von zwei Dienstmägden. Währenddessen sitzt Samira geduldig an dem Schreibtisch ihrer Schwester und wollte sich eigentlich dem Tagebuch widmen. Unmöglich, wenn sich solch eine einladende Tür in eine sorgenfreie Welt vor ihr öffnet. Ganz verlegen wendet Riley den Blick von ihr ab und scheint seltsame Atemtechniken zu trainieren. Samira kichert erheitert, woraufhin er kritisch aufblickt.
„Ihr ärgert mich, Eure Hoheit.“
Trotzig und mit aufgeblasenen Wangen stiert er zurück. Einfach zuckersüß. Samira wünschte, sie hätte ihr Lachen im Griff, aber seine Reaktionen geben ihr den Rest. Sie krümmt sich vor Lachen. Der Fächer ihrer Schwester kommt ihr gelegen. Wie gut, dass sie diesen auf dem Schreibtisch lagert. In greifbarer Nähe. Denn so kann sie ihren hochroten Kopf vor dem Paladin verstecken.
Die lauten Schritte verkünden Cassandras Freund. Seine Hände donnern hinab und stützen sich auf dem Schreibtisch. Verdächtig nah beugt er sich zu Samira hinüber und blickt sie prüfend an.
„Weiht mich ein, Eure Hoheit. Was ist so lustig?“
Ein paar tiefe Atemzüge und das Lachen verstummt. Würdevoll schlägt Samira den Fächer zu und legt ihn zurück. Mit durchgestreckten Rücken blickt sie auf und will seinen Mut mit Ehrlichkeit belohnen.
„Euer Verhalten, Sir Riley. Niedlich wie ein kleiner Junge.“
Sichtlich verwirrt erhebt sich der Paladin und räuspert sich.
„Ich bin kein Junge mehr.“
Die Entschlossenheit geht in dem Moment verloren, als er sich mit einen Schritt vom Schreibtisch entfernt. Sein Blick fällt zu Boden und Samira hat das Gefühl, dass er seinen Kopf am liebsten in seinen Händen vergraben mag.
„Aber natürlich, Sir Riley. Verzeiht meine Bemerkung.“ Noch immer ganz entzückt von seinem Verhalten beugt sie sich vor. „Bitte verzeiht mein Starren, aber Eure Augen sind wahrlich traumhaft. Ihr liefert mir Inspiration für mein nächstes Gemälde.“
Völlig konfus fährt er sich durch die Haare. „Ein Gemälde? Ich fühle mich zwar geschmeichelt, aber haben wir nicht andere Sorgen?“
Geduldig faltet Samira die Hände zusammen. Mit einer Unschuldsmiene, die ihren Vater immer überzeugt. Kaum klimpern die langen Wimpern, wendet sich ihr Gegenüber ganz verlegen ab. Unruhig wie ein eingesperrtes Tier wandert er durch die Räumlichkeit. Zeit für einen Eintrag ins Tagebuch.
Die ersten Zeilen über Jareds Angriff befinden sich auf Papier, da kehrt Riley eilig zurück mit einem erschrockenen Laut.
„Ist das nicht das Tagebuch Eurer Schwester?“
„Mhm.“ Summend blickt Samira auf. „Habt Ihr ein Problem damit?“
„Ihr könnt doch nicht einfach Eure Nase in ihre Privatsphäre stecken und auch noch selbst Eintragungen hinterlassen.“
Er keucht voller Unglaube, woraufhin sich ein teuflisches Grinsen in ihrem Gesicht breitmacht, das sie eilig wegwischt.
„Ich kann und ich werde.“
Einen langen Moment ist ihr Gegenüber zu nichts anderem im Stande, als zu starren. Seine darauffolgende Frage ruft Verwirrung in ihr hervor: „Wie weit habt Ihr gelesen, Eure Hoheit? Was an Inhalt ist Euch bekannt?“
Fragend hebt sie die Augenbraue, aber er presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als folge keine Erklärung. Der Blick fällt auf die ungelesenen Seiten aus Cassandras Feder. Eine verschlossene Truhe, die sie nicht anrühren wollte.
„Warum fragt Ihr?“, spricht die Neugier aus ihr.
Erleichtert atmet ihr Gegenüber auf. „Also habt Ihr ihre Privatsphäre respektiert.“
Samira wird das Gefühl los, dass der Paladin Seiten von ihrer Schwester kennt, die sie nie zu Schau bekam. Die gemeine Eifersucht zwickt sie in die Seite und lässt sie zusammenzucken. Ein dicker Kloß bildet sich in ihrem Hals, der ihr das Atmen erschwert.
„Cassandras Tagebuch sollte nicht weiter bekritzelt werden. Es hätte in ihrem Grab liegen sollen.“
Dreiste Forderungen, die Samiras Blut zum Kochen bringen.
„Wenn Ihr verlangt, dass ich es rausrücke, dann irrt Ihr Euch!“
Ihre giftige Art lässt ihn schreckhaft zurücktreten. Samira rügt sich im Stillen für ihr biestiges Verhalten und seufzt tief.
„Verzeiht, Sir Riley. Aber ich habe meine Gründe. Dieses Tagebuch bleibt in meinem Besitz. Komme, was wolle. Ich lasse es mir nicht aus den Händen reißen. Da Ihr Euer Schweigegelübde abgelegt habt, werdet Ihr auch schnell erfahren, warum ich so handele.“
Um ihm ein Häppchen zu servieren, bindet sie das provisorische Säckchen von dem Band ihres Kleides, das betonend um ihre Taille verläuft. Das entscheidende Beweisstück platziert sie offen vor seiner Nase.
„Wisst Ihr, was das ist, Sir Riley?“
Der Paladin tritt skeptisch näher und untersucht die Substanz mit äußerster Vorsicht. Für die Untersuchung zieht er sich sogar Handschuhe an, als müsste er sich fürchten, Schaden an den Händen zu tragen.
„Ist das Salz?“
„Ganz Recht. Und wo findet es Verwendung?“
„In der Küche. Zum Pökeln.“
Samira lächelt verschwörerisch und faltet die Hände ineinander. „Denkt weiter, mein Freund.“
„Mein Freund?“, wiederholt er verwundert, „Welche eine Ehre…“
Samira winkt genervt ab. „Falscher Zeitpunkt, Sir Riley. Das war ehrlich gesagt nur so dahingebrabbelt. Meine Wenigkeit fand es passend. Aber wir beschäftigen uns doch eigentlich eher mit dem Salz.“
Ihr Gegenüber räuspert sich erneut und kratzt sich verlegen am Hinterkopf, bevor er den nächsten Gedanken ausspricht: „Im Kampf greifen Leute zu feigen Techniken. Sie werfen mit Sand, um ihren Feind die Sicht zu nehmen.“
„Ahha!“ Freudig erhebt sich Samira. „Da kommen wir der Sache schon näher.“
Doch Riley gesteht ihr leise: „Ich wurde aber noch nie mit Salz beworfen.“
Samira nickt zustimmend, bevor sie preisgibt: „Jared machte von dem Salz Gebrauch.“
Diese Information scheint ihr Gegenüber zu beschäftigen. Rileys Stirn legt sich in ein Meer aus Falten, während Samira ein Klopfen im Hintergrund wahrnimmt.
Freudig beobachtet sie wie Anna und Savas die gewünschten Mahlzeiten für zwei Personen hineinbringen. Tomatenreis mit Erbsen und zum Nachtisch einen köstlichen Pudding. Mehr braucht die Prinzessin nicht, um ihren Hunger zu stillen. Bewusst will sie heute für ihren Gast auf Fleisch verzichten, so wie das Volk ihres Gastes, daher freut sie sich besonders auf die Süßspeise. Als wäre die Freude über die duftende Mahlzeit nicht groß genug, tritt die Elfe in einen von Cassandras schönsten Kleidern ein. Ein Schlichtes in Weiß. Eng geschneidert, womit es die Weiblichkeit betont. Der Rock berührt fast den Boden und ist an der Seite getarnt gespalten. Die wenigen goldenen Strickereien von Rosen und der die stilvolle Schlaufe mit Steinchen geben den letzten Feinschliff. Vordere Strähnen der Elfe sind zurückgebunden und mit einem goldenen Band versehen, sodass dem schmalen Gesicht der Elfe mehr Ausdruck verliehen wird. Am Ende des Bandes baumeln kleine Schmucksteine in Form von Schmetterlingen und brechen das Licht je nach Winkel. Traumhaft schön und passend für ein magisches Geschöpf. Dezent geschminkt, aber traumhafthübsch tritt die Gefangene anmutig in das Gemach.
Samira entweicht ein Freudenschrei, der das Selbstbewusstsein der Elfe ins Wanken bricht. Ihr Gast taumelt zurück. Sie buckelt wie eine aufgeschreckte Katze, die für einen Kampf ausholen wird.
„Traumhaft, meine Liebe. Ihr seht wunderschön aus.“ Samira eilt herbei und ignoriert Avas warnenden Ruf. Aber die Prinzessin schnappt sich eine Hand der Elfe und führt ihren Gast zum Esstisch. „Bitte speist mit mir. Ich verspreche Euch der Nachtisch ist ausgezeichnet.“
Samira ist die Erste, die Platz nimmt, während die Elfe zögert. Ihr Blick wandert umher, als suche sie nach Fluchtwegen. Riley hat sie dabei besonders scharf im Auge.
„Es ist das Gemach der Frau, die ihr auf dem Gewissen habt“, verkündet er erbost.
Damit lässt er sie zusammenschrecken. Die Elfe umklammert die Stuhllehne, als bräuchte sie dringend Halt.
„Und ihr Kleid, was ihr tragt“, betont Ava erzürnt.
Nun blickt der Gast an sich herunter, während Samira die Situation entschärft. „Und es steht Euch fabelhaft. Als wäre es nur für Euch geschneidert worden.“
„Thorbens jüngstes Kind hat wenig Ähnlichkeiten zu ihrem Vater. Ihr scheint mehr auf Eure Mutter zu kommen“, bemerkt die Elfe spitz.
Ava nickt und verdreht die Augen, als entspreche dies genau der Wahrheit. „Ein wahrer Freigeist. Albern und kreativ.“
Zögerlich nimmt die Elfe Platz und betrachtet ihre Gastgeberin prüfend.
„Sagt, wie war Eure Schwester so?“
Samira schluckt schwer. Es war alles einfacher, bis zu jenen Moment. Die Trauer will sie erneut bewältigen, aber die Prinzessin schiebt jene trüben Gedanken von sich fort und blickt unerschrocken auf.
„Sie war eine bessere Version von mir. Eine ehrwürdige Erbin des Throns. Vorurteilsfrei und gutherzig.“
Ein scharfer Blick zu Savas und Anna, die daraufhin den Ausgang ansteuern. Samira übt sich in Geduld, bis sich die Türen schließen und das Gespräch endlich vertraulich beginnen kann. Kaum kehrt Stille ein, will sie auch direkt zum Hauptthema kommen. Dies scheint die Elfe zu erkennen, denn ihr Blick klebt gebannt auf ihre Lippen.
„Ich hörte, Ihr seht den Geist meiner toten Schwester. Bitte erzählt mir mehr davon.“
Eine einfache Bitte, die unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Die Skepsis bei Ava. Der Schrecken bei der Elfe. Und Riley? Es ist schwer zu deuten, warum er kreidebleich zusammenzuckt. Ein verdächtiges Verhalten, das Samira beschäftigt. Nie kam ihr der Gedanke, dass Cassandra auch ihm einen Besuch liefern würde. Vielleicht aber ist der Paladin sehr abergläubisch und der Gedanke an einen Geist lehrt ihn das Fürchten. Das gilt schnellstmöglich herauszufinden.































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