Kapitel 14

Erfüllt von Glück und Liebe spielt sich vor dem Alchemisten eine kurze Szene ab. Hand in Hand steuert Clive mit Sina der Sonne entgegen. Im Hintergrund rauschen die Wellen und Sinas sorgloses Lachen steckt ihn an. Hand in Hand führt sie ihn unbekümmert durch eine blumenreiche Wiese, vorbei an vielen prächtigen Schmetterlingen. Je weiter sie laufen, umso schneller zeigen sich die Spuren der Zeit. Selbst mit weißem Haar und den vielen Falten ist Sina noch der hellste Stern am Himmel. Clives Wunschdenken zerplatzt wie eine Seifenblase in dem Moment, als er einen fremdartigen, fast süßlichen Geruch  wahrnimmt. Manipulation. Eilig tritt Clive von der Fee fern und steuert bewusst das Fenster an. Taufrische Luft klärt den Nebel in seinem Kopf. Es folgte der zweite Verrat von einer Person, die er für vertrauenswürdig hielt. Von einer Dame, an die er glaubt, sein Herz verloren zu haben. Ein Verrat, der noch tiefer schneidet als der Erste. Trotz Halt sinkt Clive hinab auf die Knie mit einem lebendigen Knäuel in der Brust. Enttäuschung, Wut und Bitterkeit kochen bedrohlich im Inneren. Ein Gefühlschaos, das ihn zu verderben droht. Physischer Schmerz, den er so noch nie erlebte und der ihn von Innen auffrisst. All die schönen Erinnerungen der vergangenen Tage. Gemeinsame Momente mit Sina. Bis nur noch Leere zurückbleibt.

 

Distanziert, gefasst und klug präsentierte sich Sina bislang. Aber ihr Lächeln wirkte nie gespielt. Doch Clive fürchtet nun sie trug seit ihrer ersten Begegnung eine Maske. Dem Ruf einer Hexe wird sie immer gerechter. Doch sie beharrte bislang eisern darauf, eine Fee zu sein. Die Geschichten über ihre Heimat wirken nicht erfunden.

„Stimmt etwas nicht, Clive?“

Sina spielt die Scheinheilige. Ihr Atem streift ihn am Gesicht. Nur ein Schulterblick und er macht sie an seiner Rechten aus. Ihre Hand will sich auf seine Schulter legen. Doch mit dem Verrat widert ihn allein der Gedanke an eine Berührung an. Gröber als geplant, schlägt er ihre Hand fort. Sein glühender Blick sollte Warnung genug sein, denn nun fordert er Ehrlichkeit.

„Womit vernebelst du meine Sinne? Woher kommt der Duft?“

Überrascht hebt Sina eine Augenbraue und hält einige Sekunden eisern Blickkontakt. Keine Reue lässt sich in ihrem Blick lesen.



„Ich bin aufgeflogen, das kommt unerwartet. Ich dachte, du hegst Gefühle für mich und mein Verschwinden ginge problemlos über die Bühne.“

Sina konnte ihn besser lesen, als ihm lieb ist. Seine unbeholfene Art ließ seine Vernarrtheit sicherlich schnell auffliegen.

„Ein Alleingang“, spricht er die Tatsache säuerlich aus und bemerkt ihr zustimmendes Nicken, „Und das Mittel? Worauf hätte ich mich gefasst machen können?“

Doch Sina faltet die Hände geduldig ineinander und schüttelt den Kopf. „Nichts Schädliches.“

Eine Drehung und er lehnt mit dem Rücken zur Wand. Das Putzen der Brille hilft, um seine Wut im Griff zu kriegen und sich zu fokussieren.

 

„Nur ein Wort und du hättest solch ein Drama verhindern können, denn niemand zwingt dich, mich zu begleiten.“ Erwähnt Clive vorwurfsvoll und blickt grimmig auf. „So viele Gelegenheiten haben sich geboten, mir deine ehrliche Sicht zu meinen Plänen mitteilen zu können. Doch statt Ehrlichkeit überlistet du mich feige mit einem miesen Trick. Nimm diesen Kuss zurück! Ich kann auf solch ein Schauspiel verzichten! Es gehört sich nicht, auf anderen Gefühlen herum zu trampeln. Ein Kuss sollte von Herzen kommen!“

Seine Worte verschlagen ihr für einen kurzen Moment die Sprache. Aus den Gängen des Anwesens lassen sich die stampfenden Schritte der Blechrüstungen hören. Gewöhnliche Patrouillen oder Botengänge. Nichts, was ihnen Sorge bereiten sollte.

 

Überfordert von seinem Zorn stemmt Sina die Hände in die Hüfte. „Wie stellst du dir das vor? Einen Kuss zurücknehmen? Bist du ein Kind?“

Maßlos enttäuscht wendet er den Blick von ihr ab und konzentriert sich weiter auf das Putzen der Brille. Mit einem zu festen Griff, dass er fast befürchtet, das Glas zerspringe jeden Moment. Doch kaum nähert sie sich mit einem Schritt, hebt er mit gebleckten Zähnen den Kopf. Auch ihre Augen blitzen bedrohlich auf, als sie ihre Hände vor ihren Mund verdächtig ausbreitet.

„Weißt du, was? Das ist mir jetzt zu blöd mit dir! Daher wähle ich eine Prise Schlafmohn!“

Bevor er der Bedrohung überhaupt ausweichen kann, pustet sie ihm eine schwarze Wolke ins Gesicht. Ein nussiger Duft steigt ihm dabei in die Nase, bevor der Schafmohn seine Wirkung erzielt und die Müdigkeit ihn heimsucht.



„Entschuldige, Clive. Du bist ein netter Kerl, aber wie gesagt, ich bringe dich in Schwierigkeiten. Ich danke dir für die Rettung, noch mal lasse ich mich nicht fangen. Ich werde wachsam sein und nach einer Hexe suchen. Ich danke dir für diesen wertvollen Hinweis. Aber ich sehe dir an, dass du Hexen gerne meiden würdest. Ich brauche keinen Begleitschutz und ich muss sagen, dieser kurze Aufenthalt war zur Abwechslung ganz amüsant. Mal abgesehen davon, dass ich mich etwas eingesperrt fühlte. Ich hätte dir ja gerne mit dem Mondstein geholfen, aber nun trennen sich unsere Wege. Naja, jetzt habe ich das Ding schon mal, dann kann ich auch Gebrauch davon machen. Ich versuche nebenbei, ertragreiche Pflanzen zu setzen, vielleicht hilft es den Leuten. Aber oberste Priorität hat meine Heimkehr. Pass auf dich auf und sei nicht immer so naiv.“

Am Ende nimmt sie sich die Frechheit und drückt ihm einen Kuss auf die Stirn. Seine Sicht verschwimmt, durch den Schleier der Müdigkeit. Mit einer hastigen Bewegung verschwindet ihre verschwommene Silhouette aus seinem Augenwinkel.

 

Der Vorhang fällt und fast wäre er im Reich der Träume angelangt, wäre da nicht eine erbarmungslose Ohrfeige. Eine, die Wirkung zeigt und ihn zusammenzucken lässt. Konfus hebt er den Kopf und erblickt eine Gestalt vor sich. Den Rundungen zu urteilen muss es sich um eine Frau handeln. Auch andere anatomische Merkmale sprechen dafür. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Details springen ihm ins Auge. Dunkles Haar. Lange Wimpern. Mausbraune Augen. Ein spitzes Kinn. Das Gesicht fast puppenhaft.

„Bleib wach, Alchemist!“

Frech und doch lebensfroh. Eine Stimme, die ihm verdächtig bekannt vorkommt.

„Das wird nichts, Rebecca. Siehe ihn dir an! Was auch immer die Hexe mit ihm gemacht hat, er wird jeden Moment wieder weg sein.“

Eine ebenfalls vertraut kräftige Stimme, die bereits bei der Hälfte des Satzes zu verschwimmen droht. Der Kopf liegt im Nebel und auch die Sicht verschwimmt erneut. Farben und Konturen zerfließen und die Müdigkeit drängt sich in den Vordergrund.

Das Gespräch zwischen den beiden Personen wird fortgesetzt und doch dringen nur wenige Satzfetzen in Clives Unterbewusstsein. Etwas mit einem Vorsprung und Freiheit. Nichts, womit sein schwerer Kopf arbeiten kann. Aufgrund der brennenden Helligkeit schlägt er die Augen zu und droht erneut ins Traumreich abzudriften. Doch seine Gesellschaft lässt dies nicht zu und rüttelt ihn brutal durch.



 

„Unterstehe dich, Rebecca!“

Ohne Zweifel klingt es nach Cuno. Er mag über Rebeccas Grobheit erbost sein, doch Clive kommt dank ihr langsam zu sich. Ein erschöpftes Seufzen geht über Clives Lippen und der Kampf gegen die Tränen beginnt.

 

„Gut, du bist zurück!“ Rebecca grinst stolz und klopft ihm fest auf die Schulter. „Eines ist klar, danach bist du mir, was schuldig.“

Clive bemüht sich um Augenkontakt, doch sein Kopf nickt immer wieder weg.

„Wovon redest du?“, säuselt er schlafgetrunken.

Rebeccas Mundwinkel fallen hinab. „Du bist ja voll hinüber! Hast du mir überhaupt zugehört?“

Er brummt zur Antwort und wünschte, er wäre aufnahmefähiger. Doch eine Unterhaltung muss er vorerst vertagen.

„Reden wir doch später“, schlägt er daher vor.

Rebecca nickt zögerlich. „Also gut, ich gehe dann mal auf die Jagd.“

Bereits in den letzten Tagen zeigte sich Rebecca als wahrer Wildfang. Sie rennt jedem Abenteuer hinterher und findet genug Beschäftigungen, um sich fit zu halten. Ihr Verhalten lässt sich schwer studieren. Nicht in dem kurzen Zeitraum. Daher will Clive sie nicht bremsen mit seiner Neugier, zumal ihm ihr Abenteuer gerade recht kommt, denn so kann er sich ohne Störungen aufrappeln.

 

Wie der Wind findet Rebecca ihren Weg. Für gewöhnlich würde Cuno nun mit ihr schimpfen und sie daran erinnern, dass im Anwesen nicht gerannt wird. Doch stattdessen geht er vor Clive in die Hocke.

„Das war ja ein ganz mieses Spiel von Sina. Aber keine Sorge, Rebecca wird die Sache schon klären.“

Er lächelt zuversichtlich. Seine Botschaft rüttelt Clive augenblicklich wach.

„Was? Wozu?“ Er keucht. „Lasst Sina doch ziehen. Sie hat ihren eigenen freien Willen.“

Cunos darauffolgender Blick wirkt strafend. „Bedaure, Alchemist! Du bist der Vormund der Hexe. Was sie verbockt fällt auf dich zurück! Ihre Freiheit genießt sie nur in deinem Beisein.“

Der pflichtbewusste Paladin bricht durch und obwohl Clive der Ernst der Lage bewusst ist, verkompliziert Sinas Verrat die Sache. Auch wenn Clive ungern von Sina getrennt sein möchte, fürchtet er darum, ihr erneut vertrauen zu können. Die Fee genießt ihre Freiheit, sie hat kein Interesse an seiner Seite zu verweilen. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn Rebecca sie nicht einholt. Er kann Sina nicht zwingen, an seiner Seite zu verbleiben. Der Verrat liegt wie ein Stein auf seiner Lunge und hindert ihn zu atmen. Die Enttäuschung formt einen Kloß in seinem Hals und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Sein Herz fühlt sich betrogen und dennoch würde er ihr jederzeit vergeben. Selbst mit all der Wut in Bauch hat er große Hoffnung, dass das Gute in einem Menschen überwiegt. Dass Sina bereut und sich in seine Lage hineinversetzen kann.



 

Der Kampf gegen die Schlaftrunkenheit wirkt fast überstanden. Mühevoll kämpft sich Clive auf die Beine, Cuno hilft ihm dabei unaufgefordert.

„Warum helft ihr mir?“, spricht Clive seinen Gedanken laut aus.

Noch immer säuselt er benommen. Seine Augen fixieren Cuno, der ihn mitleidig betrachtet.

„Auch ich wurde schon einmal verraten, Sinas Verschwinden hat die alten Wunden erneut ausgegraben. Wir können Rebecca danken, denn sie hat euch belauscht. Sie mag kein schönes Verhalten an den Tag legen, aber dadurch hat sie Sinas Flucht mitbekommen. Sie hat sich der Hexe sogar entgegengestellt. Es passiert nicht oft, dass jemand Rebeccas Fängen entkommt. Hoffen wir das Beste.“

Clive versteht es nicht. Geht es um seinen Koffer oder warum weicht Rebecca nicht von seiner Seite? Ständig sucht sie ihn auf, beobachtet ihn aus der Ferne und lauscht, wo sie kann.

Als könne der Paladin seine Gedanken lesen, berichtet er ihm: „Rebecca hatte von Anfang an vor, uns zu begleiten. Sie wollte unsere Abreise nicht verpassen.“

Natürlich! Ihr nächstes großes Abenteuer. Es klingt einfach nach ihr.

Die Vogeldame Mina landet auf Clives Schulter und zwitschert ihn an. Wenn er das Tier doch nur verstehen könnte. Aber allein die Anwesenheit des gefiederten Freundes hat eine beruhigende Wirkung auf ihn und lindert seinen Herzschmerz, wenn auch nicht viel.

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