Kapitel 19

Dürre und Hungersnot treiben Jäger tiefer in die Wälder. Fern von ihrem Zuhause. Etwas, was auch Clive nicht einkalkuliert hat. Zu weit befindet sich das erste Dorf entfernt. Die Unruhe unter der bunten Tiermischung entgeht selbst dem Alchemisten nicht. Beunruhigt erhebt sich Sina. Wie bei Clive haftet ihr besorgter Blick auf einen Jäger, der sich langsam nähert. Mit weitgeöffneten Augen lässt er die vielen Eindrücke auf sich einwirken. Ein junger Mann, kaum älter wie Clive, in enger Lederkluft. Der Zustand seines Bogens befindet sich in Mitleidenschaft gezogen. Der tiefen Augenringe und die eingefallenen Wangen vermitteln Clive die ersten Eindrücke. Was muss der junge Mann verzweifelt sein, allein so tief in den Wäldern zu reisen.

„Hey ihr da! Was macht ihr hier? Seid ihr auf Reisen?“

Er bellt, als müsse er zu seiner eigenen Sicherheit sein Umfeld abschrecken. Doch die Panik vor einer Konfrontation steht ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Körper zittert, was allein bei der Bogenhaltung auffällt.

 

Naiv zeigt sich die Annahme, er reise allein. Denn ein weiterer Jäger nähert sich Clive und Rebecca. Sicherlich gelockt aufgrund der Stimme seines Kumpels. Noch kämpft sich der etwas ältere Mann an dem dornigen Gestrüpp vorbei und hat sicherlich all die Tiere noch nicht bemerkt. Gefahreneinschätzung liegt Rebecca wahrlich im Blut. In Windeseile eilt sie voran und steht wenige Augenblicke hinter dem Kerl. Mit gezücktem Dolch bedroht sie den Fremden. Die Waffe liegt mit der scharfen Seite direkt an der Halsschlagader.

„Keine falsche Bewegung!“, haucht sie dem Fremden ins Ohr.

„Oh Mist!“, flucht der andere Jäger.

Der junge Kerl macht nur eine halbe Drehung und scheint die Flucht ergreifen zu wollen. Daraufhin folgt Cunos Ruf an seine Kindheitsfreundin. Rebeccas Waffenarm sinkt und sie tritt den Gefangenen grob in die Kniekehle. Der alte Mann fällt zu Boden, womit er vorerst keine Bedrohung darstellt.

 

Mit nur einer fließenden Wurfbewegung befördert Rebecca ihren Dolch wie einen Pfeil durch die Lüfte. Clive kann kaum hinsehen, als das Messer im Hinterkopf des Jungen landet. Der Fliehende bricht leblos weg. Anscheinend ein herber Verlust für den anderen Jäger, denn dem entweicht ein Klageschrei. Cuno nähert sich diesem mit eisiger Miene. Als er sein edles Schwert hebt, rechnet Clive schon mit dem Schlimmsten. Doch Cuno wählt die Einschüchterung statt einen Mord. Seine geliebte Waffe versinkt zur Hälfte im Erdreich. Direkt vor den Augen des alten Mannes. Dieser befindet sich jedoch in seiner Trauer gefangen, sodass ihn Cunos Handlung nicht mal ein Zucken als Reaktion entlockt. Erbarmungslos schnappt sich Cuno den weinenden Kerl und zerrt ihn grob hinauf auf die Beine.



„Mörder!“, wimmert der Kerl erbost.

Zu viel Wahrheit steckt dahinter. Es mag nicht Cuno gewesen sein und doch zweifelt Clive nicht daran, dass er ebenfalls das Leben des jungen Mannes genommen hätte, wenn er in seiner Nähe geflohen wäre. Eine Aktion, die Clive nicht gutheißen kann. Doch das grausame Verhaltensmuster von den beiden lässt ihn erstarren.

 

Unfähig, sich einzumischen, kann Clive nicht anders als ungläubig zu starren. Anders als Sina, denn diese eilt heran und möchte mit zitternder Stimme in Erfahrung bringen: „Was habt ihr mit ihm vor? Ihr tötet ihn doch nicht oder?“

Der Jäger mustert die Fee hasserfüllt, bevor seine Spucke sie trifft.

„Hexe!“

Cuno lässt den Kerl nur deshalb los, um ihn mit der bloßen Faust niederzuschlagen. Rebecca hingegen schnappt sich das zurückgelassene Schwert und nähert sich ihrem Freund.

„Hast du noch letzte Worte?“, richtet Cuno seine Frage an den Jäger.

Sina fährt kopfschüttelnd herum. Auf der Suche nach einer Lösung. Ihre Augen bleiben schließlich auf den Alchemisten hängen.

„Clive! Tu doch etwas! Sie dürfen ihn nicht töten!“

Ihr Ruf rüttelt Clive aus der Starre und nun endlich findet er seine Stimme wieder.

„Haltet ein! Diese Leute haben uns nichts getan, Cuno!“

„Sie haben zu viel gesehen! Lassen wir ihn gehen, dann verpfeift er Sina!“, mischt sich Rebecca ein.

 

Im Dreck entdeckt der Alchemist den Bogen des noch lebenden Jägers.

„Der Mann ist unbewaffnet! Er hat uns nichts getan! Wenn wir mit ihm reden und er unsere Lage versteht, dann …“

„Dann was? Dann verspricht er uns, nichts zu sagen? Weißt du, welches Risiko du bereit bist, in Kauf zu nehmen! Sei nicht dumm, Clive! Diese Leute mögen noch nichts getan haben! Aber sie gefährden unsere Sache! Ob du willst oder nicht! Dieser Mann hier wird wie sein Freund sterben!“, unterbricht Cuno ihn schimpfend.

„Hexenanhänger! Ihr beschützt eine verfluchte Hexe!“, brüllt der Jäger.

„Halte besser die Schnauze.“ Die Botschaft und der nette Ton seitens Rebecca beißen sich. Allein der glühende Blick widerspricht dem langen Sichelgrinsen. „Oder ich schneide dir die Zunge heraus.“

„Clive! Nachtschattengewächs! Hilf mir mal! Wir können mit einer Pflanze sein Gedächtnis beeinflussen! Welche war das?“, überlegt Sina eifrig und laut zum Wohle des Fremden.



 

Die Engelstrompete oder die Stechäpfel vielleicht? Beide Pflanzen sind giftig und wenn sich der Alchemist nicht irrt, können diese Halluzinationen heraufbeschwören. Aber auch Gedächtnislücken? Der Zeitdruck blockiert Clives klare Gedanken, für einen Moment hat der Alchemist keinen Zugriff auf sein Wissen. Er weiß nicht, welche Pflanze jetzt helfen könnte, zumal er sich mit Giften zu wenig befasst. Eine falsche Entscheidung und die Konsequenzen könnten fatal sein.

 

Seine Gedanken werden von dem Paladin unterbrochen, denn dieser teilt seine Bedenken mit ihnen: „Wie lange soll das wirken? Als könnten wir uns darauf verlassen! Wenn der Kerl sich selbst nach Jahren erinnert, steht uns großer Ärger bevor!“

Ein Risiko, das Clive bereit ist, einzugehen. Besser als zum Mordkomplizen zu werden.

Doch Rebecca gibt Entwarnung: „Tja, Leute. Das hat sich nun von allein geklärt. Der Kerl hat sich die Zunge abgebissen.“

Cuno fährt überrascht zu ihr herum. „Was? Ernsthaft?“

Auffällig bleich dreht sich Sina um und läuft davon. Sie scheint die Gesellschaft der Tiere in diesem Moment zu bevorzugen und sucht Trost bei einem Hasen. Ein Blick auf den Jäger und Clive sieht eine Chance zur Rettung.  Er mag zur Hilfe eilen, doch Rebecca fängt ihn konsequent ab.

„Ich kann ihm helfen! Er wird sonst verbluten!“

„Oder an dem Stück ersticken, er hat es runtergeschluckt“, kontert Rebecca eisig.

Ihr fehlendes Mitgefühl schockiert Clive. Doch die Zeit rennt und der Alchemist sieht noch Hoffnung. So klein diese auch sei mag. Nicht mit Rebecca, denn die hat ihn im Griff. Genervt von seinen Befreiungsversuchen, zerrt sie Clive zur Kutsche zurück.

 

„Das ist der falsche Weg!“, versucht Clive ihr ins Gewissen zu reden.

„Lauscher auf, du Träumer! Erwache endlich! Die Welt ist grausam und wir können nicht alle retten! Opfer gehören dazu! Wenn wir die beiden verschonen, dann bringen wir nicht nur uns in Schwierigkeiten, sondern alle, die an der Rettungsaktion teilgenommen haben! Ich schätze dich für deine Gutmütigkeit. Wirklich! Ich wünschte, ich könnte ebenfalls so blind und naiv durch die Welt laufen. Umso mehr schmerzt es mich, dir die grausame Wahrheit vor Augen zu halten“, bekommt er von ihr zu hören.



„Nur etwas mehr Zeit und ich hätte ein Mittel entwerfen können, dass diesen Mann die Erinnerung hieran nehmen könnte!“, ärgert sich Clive laut.

„Damit verschwindet die Erinnerung nicht, sie wird nur verdrängt! Irgendwann könnte diese fehlende Gedächtnislücke zurückkehren und dann wäre es das für uns gewesen!“, kontert Rebecca.

Sie mag vielleicht Recht haben und doch kratzt diese Verhaltensweise an seiner Moral. Damit sind sie kein bisschen besser wie brutale Banditen und Mörder!

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