DBdD-Kapitel 38

Die nächsten Tage vergingen in ruhiger Geschäftigkeit.
Zunae half Yelir dabei, die ganzen Briefe zu sichten. Sie ging überraschend ruhig mit den Briefen um, in denen die Fürsten sich über ihre Gefährlichkeit beschwerten. Statt wütend war sie eher resigniert darüber, immer und immer wieder das gleiche zu lesen. Als hätten sie sich zusammengeschlossen.
Außerdem kam sie auf die Idee, im Sommer ein Fest zu veranstalten, bei denen sie die Fürsten alle in die Burg einluden. So konnte Zunae sie kennenlernen, auch wenn es eher üblich war, dass die Königsfamilie die Dörfer und Städte besuchte. Das kostete jedoch immer sehr viel Zeit, weshalb es durchaus passend schien, auch die Fürsten einmal einzuladen.
Yelir behielt diese Idee im Hinterkopf, als er sich am Abend zum Übungsgelände begab. Er hatte seinen Bogen jetzt schon einige Zeit, doch ausgetestet hatte er ihn noch nicht. Er hatte also keine Ahnung, was er konnte und womit er im Ernstfall rechnen musste. Das sollte er bald ändern, denn Degoni hatte nicht gescherzt, als er gemeint hatte, er wollte Aelith ausbilden, damit sie Fürst Ladvarian unterwandern konnten. Dafür würde sich das Fest ebenfalls eignen. Wenn Fürst Ladvarian bei ihnen war, könnten Degoni und Aelith sein Gebiet ungestört untersuchen.
An seinem Ziel angekommen, blickte Yelir zu den Stoffpuppen. Sie waren ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, was ihm zeigte, dass seine Soldaten fleißig geübt hatten. Heute aber hatten sie frei, um sich auszuruhen. Das musste immerhin auch sein.
Das hieß, dass er den Übungsplatz für sich allein hatte. Zumindest fast.
»Dann wollen wir mal«, murmelte Yelir zu sich selbst, blickte aber kurz zu Chiaki, der neben ihm saß und ganz aufgeregt mit seinem Schwanz auf den Boden klopfte.
Yelir zog den Bogen, der überraschend gut in der Hand lag. Er war nicht so leicht, wie er erwartet hatte, doch das Problem, dass er keine Sehne sehen konnte, blieb.
Das Holz des Bogens war eher oberflächlich bearbeitet. Kein Bogenbauer, den Yelir kannte, hätte diesen so gebaut, doch das störte ihn kaum, wenn das Artefakt seinen Nutzen erfüllte.
»Leite etwas deiner Magie in den Bogen«, forderte Chiaki, der Yelir bei jeder seiner Bewegung beobachtete.




Yelir wusste nicht genau, was das bringen sollte, doch als er sich auf den Bogen konzentrierte, spürte er plötzlich, wie seine Gabe sein Sichtfeld erweiterte. Als würde er in einen Körper eindringen, nur dass es sich um den Bogen handelte.
Plötzlich sah er dessen magische Ströme und auch eine Sehne, die aus Magie zu bestehen schien.
»Wie faszinierend«, murmelte Yelir, der nun nach der magischen Sehne griff und diese vorsichtig spannte.
Es fühlte sich nicht unbedingt an, als würde er einen Bogen halten. Nicht, dass er sehr viel Erfahrung damit hatte. Er hatte es zwar gelernt, doch da er eher schlecht darin war, hatte er sich lieber auf das Schwert konzentriert.
Jetzt hatte er also zumindest eine Sehne zum Spannen, doch was sollte er jetzt tun? Es gab keine Pfeile und er glaubte auch nicht, dass er normale Pfeile einlegen konnte.
Yelir ließ die Sehne los, weil er nach etwas suchen wollte, das Pfeile ersetzen konnte, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Sinne plötzlich durchdrehten. Er hatte das Gefühl, sein Geist wäre nach vorn geschnellt und auf das Ziel gestoßen, dass er fixiert hatte.
Kopfschmerzen machte sich in ihm breit, denn er hatte das Gefühl gegen den Dummy zu schlagen, obwohl er noch immer an der Stelle stand, an der er den Bogen gespannt hatte. Das war ein sehr seltsames Gefühl und er verstand nicht, was genau er getan hatte.
»Das kann er also«, rief Chiaki begeistert aus und wedelte noch mehr mit seinem Schwanz. Anders als Yelir konnte er genau sehen, was der Bogen getan hatte. Er hatte Yelirs Gabe auf ein Ziel verschossen. Auch, wenn Yelir damit gerade nichts anfangen konnte, da es sich um eine Übungspuppe handelte. »Du musst es mit lebendigen Zielen versuchen«, rief Chiaki, der gar nicht erwarten konnte, noch mehr zu sehen.
Yelir indes hatte eigene Probleme. Er hörte Chiaki zwar und wollte es gern probieren, doch im Moment hatte er noch das Gefühl, sein Körper wäre weit von seinem Geist entfernt.
Er verstand einfach nicht, wie das passiert war und wusste daher auch nicht, wie er es rückgängig machen sollte.
Mit seiner Gabe konnte er an der Übungspuppe nichts anfangen, er versuchte dennoch seine Magie zu nutzen.
In dem Moment, in dem er versuchte, in den nicht vorhandenen Kreislauf einzudringen, spürte er plötzlich, wie er zurückgezogen wurde.




Yelir machte einen Schritt zurück, keuchte und ging dann in die Hocke, während Schweiß seine Stirn hinablief.
Sein Atem ging schwer und sein Körper war überraschend erschöpft. Bis gerade eben hatte er das gar nicht für voll genommen. Außerdem spürte er vor sich etwas seltsames. Als wäre da ein magischer Faden, der ihn mit dem Übungspuppe verband.
Yelir bewegte sich etwas, doch als er sich umwandte, konnte er noch immer spüren, wo sich die Übungspuppe befand. Das war sicherlich hilfreich, sobald er wusste, wie er es richtig nutzen konnte.
Yelir erhob sich mit einem leisen Stöhnen. Es sorgte für Kopfschmerzen, weil er es einfach nicht gewohnt war.
»Ist alles in Ordnung?«, erklang Zunaes Stimme, die mit einem kleinen Tablett zu ihm kam. Darauf stand ein dampfender Kaffee und ein Tee mit ein paar Keksen.
Yelir fragte sich, wie viel sie gesehen hatte, doch so wie sie ihn anblickte, vermutlich nicht viel.
Ein Seufzen verließ seine Lippen. »Ja. Ich probiere mein neues Artefakt aus«, sagte er und hob den Bogen hoch.
Zunaes Blick glitt über diesen, bevor sie puderrot anlief. Eine Reaktion, die Yelir nicht erwartet hatte. Erst recht nicht, dass sie peinlich berührt den Blick abwandte.
»Wo hast du den denn ausgegraben?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Yelir verstand nicht, warum sie so reagierte. Weil der Bogen so durchschnittlich aussah?
»Ich habe ihn auf den Rabenklippen gefunden«, erklärte Yelir, der nicht genau wusste, wie er damit umgehen sollte. »Es ist das erste Artefakt, das mich gerufen hat, daher konnte ich es nicht einfach ignorieren.«
Vielleicht war sie böse, dass er es einfach mitgenommen hatte.
Überrascht blickte Zunae auf. »Es hat dich gerufen?«, fragte sie ungläubig. »Dieses Ding gehört auf den Schrott.«
Yelir verstand nicht ganz, wieso sie so gegen den Bogen war. Er fand ihn nicht schlecht, auch wenn er noch nicht verstand, was er eigentlich alles konnte.
Gerade, als er etwas erwidern wollte, fiel ihnen Chiaki ins Wort. »Jetzt mach dich nicht so schlecht. Es ist dein erstes Artefakt und dafür ist es überraschend gut geworden«, bemerkte er, was Yelir so gar nicht verstand.
Zunae blickte ihn beleidigt an. »Überraschend gut? Es sieht aus, als hätte ein Kind ein Spielzeug gemacht«, bemerkte sie frustriert.




»Du warst ja auch ein Kind, als du ihn gemacht hast«, entgegnete Chiaki recht ungerührt.
Zunae bließ kurz die Wangen auf, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. In dem Punkt mit Chiaki zu dikutieren war sowieso unnötig. Also wandte sie sich an Yelir. »Jedenfalls ist er kaputt und funktioniert nicht. Du solltest also nicht deine Zeit damit verschwenden«, sagte sie, stellte das Tablett ab und stapfte dann davon.
Eine Reaktion, die Yelir so sehr verwirrt, dass er nur stehenbleiben und ihr hinterherschauen konnte.
Erst, als sie sein Sichtfeld verlassen hatte, räusperte er sich. »Habe ich das richtig verstanden? Sie hat diesen Bogen erschaffen? Ein Artefakt?«, fragte Yelir, der das einfach nicht glauben konnte. Nur Göttertiere konnten Artefakte herstellen.
»Ja«, erwiderte Chiaki, der genüsslich seine Pfote putzte. »Ihre Magie war stark genug, dass sie es ausprobieren wollte.«
Yelir blickte den Kater verständnislos an, bevor er auf den Borgen sah. Sie hatte ihn gemacht. Als Kind.
»Ihre Magie muss besonders sein, wenn sie sowas kann«, stellte er fest, denn das stellte sein Weltbild auf den Kopf.
»Du könntest das mit der richtigen Anleitung auch, auch wenn es dir nicht so leicht fallen dürfte wie ihr.«
»Moment. Wie kann das sein? Ich dachte, nur Göttertiere können das?«, fragte Yelir überfordert mit dieser Offenbarung.
»Ihr Menschen seid die Nachkommen der Göttertiere. Potentiell seid ihr …«, setzte Chiaki an, schüttelte dann jedoch den Kopf. Er sollte es lieber nicht aussprechen. Der Zeitpunkt war unpassend. »Potentiell seid ihr in der Lage, Artefakte herzustellen«, sagte er schließlich, auch wenn das nicht das war, was er zuerst erwidern wollte.
Yelir blickte erneut nachdenklich auf den Bogen. »Das heißt, ich könnte potentiell etwas herstellen, dass Zunae daran hindert, in der Zeit zu springen?«, fragte er, bevor er zu Chiaki blickte.
Dessen Blick spiegelte Überraschung wider.
»Ja«, antwortete er, war das doch nicht das, was er erwartet hatte. Es überraschte ihn, dass Yelir bei der Vorstellung, ein Artefakt zu erschaffen, zuerst daran dachte.
»Verstehe«, murmelte er nachdenklich. Das würde er sich merken, doch zuerst wollte er weiter testen, was dieser Bogen konnte. Es wurde Zeit, sich ein lebendes Ziel zu suchen.



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