Mirani-Kapitel 13

~Mirani~

Ich schreckte aus meinem Dämmerzustand hoch, in den ich gefallen war, seitdem das Schiff nicht mehr ganz so sehr schwankte.
Ein Blick aus dem kleinen Fenster zeigte mir, dass sich das Meer beruhigt hatte. Die roten Strahlen der aufgehenden Sonne zogen sich über das Wasser. Ich hatte die ganze Nacht in der Kajüte verbracht?
Mein Blick fiel auf Asher, der mich nicht allein gelassen hatte. Er lag in seiner Wolfsform zusammengerollt am Boden und schlief.
Sein sandfarbenes Fell zeichnete sich gegen den dunklen Holzboden ab und das einfallende Licht ließ ihn friedlich wirken.
Langsam streckte ich mich, um ihn nicht zu wecken.
Er hatte sich Ruhe verdient, nachdem er mich so sehr von dem Sturm abgelenkt hatte. Obwohl er nur von seiner Heimat, den sandigen Dünen und heißen Tagen, erzählt hatte, war seine Gesellschaft doch sehr angenehm gewesen.
Müde fuhr ich mir durch das Haar und ließ die letzten Stunden Revue passieren.
Seitdem ich die Aethelhain-Inseln verlassen hatte, war so viel geschehen, dass es sich anfühlte, als wäre ich in die Erinnerungen einer mir fremden Person gezogen worden. Als wäre das Erlebte gar nicht meine.
Ich erinnerte mich daran, wie ich das erste Mal in Ashers Arme getaumelt war. Ein Ort, der mich scheinbar magisch anzog, so oft wie ich mich bisher darin wiedergefunden hatte.
Das warme Gefühl umgab mich bei dem Gedanken daran, doch es fehlten Bilder aus Ashers Vergangenheit. Stattdessen waren da nur meine eigenen Gefühle.
So wie früher, als ich Kaelen noch ohne Scheu hatte umarmen können.
Der Gedanke ließ mein Herz schmerzen. Es waren Erinnerungen, die ich tief in mir verdrängt hatte. Die ich eingeschlossen hatte, weil sie mich leiden ließen.
Es war ein bittersüßes Gefühl. Berührungen zu wollen und doch zu fürchten …
Ich war zwar kein Kind mehr, doch der Wunsch, mich in Mutters Umarmung fallen zu lassen, wie ich es früher immer getan hatte, war noch immer da. Nur überwog die Angst auf Erinnerungen, die ich nicht wollte.
Mein Blick war auf Asher gerichtet, der ruhig aus und ein atmete. Er schlief so friedlich, dass es mir in den Fingern zuckte, durch sein Fell zu fahren.
War es seidig weich oder doch eher rau und struppig?




Ich spürte die Neugier in mir aufsteigen, die ich so lange unterdrückt hatte.
Bisher war nichts geschehen und er hatte gesagt, es würde ihn nicht stören. Also konnte ich meiner Neugier nachgeben, oder?
Langsam erhob ich mich, bevor ich mich neben Asher am Boden nieder ließ.
Ich hatte lange Zeit den Kontakt zu Lebewesen gemieden, doch ich war sehr weit gekommen, was das Beherrschen meiner Gabe betraf. Vielleicht war der Widerstand, den ich aufgebaut hatte, stark genug? Vielleicht war es gar kein Zufall und meine Bemühungen hatten sich endlich ausgezahlt?
Bevor ich Hoffnung schöpfen konnte, verdrängte ich dieses Gefühl wieder.
Es konnte zahlreiche andere Gründe haben, warum ich mich nicht an Ashers Vergangenheit erinnerte oder nicht in sie eingedrungen war.
Die Situationen waren sehr intensiv gewesen und hatten meine Gabe durchaus blockieren können.
Trotzdem konnte ich mich nicht zurückhalten.
Vorsichtig streckte ich meine Finger aus und berührte ganz leicht sein Fell.
Es kitzelte an meinen Fingerkuppen. Es war überraschend weich und seidig.
In Erwartung von Bildern hielt ich die Luft an.
Ich spürte nur die reine Textur der Haare. Kein Gefühl von Kraft, die an meiner Hand zog und kein Kribbeln, das durch meinen Arm lief.
Atemlos zog ich meine Finger wieder zurück und schnappte nach Luft.
Ich hatte sein Fell berührt, ohne dass etwas geschehen war!
Mein Herz klopfte so heftig in meiner Brust, dass ich glaubte, es würde gleich herausspringen.
Das … das konnte nicht sein.
Ich sog die Luft ein, hielt sie an und streckte meine Finger noch einmal aus.
Vermutlich lag es nur daran, dass ich lediglich seine Haare berührt hatte. Was aber, wenn ich seine Haut berührte?
Unter meinen Fingern kitzelte es, während Wärme sie einnahm. Dann spürte ich einen Widerstand.
Ein Widerstand, der mit Stille einherging. Nur mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren.
Berührte ich ihn wirklich? Es fühlte sich so unwirklich an.
Ich starrte die Stelle an, die ich berührte, da regte sich etwas unter mir.
Ein überraschtes Keuchen verließ meinen Mund, bevor ich auf- und zurücksprang.
Was tat ich hier eigentlich?
Schnell zog ich mich auf das Bett zurück und starrte ihn an. Hatte er etwas bemerkt? War er wach geworden?




Wieso hatte ich nichts gesehen?
Asher verlagerte etwas seine Position und streckte ein Bein von sich, schlief jedoch weiter.
Ich befeuchtete meine Lippen. Es fiel mir noch immer schwer, es zu glauben. Ihn zu berühren und nichts zu sehen, kam so unerwartet, dass ich nicht damit umzugehen wusste.
War das nur Zufall? War ich vielleicht zu erschöpft und deshalb funktionierte meine Gabe nicht?
Ich vergewisserte mich, dass Asher wirklich schlief, bevor ich mich erneut erhob. Langsam tapste ich auf ihn zu. Es ging nicht anders. Ich musste es noch einmal prüfen.
Langsam ging ich in die Hocke, bevor ich meine Finger erneut an seine Haut legte. Es fühlte sich so gut an und meine Finger kribbelten. Am liebsten wollte ich ihn streicheln, doch ich hielt mich zurück. Das ging dann doch zu weit.
Langsam und gleichmäßig atmete ich aus und ein, um mein Herz zu beruhigen. Ich spürte kein Ziehen, kein Zucken, nicht einmal das Kribbeln. Da war nichts. Nicht einmal ein kurzes Bild seiner Erinnerungen.
Das war seltsam.
Stirnrunzelnd entspannte ich mich immer mehr, während ich darauf wartete, dass die Bilder nun doch endlich zu mir durchdrangen. Dass ein Sog entstand, wie es bei Gegenständen der Fall war. Wenn ich diesem nachgab, würde es mich in seine Vergangenheit ziehen, doch da war nichts. Nicht einmal, als ich entspannt neben ihm saß.
Das konnte gar nicht sein. Ich hatte es sogar auf dem Bett gespürt.
Das alles verwirrte mich so sehr, dass ich sogar begann, mich darauf zu konzentrieren.
Ich spürte eine leichte Gegenwehr, die ich nicht verstand. Es konnte nicht daran liegen, dass er ein Alpha war. Mutter war auch eine und Kaelen auch. Bei ihnen hatte es nie derartige Probleme gegeben.
Dann spürte ich plötzlich etwas. Vor meinem inneren Auge baute sich ein Bild auf. Langsam und nicht plötzlich. Ruhig und mit einer angenehmen Wärme, die mir das Gefühl gab, unter der Sonne zu stehen.
Sandige Luft und Hitze umhüllten mich. Mir wurde ein Blick auf eine weite, dünige Wüste gewährt. Zusammen mit einem Gefühl von Stolz.
Es war das erste Mal, dass ich mich so ruhig, aber gleichzeitig auch wie ein Eindringling fühlte. Sollte ich weiter schauen, oder mich zurückziehen?
Ich bemerkte, dass es das erste Mal war, dass ich wirklich eine Wahl hatte, ohne dabei die Berührung zu lösen.




Es fühlte sich befreiend an, weshalb ich mich wieder zurückzog.
Als sich mein Blick wieder klärte, saß ich neben Asher am Boden und berührte noch immer sein Bein.
Langsam zog ich meine Hand zurück. Etwas, das ich eigentlich immer vorher tat. Es nach dem Eintauchen in eine Vergangenheit zu tun, fühlte sich unnatürlich an.
War es mir wirklich gelungen, meine Gabe zu kontrollieren? War das Verstecken und Aufpassen, endlich vorbei?
Gerade, als diese Hoffnung in mir aufkeimte, hallte Zahiras Stimme über das Deck und ließ mich zucken.
»Land in Sicht«, rief sie begeistert, was mich aufspringen ließ.
Die Dämmerwüste war ganz nah! Würde das, was ich in Ashers Vergangenheit gesehen hatte, mich dort erwarten?

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