Mirani-Kapitel 22


~Asher~
Vorsichtig öffnete ich eines meiner Augen, um zu sehen, ob Mirani wirklich schlief.
Sie hatte mir in den letzten Tagen sehr viele Seiten von sich gezeigt. Ihre starke, kämpferische Seite konnte ich zwar nur erahnen, doch ihre verletzliche offenbarte sie mir so einfach, als hätte sie keine Angst, dass ich sie verletzte.
Lag es wirklich nur daran, dass ich sie problemlos berühren konnte, oder mochte sie mich wirklich?
Als ich die Aufgabe übernommen hatte, auf sie aufzupassen, hatte ich nur eine weitere, leichte Beute gesehen. Eine Frau, die meine Sinne ansprach.
Was immer noch der Fall war, doch ich hatte das Gefühl, dass sie mir nicht mehr einfach nur egal war. Dass ich nicht einfach nur meiner Pflicht nachging.
Ich schnupperte leicht an ihr. Der sanfte Duft nach verregneten Wäldern umhüllte sie und beruhigte mich.
Wie konnte eine Frau wie sie existieren?
Als ich mich bemüht hatte, beim Kampf gegen den Skorpion meine Stärke zu zeigen, war sie nicht ansatzweise so beeindruckt gewesen, wie ich erwartet hatte. Dabei hatte ich meine Aura ohne Einschränkungen genutzt. Trotzdem hatte sie sich Sorgen um mich gemacht.
Es war schwer zu glauben, dass sie wirklich nur eine Omega war, doch selbst jetzt konnte ich so gut wie keine Aura spüren. Außerdem hatte sie angedeutet, dass sie bereits älter war, was man ihr jedoch nicht ansah. Im Gegenteil. Immer, wenn sie etwas Neues erblickte, strahlten ihre Augen vor Freude. Wie bei einem Kind. Darum war ich auch davon ausgegangen, dass sie jünger war als ich. Aber das stimmte nicht. Sie hatte selbst gesagt, dass sie älter war. Oder hatte sie gelogen?
In was war ich hier nur hineingeraten? Ich hatte mich noch nie so sehr für eine Frau interessiert, dabei war ich regelmäßig von den schönsten von ihnen umgeben.
Meine Gedanken wanderten in eine Vergangenheit, in der mein Herz einer Frau gehört hatte. Sie war Mirani nicht einmal ähnlich und trotzdem hatte sie mir das Herz gebrochen. Ein Verrat, den ich nicht vergeben konnte.
Darum wollte ich nicht mehr als eine flüchtige Beziehung. Eine Körperliche, keine Emotionale.
Doch die Gefühle für Mirani kamen kriechend. Sie schlichen sich ein, ohne, dass ich mich dagegen wehren konnte.
Das durfte ich nicht zulassen. Ich sollte mich von ihr zurückziehen, doch wie sollte ich das tun, wenn sie doch meine Hilfe brauchte?
Selbst wenn Gefühle im Spiel waren, würde sie uns doch bald wieder verlassen.
Eine Beziehung mit ihr wäre also auch gar nicht möglich.
Ich musste über mich schmunzeln. Dass ich mir diese Gedanken überhaupt machte, passte gar nicht zu mir. Normalerweise dachte ich nie viel über Konsequenzen nach und würde dieses Mal auch tun, was sich richtig anfühlte.
Es war spät und ich war müde. Vermutlich lag es daran. Es konnte nicht sein, dass ich mich in eine solche Frau verliebte. Ich kümmerte mich nur um sie, weil ich es musste. Weil es meine Aufgabe war.
Die Reise war lang, doch ich sorgte mich um Mirani, als wäre sie meine kleine Schwester.
Ich verstand langsam, wie Kaelen sich fühlte. Mirani strahlte förmlich und reizte meinen Beschützerinstinkt.
Es war unschwer zu erkennen, dass sie sich hier in der Wüste nicht wohlfühlte. Sie war sehr still und hing ihren eigenen Gedanken nach. Ich musste sie ständig daran erinnern, dass sie trinken und essen musste und in der Nacht schlief sie immer an meiner Seite.
Heute aber hatte ich eine Unterhaltung mit meiner Mutter, weshalb ich sie eine Zeit allein lassen musste.
»Du machst deine Sache gut«, bemerkte Mutter, während sie mir einen Tee einschenkte.
Meine Lippen zuckten, denn es war selten, dass sie mich lobte. Es bedeutete mir viel.
»Die Reise setzt ihr sehr zu«, bemerkte ich, während ich meine Hände an der Tasse wärmte.
Mutter nickte. »Dir scheint die Reise aber gut zu tun. Du wirkst ausgeglichen«, sagte sie und nahm einen Schluck.
Ich hob meine Augenbraue und musterte sie. »Ist es das, worüber du mit mir sprechen willst?«
»Nein. Wir werden morgen in Zer’Thal ankommen. Dein Vater und deine Brüder werden uns begrüßen«, erklärte sie und blickte mich ernst an. »Rhaem weiß von Miranis Gabe. Deine Brüder nicht. Ich wollte nicht, dass sie auf die Idee kommen, es auszunutzen.«
Ich nickte, auch wenn ich nicht sicher war, ob Vater nicht Rashid davon erzählt hatte. Immerhin war er Vaters Liebling und bald schon der neue Alpha unseres Rudels. Alle waren so erfreut über seinen Aufstieg gewesen, dass ich mir nicht sicher war, ob ich Mutters Wunsch, ihn herauszufordern, wirklich nachkommen sollte. Dazu stand zu viel auf dem Spiel und ich fand sowieso, dass die Position des Rudelführers nicht zu mir passte.
»Du musst dafür sorgen, dass keiner von ihnen Mirani berührt. Das ist wichtig.«
Ich verzog die Lippen. »Wissen sie denn, dass sie Mirani nicht berühren dürfen?«, fragte ich. Mir hatte sie anfangs Ähnliches gesagt, ohne den Grund zu nennen. Wollte sie das bei meinen Brüdern auch so handhaben? Aber warum? Es hatte doch schon bei mir nicht funktioniert und Rashid und Nael ließen sich nichts sagen. Erst recht nicht von mir.
»Ja, das wissen sie. Aber nicht warum. Bitte pass auf sie auf. Ich möchte nicht, dass unsere Familiengeheimnisse einfach so weitergegeben werden.«
Wir hatten Familiengeheimnisse? Davon hörte ich zum ersten Mal und verstand nicht, was Mutter damit meinte.
»Ich tue mein Möglichstes«, versprach ich, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich gegen Rashid bestehen könnte, wenn er es wirklich darauf anlegte. Er war älter und erfahrener als ich. Außerdem war er auch ein Alpha. Nael, mein jüngerer Bruder, war in Beta. Konnte sich Mirani überhaupt allein gegen die beiden wehren, wenn sie ihre Macht einsetzten?
Wenn ich so darüber nachdachte, gefiel es mir ganz und gar nicht, Mirani meiner Familie vorzustellen. Es fühlte sich so an, als würde ich sie ausliefern. Dabei war es doch meine Familie. Ich sollte ihnen vertrauen können, oder?


































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