Mirani-Kapitel 25


~Mirani~
Ich spürte Ashers Aura, die über das Anwesen fegte wie eine reißende Welle.
Die Macht umspülte mich, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass sie versuchte, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Kein reißender Bach, sondern ein tiefer, brodelnder See.
Er war wütend, doch noch nicht tief in seinem Sein. Sein Wolf war zwar nicht begeistert, aber auch nicht aggressiv.
Zudem war da etwas, das mich die Stirn runzeln ließ. Ich spürte eine Tiefe, die ich nur selten außerhalb der Aethelhain-Inseln fand.
War er etwa ein geborener Alpha? Damit hatte ich nicht gerechnet, weshalb ich mein Augenmerk weiterhin auf die Aura richtete.
Diese wurde von einer weiteren, dominanteren Aura unterdrückt, doch der Vergleich beider, ließ mich unruhig werden. Die fremde Aura, die wohl zu Ashers Bruder oder Vater gehören musste, war mächtig, doch eher auf der Oberfläche. Es gelang ihr nicht, Asher weiter zu berühren, als ein Nieselregen. Trotzdem spürte ich, wie sich Asher instinktiv zurückzog, obwohl der Grund für seine Wut noch immer existierte.
Mutter hatte mir vor langer Zeit gelehrt, wie ich die Auren anderer Alphas zu lesen hatte, doch ich war nicht davon ausgegangen, dass ich es in nächster Zeit brauchen würde. Jetzt war ich froh, dass ich nichts davon verlernt hatte.
Nur verstand ich nicht, warum ich so unruhig wurde. War Asher in Gefahr?
Es ging ihm auf alle Fälle nicht gut. Er war wütend genug, um seinen Zorn deutlich zu zeigen, doch seine Familie ignorierte ihn offensichtlich. Das war nicht gut. Diese Gefühle konnten sich aufstauen und ihn von ihnen zerreißen. Wenn sie dann ausbrachen … würde es ein Massaker geben.
Als meine Hand sich um die kalte Klinke der Tür legte, schreckte ich auf.
Was tat ich hier? War ich wirklich auf dem Weg zu Asher?
Nein, das sollte ich nicht tun. Ich sollte mich nicht einmischen.
Es war seine Familie und ich hatte ein Versprechen gegeben.
Vater hatte mich einmal darum gebeten, mich nie in die Angelegenheiten von Alphas einzumischen, wenn ich es nicht wirklich musste. Daran wollte ich mich halten. Trotzdem hinterließ das ein fades Gefühl in mir.
Langsam klangen die Auren ab. Ich spürte, dass sich Asher bewegte und folgte instinktiv seiner Bewegung.
Ich wusste zwar, dass es nichts bringen würde, solange ich nur in meinem Zimmer blieb, doch der Blick aus dem Fenster würde mich vielleicht ein wenig beruhigen.
Allerdings lag ich damit falsch, denn Asher stürmte in den Innenhof, den ich von meiner Position aus gut einsehen konnte.
Ich hatte nicht bemerkt, dass er mich in den zweiten Stock geführt hatte, doch nun konnte ich auf Asher hinabsehen.
Dieser war voller Wut und ließ diese an einem armen Baum aus.
Er schlug mit den Fäusten auf diesen ein und nur langsam schwand seine drückende Aura. Sie hinterließ ein Gefühl von Sehnsucht. Als würde plötzlich etwas fehlen.
Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür, die auf den Balkon führte. Hitze kam mir entgegen, doch ich ließ mich davon nicht verunsichern. Stattdessen trat ich auf das Geländer zu.
Ich hörte Ashers Schläge, sein Knurren und seinen schweren Atem. Was mich aber besorgte, war der metallische Geruch, der in der Luft lag. Ich suchte mit meinen Augen nach der Quelle und als ich diese an Ashers Händen erblickte, kniff ich sie zusammen.
Das konnte doch nicht wahr sein! War er wirklich so wütend, dass er sich selbst verletzen musste?
Frustriert schwang ich mich in einer eleganten Bewegung über das Geländer und landete lautlos am Boden. Dieser bestand zu meiner Überraschung aus grünem Gras. Zumindest in einem Kreis unter den Fenstern.
Ich hatte jedoch keine Nerven dafür, mich weiter umzusehen. Mein Blick heftete sich auf Asher und ich schritt langsam auf ihn zu.
Als ich nah genug war, dass er mich eigentlich bemerken sollte, schlug er erneut gegen den Baum.
Ein Knarzen erklang. Dann in Knacken.
Mit einem weiteren Schlag splitterte der Stamm und der Baum wurde förmlich gesprengt.
Splitter flogen umher, streiften meine Wange und ließen Blut fließen, doch ich zuckte nicht einmal.
Meine Augen waren vor Überraschung geweitet, während mein Herz aufgeregt in meiner Brust klopfte.
War das so ähnlich wie bei dem Skorpion?
Asher knurrte und starrte den Baum an. Seine Frustration war noch nicht verschwunden. Sie legte sich deutlich spürbar auf meine Haut.
Ich zog das Tuch von meinem Kopf und machte noch einen Schritt auf ihn zu. »Du bist verletzt«, sagte ich und griff nach seinen Händen.
Asher entzog sie mir nicht, wirbelte aber herum und starrte mich mit seinen Augen lauernd an.
Ich ignorierte es und legte ihm vorsichtig das Tuch um die verletzte Hand.
»Was tust du hier?«, knurrte er rau.
»Das könnte ich dich fragen«, bemerkte ich, während ich das Tuch vorsichtig verknotete, damit seine Hand geschützt war.
Asher schnaubte lediglich. »Du sollst nicht allein im Anwesen herumlaufen«, tadelte er mich, wobei er einen Teil seiner Aura in seine Worte mischte. Ein deutlicher Befehl.
»Ich bin ja nicht allein«, bemerkte ich, während ich auch seine zweite Hand verarztete. Gut, dass ich mehrere Tücher trug, die sich halbwegs dazu eigneten.
Erneut knurrte er. »Ich meine es ernst. Du musst wirklich aufpassen und solltest nicht allein sein. Vor allem nicht, wenn Nael in der Nähe ist.«
»Nael? Dein kleiner Bruder?«, fragte ich, ohne auf seine anderen Worte einzugehen.
Asher starrte auf das Tuch, antwortete aber nicht auf meine Frage. »Du weißt, dass das nicht nötig ist?«, fragte er unsicher.
»Mir ist durchaus bewusst, dass du ein geborener Alpha bist, aber du solltest deinen Körper trotzdem etwas mehr pflegen«, erwiderte ich, ohne mir viel dabei zu denken.
Erst, als Asher seinen Kopf ruckartig hob und mich anstarrte, als hätte ich etwas im Gesicht, wurde mir klar, dass er vielleicht gar nicht wusste, wovon ich sprach.
»Was hast du gesagt?«, fragte er, wobei seine Stimme ein wenig zitterte.
Ich legte den Kopf schief. »Man spürt an deiner Aura, dass du als Alpha geboren wurdest und nicht aufgestiegen bist«, bemerkte ich, weil ich nicht genau verstand, warum er so reagierte. Bei mir Zuhause war das Wissen darum, dass es zwei Arten von Alphas gab, allgegenwärtig, auch wenn nicht unbedingt viel darüber gesprochen wurde.
»Man kann das spüren?«, fragte er irritiert.
»Natürlich. Geborene Alphas sind die naturgewollten Anführer. Ihre Aura ist viel tiefer und mächtiger als die eines aufgestiegenen Alphas je sein könnte.«
Asher schnaubte und zog seine Hände weg. »Du redest Schwachsinn«, knurrte er, als hätten meine Worte irgendeinen Nerv bei ihm getroffen.
»Du kannst meine Mutter fragen. Sie ist auch eine geborene Alpha«, erwiderte ich nüchtern.
Sollte ich ihm sagen, dass geborene Alphas auch länger lebten und neben der angeborenen Gabe auch eine besondere Alpha-Gabe besaßen?
Ich hatte das Gefühl, Ashers Wut war verraucht und Verwirrung gewichen. »Es gibt noch mehr?«, fragte er, als würde er mir nicht glauben.
Ich nickte. Mit geborenen Alphas kannte ich mich gut aus, war ich doch selbst eine. Nur würde man das nicht erkennen, solange ich meine Alpha-Gabe nutzte, um die Aethelhain-Inseln mit meinem Nebel zu schützen.
»Ein paar wenige«, erwiderte ich, denn geborene Alphas waren selten.
Asher stieß die Luft aus und fuhr sich durch die Haare, hielt aber auf halben Weg inne und betrachtete seine Hand.
»Wie kommt es eigentlich, dass du gegenüber Alphas so … ruhig bist? Ist das Schockstarre?«, fragte er vorsichtig.
Ich war kurz davor zu schnauben. »Nein. Aber ein Alpha, der nicht als solcher geboren wurde, wird mich mit seiner Aura nie in die Knie zwingen«, bemerkte ich, wobei ich nicht verhindern konnte, dass meine Stimme herablassend und viel zu selbstsicher für eine Omega klang.
Ich fiel aus der Rolle, doch Asher machte es mir unglaublich leicht.
Sein Blick wanderte musternd über mich, bevor er die Augen zusammenkniff. »Du weißt viel über diese Sachen«, stellte er schließlich nachdenklich fest.
Ich zuckte meine Schultern. »Mit meiner Gabe nicht verwunderlich«, erwiderte ich und schob es einfach darauf. Er durfte nur nicht weiter bohren, denn ich wusste nicht, ob es mir gelingen würde, Asher direkt ins Gesicht zu lügen. Das hatte er nicht verdient.
»Dann bring es mir bei«, forderte er. Es war kein direkter Befehl, denn er nutzte seine Aura nicht und doch hatte es etwas Gebieterisches. Er brauchte seine Alpha-Aura gar nicht, um Erhaben zu wirken, was mich faszinierte.
Darum gab ich nach. »In Ordnung, aber ich glaube, wir haben erst andere Dinge zu erledigen.«
Das Essen stand an und wir waren beide noch nicht vorbereitet.
Asher nickte, sah mich aber noch immer an.
Hatte er etwas bemerkt?
Ich war eine geborene Alpha, genau wie er. Wenn wir nicht aufpassten, standen wir auf dem Spielfeld der Intrigen bald gegenüber, ohne es zu wollen. Alphas konnten nicht zu lange miteinander. Es würde also nicht lange dauern, bis wir aneckten. Bis dahin musste ich mich kontrollieren, denn er konnte es offensichtlich nicht.




























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