Mirani-Kapitel 26

~Mirani~

Ich starrte in den Spiegel und musterte das Kleid, das ich trug. Es war eine Ewigkeit her, dass ich es getragen hatte und ich fragte mich, ob es nicht zu aufwendig war.
Allerdings hatte Asher mir noch mitgegeben, dass ich mich herausputzen sollte und auf die Frage wie sehr, hatte er mir gesagt, ich solle das Schönste anziehen, das ich besaß. Und das war dieses Kleid.
Der Kragen war hochgeschlossen, doch aus durchsichtiger, silberner Gaze. Winzige Perlen waren darauf eingearbeitet, sodass mein Dekolleté schimmerte.
Die Ärmel waren wie Wasserfälle aus flüssigem Silber und ebenfalls halbdurchsichtig. Immer, wenn ich meine Arme bewegte, schimmerten die eingelassenen Kristallsplitter.
Ich starrte auf meine Brüste. Diese wurden durch den silbernen Herzausschnitt sehr gut hervorgehoben, doch es war mir nicht mehr peinlich. Stattdessen bewunderte ich den Farbverlauf. Es war faszinierend, wie sich das Silber zu einem tiefen Schwarz wandelte, das den Rock ausmachte. Dieser bauschte ein wenig und kitzelte an meinen Knöcheln.
Meine silbernen Haare hatte ich nur durch eine einfache Spange zurückgesteckt. Eine schwarze Schneeflocke, die ich sanft mit meinen Fingern berührte.
Bei dem Gedanken daran, woher sie war, spürte ich Sehnsucht in mir aufsteigen.
Ein Geschenk meines Vaters, das ich nicht selbst eingepackt, aber trotzdem zwischen den Falten des Rockes gefunden hatte. Mir war klar, dass Mutter mir beides mitgegeben hatte. Vermutlich wusste sie, dass es mir hier nützen würde. Ich fragte mich nur, warum sie sogar so weit gegangen war, meine beiden Waffen am Boden der Truhe zu verstauen. Erwartete sie einen Kampf?
Obwohl ich über diese Geste froh war, hatte ich doch ein wenig Sorge, dass es vielleicht zu viel des Guten war.
Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich heftig zusammenzucken. Mein Herz schlug in meiner Brust, als würde es gleich herausspringen wollen, doch ich zwang mich dazu, meine Schultern zu straffen und die Tür zu öffnen.
Vor mir stand Asher, dessen Augen sich einen Moment weiteten, bevor sie musternd über mich wanderten.
Ich tat es ihm gleich.
Die Robe, die er trug, war tiefschwarz und mit Obsidianen besetzt. Akzente bildeten rote Bänder, die in den Stoff gewebt waren.




Unter dieser trug er eine lederne Kluft mit Ketten, an denen kleine Talismane hingen.
Seine Füße steckten in flachen, elegant bestickten Sandalen, die mit Stoff bezogen waren.
So hatte ich ihn noch nie gesehen. Noch immer hatte er diese wilde Ausstrahlung, doch er wirkte gesitteter, aber nicht gezähmt.
»Schön siehst du aus«, brachte er mit rauer Stimme hervor.
Ich spürte Hitze in mein Gesicht schießen. »Du auch«, brachte ich hervor. »Ist das bei euch … normal für solche Anlässe?«, wollte ich wissen, denn ich verstand noch nicht, ob es sich um ein normales Abendessen oder eine Feier handelte.
Asher machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist ein Essen, um uns von unserer Reise willkommen zu heißen. Also mehr ein politischer Anlass, als alles andere«, erklärte er, wobei er unruhig hin und her trat, als könnte er nicht stillstehen. War er vielleicht nervös?
»Ich verstehe«, murmelte ich, schenkte ihm dann aber ein Lächeln.
Vielleicht war mein Kleid doch die richtige Wahl.
Asher verzog die Lippen. »Es wird also kein erholsames Abendessen. Bleib am besten an meiner Seite. Wir haben Gäste.«
»Oh«, brachte ich hervor und verzog nun auch den Mund. Hätte ich das gewusst, wäre ich ganz provokant mit meinem Anzug gegangen. Jetzt aber musste ich mich wohl auf Asher verlassen.
Wenn ich ehrlich war, hatte ich überhaupt keine Lust auf andere Leute. Ich wollte nur etwas essen und mich dann ausruhen. Aber so war es vermutlich einfach Tradition in der Dämmerwüste. Hier legte man offensichtlich viel Wert auf Präsentation statt Gemütlichkeit. Definitiv nichts für mich.
Asher deutete mir an, ihm zu folgen. Obwohl er nun wusste, dass ich ihn ohne Probleme berühren konnte, hatte er mir seine Hand nicht wieder angeboten. Er wirkte generell immer noch, als würde er unnötige Berührungen vermeiden.
Zumindest jetzt.
Als ich ihm folgte, blickte ich auf seinen Rücken. Seine gesamte Haltung wirkte angespannt. Fast so, als würde er sich unwohl fühlen. Ein starker Kontrast zu seinem sonst eher entspannten, fast ignoranten Auftreten.
Schließlich blieb er vor einer Doppeltür stehen, die uns geöffnet wurde. Die Wachen an den Seiten beachteten uns kaum, was mich ein wenig irritierte. Wussten sie bereits von mir?




Ein Lufthauch kam mir entgegen, der den Duft von geröstetem Fleisch, süßem Rauch und scharfen Gewürzen trug.
Das Licht, das von einem Sandglas-Kronleuchter kam, war gedimmt und als ich eintrat, spürte ich einen sanften Nieselregen auf meiner Haut. Er kühlte mich, doch verweilte nicht lang. Dazu war es zu warm.
Mein Blick wanderte über den riesigen, massiven Tisch, der mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt war.
Es gab keine Sitzkissen wie bei uns, sondern lange Bänke, die mit roten Polstern belegt waren. Allerdings saß niemand darauf. Die Anwesenden standen in einem Bereich, der durch das Licht, das durch die Fenster fiel, in ein buntes Farbenspiel gehüllt wurde.
In der Nähe spielte eine klein Musikgruppe.
Die sanfte Melodie vermischte sich mit dem leisen Plätschern von Wasser, das an den Wänden aus kleinen Löchern fiel und in einer Rinne verschwand.
Sofort ergriff mich Anspannung.
Neben Ashers Familie, die ich nur flüchtig kennengelernt hatte, waren noch andere Personen anwesend.
Ihre Auren waren jedoch nicht so auffällig, auch wenn sie alle Betas waren. Was jedoch dafür sorgte, dass der Raum mit einer gewissen Macht gefüllt war, die meine Sinne reizte. Ich hatte zwar gelernt, meine natürlichen Instinkte als Alpha zu unterdrücken, doch wenn die Situation sich zu sehr zuspitzte, würde ich meine Position unweigerlich verraten.
Unruhig trat ich an Asher heran und krallte meine Finger vorsichtig in den schwarzen Stoff seiner Robe.
Zahiras Blick richtete sich auf uns. Ich erkannte, wie sie mich musterte und dann hellte sich ihre Mine etwas auf. »Da kommt unser Ehrengast«, sagte sie erfreut. So ganz anders, als ich sie auf meiner Reise kennengelernt hatte.
Sofort versteifte ich mich noch mehr. Was war los mit ihr? Lag es daran, dass wir nicht allein waren?
Die fremden Männer wandten sich alle zu mir und Asher um, was dazu führte, dass mir ein Schauer über den Rücken wanderte.
Natürlich war ich der Höhepunkt des Abends. Wie sollte es auch anders sein?
Ich hasste es! Warum hatte ich zugestimmt? Es würde unglaublich anstrengend werden, nicht aus der Rolle zu fallen.
»Es wird alles gut«, flüsterte Asher in meine Richtung. »Niemand wird dir etwas tun.« Mit diesen Worten legte er mir eine Hand auf den Rücken und schob mich neben sich her, während er den Raum betrat.




Ich versuchte, nicht wegzusehen, aber gleichzeitig nicht zu selbstsicher zu wirken. Es war schon gut, dass sie mich für ungefährlich hielten. So würde man mich hoffentlich nicht zu sehr beachten.
Es war mir überaus unangenehm all diese Blicke auf mir zu spüren, doch ich hatte keine Wahl.
Der Mann, der mich am intensivsten musterte, hatte typisches schwarzes Haar. Es war jedoch glatt und umrahmte sein kantiges, eher scharf geschnittenes Gesicht. Seine Augen waren ein wenig dunkler als das allgemeine Bernstein. Zudem wirkten sie auf mich müde und ausgelaugt. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl eine versteckte Stärke zu sehen. Was vielleicht an seiner Aura lag. Sie zeigte mir deutlich, dass der erste Eindruck nicht ganz passte.
»Darf ich vorstellen?«, fragte Zahira, obwohl ich eher das Gefühl hatte, es wäre Ashers Aufgabe. »Das ist Mirani Nebelweiss. Die Tochter von Maeve. Sie ist gekommen, um uns bei der Aufklärung der Morde zu helfen«, erklärte Zahira mit einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. »Und das hier ist Farouz Basram. Die Familie Basram dient uns schon seit Generationen.«
Seine Kleidung war ähnlich schlicht wie die von Nael, doch trotzdem elegant und aus teurem Stoff. Leicht zu erkennen, dass er eine hohe Persönlichkeit war. Dazu brauchte ich seine Beta-Aura nicht zu spüren.
Ich vollführte einen Knicks, wobei ich mich erneut nicht an meinen Stand hielt. Es war einfach nicht möglich, all meine Ehre zu vergessen. Vielleicht schoben sie es darauf, dass ich nicht wusste, wie es bei ihnen richtig war. »Es freut mich … Euch kennenzulernen«, sagte ich, wobei ich absichtlich einen kurzen Moment stockte, um meine gespielte Unsicherheit hervorzuheben.
Farouz musterte mich eingängig. »Freut mich«, brachte er schließlich mit einem einfachen Kopfnicken hervor.
Diese Respektlosigkeit ließ meinen inneren Alpha schreien, doch ich lächelte. Von einem anderen Alpha herablassend behandelt zu werden, war etwas anderes als von einem Beta.
»Oh, ist sie das? Das Mädchen von den Aethelhain-Inseln?«, erklang eine aufgeregte Stimme.
Der Junge, der sich auf uns zubewegte, war in Ashers Alter. Seine Haut hatte das gleiche Goldbraun, wie die aller Dämmerwüstenbewohner. Auch sein schwarzes Haar, das kurz geschnitten war, passte hier hinein. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass dieser Junge fehl am Platz wirkte.




Vielleicht, weil er als einziger ein strahlendes Lächeln auf den Lippen hatte, das mir nicht das Gefühl gab, falsch zu sein.
»Samir«, tadelte Farouz mit rauchiger Stimme.
»Ups«, stieß Samir hervor, grinste mich aber weiter an. »Wie unhöflich von mir: Ich bin Samir Basram und mit Asher aufgewachsen«, stellte er sich vor.
Man musste mir meine Überraschung ansehen, denn er lachte plötzlich leise. Ein Geräusch, das mich entspannen ließ. Er sorgte nur mit seiner Anwesenheit dafür, dass ich mich sofort nicht mehr so unwohl fühlte. Fast wie ein Licht in der Dunkelheit.
Als er jedoch die Hand nach mir ausstreckte, war Asher sofort zur Stelle. Bevor er mich berühren konnte, stellte er sich in seinen Weg. »Das Nicht-Berühren gilt auch für dich«, sagte er, wobei ich das Gefühl hatte, seine Stimme wäre weicher als sonst, wenn er mit seiner Mutter sprach.
Samir hob sofort seine Hände und lachte. »Schon gut, schon gut. War ja nicht böse gemeint.«
»Asher. Das war unhöflich«, bemerkte Rashid, wobei ich ihm nicht zustimmen würde. Asher war alles andere als unfreundlich. Er hatte lediglich seinen Standpunkt klar gemacht und seine Aufgabe erfüllt. Zudem war er ein Alpha. Dass er einen Beta mit weniger Respekt behandelte, war ganz normal.
»Eine Omega muss man nicht verteidigen, auch wenn sie ein Gast ist«, bemerkte ein Mann, der mich an Rashid erinnerte, doch noch herablassender wirkte. Nicht ansatzweise so gezügelt wie der Alpha.
»Naref«, erklang eine weibliche, schneidende Stimme. »Sie bleibt ein Gast. Sei freundlich«, wurde er zurechtgewiesen und eine elegante Frau schloss sich unserem Gespräch an.
Ihr Haar war ein wenig ausgeblichen und wirkte dadurch eher dunkelbraun als schwarz und ihre bernsteinfarbenen Augen hatten einen eisigen Glanz, der sehr gut zu ihrer schneidenden Stimme passte.
Allerdings schenkte sie mir ein Lächeln. »Mein Name ist Halima Basram. Ich bin die Mutter dieser beiden«, stellte sie sich vor.
Oberflächlich betrachtet, wirkte sie nicht nur höflich, sondern freundlich, doch ihr Lächeln und die Kälte in ihren Augen machten mich nervös.
Warum hatte ich das Gefühl, nur den wenigsten hier in der Nacht allein begegnen zu wollen?

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