Mirani-Kapitel 38


~Mirani~
Ich ging in die Hocke und zögerte nicht lange. Wenn ich jetzt darüber nachdachte, was vielleicht geschehen war, würden mich meine Gedanken nur in eine Zeit zurückbringen, in der ich meine Gabe erst entdeckt hatte. Bei einer Berührung, die mich als Kind auf ein Schlachtfeld geschickt hatte.
Eine Erinnerung, die ich bis heute nicht verarbeitet hatte und die mich mit Angst erfüllte.
Darum streckte ich meine Finger aus und berührte das Wagenrad.
Ich spürte den sanften Sog, dem ich folgte.
Plötzlich wurde er unnatürlich stark und zog mich förmlich mit sich.
Vor meinen Augen tauchten rote Augen auf, etwas griff nach mir und Schmerzen zuckten durch meinen Körper.
Ein Keuchen verließ meine Lippen, bevor ich das Gefühl in meinem Körper verlor und mich in völliger Dunkelheit der Erinnerungen wiederfand.
Schwarze Stille umfing mich.
Kein Laut drang an mein Ohr, nicht einmal mein eigener Atem.
Doch da war ein Summen. Kaum hörbar. Wie ein Zittern in der Luft.
Ich spürte es auf meiner Haut mehr als dass ich es hörte, doch es wurde immer lauter, dröhnender.
Sand peitschte durch die Dunkelheit und tanzte in Spiralen. Kein Laut war zu vernehmen, doch ich erinnerte mich an ein ähnliches Bild.
Konnte es sein, dass ein Wüstenskorpion Schuld an dem Massaker an der Karawane gewesen war?
Der Sand kam mir entgegen und ich hob schützend die Arme. Nicht in meinem Körper, aber ich verstand auch nicht, in welchen Körper ich war. Ich hatte doch nur ein Rad berührt. War es vielleicht voller Blut? Hatte das Blut mich hierhergeführt? War der Sog deshalb so stark?
Mein Herz klopfte in meiner Brust, als würde es gleich herausspringen wollen.
Warum hörte ich nicht, was um mich herum passierte? Was blockierte die Geräusche?
Mein Blick glitt umher, als sich der Sand langsam wieder senkte.
Ich erblickte das Kamel am Boden. Zerteilt und zerfetzt.
Der Wagen vor mir war nur noch als solcher zu erahnen.
Der Boden zitterte und dann sah ich sie.
Keifende, sabbernde Wesen, die auf vier Beinen liefen und trotzdem irgendwie Menschen ähnelten.
Rakshasa.
Ich hielt den Atem an und wartete darauf, dass diese über uns herfielen, ihre Beute zerrissen und dann fraßen, wie sie es immer taten, doch sie standen nur da. Ihre Augen starrten uns an, während sie uns umkreisten, einkesselten, damit wir nicht fliehen konnten.
Dann erklang ein Klacken.
Es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und als ich mich umwandte, sah ich es.
Ein gewaltiger Schatten fiel auf mich nieder.
Ein Schatten, der von einem riesigen, grotesken Skorpion verursacht wurde.
Ich erinnerte mich an den Kampf von Asher zurück und versuchte, Ähnlichkeiten zu finden, doch nur das schwarze Chitin ähnelte dem Skorpion.
Am verwirrendsten war jedoch, dass ich etwas auf dem Rücken des Tieres erkennen konnte.
Eine Gestalt.
Sie saß aufrecht und still. Ihre rotglühenden Augen direkt auf uns gerichtet.
Mir blieb der Atem weg und Panik packte mich.
Diese Augen.
Ich erinnerte mich daran, sie schon einmal gesehen zu haben, doch wo?
Das Wesen öffnete seinen Mund und stieß ein Geräusch aus, das mir durch Mark und Bein ging. Es war ein kreischender Laut, der mich an die Rakshasa erinnerte und doch viel intensiver war.
Diese bewegten sich plötzlich.
Sprangen wild umher und auf uns zu.
Ich spürte einen Biss an meinem Bein, während ich versuchte, zu entkommen.
Der Körper, dessen Erinnerungen ich sah, ging zu Boden, während sich das Gift in ihm ausbreitete.
Die Rakshasa zogen sich jedoch fast sofort zurück.
Ließen ihre Beute bewegungslos, doch lebend.
Ich verstand nicht wieso.
Erneut umfing mich Schwärze und ließ mich schwerelos herumwirbeln.
Mir wurde schlecht, denn der Gestank von Verwesung stieg mir in die Nase.
Kälte umfing mich.
Plötzlich war da kalter Stein unter meinen Pfoten und ich fand mich in dem Körper eines Werwolfs wieder.
Eine feine Kette unter meinem Hals klirrte, doch so sehr ich mich auch dagegen stemmte, sie wollte einfach nicht reißen.
Ich kannte diese Kette. Hatte sie bei dem toten Werwolf gesehen.
Auch der Raum kam mir immer bekannter vor. War ich hier nicht schon in einer anderen Vergangenheit gewesen?
War das hier vielleicht Beidou?
Kälte drang in meine Knochen und dann hatte ich das Gefühl, dass mich meine Kräfte verließen. Fast so, als würde jemand sie mir entziehen.
Stechende Schmerzen ließen meinen Körper erzittern und ein erstickter Schrei verließ meine Lippen.
Als würde jemand Nadeln in meinen Körper jagen, breitete sich der Schmerz aus, ließ mir die Tränen in die Augen treten und mich zittern.
Gerade, als ich glaubte, ich würde vor Schmerzen wahnsinnig werden, hüllte mich eine Aura ein.
Warm, sanft und schützend.
Sie zog mich aus der kleinen Zelle, aus der Dunkelheit und hinein ins Licht.
Ich blinzelte, als die gleisende Sonne und die Hitze der Wüste mich berührten.
»Na endlich bist du wieder wach«, stieß Asher hervor, der mich in seinen Armen hielt. Seine Aura lag schützend um mir wie ein Mantel und schaffte es sogar, die Kälte aus meinen Knochen zu spülen. »Ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr auf. Du hast die ganze Zeit geschrien.«
Ich wollte Antworten, doch meine Kehle war so rau und wund, dass ich nur einen Laut hervorbrachte, der mehr an ein Röcheln erinnerte als an Worte.
Sofort hielt mir Asher den Trinkschlauch an die Lippen und ich nahm einen großen Schluck, doch es half nicht gegen die Schmerzen. Stattdessen fühlte sich das Wasser an, als würde ich Lava schlucken.
Ich hustete und verschwendete dabei das kostbare Wasser, doch Asher meckerte nicht. Stattdessen machte er ein beruhigendes Geräusch.
»Langsam«, sagte er sanft und wischte mir den Mund ab. Ich wollte meine Hand heben, spürte aber das heftige Zittern, das mich noch immer gepackt hatte.
Vor meinem inneren Auge tauchten die Bilder auf, die ich gesehen hatte.
»Da war ein … Wesen«, brachte ich hervor, bevor ich noch einen Schluck nahm.
»Wesen?«, fragte Asher, der meine Arme sanft rieb, als würde er mein Zittern so lindern.
»Es …«, setzte ich an, wusste aber gar nicht, wie ich es beschreiben sollte. »Es saß auf einem Skorpion. Ist ihn geritten«, flüsterte ich, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, was ich gesehen hatte. Es machte mir Angst und nur die rotglühenden Augen waren deutlich zu sehen.
Trotzdem versuchte ich es irgendwie zu beschreiben: die blasse Haut, die langen Nägel. Die leicht menschliche Erscheinung.
»Von so einem Wesen habe ich noch nie gehört«, bemerkte Asher besorgt, doch ich schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht. Aber … da waren Rakshasa. Viele … hunderte.«
Asher stieß die Luft aus und zog mich weiter an sich, während er sich umblickte. Ich tat es ihm gleich und war überrascht. Nichts hier deutete darauf hin, dass es wirklich Rakshasa gewesen waren. Sie hatten ein Schlachtfeld hinterlassen. Eines aus zerfetzten Körpern, Blut und Leichen. Nicht nur ein Kamel und ein paar Überreste eines Wagens.
Aber wieso hatten sie es nicht? Wieso hatten sie die Mitglieder der Karawane gefangengenommen?

































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