Mirani-Kapitel 43

~Asher~
Das Wesen, das aussah wie ein entstellter Mensch mit verzerrten Armen und Beinen, sprang von dem Skorpion und landete im Sand. Er federte den Sprung ab, als bestünden seine Glieder aus Gummi, bevor er sich in einem springenden, froschartigen Gang auf uns zu bewegte.
Miranis Aura änderte sich und ihr Duft wurde von einer Note ersetzt, die ich nicht erwartet hatte.
Angst.
Sofort schärfsten sich meine Sinne, denn ein Wesen, das Mirani solche Angst machte, dass ich diese riechen konnte, durfte ich nicht unterschätzen.
Als ich das Wesen jedoch genauer musterte, verstand ich nicht ganz warum. Es war langsam, fast schwerfällig, wie es sich bewegte. Vielleicht war es nur ein größerer Rakshasa?
Seine tief in den Augenhöhe liegenden, rotglühenden Augen, richteten sich auf mich und ließen mich schaudern. Dann bewegte es sich erneut. So schnell und so unerwartet, dass ich seinen Bewegungen nicht folgen konnte.
Erst, als Miranis Schrei die Nacht durchdrang, wandte ich mich um.
Miranis großer Wolfskörper lag am Boden und das Wesen auf ihr. Das Maul mit den schief stehenden Zähnen weit aufgerissen.
Mirani knurrte, bevor sie sich drehte, nach den Wesen schlug und sich wieder aufrappelte. Allerdings ging sie fast sofort wieder in die Knie, als würden die ganzen Verletzungen sie davon abhalten, sich ganz aufzurichten.
Mein Atem ging schwer, während mein Geist eine gefühlte Ewigkeit brauchte, um das Geschehen zu verstehen. Dabei spielte sich das alles in wenigen Sekunden ab.
Sekunden, die über Leben und Tod entscheiden konnten.
Mirani schnappte nach dem Wesen, während ich das Gefühl hatte, so langsam zu sein, dass ich mich in Zeitlupe bewegte. Dabei rannte ich auf die beiden zu.
Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals und mein Atem ging stoßweise, während ich versuchte, Mirani zu erreichen.
Das Wesen fand die Zeit, seinen Blick erneut auf mich zu richten. Es verzog die spröden Lippen und stieß erneut ein Geräusch aus, das wie ein Befehl klang. Ich glaubte zumindest, Worte zu hören.
Sofort setzten sich die Rakshasa wieder in Bewegung und blockierte mir den Weg.
Sie positionierten sich so vor mir, dass ich Mirani aus den Augen verlor. Gleichzeitig hatte ich aber nicht das Gefühl, dass sie versuchten, mich anzugreifen. Stattdessen kesselten sie mich und beschnitten meine Bewegungsfreiheit.




Frustriert stieß ich ein Knurren aus. Mein heißer Atem stieg als kleine Wölkchen in der kalten Luft auf.
Es frustrierte mich, dass ich kaum etwas tun konnte.
Das Gift der Rakshasa wirkte zwar kaum bei mir, weil jede Verletzung durch meine Gabe in Kraft umgewandelt wurde, doch obwohl mein ganzer Körper schmerzte, hatte ich nicht das Gefühl, stark genug zu sein.
Frustriert sprang ich auf den Rakshasa vor mir zu und riss ihm in einer schnellen Bewegung die Kehle heraus, bevor ich einen anderen mit meinen Krallen zerfetzte.
Ich metzelte mich durch die Rakshasa, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass sie weniger wurden.
Mein Blut pulsierte in meinen Adern und das Adrenalin ließ mich kaum Müdigkeit verspüren, obwohl dieser Kampf schon eine gefühlte Ewigkeit ging.
Zerfetzte ich einen von ihnen, kamen zwei weitere.
Mein Fell klebte vor schwarzem Blut und meine Haut war von ihren Krallen und Zähnen zerschunden.
Ich schlug und biss um mich, wobei ich das Gefühl hatte, jeder Schlag würde sich schneller und leichter durch die Geschöpfe fressen.
Es gab nur noch mich und meine Beute, die ich unbarmherzig auseinandernahm.
So lange, bis ein gellender Schrei die Nacht durchschnitt und mein Herz für einen Moment aussetzen ließ.
Mirani!
Meine Instinkte, die mich hatten kämpfen lassen, hatten sie ignoriert. Mit dem Glauben, sie würde allein zurechtkommen.
Ein Fehler, wie mir jetzt klar wurde.
Dieses Wesen war mehr als ein Rakshasa. Mirani brauchte meine Hilfe.
Rausgerissen aus dem Kampfrausch versuchte ich, ihre Aura zu spüren. Sie war schon immer sehr schwach gewesen, doch ich hätte gewettet sie dennoch zu spüren. Doch da war nichts. Nur der Geruch ihres Bluts, der leicht unter dem Gestank von Tod und Verwesung lag.
Mein Herz setzte einen Moment aus. War sie ihnen vielleicht unterlegen?
Nein. So durfte ich nicht denken, doch die Angst um sie trieb mich voran.
Ich musste mich vergewissern, dass sie am Leben war, weshalb ich versuchte, mich in die Richtung ihres Blutes zu bewegen.
Die Rakshasa schlugen von allen Richtungen auf mich ein, als würden sie alles daran setzen wollen, mich nicht durchzulassen. Wie eine Welle der Verwüstung.
Ich schlug um mich und drängte mich ihnen entgegen, doch meine Krallen fanden kaum Halt auf dem Sand, weshalb ich eher zurückgedrängt wurde.




Mirani! Ich musste zu ihr! Irgendwie!
Ein Rakshasa schlug seine Zähne in meinen Arm, doch ich spürte den Schmerz kaum. Stattdessen war da in mir ein Feuer, das mit jeder Sekunde stärker zu werden schien.
Meine Sicht verschwamm und mein Atem wurde schwerer, während ich das Gefühl hatte, in mir drängte sich etwas nach draußen.
Ich wusste nicht, was es war, doch ich hielt es auch nicht auf. Für mich gab es nur ein Ziel und alles, was mir helfen könnte, dieses zu erreichen, würde ich nutzen.
Einem Drang folgend, zog ich mein Fell zurück. Vielleicht war ich in meiner Menschlichen Form agiler, wenn auch leichter zu verletzen. Ich brauchte die Kraft, die mich durch die Angriffe erfüllte, doch als ich meine Wolfsform komplett hinter mir ließ, änderten sich plötzlich meine Sinne.
Meine Füße gruben sich in den kalten Sand, der sie zu verschlucken drohte.
Sandkörner krochen meine Beine hinauf und hinterließen ein angenehmes Kribbeln.
Ich verstand nicht, was hier vor sich ging, doch als der Sand einem Schild gleich den Angriff eines Rakshasa blockte, wusste ich zumindest, dass er mir nicht schaden würde. Dennoch zuckten Schmerzen durch meine Arme und Beine, doch ich wurde nicht weiter zurückgedrängt. Stattdessen schob mich der Sand langsam, doch beständig nach vorn.
Erneut erklang Miranis Schrei. Dieses Mal leiser und mit einem Wimmern, das mein Blut gefrieren ließ.
In dem Wunsch, sie zu erreichen, streckte ich meine Hand in die Richtung aus, in der ich sie vermutete.
Der Sand löste sich augenblicklich von mir und schlug auf die verwirrten Rakshasa ein, drängte sie zurück.
Zuerst konnte ich meinen Augen nicht trauen, doch dann erkannte ich die Möglichkeit. Sofort stürmte ich los und nutzte den Weg, den mir der Sand regelrecht frei schob.
Meine Sinne schärften sich und dann spürte ich endlich Miranis Aura.
Erleichterung durchströmte mich, denn obwohl sie schwach war, war sie noch immer am Leben.
Der Sand türmte sich links und rechts von mir auf und schob die Rakshasa zur Seite, sodass ich schließlich das Wesen erkennen konnte, auf dass die Rakshasa hörten.
Es war über Mirani gebeugt, die zitternd am Boden lag.
Ihre Pfoten bewegten sich zuckend, doch sie schaffte es offensichtlich nicht, sich selbst zu erheben.




Warum lag sie dort? Ich konnte keine offensichtlichen Wunden erkennen, die für ihren Zustand verantwortlich sein konnten. Nicht einmal sonderlich viel Blut konnte ich riechen.
»Lass sie in Ruhe«, knurrte ich. Meine Stimme klang erschöpft und rau, doch sie hatte eine Stärke, die mir selbst neu war.
Das Wesen hob den Kopf und starrte mich direkt an. Seine lange Zunge huschte über seine Lippen, als würde er sich die letzten Essensreste weglecken. Nur verstand ich nicht, was genau das war. Ich sah weder Miranis Fell, Fleisch noch Blut. Wie also hatte er sie derart verletzt?
Erneut streckte ich meine Hand aus und der Sand bewegte sich, als würde er meinen Bewegungen folgen.
Wie eine Flutwelle krachte der Sand auf das Wesen nieder und schob es langsam aber sicher immer weiter von Mirani weg.
Ein schriller Schrei ließ mich zusammenfahren. Die Stimme des Wesens klingelte in meinen Ohren und dröhnte in meinem Kopf. Allerdings war das alles, was es tun konnte. Es wehrte sich gegen den Sand, wurde jedoch zurückgedrängt.
Sofort nutzte ich die Gelegenheit und stürmte zu Mirani.
»Mira«, brachte ich keuchend hervor und beugte mich zu ihrem Kopf hinab.
Ihre Augen waren geschlossen, doch ihre Lider flackerten. »Mirani«, sagte ich erneut und legte meine Hand sanft auf ihre Schnauze. Ich spürte Haut und Knochen, doch nicht wie zuvor. Stattdessen hatte ich das Gefühl, sie war abgemagert. Zudem war sie sehr kalt.
Was war hier nur los? Warum verwandelte sie sich nicht zurück?
Kalte Finger legten sich um mein Herz, als mir klar wurde, dass es den anderen toten Wölfen ähnelte, die wir seit Jahren immer wieder auffanden.
Ich schluckte und wandte mich zu dem Wesen um, das noch immer von meinem Sand zurückgedrängt wurde. Meine Augen glühten vor Wut.
War es für die Toten verantwortlich? Hatte es die Karawane von Beidou vielleicht genauso überfallen wie uns jetzt?
Mein Kopf dröhnte immer mehr, als das Wesen erneut einen Schrei ausstieß.
Sofort wandte ich meinen Kopf umher, doch die Rakshasa zogen sich zurück und griffen nicht an, wie ich es erwartet hatte.
Erleichterung überkam mich, denn ich spürte, wie die Müdigkeit meinen Körper immer mehr schwächte.
Sehr viel mehr würde ich nicht standhalten, doch sicher waren wir noch immer nicht.




Ich sammelte meine letzte Kraft und zog Mirani langsam nach oben. Diese stieß einen Laut aus, der wimmernd klang, bevor sie erneut zuckte und sich langsam wieder zurückverwandelte.
Blut klebte an ihr. Ihr Haar war dreckig und zerzaust, doch das, was mich am meisten schockierte, war ihr leerer Blick.
Ich musste sofort einen Arzt aufsuchen!

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