Mirani-Kapitel 45


~Asher~
»Sie ist sehr geschwächt, aber nichts, was genug Ruhe und gutes Essen nicht wieder hinbekommen«, erklärte Mohamed beschwichtigend. Eine Sache, die mich erleichtert aufatmen ließ. Nur verstand ich nicht, wie es dazu gekommen war. Mirani hatte keine äußeren und wohl auch keine inneren Verletzungen. Trotzdem war ihr Körper geschwächt, sodass sie nicht erwachte. Ihre Lider flackerten und manchmal schlug sie kurz die Augen auf, nur um sie kurz darauf wieder zu schließen. Als würde sie all ihre Kraft zusammennehmen, um zu kontrollieren, was um sie herum geschah, statt sich dem Heilungsprozess zu widmen.
»Ich kümmere mich darum«, sagte ich, was den Heiler dazu veranlasste, sich zu verneigen, als wäre ich mein Vater. Es ließ mich kurz verwirrt zurück, doch dann nickte ich ihm entlassend zu. Es fühlte sich richtig an, auch wenn ich bisher eine solche Behandlung nicht erhalten hatte. Erst recht nicht von Mohamed, der mich schon immer recht freundschaftlich behandelt hatte. Gerade deshalb verwirrte mich seine unterwürfige Art nur noch mehr.
Auch Rashid verstand ich nicht. Ich hatte nicht erwartet, dass er meinem Wunsch nachkommen würde, doch er hatte sofort Mohamed geholt. Ich fragte mich, warum? Er hatte genau so reagiert wie die Betas, wenn er ihnen Befehle erteilte.
Ich fuhr mir frustriert durch die Haare, denn ich wusste nicht, was ich jetzt mit der Situation anfangen sollte. In dem Moment wurde mir klar, dass mich silberne Augen ansahen.
Sofort ließ ich mich zu ihr nieder, um sanft ihr Gesicht zu streicheln. »Wie geht es dir?«, fragte ich sanft.
Ihre Lippen zuckten kurz, doch sie stieß nur ein angestrengtes Seufzen aus. Ein Zeichen, dass sie wirklich sehr erschöpft war.
»Schlaf etwas. Ich passe auf dich auf«, versicherte ich, auch wenn mein eigener Körper überall brannte und kribbelte.
Meine Heilung sorgte dafür, dass die Wunden sich langsam schlossen, doch für meinen Geschmack nicht schnell genug. Ich hatte Angst, dass Mirani es sah und sich Sorgen machte.
Ihre Finger schlossen sich kraftlos und meine Hand, die auf dem Bett abgestützt war, bevor sie ihre Augen wieder schloss.
Es tat mir in der Seele weh, sie so zu sehen. Ihre Haut hatte einen ungesunden Grauton und ihre Wangen waren eingefallen. Fast so, als wäre sie abgemagert oder längere Zeit krank gewesen. Ich war nur froh, dass ihre Lippen nicht mehr blau aussahen.
Hoffentlich erholte sie sich schnell. Es gefiel mir gar nicht, dass wir wieder hier waren. Vielleicht waren wir hier vor Rakshasa Angriffen geschützt, doch nicht vor meiner Familie.
Heute hatten sie sich zwar benommen, doch wie lange das so blieb, konnte ich nicht einschätzen.
Da es Mirani so schlecht ging, dass sie sich nicht verteidigen konnte, wollte ich sie nicht hier wissen. Was, wenn Rashid die Gelegenheit nutzte, um Rache zu nehmen? Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass diese Niederlage im Garten ihn schwer getroffen hatte. Zudem war er daran interessiert sein Ziel zu erreichen, selbst wenn er dafür seinen Stolz und seine Ehre opfern musste. Zumindest, solange es niemand anderes bemerkte.
Und dann war da noch Nael. Seit dem Essen mit meiner Familie, als Mirani ihn geschlagen hatte, war ich ihm nicht noch einmal über den Weg gelaufen. Dafür war ich dankbar, doch wo steckte er? Was heckte er jetzt wieder aus?
Langsam fuhr ich durch Miranis Haare, bevor ich mich vorsichtig zu ihr legte.
In diesem Moment hörte ich ein Schaben, das mich sofort aufschrecken ließ.
Angespannt sah ich mich um und hielt die Luft an, um jedes kleine Geräusch aufzunehmen.
Erneut ertönte ein Schaben. Dieses Mal überraschend nah.
Vorsichtig erhob ich mich vom Bett und trat auf die Wand zu, um mein Ohr dagegen zu drücken. Waren das vielleicht Ratten? Hatten wir einen Nagetierbefall?
Die Wüste war zwar nicht so geeignet für diese Tiere, doch vor Jahren hatten Karawanen diese Tiere eingeschleppt und ich war mir sicher, dass wir sie trotz der Mühen nicht komplett ausgelöscht hatten.
Es schabte erneut. Etwas von mir entfernt, doch die Wand neben mir vibrierte dennoch.
Das konnten doch keine Ratten sein, aber was sonst sollte sich in den Wänden aufhalten?
Unruhig geworden, folgte ich dem Geräusch, spannte meine Sinne an und versuchte zu ergründen, was das war.
Ein leichter Geruch von Moder stieg mir in die Nase, doch das war in diesem Haus nichts Seltenes.
Es gab immer Tage, wo viel Wind ging, in dem sich dieser Geruch etwas verbreitete. Vater behauptete, es käme von den verendeten Ratten.
Heute war der Geruch jedoch so stark, dass ich mich fragte, wie groß diese Ratte wohl war.
Plötzlich packte mich Angst, die ich nicht sofort zuordnen konnte. Ich versteifte mich.
Der Geruch, der mir in die Nase drang, malte unaufhörlich ein grausames Bild vor meinen Augen.
Wie konnte ich nur so dumm sein? Das war weder eine tote Ratte, noch eine lebende. Das roch nach einem Rakshasa, aber wieso hier in diesem Haus?
Dann ertönte ein dumpfer Schlag, der mich sofort von der Wand zurücktaumeln ließ.
Ein zweiter folgte und riss die Sanduhren von seinem Regal. Sie fielen klirrend zu Boden. Glas und Sand verteilte sich über die Teppiche, während weitere Schläge auf die Wand einprasselten.
Ich konnte gar nicht um die Erinnerungsstücke trauern, die dadurch zerstört wurden, denn die Risse in der Wand alarmierten mich.
Sofort sprang ich in Miranis Richtung, doch bevor ich sie erreichen und mit ihr verschwinden konnte, brach etwas durch die Wand in mein Zimmer.
Staub und Stein schlugen mir entgegen, weshalb ich nicht sofort erkannte, um was es sich handelte, doch meine Sinne registrierten den Rakshasa. Ich war ihnen mittlerweile zu oft in kurzer Zeit begegnet, um ihre Präsenz nicht direkt zu fassen.
Er kreischte nicht, als er mit weit aufgerissenem Maul auf mich zustürmte, was ihn nicht weniger angsteinflößend machte.
Mit einem Schritt zur Seite wich ich aus und tanzte förmlich aus seinem Angriffsfeld.
Als er auf den Boden aufkam, schüttelte er sich kurz, was dazu führte, dass ich ein feines Schimmern an seinem Hals bemerkte. Ich hatte jedoch nicht die Zeit, mich darauf zu konzentrieren, denn der Rakshasa sprang erneut auf mich zu.
Dieses Mal wich ich nicht aus. Hinter mir lag Mirani schutzlos im Bett und ich würde nicht zulassen, dass sie erneut ein Opfer wurde.
Ich fing seinen Angriff mit meinem Arm ab, was dazu führte, dass sich seine spitzen Zähne schmerzhaft in meinen Arm bohrten.
Zischend ließ ich es zu, um ihn genauer zu betrachten. Im Vergleich zu den anderen Rakshasa war dieser nicht so knochig. Eher gut genährt, wenn man das so sagen konnte. Es verwirrte mich. Dazu kam das Halsband, das sich farblich seiner ledernen Haut anpasste und einen kleinen, silbernen Verschluss hatte.
Ich war verwirrt, als ich mit meiner Hand seinen Hals packte und ihn zu Boden drückte. Es wäre besser, wenn ich nicht erst zuließ, dass er randalierte und ich wollte auch nicht, dass sein Blut mein Zimmer unbewohnbar machte. Es würde schon jetzt viel Anstrengung kosten, um diesen Geruch wieder loszuwerden.
In dem Moment, als ich ihm den Nacken mit einer schnellen Bewegung brach, wurde meine Zimmertür aufgerissen.
»Was ist hier …«, schrie Mutter, die mit Vater in das Zimmer gestürmt kam. Als sie sah, was vor sich ging, schlug sie sich entsetzt die Hand vor den Mund.
Ich erhob mich als wäre nichts gewesen und blickte sie mit müdem Blick an.
»Was hast du getan?«, fragte Vater atemlos, der den Rakshasa anstarrte. »Du und dieses Omega-Balg habt die Rakshasa in unser Heim geholt!«
Ich hatte mit allem gerechnet, aber sicherlich nicht damit.
Gab er mir gerade die Schuld, dass die Sicherheit unseres Hauses so katastrophal war, dass ein Rakshasa einfach so in mein Zimmer gelangen konnte?
Mutter, die komplett blass auf uns zu kam, starrte den Rakshasa an. »Ihr … seid hier nicht sicher«, sagte sie und blickte kurz zu Vater, der sie mit kalter Miene anblickte und schließlich nickte.
Als sie sich wieder mir zuwandte, sah sie nicht besser aus. »Nimm Mirani, pack ein paar Sachen. Ich bringe euch hier weg«, sagte sie, wobei ihre Stimme einen ganz seltsamen Klang hatte. Als wäre sie zutiefst geschockt. Ein Zustand, den ich so bei ihr noch nie gesehen hatte. Das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass sie sich wirklich um mich sorgte.


































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