Mirani-Kapitel 48


~Asher~
Meine Gedanken kreisten, als ich Azhar folgte. Er führte uns langsam durch die seltsamen Steinbauten und ab und an entdeckte ich vereinzelte Werwölfe, die aus den Fenstern oder hinter Mauern hervorlugten. Sie wirkten verschreckt und teilweise so, als würden sie nicht glauben, was sie sahen. Ich verstand nicht ganz warum, doch es war mir eigentlich egal. Ich hatte genug, um das ich mir Gedanken machen musste.
»Ich werde sofort einen Heiler holen lassen«, sagte er und deutete uns schließlich, einzutreten. »Mach dir keine Sorgen. Wir haben Spezialisten für diese Art der Angriffe.«
Ich hinterfragte nicht, woher er wusste, was mit Mirani los war. Wenn er wirklich einen Heiler hatte, der helfen konnte, war das gut, doch konnte ich gefahrlos zulassen, dass er Mirani berührte?
Konnte ich diesen Leuten überhaupt vertrauen?
Angeblich war er mein Vater, auch wenn ich das noch nicht so ganz glauben konnte. Dazu war er ein Alpha. Die Tiefe seiner Macht ließ auf einen Geborenen schließen. Aber was hatte es damit auf sich?
Ich wünschte, Mirani würde erwachen, damit ich sie fragen konnte, doch sie lag die ganze Zeit schon schlaff in meinen Armen. Würde sie nicht vorsichtig atmen, hätte ich sie bereits für tot gehalten.
Als wir eintraten, empfing uns Kühle. Es war hier generell recht frisch, was mir so gar nicht aufgefallen war. Dabei war es so erfrischend.
Der Raum war recht spärlich eingerichtet und besaß lediglich ein Bett und mehrere Stühle. Vielleicht eine Art Krankenzimmer?
Es sollte mich überraschen, dass eine Stadt unter der Stadt existierte, doch ich fragte mich eher, ob das hier nicht die eigentliche Hauptstadt der Dämmerwüste war. Der Sitz des herrschenden Alphas.
Als ich Mirani vorsichtig hinlegte, bemerkte ich, dass ihre Lider flackerten und sie mich für einen Moment schwach ansah. Ihre silbernen Augen hatten ein wenig Glanz verloren, doch ich sah darin dennoch ein gewisses Feuer. Fast so, als hätte sie mitbekommen, was um sie herum geschah.
Sie so zu sehen schmerzte. Wenn auch nur die kleinste Chance bestand, ihr zu helfen, würde ich sie ergreifen. Also wartete ich darauf, dass der Heiler eintraf.
Azhar verschwand nur ganz kurz nach draußen und kam dann wieder rein.
Er ließ sich erschöpft auf einem Stuhl fallen und Mutter war sofort an seiner Seite. Sie legte ihre Hände sanft auf seinen Schultern und massierte ihn.
»Du hast sicher viele Fragen«, bemerkte Azhar, der mich direkt anblickte.
Ich starrte einen Moment zurück, während ich Miranis vorsichtig zuckende Hand hielt.
In meinem Kopf schwirrten die Fragen nur so umher und ich wusste gar nicht, wie ich überhaupt anfangen sollte.
Meine Emotionen kochten erneut hoch und es fiel mir unglaublich schwer, nicht unruhig umherzulaufen. Stattdessen schloss ich meine Hand fester um Mirani. Sie war mein Anker und beruhigte mich. Die Sorge, die sie in mir auslöste, konkurrierte mit den Gefühlen, die mein leiblicher Vater in mir ausgelöst hatte.
»Wie kommt es, dass jemand wie du mein Vater ist?«, fragte ich schließlich doch. Wie kam Mutter auf jemanden wie ihn?
Azhar hob eine Augenbraue und seine Lippen umspielte ein Lächeln. »Jemand wie ich?«, fragte er belustigt. Er schien die Sache nicht sonderlich ernst zu nehmen und wirkte damit viel jünger als Mutter. Ich konnte es jedoch nicht genau sagen.
»Ich verstehe nicht, wie meine Mutter an einen so mächtigen Alpha geraten konnte, obwohl sich dieser offensichtlich in den Tiefen der Dämmerwüste versteckt«, konkretisierte ich, wobei ich ihn anstarrte. Mich interessierte seine Reaktion.
Überraschung huschte über sein Gesicht und er blickte kurz zu Mutter, die jedoch nur den Kopf schüttelte.
»Wie kommst du darauf, dass ich ein Alpha bin?«, fragte er, wobei sein Blick mich von oben bis unten musterte.
Ich hob eine Augenbraue. »Ich bin vielleicht noch jung, aber ich spüre deine Aura eindeutig. Sie verströmt das gleiche, leichte Kribbeln, wie es Miranis tut.«
Dass ich das erst spüren konnte, seitdem ich meine Alphagabe entfesselt hatte, musste ich vermutlich nicht verraten.
Azhar blickte überrascht zu Zahira und dann einen kurzen Moment stirnrunzelnd zu Mirani. »Sagtest du nicht, sie wäre eine Omega aus den Aethelhain-Inseln?«, fragte er und blickte zu Mutter hoch.
»Ist sie das nicht?«, fragte sie überrascht. Ich hatte noch nie so viel ehrliche Gefühle auf ihrem Gesicht gesehen. Zudem wirkte sie trotz der Situation überraschend entspannt. Fast so, als würde sie nicht mehr bei jedem Schritt aufpassen müssen.
Azhar schüttelte leicht den Kopf, doch als er etwas sagen wollte, betrat ein älterer Mann den Raum. Er ging ebenfalls auf einer Krücke, doch bei ihm schien es mehr dem Alter und nicht einer Verletzung geschuldet zu sein.
Seine Haare waren weiß und auch sein Bart war ergraut. Zudem hatte er überall im Gesicht Falten.
Einen solch alten Werwolf hatte ich noch nie gesehen. Ich fragte mich, wie alt er war.
»Das ist Nadir Al-Sahra. Er ist ein wirklich guter Heiler und hat schon unter der Herrschaft meines Großvaters gedient«, stellte Azhar vor.
Mein Herz setzte kurz aus, als mir klar wurde, dass er vermutlich ein Teil der alten Blutlinie der Dämmerwüsten-Alphas entsprang. Der Familie Wüstensturm. Die Familie, zu der mein Urgroßvater gehörte.
Aber wie war das möglich? Laut den Geschichten hatte mein Urgroßvater den Mord an seinem Bruder nicht verhindern können und die gesamte Blutlinie war ausgelöscht worden, bis auf ihn. War das eine Lüge?
Meine Gedanken kreisten, als der Mann auf Mirani zu humpelte. In dem Moment, in dem er die Hand nach ihr ausstreckte, gingen meine Instinkte mit mir durch. Ich wusste, dass er sie heilen wollte, doch die Vorstellung, dass er sie berührte und das Alter seiner Erinnerungen auf Mirani einstürzten, ließ ich knurren. Ohne es zu wollen, ließ ich meine Aura frei, was dazu führte, dass der Heiler erstarrte.
»Asher«, tadelte Mutter mich sofort, was meine Instinkte nur noch mehr anfachten.
»Er ist ein Heiler. Er wird ihr helfen«, versicherte der Mann, der mein Vater war, mit ruhiger Stimme. Sie hatte weder einen anklagenden, noch einen zurechtweisenden Ton. Fast so, als würde er mich verstehen.
»Nicht. Anfassen«, presste ich hervor, während ich versuchte diesen Instinkten Herr zu werden. Ich konnte keinen unschuldigen Heiler angreifen, nur weil er helfen wollte und dazu meine Frau anfasste.
Meine Gedanken überraschten mich einen Moment, doch statt darüber erschrocken zu sein, fühlte ich eine innere Wärme. Ich wusste, dass es so war. Ich hatte sie als meine auserwählt und würde niemanden mehr an sie heran lassen. Nur war das schlecht, weil sie Hilfe brauchte.
Der Heiler wandte sich stirnrunzelnd zu Azhar und mir. »Sie sieht aus, als wäre sie den Rakshasa zum Opfer gefallen. In ihrem aktuellen Stadium wird sie lange zur Erholung benötigen. Wenn wir ihr aber etwas unserer Kraft geben, wird sie sich schneller erholen. Sie hat eine innere Stärke, die nicht zu verachten ist.«
Es ärgerte mich, dass ich gezwungen war, zu wählen. Ließ ich es zu, würde es ihr bald besser gehen. Aber auch nur dann, wenn die Erinnerungen ihr nicht komplett den Rest geben.
»Deine Erinnerungen würden sie nur noch mehr verletzen«, brachte ich hervor. Es war unglaublich schwer, mich zu beherrschen.
Der Heiler betrachtete Mirani nachdenklich, doch es war Mutter, die schließlich sprach. »Sie sieht bei Berührungen Erinnerungen. Ich kann nicht sicher sagen, wie ausgeprägt es ist, aber die Gefahr besteht, dass sie ungewollt in sie gezogen wird«, erklärte sie und das erste Mal hatte ich das Gefühl, sie hatte doch verstanden wie Miranis Gabe funktionierte. Warum also das alles?
»Dann könnte es schwierig werden. Ich habe schon einige solcher Fälle behandelt. Es ist das erste Mal, dass es so schlimm ist. Wäre sie weniger stark wäre sie vermutlich schon längst …« Bevor er ausreden konnte, knurrte ich, denn ich wollte es nicht hören. Ich wollte nicht hören, dass Mirani vielleicht keine Chance hatte.
»Was können wir tun?«, fuhr ich ihn ungewollt harsch an. Zuhause hätte mich Rhaem schon längst zurechtgewiesen oder Rashid ausgelacht, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Azhar hingegen legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Du konntest sie her tragen. Das heißt, dass sie bei deinen Berührungen nicht so empfindlich ist«, sagte er, wobei erneut keine Abwertung in seiner Stimme lag. Es war eine reine Feststellung.
»Dann erkläre ich dir, was du tun musst.«































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