Mirani-Kapitel 50

~Maeve~
Mein Blick wanderte über den Nebel, der in den letzten Stunden die Ränder unserer Inseln freigegeben hatte.
Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit.
Ging es Mirani gut? Was war vorgefallen, weshalb sie einen Teil ihres Nebels zurückgezogen hatte? Hatte man sie angegriffen? Warum meldete sie sich nicht, wenn sie Hilfe brauchte?
Bisher hatte ich Zahira immer als vertrauenswürdig eingeschätzt, doch die Tatsache, dass ich seit vielen Jahren dazu gezwungen war, meine Alphagabe zu nutzen, um den immer schwächer werdenden Nebel meiner Tochter zu ersetzen, machte mich unruhig.
Ich konnte jedoch auch keinen Hinweis darauf spüren, dass sie ihn aktiv zurückzog oder akut in Gefahr war.
Dieser langsame Rückgang war eher ein Zeichen dafür, dass sie es mit Absicht tat und uns damit vorwarnen wollte.
Trotzdem rang in mir die Frage, ob ich Zahira falsch eingeschätzt hatte und ob meine Tochter in Gefahr war.
Ein bekanntes Kribbeln lief über meinen Rücken und im nächsten Moment trat Kaelen in den Raum.
»Mutter«, grüßte er und kam sofort auf mich zu, um meinen Arm zu nehmen. »Der Heiler hat gesagt, du sollst nicht so viel stehen«, tadelte er mich, bevor er mich zu einem Stuhl führte, auf den ich mich schwerfällig niederließ.
In letzter Zeit machte mir mein Bein Probleme, weshalb ich kaum noch das Haus verließ. Es hatte nach der Konklave angefangen, was wohl hieß, dass ich zu alt wurde, um dieser beizuwohnen. Ich würde also entscheiden müssen, ob Mirani bereit war, für mich nächstes Jahr zu gehen oder ich doch Kaelen den Posten des Alphas überlassen musste.
Ich klopfte Kaelens Hand dankbar. »Mir geht es gut«, versicherte ich, obwohl der Schmerz in meinem Bein durch das Stehen wieder zugenommen hatte. Aber ich konnte nicht anders. Die Sorge um meine Tochter trieb mich in den Wahnsinn und ich bereute es, sie losgeschickt zu haben. Andererseits war sie alt genug, um endlich die Welt zu sehen und ihren Partner zu finden. In ihrem Alter war ich bereits Mutter und hatte es nie bereut.
»Machst du dir Sorgen um Mirani?«, fragte Kaelen, der mir eigentlich immer ansehen konnte, wie es mir ging.
»Ich frage mich, was sie dazu veranlasst, ihre Kräfte zu sammeln«, gestand ich. Denn nichts anderes bedeutete die Tatsache, dass sie ihren Nebel von den Inseln zurückzog.
Dadurch, dass ich hier war, würden die Inseln nicht ohne Schutz bleiben, doch dass sie sich dazu gezwungen fühlte, hieß dass sie mit einem starken Feind rechnete.
»Mirani wird schon wissen, was sie tut«, versicherte Kaelen, der schon immer zu seiner Schwester ausgesehen hatte. Manchmal fand ich seine Bewunderung jedoch zu blauäugig. Mirani war stark und kannte ihre Schwächen, doch sie war nicht unfehlbar. Das war niemand.
»Sie zieht ihn mit Bedacht zurück. So dass du ihn mit deinen ersetzen kannst, ohne dass es sofort auffällt. Es ist also nichts Akutes«, erklärte mir Kaelen das, was ich schon wusste.
»Mir wäre es trotzdem lieber, wenn sie ihre Kraft gar nicht nutzen müsste«, erwiderte ich und blickte zu meinem Sohn. Am liebsten hätte ich ihn in die Dämmerwüste geschickt, um nach Mirani zu sehen, doch das ging nicht. Nicht solange die Probleme auf unserer Insel nicht beseitigt waren.
»Konntest du herausfinden, woher der Spion kommt, der sich hier herumtreibt?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
Durch Miranis Nebel hatte er sich auf den Inseln verlaufen und war eine leichte Beute. Würde mein Nebel Miranis ersetzen, wäre dieser Effekt nicht mehr gegeben. Mit meinem Nebel konnte ich ihn nur lokalisieren, nicht aber verwirren. Wir mussten also so viel Informationen sammeln wie möglich, bevor wir in eine direkte Konfrontation gingen.
Ich hatte bis heute nicht herausfinden können, wie Mirani das mit ihrem Nebel anstellte. Mir und Kaelen machte er nie Probleme. Im Gegenteil. Er schien uns immer direkt an unser Ziel zu führen. Ungebetenen Gäste ließ er jedoch stundenlang im Kreis laufen oder schickte sie direkt in unsere Fallen.
Jetzt, wo Mirani nicht mehr hier war, war letzteres schwer zu koordinieren, doch wir würden es versuchen.
»Er trägt keine typischen Merkmale. Nichts deutet auf seine Herkunft hin. Er ist ein guter Spion«, erklärte Kaelen. »Allein von der Statur oder Aufmachung kann ich ihn schwer zuordnen. Zudem trägt er sowohl Kukris als auch kleine Äxte. Er könnte also aus der Nordhauch Tundra oder der Dämmerwüste kommen. Oder es ist eine Finte.«
»Spürst du Hinweise, dass es sich um jemanden aus dem Gluthain handeln könnte? Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass es dort Überlebende geben soll.«
Ich gab nicht viel darauf, denn der Gluthain war so lebensunwirklich, dass die Dämmerwüste heimig dagegen wirkte.
»Nein. In diese Richtung …«, setzte Kaelen an, doch ein lautes Klopfen unterbrach ihn.
Überrascht wandte ich mich um, nur um einen Mann ins Zimmer kommen zu sehen, der mich leicht lächeln ließ.
Thalen war nicht mehr der Jüngste. Sein Gesicht war wettergegerbt, doch sein Gang war fest und stolz wie ich es von einem meiner besten Krieger erwartet hatte.
»Meine Krähen haben mir Informationen darüber gebracht, dass dieser Spion nach Informationen über Mirani sucht«, sprach er direkt ohne eine Begrüßung.
Ich spürte, wie mein Herz einen Moment aussetzte, doch bevor ich auch nur darüber nachdenken konnte, was das hieß, fluchte Kaelen und stürmte aus der Tür.
Seine Sorge um seine große Schwester war definitiv nicht normal. Wenn sich herausstellte, dass dieser Mann Mirani Schaden könnte, würde Kaelen durchdrehen. Ich hoffte nur, dass er sich daran erinnerte, dass wir ihn lebend brauchten, um Informationen aus ihm herauszuholen. Sonst würden wir vermutlich nie erfahren, warum Mirani gerade derart viel Macht zu sich zurückholte. Hoffentlich hielt ihr Körper das auch aus.


































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