Mirani-Kapitel 53

~Asher~
Ich bewunderte Miranis Mut. Obwohl das Wesen sie derart zugerichtet hatte, hatte sie sich dennoch so viele Einzelheiten gemerkt, dass sie Azhar davon berichten konnte.
Allerdings stresste sie die Situation auch sehr. Ich spürte ihre Anspannung und das Zittern ihres Körpers, während sie sprach.
Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass sie in meinen Armen zusammensackte und langsam einschlief, während ich den Rest des Geschehens schilderte.
Ich konnte nicht ganz fassen, dass wirklich ein Jiangshi aufgetaucht war. Bisher hatte ich nur einmal über ihn gelesen und diesen Eintrag für völlige Spinnerei gehalten.
Er hing mit den wandernden Inseln zusammen.
War das Auftauchen dieses Wesens vielleicht sogar ein Hinweis darauf, dass diese existierten?
Alle 500 Jahre sollten sie über den Himmel ziehen und die Werwölfe in ihren Grundfesten erschüttern.
Wenn die Jiangshi echt waren, dann vielleicht auch die Inseln?
Nur gab es niemanden, der alt genug war, um dieses Phänomen schon einmal erlebt zu haben.
Als ich geendet hatte, seufzte ich leise und fuhr Mirani durch das Haar.
So friedlich, wie sie in meinen Armen schlief, war es schwer, die Situation zu verstehen. Waren wir jetzt auf der Flucht vor dem Mann, den ich einst Vater genannt hatte? Versteckten wir uns hier unten?
Ich wusste es nicht genau, hatte aber das Gefühl, dass wir hier sicher waren. Zumindest fürs Erste.
»Du solltest sie ins Bett legen. Dann kann ich die dir zeigen, wo wir uns hier befinden.«
Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, bei Mirani zu bleiben, aber auch die Umgebung zu erkunden.
Schließlich gab ich dem Drang, die Umgebung kennenzulernen, nach. Ich musste wissen, wo ich war und wie sie beschaffen war. Sonst konnte ich Mirani im Falle eines Angriffs nicht schützen.
Mir gefiel es nicht, sie allein zurückzulassen, doch ich hatte keine Angst, dass ihr jemand etwas tat. Azhar hatte extra einen Heiler für sie besorgt.
Es wäre also unlogisch, wenn er sie jetzt doch töten ließ.
Ich wollte nicht über die Möglichkeit nachdenken, dass er sie vielleicht als Geisel nehmen konnte. Das traute ich ihm irgendwie nicht zu.
»Es tut mir sehr leid, dass du, meinetwegen, all die Jahre so leiden musstest«, sagte Azhar plötzlich, als wir hinaus in die Stadt unter der Wüste traten.
Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört und sah mich um.
Es war eine große Höhle die von Säulen getragen wurde. Einige waren definitiv von Hand erbaut. Andere sahen sehr natürlich aus.
»Warum hast du mich nicht hierher geholt?«, fragte ich, denn bis jetzt sah ich keinen Grund, warum ich nicht hier hätte aufwachsen können. Dann hätte Rhaem vielleicht sogar geglaubt, Zahira hätte mich getötet.
»Es sieht vielleicht nicht so aus, aber das hier ist kein Ort für Kinder«, bemerkte er leise. »Die Sterblichkeit hier ist hoch.«
Seine Worte veranlassten mich dazu, mich genauer umzusehen. Warum war das so? Es wirkte friedlich und sicher.
Gab es das Problem der Nahrungsbeschaffung? Aber sonderlich dünn sahen die Männer und Frauen nicht aus, denen wir begegneten.
Alle von ihnen wirkten jedoch erschöpft und trugen nicht nur eine Narbe.
Während ich meinem Vater folgte, beobachtete ich sehr genau. Jeder einzelne hier war angespannt, als würde jederzeit ein Angriff erwartet. Außerdem lag ein Geruch in der Luft, der mir gar nicht so stark aufgefallen war, weil er schon herrschte, seitdem wir hierher gekommen waren. Jetzt aber analysierte ich ihn genauer. War das Rakshasa Blut?
»Warum ist die Sterblichkeit hier hoch?«, fragte ich irgendwann dann doch, denn ich wollte nicht zu voreilig Schlüsse ziehen.
»Die Tunnel waren einst sicher für uns Werwölfe, doch seit einiger Zeit wandern die Rakshasa in ihnen herum«, erklärte Azhar, der zwar noch immer schwer auf seinen Stock gestützt war, aber kein Anzeichen von Müdigkeit zeigte.
»Also doch«, murmelte ich. »Seit wann geht das schon so?«, fragte ich, denn mir war nicht bewusst, dass unter der Dämmerwüste so viele Gefahren lauerten.
»Seitdem die Amqars sich die Rakshasa zu Untertanen gemacht haben.«
Ich blieb abrupt stehen. Hatte ich das gerade richtig verstanden? Was sollte denn heißen, sie hatten sich die Rakshasa zu Untertan gemacht?
Bevor ich jedoch nachfragen konnte, hörte ich eine Stimme rufen, die durch die Höhlen hallte. »Ein Angriff!«
Sofort spannte sich Azhar an. »Du solltest jetzt zu deiner Gefährtin zurück«, sagte er, doch ich war hin- und hergerissen. Sollte ich kämpfen oder zurück, um Mirani zu beschützen?
»Geh schon«, sagte er drängend. »Das hier ist nicht dein Kampf.«
Es fühlte sich nicht gut an, als ich mich abwandte, doch Mirani war allein und kampfunfähig. Ich musste mich um sie kümmern.
Ich machte einen Schritt und spürte Kühle, die an meinen Beinen hinaufkroch.
Überrascht blickte ich nach unten und hörte um mich herum Leute murmeln, während ich den Nebel betrachtete, der durch die Höhlen glitt.
Mein Herz schlug schneller, doch ich begriff nicht sofort, warum. Irgendwas stimmte nicht. Warum war Nebel in den Höhlen unter der Dämmerwüste? Warum fühlte sich dieser Nebel so vertraut an?
Mein Kopf raste, während meine Schritte immer schneller wurden.
Nebel. Wie auf den Aethelhain-Inseln.
Mirani!
Ich stürzte in ihr Zimmer, blieb aber verwirrt in der Tür stehen.
Mirani lag im Bett und wandte sich. Ihre Finger in die Laken gekrallt, während sich dichter Nebel um sie sammelte. So dicht, dass sie kaum zu erkennen war.
»Mirani«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte oder ob ich überhaupt etwas tun sollte.
War sie in Gefahr oder war der Nebel sogar gut für sie?
Ein Wimmern verließ ihre Lippen, was dazu führte, dass ich nicht mehr stehenbleiben konnte.
Hatte sie Schmerzen oder einen Albtraum?
Ich trat direkt in den Nebel hinein und landete nur wenig später direkt vor ihrem Bett. Das Gefühl, direkt dorthingezogen zu werden, war noch immer präsent und erinnerte mich an unsere Ankunft auf den Aethelhain-Inseln. Damals war der Sog jedoch nicht so stark gewesen.
»Mirani«, sagte ich erneut, bevor ich ihr eine Hand auf die Schulter legte.
Sie schreckte aus ihrem Traum hoch, riss die Augen auf und blickte mich schwer atmend an.
Ihr war anzusehen, dass sie einen Moment brauchte, um zu registrieren, wo sie war.
Mirani blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann blickte sie auf ihre Hände, die in Nebel gehüllt waren und erblasste. »Nein«, hauchte sie leise und entsetzt. »Das sollte nicht …«, setzte die an, bevor sie alarmiert aufsah. »Rakshasa. Die Tunnel sind von Rakshasa überfüllt.«




































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