Mirani-Kapitel 62

~Mirani~
Ich hatte Angst, meine Augen wieder zu öffnen, doch als ich Ashers panischen Schrei hörte, riss ich sie auf.
Blondes Haar, das von Blut durchtränkt war, war das erste, was ich sah.
Dann verstand ich, dass die Frau, die in Ashers Armen lag, Zahira sein musste.
Ihre sonst so kunstvoll hochgesteckten Haare waren voller Dreck, Blut und hingen offen über ihren Körper.
»Mutter«, keuchte Asher, während der Jiangshi lachend seine Klauen ableckte.
Dann richtete er seinen Blick auf Asher, der noch immer seine Mutter hielt. Er würde nicht warten, bis sich Asher aus seiner Starre löste.
Als mir das klar wurde, schoss das Adrenalin durch meine Adern.
Nein. Das durfte ich nicht zulassen. »Nein!«, schrie ich panisch.
Ich schickte meinen Nebel in die Äxte. Zusammen mit meiner letzten Kraft, bevor ich diese mit all meiner Kraft auf den Boden krachen ließ.
Noch während mein Schrei über die Trümmer hallte, hatte ich das Gefühl, sämtliche Kraft verließ meinen Körper.
Kälte umfing mein Herz, glitt in meine Hände und wurde von den Äxten verstärkt.
Mein Nebel wandelte sich in Eis und kroch in einer Schnelligkeit über den Boden, die mich selbst überraschte.
Bevor der Jiangshi Asher erreichte, traf das Eis auf seinen Fuß. Es kroch seine Beine hinauf und schränkte seine Bewegungen ein, sodass er Asher nicht mehr erreichen konnte.
Ein Laut voller Ärger verließ seine Lippen, doch als er seinen Blick auf mich richtete, erreichte das Eis seinen Kopf.
Es schloss erst seinen Mund und dann seine Augen ein, bis vor uns nur noch eine eisige Statue stand.
Mein Atem ging schwer, während meine Knochen von innen zu erfrieren schienen.
Kälte umschlang mein Herz und ließ mich um Atem ringen.
Wir hatten nicht viel Zeit. Ich würde ihn nicht lange so halten können.
Jetzt oder nie.
Ich drückte mich hoch, ignorierte das Knacken, das mein Körper dabei machte und hob die Axt.
Mein Blick verschwamm und ich strauchelte, weshalb ich mein Ziel verfehlte und stattdessen vor den Jiangshi zu Boden fiel.
»Mirani«, rief Asher, doch statt mir dabei zu helfen, mich zu erheben, griff er nach meiner Axt.
Seine Hand wurde sofort von Raureif überzogen, doch das störte ihn nicht. Stattdessen holte er aus und schlug mit der schweren Axt gegen den Kopf des Jiangshis.




Es krachte, Eis splitterte und mit einem weiteren Schlag, zerstörte Asher auch den Körper des Monsters.
Ich sah zu, wie er auf die Stücke eintrat und sie zu kleinen, fast nicht mehr wahrzunehmenden Eises zerstampfte. Voller Wut und Verzweiflung.
Ich kämpfte mich wieder auf, während mein Herz noch immer schmerzte, doch ich spürte, wie die Wärme zurückkehrte. »Deine Mutter«, brachte ich hervor, denn noch war es nicht vorbei. Jetzt, wo die Rakshasa ihren Anführer verloren hatten, würden sie unkontrolliert angreifen. Wir mussten sie auslöschen. Aber zuerst mussten wir uns um Zahira kümmern.
Asher wirbelte sofort herum und ließ den Rakshasa hinter sich, um zu seiner Mutter zurückzukehren. Diese atmete schwer, hob aber ihre Hand. »Ich bin so stolz auf dich«, brachte sie flüsternd hervor.
Blut rann aus ihrem Mund und ihre Hand fiel schlaff zu Boden, als sie in Ashers Armen ohnmächtig wurde.
Sofort wurde dieser blass und begann, ihren Namen zu rufen.
Ich blickte umher, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Dann kam mir die Heilerin in den Sinn, die sich um die verletzte Khali gekümmert hatte.
Obwohl Zahira mir gegenüber nicht gerade freundlich gewesen war und ich sie auch nicht mochte, war sie doch Ashers Mutter und diesem war sie wichtig.
Also setzte ich mich in Bewegung, bis ich die Frau erreichte, die Khali gerade eine Bandage umlegte.
»Hey, du bist doch das Mädchen, das bei Asher war«, wurde ich von der Frau begrüßt, die selbst mit einem dreckigen, zerschundenen Körper noch wunderschön war. Ich verstand, warum Asher sich mit ihr eingelassen hatte, spürte aber auch gleichzeitig eine gewisse Eifersucht.
»Bist du eine Heilerin?«, fragte ich, wobei ich mir dieses Mal keine Mühe gab, meine Aura zu verstecken.
Ich erkannte, wie ein Zittern durch die beiden Frauen ging, bevor ihre Augen sich einen Moment vor Schock weiteten.
Die blonde Frau erhob sich und neigte leicht den Kopf. »Ja, Alpha«, sagte sie, wobei ihre Stimme ein wenig zitterte.
Ich wollte ihr keine Angst machen, doch wir hatten kaum Zeit. »Komm mit«, wies ich an, ohne darauf einzugehen, was das Problem war.
Ich sah, wie sich Khali ebenfalls erhob, auch wenn es ihr schwerfiel. »Alise«, sagte sie und stützte sich dann schwer atmend ab.




»Schon gut. Ruh dich aus«, bat die Heilerin, die Alise hieß mit einem Lächeln. Ich erkannte an der Art, wie beide miteinander umgingen, dass Alise zu glauben schien, sie nicht wiederkommen würde.
Ich verdrehte meine Augen. Dazu hatten wir nicht die Zeit.
Mit schnellen Schritten war ich bei Khali und nahm sie auf meine Arme. Ich war zwar vom Kampf erschöpft und verletzt war ich auch, doch sie wog fast nichts. »Wir haben keine Zeit. Los jetzt«, wies ich an und lief voraus, während Khali sich in meinen Armen bewegte, weil sie anscheinend nicht genau wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte.
Ich sorgte dafür, dass sich der Nebel etwas lichtete und sowohl Khali als auch Alise besser sehen konnten. So entdeckte die Heilerin schließlich auch Asher, der noch immer seine verletzte Mutter in den Armen hielt.
Sofort rannte Alise los, während ich mit Khali folgte.
Erst da wurde mir klar, dass sich unsere Haut berührte und doch spürte ich kaum die Erinnerungen. Nur ein ganz leichtes Ziehen war vorhanden, doch es fiel mir leicht, diesem nicht nachzugeben.
Wenn ich an die letzten Stunden zurückdachte, hatte ich mir Gedanken um alles Mögliche gemacht, doch nie um Berührungen. Aber wieso war ich plötzlich davor geschützt?
Als ich Khali absetzte, blickte diese verwirrt von mir zu Asher und dann über die Trümmer.
»Heile du Zahira. Ich kümmere mich um die Rakshasa, die uns noch gefährlich werden könnten«, sagte ich, wobei ich meinen Blick von Alise und Asher abwandte. Ich sollte für ihn da sein, doch ich fühlte mich schuldig. Außerdem durfte ich nicht vergessen, dass wir noch immer auf einem Schlachtfeld waren. Die Rakshasa waren jetzt führerlos. Niemand konnte sagen, was sie taten.
Vielleicht konnten wir Rhaem suchen und dafür sorgen, dass er die Kontrolle über sie wieder übernahm. Oder konnte das Zahira?
Mein Blick glitt noch einmal zu ihr.
Alise hatte bereits ihre Hände auf ihren Körper gedrückt, doch ich konnte nicht sagen, ob es etwas brachte.
Nur Zahira würde mir eine Antwort auf diese Frage geben können.
Wir brauchten sie also.
Plötzlich spürte ich in der Nähe etwas, mit dem ich nicht so schnell gerechnet hatte.
Ich fokussierte mich auf eine Stelle im Nebel, bevor ich darauf zurannte.




Als sich meine Sicht wieder lichtete, erkannte ich meinen Bruder. Seine silbernen Haare waren blutverschmiert und einzelne Strähnen waren aus dem Zopf geglitten. In seinen Händen hielt er die Glefe, die für unsere Inseln typisch war.
Mein Atem stockte, als er die Klinge mit voller Kraft durch die Knochen des Rakshasa gleiten ließ, der daraufhin zu Boden fiel.
»Nicht nachlassen«, rief er, was meinen Blick zu den Männern und Frauen lenkte, die mit ihm gekommen waren.
Darunter erkannte ich viele bekannte Gesichter, doch es war Thalen, der mich erleichtert aufatmen ließ. Sie waren wirklich alle gekommen und das meinetwegen?
»Das müsste der letzte gewesen sein«, erklärte Thalen gerade, doch da hatte mich mein Bruder schon entdeckt.
Sein Blick weitete sich, bevor er mich entsetzt von oben bis unten musterte.
Der Staub um uns herum legte sich nur langsam und ich könnte ihn nutzen, um meine zerfetzten Kleider und die Wunden, die noch dabei waren zu heilen, zu verstecken, doch ich tat es nicht.
Stattdessen gab ich dem Drang nach und setzte mich in Bewegung.
Die Freude, ihn zu sehen war so viel größer als die Angst vor Berührungen.
In dem Moment, in dem ich Kaelen in die Arme fiel, vertraute ich auf Ashers Schutz.
»Mirani«, brachte Kaelen atemlos hervor und hob in einer unschlüssigen, überforderten Geste die Arme, als würde er mich umarmen wollen und gleichzeitig versuchen, sich zurückzuhalten.
Ich hingegen hielt mich nicht zurück. Meine Arme hielten meinen Bruder fest und ich drückte meinen Kopf an seine Brust.
Der herbe Geruch von Feuer und Blut drang mir in die Nase. Er vermischte sich mit dem Duft meiner Heimat. Moos, Gras nach einem Regen und Meer.
Er war unverkennbar und gehörte zu Kaelen, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Es war eine Umarmung, wie ich sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ganz ohne unangenehmes Ziehen oder auf mich einstürzende Bilder. Eine Umarmung, die ich einfach nur genießen konnte.

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