Mirani-Kapitel 64

~Asher~
Drei Tage nach dem eigentlichen Kampf und einen Tag, nachdem Kaelen mit seinen Leuten zurückgekehrt war, machte ich mich mit Mirani auf den Weg, um dem auf den Grund zu gehen, was dieses Chaos verursacht hatte. Und Antworten darauf würden wir nur in den geheimen Gängen des Amqar-Anwesens finden.
Der Gestank nach Verwesung drang an meine Nase. Der Geruch stach so stark, dass ich diese mit einem Tuch bedecken musste.
Mirani neben mir krallte ihre Hand in meinen Arm, während wir vorsichtig und nur mit einem kleinen, leuchtenden Kristall bewaffnet, durch die Tunnel des Amqar Anwesens gingen.
Laut Rashid, der mit Nael im Kerker saß, konnten wir nur so den Raum erreichen, den Vater ihm gezeigt hatte.
Wie sehr meine beiden Brüder mit in dieser Sache hingen, konnte ich noch immer nicht genau sagen, doch Mutter war der Überzeugung, dass zumindest Rashid mehr wusste. Und wie es schien, hatte sie damit recht.
»Hier rechts«, murmelte Mirani, als wir zu einer weiteren Biegung kamen.
Ihr Nebel wabberte über den Boden und war unser einziger Wegweiser. Ohne ihn hätten wir uns vermutlich hoffnungslos verloren. Nicht einmal unseren Geruch konnten wir zurückverfolgen, so sehr stank es.
»Danke, dass du mitgekommen bist«, murmelte ich, denn mir war durchaus bewusst, dass sie sich Ruhe verdient hatte. Außerdem wussten wir nicht, was uns erwarten würde.
»Nachdem du deiner Mutter und deinem Vater verboten hast, mitzukommen, musste dich ja jemand begleiten, um auf dich aufzupassen«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das mich dazu verleitete, ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken.
Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und nie wieder losgelassen, doch die Zeiten erlaubten das nicht. Es gab zu viel zu tun, um einfach nur zu genießen.
Erst, wenn die letzten Rakshasa vernichtet und die Opfer geborgen wurden, konnte ich mich entspannen.
Weil meine Familie in die ganze Sache verwickelt war, fühlte ich mich schuldig und verantwortlich. Ich würde also tun, was ich konnte, bis meine Heimat wieder in den richtigen Händen lag.
»Vorsicht«, murmelte ich, als wir weiter liefen. Der Boden war mit seltsamen Furchen durchzogen und überall an den Wänden gab es eiserne Ketten. Einige von ihnen lagen quer über dem Boden und bildeten Stolperfallen.




Mirani blieb stehen und ging in die Hocke. Ich folgte, weil ich das Licht in der Hand hielt.
Die Ketten waren teilweise mit Rost überzogen und einige davon auch kaputt. An den Verankerungen an der Wand oder der Kette selbst.
»Also entweder wurde dieser Gang beschützt oder hier war etwas gefangen«, murmelte Mirani, die damit meine Gedanken aussprach.
»Ich hoffe sehr, dass dieses Etwas tot ist«, nuschelte ich, denn die tiefen Kratzspuren an den Wänden, sagten mir, dass dieses Wesen wirklich sehr stark sein musste.
»Das werden wir sehen«, erwiderte Mirani und erhob sich. Mit einer eleganten Bewegung klopfte sie sich den Staub von dem einfachen Sommerkleid, das sie von meiner Mutter bekommen hatte. Da sie nicht damit gerechnet hatte, je wieder Berührungen zulassen zu können, hatte sie kaum mehr mit als ihren Anzug und zwei Kleider für besondere Anlässe.
Ich hatte ihr zwar Kleidung von mir angeboten, doch Mutter hatte darauf bestanden, sie komplett neu auszustatten. Vermutlich auch, weil Mirani eine ähnliche Statur hatte wie sie.
Ich erhob mich ebenfalls wieder und setzte meinen Weg fort.
Dabei folgten wir Miranis Nebel, der uns schließlich zu einer Tür führte.
Diese hatte schwere Schlösser, die nicht aussahen, als könnte man sie einfach öffnen.
Ich legte meine Hand um eines der Hängeschlösser und zog daran.
Das schwere Metall gab einen seltsamen Laut von sich, hielt aber Stand. Es würde nicht leicht werden. Selbst für einen Alpha nicht.
»Dahinter ist eine große Halle. Vermutlich wurden dort die Rakshasa gefangen gehalten«, erklärte Mirani, die ihre Hand an die Tür legte. Wollte sie die Erinnerungen des Gegenstandes spüren oder nutzte sie doch ihren Nebel? Ich konnte es nicht sagen und ihr nur dabei zusehen, wie sie die Augen schloss und sich kurz konzentrierte.
Der Nebel kroch an der Tür hinauf, in die Schlösser hinein und durch den Spalt am Boden.
»Tritt ein Stück zurück«, bat sie, was ich sofort tat, auch wenn ich mir etwas Sorgen machte.
Was hatte sie vor?
Kälte kam auf und legte sich auf die Tür. Der Nebel wurde zu Reif und dann zu Frost, der die Tür knacken und ächzen ließ.
Es erinnerte mich an den Kampf mit dem Jiangshi und ich fragte mich, was genau das war. Nutzte Mirani die Kraft des Artefakts, das sie um ihr Handgelenk trug, oder war das eine Ausprägung ihrer Gabe?




»So, versuch es jetzt noch einmal«, sagte sie und machte einen Schritt zurück.
Allerdings kam ich dem nicht sofort nach, denn der seltsame Klang in ihrer Stimme ließ mich die Stirn runzeln. Was war diese Kälte, die plötzlich darin mitschwang? Sie war kaum hörbar, löste aber Sorge in mir aus.
Mirani blickte überrascht zu mir hoch. »Was ist?«, fragte sie, weil ich nicht reagierte.
Ich legte ihr eine Hand an die Wange und spürte die Kälte, die von dieser ausging. »Sei vorsichtig«, bat ich sanft, ohne das anzusprechen, was mir wirklich durch den Kopf ging.
Ich hatte es gesehen, als sie gegen den Jiangshi gekämpft hatte. Diese Kräfte konnten ihr schaden und ihren Körper einfrieren. Ich wollte nicht, dass das passierte.
Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, was mir das Gefühl gab, die Kälte würde schmelzen. »Bin ich«, versicherte sie.
Eine weitere, schnelle Musterung zeigte mir, dass sie keine weiteren Probleme hatte, also wandte ich mich der Tür zu, um sie mit einer schnellen Drehung zu treten. Ich rechnete mit wesentlich mehr Widerstand und war verwirrt, als sie knackend und krachend in sich zusammenbrach.
Ich versuchte, meine Überraschung zu verstecken, doch es gelang mir nicht.
Mirani lachte leise, als sie vorsichtig über die Trümmer schritt. »Metall wird sehr brüchig, wenn es gefroren wird«, erklärte sie, als wäre das Allgemeinwissen. Allerdings lebte ich in einer Wüste und mit Eis kannte ich mich überhaupt nicht aus.
»Was ist das hier?«, fragte ich stattdessen, als mein Kristall einen kleinen Teil dieses Raumes erhellte.
Ich hatte mit einem Gefängnis gerechnet und irgendwie war es das auch, doch überall lagen Papiere am Boden und ich trat versehentlich auf einen Glasgegenstand, der unter meinen Schuhen knackte.
»Ich weiß nicht«, sagte Mirani, die plötzlich näher zu mir kam und sich an meinen Arm schmiegte, als hätte sie Angst.
Sanft löste ich mich von ihr, um ihr den Arm um die Taille zu legen. »Ich bin da«, flüsterte ich, während wir etwas näherkamen, das aussah wie ein großer Wassertank.
Das Glas, aus dem er gefertigt war, hatte ein großes Loch und die Scherben lagen auf dem Boden im Wasser.
Mirani sah sich ebenfalls um. »Es sieht verlassen aus«, flüsterte sie und blickte dann zu Boden.




»Zum Glück«, murmelte ich, bevor ich zu einem Schreibtisch ging. Er war zerstört, als wäre etwas daraufgefallen. Die Dokumente, die sich teilweise noch stapelten, lagen auch am Boden im Wasser. Einige davon waren bereits zersetzt.
Die Atmosphäre hatte etwas Bedrückendes, doch ich wusste nicht warum. Was war hier passiert? Wer hatte hier gearbeitet?
Gehörte das zu Rhaems Territorium? Hatte er hier vielleicht die Rakshasa erforscht, um sie zu zähmen?
Der Gedanke gefiel mir überhaupt nicht und am liebsten hätte ich alles zerstört, doch wenn wir herausfinden wollten, ob es noch mehr als diesen einen Raum mit den Rakshasa gab, mussten wir uns das alles ansehen.
Also begann ich damit, die Dokumente zusammenzusammeln. Dabei achtete ich jedoch auf jedes Geräusch, weil ich mir nicht sicher sein konnte, dass nicht doch noch jemand hier war.
Mirani half mir, doch mit nur vier Armen war es schwer, alles zu sichern.
Am Ende hatten wir mehrere Stapel, die wir transportieren mussten. Es wäre vermutlich sinnvoller, wenn ich jemanden schickte.
Vielleicht konnte Zahira ab hier übernehmen. Sie war zumindest mit ein paar Dingen vertraut, die Rhaem getan hatte. Vielleicht konnte sie hier mehr sehen als ich.
»Asher«, erklang Miranis panischer Schrei, der mich dazu veranlasste, herumzuwirbeln.
Mit schnellen Schritten war ich bei ihr, nur um gleich wieder zurückzuweichen.
Was da am Boden lag, war kaum mehr als Mensch zu erkennen. Es sah aus wie eine Ansammlung an aufgedunsenem Fleisch. Arme und Beine fehlten, doch das Gesicht war noch recht gut zu erkennen. Nur daran sah ich, dass es einmal menschlich gewesen sein musste.
Ich hielt die Luft an, auch wenn das Ding am Boden keinen Geruch abgab. Nicht so wie das, was ich teilweise in den Gängen gerochen hatte.
Mein Blick wanderte umher, um zu verstehen, was hier passiert war.
Dort, wo die Überreste lagen, war auch Glas und in der Nähe stand einer dieser seltsamen Wassertanks.
»Denkst du, das war mal ein Rakshasa? Hat hier vielleicht jemand daran geforscht, sie wieder zu Menschen zu machen?«, fragte Mirani, doch ich konnte diese Gedanken nur als naiv bezeichnen. Vermutlich war es eher andersherum. Das würde ich Rhaem durchaus zutrauen.




Ich schluckte und zog Mirani in meine Arme. »Ich werde Mutter und ein paar der Klingentänzer schicken«, murmelte ich.
Die meisten Bewohner der Dämmerwüste waren über das, was Rhaem getan hatte, so entsetzt, dass sie keine Einwände hatten, auf mich zu hören und das Chaos zu beseitigen. Ich wusste jedoch noch nicht genau, wie loyal sie waren. Daher würde ich auch nur Mutters persönliche Leibwache mit ihr schicken und niemanden sonst.
Mirani nickte und vergrub ihr Gesicht an meiner Brust. Dabei ging ihr Atem schwer und ich spürte, dass sie mit den Tränen ankämpfte.
Sie war stark, das hatte ich die letzten Tage gesehen, doch selbst mich erschütterte dieser Ort hier bis ins Mark. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was hier geschehen war und ich wollte auf gar keinen Fall, dass Mirani hier etwas berührte. Ich war bereits zu unvorsichtig gewesen, als ich sie die Dokumente hatte aufsammeln lassen.
Mittlerweile konnte sie ihre Gabe zwar steuern, doch so neugierig wie sie war, konnte sie sich bewusst entscheiden, in diesen Horror einzutauchen. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Sie steckte bereits zu tief in der Sache mit drin.

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